Overblog
Edit post Folge diesem Blog Administration + Create my blog
10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 20:08
Ein Anruf mitten hinein in mein Leben, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Die Frau eines Onkels ist am Apparat. Diesen hatte ich 20 Jahre nicht mehr gesehen. Es hat mich einiges dazu veranlasst, den Kontakt, bis auf Mutter und Bruder, zu lösen. Jetzt sagt sie am Telefon, er liegt im Sterben, der Onkel und würde mich gerne noch mal sehen.
 
Ich laufe zwei Tage durch die Wohnung und frage mich, ob ich dem Wunsch entsprechen soll. Jemand liegt im Sterben, was will er von mir! Ich habe keine Erinnerung, warum?
 
Und doch ist mir dieser Wunsch heilig. Familie sagt, tu dir das nicht an! Und doch setze ich mich zwei Tage später ins Auto und fahre los. Ein mulmiges Gefühl macht sich in meinem Bauch bemerkbar. Zuviel Tod in der letzten Zeit! Unterwegs rattern die Gedanken, warum will er mich sehen? Wieso hat er nicht früher den Kontakt gesucht?
 
Ich komme im Hospiz an. Meine Schritte werden langsamer, ob ich umdrehen soll! Da kommt seine Frau auf mich zu und nimmt mich in den Arm. Komm, ich bring Dich zu ihm. Die Tür geht auf und da steht er vor mir! Er schaut mich fragend an, nimmt seine beiden Hände, hält sie hoch und sagt:“Früher warst Du so dünn!“ Wir müssen lachen, ich bin erstaunt, dass er stehen kann. Er kommt auf mich zu und hält mich im Arm. Ich habe das Gefühl, ich zerbreche! Dann setzen wir uns und schauen uns eine ganze Zeit lang an, sagen nichts. Ich schaue in seine Augen und sehe, dass sie schon weit weg sind. Ich sehe die Hilflosigkeit, die Angst und die Hoffnungslosigkeit in ihnen. Er wird sterben. Er weiß es, er kann nichts mehr tun.
 
Endlich fangen wir an zu reden! Warum ist das so gekommen! Warum haben wir uns aus den Augen verloren. Ich erkläre ihm meine Gründe. Er weiß es. Und dann der für mich entscheidende Satz:“ Entschuldige, dass ich damals geschwiegen habe und nicht interveniert habe“! Ich verliere die Fassung!Ich bin erschüttert! Mein ganzes Gefüge bricht auseinander, das ich mir in den letzten Jahren gemacht habe!
 
Ich bleibe acht Stunden. Ich habe ihm nichts vorzuwerfen. Ich sage ihm, dass ich ihn immer in guter Erinnerung halte, als einen Mensch, der mir immer freundlich zugetan war.
 
Dann fahre ich nach Hause. Bin durcheinander und verpasse die richtige Autobahn. Finde mich plötzlich woanders wieder. Der Tank ist nicht mehr sehr voll und ich bekomme Panik, dass ich auf der Autobahn stehen bleibe.
 
Ich behalte die Nerven, fahre die nächste Abfahrt raus und in die andere Richtung zurück und finde Gott sei Dank die richtige Autobahn. Es ist dunkel und es regnet. Meine Gedanken rasen.
Hätte es damals etwas geändert? Wäre mein Leben anders verlaufen?
 
So geht das eine ganze Weile und ich komme zu dem Schluss:“ Was gewesen ist, ist vorbei“
Da gibt es nichts mehr nachzuhacken. Die Vergangenheit kann man nicht ändern, aber die Gegenwart und die Zukunft! Das haben wir getan. Für ihn war es wichtig, sich von dieser Last zu befreien. Er wollte sie nicht mit ins Grab nehmen. Auch ich fühle mich gut dabei, ihm gesagt zu haben, wie gern ich ihn gehabt habe! Wie freundlich er immer war und wie hilfsbereit er immer war.
 
Ein Leben geht zu Ende. Eines, das sich immer um andere gekümmert hat, eines das immer für die anderen da war und eines, das gleichwohl so traurig in der Vergangenheit hängen geblieben ist. Mir wird bewußt, dass es wichtig ist, am Ende mit allem versöhnt zu sein. Dass es wichtig ist, Unerledigtes anzuschauen und es zu bereinigen, auch wenn es schwer fällt, für einen selber und für die, die es betrifft!
 
Vorhin kommt der Anruf, er ist jetzt ins Koma gefallen. Er hatte am Tag, als ich da war, noch die Patientenverfügung mit seiner Frau durchgesprochen. Er hat alles vorbereitet, trotz Angst und Schmerz. Er hat sogar noch lachen und lächeln können. Ich habe Respekt und Hochachtung.
Wir können den Tod nicht ausklammern!
 
Ich sitze da und weine nun doch, über das, was gewesen war. Über die neuen Erkenntnisse die jetzt im Raum stehen und die nun auch noch einmal das Verhältnis zu meiner Mutter neu beleuchten. Auch sie baut immer mehr ab. Der Tumor zehrt von innen aus. Wie geht es mit uns weiter! Sind die neuen Erkenntnisse belastend für uns beiden? Es fällt mir schwer, zu ihr zu gehen. Ich will sie jetzt nicht mehr damit belasten. Auch sie hat genug gelitten.
 
Ich weiß, es ist ein schwerer Beitrag! Aber es ist mein Leben! Es ist das Leben eines Menschen, der in dieser Stadt lebt und der jeden Tag anderen Menschen begegnet. Ich begegne ihnen im Moment so, wie ich gerade bin und empfinde! Ich dreh mich grad nicht um Klimakatastrophen oder sonstige politischen Ereignisse. Das Leben fordert seinen Tribut, ganz unscheinbar in meinem Alltag passiert das ganz Normale. Ein Mensch geht! Aber wie?
Diesen Post teilen
Repost0

Kommentare