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7. Januar 2025 2 07 /01 /Januar /2025 11:46
Das Buch von Gabriele von Arnim, welches ich heute empfehlen möchte, ist schwere Kost. Zuvor hatte ich noch nie etwas von ihren Werken gelesen. Das Buch *Das Leben ist ein vorübergehender Zustand* wurde in meinem Literaturkreis empfohlen, also war es für mich ein Muß. Wahrscheinlich hätte ich von mir aus nicht zu diesem Buch gegriffen, weil es eine biografische Erzählung ist, die auch ein wenig Angst machen kann. Angst genau vor dem, was in von Arnims Leben eingetreten ist.  Aber schon nach einigen Seiten hat es mich gefangen genommen.
 
Gabriele von Arnim beschreibt ihre Lebenssituation in der sie sich 10 Jahre befand, nachdem ihr Mann mit einem Schlaganfall ins Krankenhaus eingeliefert wird. Genau an dem Tag, an dem sie ihm am Abend klar machen wollte, dass ihre Beziehung am Ende sei und sie sich trennen möchte. Aber dann kam der Anruf. Er liege im Krankenhaus.
 
Ein Schlaganfall. Der Erste, gefolgt von einem zweiten, Lungenentzündungen, Thrombosen und schwerem Dekubitus innerhalb der 10 Jahre, in dem sie ihn zuhause gepflegt und betreut hat.
Ihr Mann, Martin Schulze,  war Journalist und zeitweise auch Chefredakteur bei der ARD. Ein unabhängiger, freiheitsliebender und sportlicher  Mensch, der es liebte von Menschen umgeben zu sein, sehr sprachgewandt sich mit vielen Themen auseinandersetzte und dafür auch große Anerkennung bekam.
 
Sie verließ ihn nicht. Sie bleibt bei ihm und wurde in dieser Zeit selbst schwer krank. Die Situationen  in diesen 10 Jahren beschreiben alles Menschliche, daß in einem vorgeht, wenn man plötzlich gefangen ist von der Sorge, dem Leiden und der Not des Partners. Sie nimmt kein Blatt vor dem Mund und ist absolut ehrlich, dass sie an ihre Grenzen kam, dass sie Wut auf den Leidenden empfand, aber dass aus all dem Schweren im Umgang mit ihm, der Sorge und den ständigen Herausforderungen aus immer wieder neuen eintretenden krankheitsbedingten Einbrüchen, wieder eine Liebe daraus zueinander ganz neu begann.
 
Aber sie beschreibt nicht nur die Erfahrungen im Umgang mit ihrem kranken Mann, sondern auch die Begebenheiten die ihr und ihrem Mann widerfuhren im Freundes- und Bekanntenkreis.
Denn wie sagt es ein afrikanisches Sprichwort, auf dass sie sich in Ihrer Erzählung beruft:
 
"Es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind zu erziehen"
 
Denn ihr wird klar, dass es auch ein ganzes Dorf braucht, eine Umgebung, eine Großfamilie, die einfach da ist und einen nicht im Stich läßt.
 
Und diese Erfahrungen mit Freunden und Bekannten sind sehr unterschiedlich. So erzählt sie z.B. an einer Stelle, als ihr Mann sich immerhin noch im Rollstuhl bewegen konnte, wie ein Freund zum runden Geburtstag einlädt und sie ihn fragt, wie denn die Gegebenheiten beschaffen wären, mit dem Rollstuhl in seine Wohnung zu kommen und er darauf antwortet:" Wir haben Dich eingeladen" Ein Freund.
 
Andere sagen, wir wollten ihn ja besuchen, aber wollten auch nicht aufdringlich sein. Oder sie redeten sich heraus mit er will doch sicher nicht so gesehen werden, sondern in unserer Erinnerung so bleiben, wie er war, ein eloquenter Gesprächspartner, amüsant und wissensvermittelt, dem man gerne zuhörte. Aber das war er nicht mehr.
 
Doch es gibt auch gute Erfahrungen. Von Arnim organisiert fast 20 Menschen die kamen um ihrem Mann vorzulesen, aus Büchern und Zeitungen und ihm damit das Geschenk machten, dass er auch weiterhin mit der Welt verbunden war. Andererseits war es auch sehr schwer mit anzusehen, wie er gerne hätte über das Gehörte reden, diskutieren, sich austauschen wollte, aber es nicht mehr ging.
 
Und da waren auch Freunde, Bekannte, die kamen um ihr bei der Wache zu helfen, damit sie mal eine Runde spazieren gehen konnte oder einfach in ein Cafe, um auch mal wieder zu sich zu kommen, denn ihr Leben bestand ja nur noch aus Sorge, Mitleiden und Organisieren des Tagesablaufes und wieder und wieder erneutem begleiten in Krankenhäuser und Rehabilitationszentren. Natürlich hatte sie auch eine Pflegerin für die schweren körperlichen Arbeiten. Aber insgesamt blieb sie in diesen 10 Jahren ans Haus gefesselt und musste auch sehen, worin sie sich Trost und manchmal auch ein  wenig Ablenkung schaffte. Sie bezog sie aus ihren Büchern, die sie las, sei es von Arno Gruen (den ich ebenfalls liebe), Rachel Cusk oder Davod Grossman, dem israelischen Schriftsteller, der ein Buch über die Trauer des Verlustes seines Sohnes im Krieg geschrieben hatte, dass ich auch vor einigen Jahren gelesen habe.
 
Manchmal waren es auch einfach nur ganz kleine Dinge, die ihr wieder Luft zum Atmen gaben, ein Glas Wein am Abend, ein Blick aus dem Fenster. Das war für sie manchmal entscheidend um wieder Kraft zu gewinnen.
 
Übrigens hat Gabriele von Arnim das Buch nicht während der Krankheit ihres Mannes geschrieben, sondern erst Jahre nach seinem Tod, weil eine Freundin ihr dazu geraten hatte. Hilfe dazu gaben ihr ihre vielen Tagebucheintragungen, die sie im Laufe der Jahre gemacht hatte.
 
Auch  über das Leben nach seinem Tod, berichtet sie in ihrem Buch. Wie sie sehr langsam wieder zurück ins Leben fand, in ihr eigenes Leben. Es gibt einen Satz von Rilke, der sagt:
 
"Die Toten sterben in uns hinein."
 
Was für sie nichts anderes hieß, sie hat ihn mitgenommen in ihr Leben ohne ihn. Er war nicht tot, weg. Ich kannte diesen Satz von Rilke nicht, aber er zeigte mir, dass es so ist, denn wenn ich auf mein eigenes Leben und den Menschen, die mir schon genommen wurden, zurückblicke  kann ich das bestätigen, sie sind immer noch da, in mir, durch die Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse oder einfach an Gespräche die wir geführt haben oder manchmal auch einfach nur durch mein Reden mit ihnen in meinem Gedanken, wenn ich sie frage, was würdest du dazu sagen oder da hätten wir zwei aber wieder tüchtig abgelacht. Ja so ist es. Die Toten sterben in uns hinein.
 
Ich kann das Lesen des Büchleins von Herzen empfehlen, denn es erzählt nicht nur vom Leid und der Schwere eines Einbruchs im Leben eines Menschen, der seinen Partner oder einen guten Freund an eine schwere Krankheit verliert und für ihn da sein möchte, sondern auch von Liebe, Hoffnung, Würde und Freundschaft.
 
Und es zeigt uns auch was wichtig ist im Leben, Mitgefühl und Achtsamkeit auf und mit den Menschen zu haben, die mit uns leben. Unsere Welt ist eher geprägt davon, dass Menschen, die krank sind oder anders schwach, nicht gesehen werden wollen und die irgendwo leben, wo man sie am besten nicht sehen muss.
 
Unsere Welt ist eine Leistungsgesellschaft, in der Kranke und andere Bedürftige keinen Platz haben, Jeder hat sicher schon einmal erfahren, dass genau dann, wenn er einen Freund brauchte, dieser nicht da war oder man vielleicht selber nicht da war, als ein Anderer uns brauchte.
 
Jedes Leben hat eine Geschichte zu erzählen. Wir sollten alle unsere Geschichten erzählen, vielleicht gerade auch deswegen, damit wir besser verstanden werden und wir sollten alle Geschichten über das Leben Anderer lesen, damit wir das Leben besser verstehen können! Geschichten zu erzählen heißt auch, zu leben!
 
Zitat Arno Gruen aus ihrem Buch:
Ein Mensch, der den Weg nicht findet zu seinen eigenen Gefühlen, zu einem Selbst, wird nicht autonom, sondern angepaßt leben. Wird sich der Gesellschaft unterwerfen, ihre Regeln übernehmen, sich selbst entfremdet bleiben. Was weder ihm noch der Gesellschaft gut tut. Denn jene Menschen, die Leid, Schmerz, Gefühle abgespaltet haben in sich, die keine Lebendigkeit fühlen, leben in der *Fixierung auf die Pose*. Sie brauchen Macht, Ruhm, Geld, Zerstörung, um ihre eigene innere Leere zu füllen*
(Ich liebe Arno Gruen)
 
Gabriele von Arnim
Das Leben ist ein vorübergehender Zustand
Rowohl-Verlag
14,00 Euro
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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