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22. November 2024 5 22 /11 /November /2024 11:43
Für den Roman *Der Freund* bekam Sigrid Nunez den National Book Award. Es ist nicht ihr erstes Buch. Nunez schreibt seit den 70er Jahren. Der Freund ist ihr 7.tes Buch. Was es über sie zu sagen gibt kann man bei wikipedia nachlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Sigrid_Nunez.
 
Das Buch ist mir beim Stöbern in meiner Buchhandlung des Vertrauens in die Hand gefallen. Der Titel hatte mich angezogen und der auf dem Cover des Buches sitzende große Hund eine Harlekin-Dogge. Und nach kurzem Einblick gehörte das Buch mir, denn es ging um Freundschaft. Freundschaft der Protagonistin nicht nur zu einem Mann, der, Schrifsteller wie sie war und den sie verloren hat. Er hatte im fortgeschrittenen Alter den Freitod gewählt. Unangekündigt. Es gab keinen Abschiedsbrief.
 
Sie bekam die Nachricht von seiner dritten Ehefrau. Eine Welt stürzt für sie ein. Ihren Freund lernte sie schon als Collegestudentin kennen, er war ihr Dozent. Seit diesem Tag begann ihre zutiefst innige Freundschaft. Das Buch läßt offen, ob er auch zugleich ihre große Liebe war, der Eine oder Andere sagte ihr es nach. Vermutlich war es so, war mein Resumee beim Lesen. Nun ist er gegangen, ohne sich zu verabschieden. Was übrig blieb war ein Meer von Tränen. Sie weinte tagelang zurückgezogen in ihrer Wohnung. Sie weinte sich sprichwörtlich blind, sah nur noch verschwommen.
 
Man kann weinen, bis man nichts mehr sieht. Habe ich selber erfahren. Nicht nur beim Verlust geliebter Menschen, sondern auch nach erlittenen Traumata. Die Protagonistin arbeitete u.a.  mit Frauen aus Kambodscha, Kriegsflüchtlinge mit schweren Traumatas. Einige von ihnen verloren ihr Augenlicht ob des vielen Weinens. Medizinisch gesehen war mit ihren Augen alles in Ordnung. Aber schwere Traumata können eine solche Begleiterscheinung hervorrufen. Auch das war mir selber bekannt aus jungen Jahren. Was ich nicht wußte war, dass Wissenschaftler in Untersuchungen festgestellt haben, dass die chemische Substanz von Tränen eine andere war, wenn sie geweint werden wegen seelischem Kummer oder wenn sie geweint werden, um das Auge zu benetzen,  weil sie gereizt sind. Aber eines ist sicher, Weinen zu können ist wichtig. Man fühlt sich besser, wenn man sich ausgeweint hat. Es gehört zum Loslassenprozeß.
 
Doch zurück. Ich schrieb, dass es nicht nur um die Freundschaft zu ihrem Schriftstellerfreund ging, sondern auch um die Freundschaft, die sich langsam entwickelte, zum Hund ihres Freundes, einer Harlekin-Dogge. Denn dieser,  war sein letzter Wunsch,  sollte zu ihr kommen. Sie sollte sich um ihn kümmern. Er hatte ihn selbst überraschend gefunden, ausgesetzt wohl, schon betagt. Wer, so sagte er einmal seiner dritten Ehefrau, wenn nicht sie, soll sich um diesen Hund kümmern.
 
Das kam überraschend für sie. Sie lebte klein, bescheiden. Ihre Wohnung nicht groß. Sie hatte immer Katzen gehabt. Und nun dieser Hund. Ein Riese. In ihrer knapp 45 qm großen Wohnung. Zudem verbot der Vermieter Hundehaltung. Doch es gab da ein Gesetz, auf das sie aufmerksam gemacht wurde. Hält ein Mieter einen Hund drei Monate lang in seiner Wohnung und wird seitens des Vermieters nichts dagegen unternommen, ist das Gewohnheitsrecht entscheidend. Zudem weiter, wird der Hund als Assistentbegleitung für psychisch oder körperlich leidende Menschen eingesetzt, kann das Haltungsverbot des Hundes in einer Wohnung umgangen werden. Auch darum bemüht sich unsere Protagonistin.
 
Und so zieht die Erzählung den Leser hinein in diese wunderbar beginnende Freundschaft zu dieser Harlekin-Dogge, genannt Apollo, der wohl nicht nur wegen des Verlustes ihres Freundes, sondern auch aus seiner Vergangenheit zur Depression neigt. Es beginnt eine Nähe zwischen den Beiden, die einen oft zum Lachen bringt, wenn er sich es z.B. gemütlich auf ihrem Bett breit macht. Denn die Luftmatratze die sie daneben gelegt hat, verschmäht er. Und tatsächlich gewöhnt sie sich dran. Die Beiden werden auch Trost füreinander.
 
Täglich spaziert sie mehrere Male mit ihm durch die Strassen und wird bewundert. Apollo ist eine Attraktion geworden in ihrem Umfeld. Manche haben auch Angst vor ihm. Wer kann es ihnen verdenken. Ein so großes Tier.
 
In meiner Erinnerung stieg das Bild meiner Ausbildungsjahre als Rechtsanwaltsfachangestellte
in mir auf. Mein damaliger Chef, alt und betagt, brachte Tag für Tag seine große Deutsche Dogge mit ins Büro und ich fürchtete mich, obwohl selber Hundeliebhaberin, anfangs sehr vor ihm. Wenn mein Chef mich zum Diktat ins Büro rief, lag er neben mir und beobachtete mich genau. Aber ich begann ihn zu lieben als der Chef verlangte, dass ich ihn zum Gassigehen ausführen sollte.
 
Und sie, unsere Protagonistin begann ihn ebenfalls zu lieben. Wenn sie las, las sie laut, ihm vor, Bei Rilke lächelte er meinte sie und schlief irgendwann ein. Knausgaard nahm er sich vor, zerkaute ihn, hörte dann aber ebenfalls hingebungsvoll zu.
 
Wir erfahren viel über die Eigenarten menschlicher Freundschaftsverhältnisse zu ihren geliebten Hunden.Die schöne Geschichte über die Hundefreundschat Hachiko zu seinem Herrchen wird auch erwähnt. Aber Hachiko war nicht der Rekordhalter in der Treue zu seinem Herrchen, da gibt es noch eine andere Geschichte, die hier erwähnt wird. 
 
Es wird ja auch gesagt, dass Menschen ihren Hunden oft ähnlich sehen. Vielleicht ist das ein bisserl übertrieben, doch wenn ich an meinen Wuschelhund damals in jungen Jahren denke, hatte ich doch den gleichen Wuschelkopf. Ein Lächeln in meinem Gesicht bei der Erinnerung.
 
Richtig gelacht hab ich als sie erzählt, wie sie eimmal einer fremden Frau lauschte, die im aufgeregten  Gespräch mit ihrem Mops war. Sie sagte zu ihm: "Vermutlich ist es mal wieder meine Schuld, oder?" Woraufhin, sie beschwört es, der Hund die Augewn verdrehte.
 
Diese Vorstellung ist so herrlich. Ich habe das Bild tagelang nicht aus meinem Kopf bekommen. Ich bleib dabei, ein Hund ist der beste und treuste Freund den man sich wünschen kann. Und das beweißt auch dieses kleine Büchlein von Nunez.
 
Es ist ein wunderbares Buch über Liebe, Freundschaft, Trauer und Trauerarbeit , Erinnerung und Vergessen. Oft auch mit viel Humor. Gerade Humor brauchen wir Menschen doch auch in schweren Lebenslagen. Wenn ein Mensch wirklichen Humor in sich trägt, so ist das schon eine große Vertrauensbasis für eine wie auch immer beginnende Beziehung. 
 
Aber und das will ich jetzt gar nicht so weit ausholen auch ein sich Hineinvertiefen über das Wesen des Schreibens, der Literatur , denn das war ja für Beide, ihrer und ihres verstorbenen Freundes die ganze Welt. Das Schreiben, Lesen und Unterrichten,. Viele kleine Ausflüge in die literarische Welt beschreibt Nunez in ihrem Büchlein.
 
Schreiben ist für mich oft auch ein Loslassen der Dinge, wie jetzt eben auch diese kleine Empfehlung für das Büchlein von Sigrid Nunez - Der Freund -
 
"Im Buch wird gesagt: Statt über das zu schreiben, was ihr wißt, schreibt über das, was ihr seht. Geh davon aus, dass du nicht viel wissen wirst, ausser du lernst zu sehen" So ist es!
 
Und eines noch: Wie sehr ein Mensch einem Freund war, weiß man erst, wenn man ihn verloren hat!
 
 
 
Sigrid Nunez
Der Freund
Aufbau Verlag, Berlin 2020
220 Seiten
20,00 Euro
 
 
 
 
 
 
 
 
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