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7. Oktober 2016 5 07 /10 /Oktober /2016 10:33
Der alte Mann

Der alte Mann

Solange wie ich in dieser Stadt lebe, kenne ich nun den alten Mann, der jeden Tag, zu selben Zeit, seine Stunden auf einer Bank verbringt. Im Sommer in der warmen Sonne. Im Winter dick angezogen immer nur für kurze Zeit, aber nach draussen geht er immer.

Sie sitzen immer hier, habe ich ihn eines Tages angesprochen. Wohnen sie in der Nähe? Als wenn er darauf gewartet hätte, dass ihn ein anderer anspricht, erzählt er, wenn auch zögernd, bedächtig.

Er lebt in dem Altersheim, ganz in der Nähe, sagt er. Raus geht er immer, um seiner Leidenschaft zu fröhnen. Dem Zigarettchen. Und ein wenig sieht er noch vom Leben in der Welt, wenn es auch nur ein kurzer Einblick, eine kleine Perspektive ist. Sie genügt ihm, sagt er. Er kennt all die Tag für Tag wiederkehrenden Begebenheiten. Menschen die morgens zur Arbeit laufen, an der Strassenbahnhaltestelle warten. Die ins gegenüberliegende Maschinenwerk, genannt sportliche Ertüchtigung, rennen oder die sich einfach beim Bäcker ihr Brot und ihre Brötchen kaufen. Im Sommer immer die selben Leute, Rentner, Suchende, wie auch immer, die vor dem Cafe ihre Zeit verbringen mit Plaudern und Schauen, so wie er.

Manchmal seh ich ihn, wie er schweren Schrittes, ganz langsam auf seine Parkbank zuläuft. Es geht nicht mehr viel. Mit der Bewegung. Er ist ja auch schwer, zu schwer und behäbig geworden. Warum? frage ich ihn eines Tages.

Schlaganfall! Vor einigen Jahren. Er hatte gerade ein Jahr seiner lang ersehnten Rente hinter sich gebracht. Hat das Leben genossen, endlich, nach so vielen Jahren schwerer Arbeit, Unwägbarkeiten des Lebens, seine Frau verstarb schon früh und er musste mit dem Verlust fertig werden. Er hatte noch seinen kleinen Hund, einen Schnauzer und seine Kinder, Sohn und Tochter, aber die hatten ihr eigenes Leben mit all dem, was jeder erlebt, Verluste, Einbrüche, Fallen und Aufstehen. Wenig Zeit haben die, sagt er, aber an den Wochenenden, da kommen sie zum Kaffetrinken, immer Sonntags am Nachmittag. Darauf freute er sich. Und sie riefen an, jeden Tag, ob alles in Ordnung ist.

Sie riefen auch an dem Tag an, als es passierte, sagte er, das mit dem Schlaganfall, plötzlich. Ein Widerfahrnis aus heiterem Himmel. Hätte er damit rechnen sollen? Wegen des Rauchens. Ja sicher, sagte er, solche Gedanken hätte er immer mal wieder gehabt, aber wie es so geht, Leidenschaften erliegt der Mensch, er hört nicht damit auf, er glaubt immer, an ihm geht es vorbei, das Einbrechen oder er nimmt es an. Leben ist Leben. Schutz gibt es nie, auch die, die alles richtig machen, können betroffen sein. So sagt er.

Er ging nicht ans Telefon, morgens zur gewohnten Zeit. Da waren sie gewarnt. Sind gekommen, haben aufgeschlossen und da lag er im Flur. Es war nicht zu spät. Er wurde gerettet. Und nun sitzt er hier, jeden Tag auf der Bank, zu jeder Jahreszeit.

Er schaut ins Leben und denkt viel an das, was gewesen, was er gehabt hat. Vorbei, vorbei die schöne Jugend sagt er manchmal. Koch war er, auf einem Schiff. Viel rumgekommen sei er. Aber nicht in jedem Hafen ein Mädchen. Dazu war er zu treu. Nach 10 Jahren hatte er genug. Zog mit seiner Frau nach Frankfurt. Übernahm die Gastwirtschaft, die er bis zu seiner Rente geführt hat. Eine Stammkneipe für die Menschen aus dem Veedel, wie in Köln so schön gesagt wird.

8 Jahre, bevor er aufhörte damit, starb seine Frau. Danach ging das Geschäft nur noch schleppend. Man merk erst nachdem der vertraute Mensch weg ist, was er für einen war. Damit meinte er nicht die Arbeit, die ihm abgenommen wurde, sondern den Halt, der ihm gegeben war durch sie. Warum ist das so, sagt er. Wieso konnte ich nicht mal innehalten, damals im Alltag und sie anschauen, um zu wissen, wer sie für mich war und was sie mir bedeutete. Dann hätte ich es ihr sagen können. Zu spät! Oft war immer alles zu spät. Wie es so geht.

Und nun? hab ich ihn gefragt? Wie fühlt sich ihr Leben jetzt für sie an? Er schaute eine Weile in sich gekehrt und sagte dann, es ist nun mal so, ich muss es so annehmen wie es ist, das Leben jetzt, ich kann ja nichts machen. Aber schade, dass die schöne, schöne Jugend vorbei ist. Das hängt er immer dran. Dann müssen wir aber auch Beide lachen, weil, er sagt es nur wegen der Erinnerung an früher. Im Grunde sei er es zufrieden nun, wie es ist.

Manchmal singen wir ein Lied zusammen, von früher, diese alten Schlager. Dann lacht er übers ganze Gesicht. Schade, dass sie nun weg gehen, sagt er. Viel Freude hab ich ja nicht mehr. Dann sitzen wir da und schauen Beide nach vorne. Es war eine schöne Zeit mit ihm, die Stunden, die ich mit ihm verbracht habe. Ich mag ihn. Ich werd ihn auch vermissen.

So geht das Leben nunmal.

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