Overblog
Edit post Folge diesem Blog Administration + Create my blog
28. April 2009 2 28 /04 /April /2009 14:59

Ich hasse Abschiede, vor allen Dingen, wenn sie so still sind. Jetzt sitze ich hier auf meinem Koffer und warte auf den Bus. Ich bin einfach eine Reisende, ich reise zu gern. Reisen heißt, unterwegs zu sein, irgendwohin, wonach ich Sehnsucht habe.
 
Reisen ist ein Bild auch für das Leben. Sind wir nicht alle Reisende auf dem Weg, zurück nach dem Ort, nach dem wir uns sehnen....obwohl ich diese Welt liebe, sonst wär ich ja nicht unterwegs, gerade auch dieses kleine Stückchen Welt, in der ich mich in der letzten Woche aufgehalten habe.
 
Ein letzter Blick auf die Berggipfel, auf den Patscherkofel, so heißt er, meint mein Töchterlein und von ihrem Haus aus hatte ich jeden Tag den Blick vom Küchenfenster aus.
 
Autos rasen schon an mir vorbei, in das Leben, dass die Fahrenden erwartet. Kinder auf dem Weg zur Schule. Über dem Berggipfel vor mir kreist ein Greifvogel, frei, kein Zwang, nur die tägliche Nahrungssuche, ansonsten Freiheit, fliegen, schweben, ich wäre gern ein Adler.
 
Ich glaub, ich bin eine hoffnungslose Romantikerin. 2 Gramm soll die Seele schwer sein, hab ich diese Woche gelesen, sagt der Autor des Romans "Populärmusik in Vittula", Mikael Niemi, ein wunderbarer Roman. Er meint, um 2 Gramm sei der tote Körper leichter, wenn sie ihn verlassen hat, die Seele, zurück, auf dem Weg, suchend nach dem Ort der Wärme, aus der sie gekommen ist. Man kann nicht immer nur Wärme geben.
 
Im Haus gegenüber wird der Rolladenkasten hochgezogen. Aufstehen, strammstehen, bereit sein für den Tag. Mein Kopf ist erkältungsschwer an diesem Morgen, auch das noch, am letzten Tag. Es hat mich erwischt. Nicht schlimm. Vielleicht der Abschiedsschmerz....vielleicht aber auch der Schmerz, der schon seit einiger Zeit in mir tobt, wegen des Schweigens eines Menschen, der mir näher war, wie ich gedacht hatte. Ohne Worte.....einfach verschwunden. Weil es zu dicht wurde? Ich weiß es nicht.
 
Endlich kommt der Bus. Ein letztes Mal vorbei an den glitzernden und verlockenden Geschäftspassagen. Die roten Schuhe, die hatte ich mir oft angeschaut, schick waren die, mit dem kleinen Absatz, sehr feminin, die haben mir gefallen. Hätten gut zu meinem schwarzen Glockenrock gepaßt und dem pinkfarbenen T-shirt. Sehr weiblich, ich mag das, ich bin gerne Frau.
 
Die Bedienungen in der Gastronomie machen die Tische fertig für die Touristen, für die, die nur oberflächlich mitnehmen wollen, damit sie irgendwann sagen können, das Goldene Dachl, die Hofkirche, die Skischanze, wir haben alles gesehen. Doch verändert hat das das Leben nicht. Aber auch für die, die gekommen sind, um mehr zu sehen, einzutauchen in ein anderes Leben, ertasten, erspüren, die noch Zeit hatten, durch die Gassen zu streifen, die scheinbar unspektakulär, aber doch so viel mehr über das Leben der Menschen vor Ort erzählen. Menschen, die eingetaucht sind, in das Leben der anderen in einem anderen Land. Es wierderholt sich überall auf der Welt, selbst im kleinsten Ort, an dem wir manchmal nur ein Paradies vermuten. Und dennoch finden wir auch hier Leid, Freude, Krankheit, Tod, Geburt, Trennung, Liebe, Haß, Verletzungen, Ablehnung und Zuneigung. Immer das gleiche Spiel. Es ist gut zu wissen, zu erfahren, dass man nicht allein damit ist.
 
Angekommen am Bahnhof. Die letzte Möglichkeit zu erwerben, was man meint, unbedingt zu brauchen. Ein Souvernir, eine Zeitung oder etwas zu essen, für unterwegs. Überall...Reisende, aber da, in einer Ecke, die sind anders.
 
Scheinen hier am Bahnhof einen Ort der Sehnsucht gefunden zu haben. Sitzen jeden Tag dort, die Bierflasche an ihrer Seite, Junge und Alte, Gescheiterte, träumend von einem ganz anderen Leben. Ist es nicht so, die einen verlassen es freiwillig, dieses Hamsterrad, entscheiden sich für eine andere Art von Freiheit, die anderen werden hinausgeworfen, ungefragt. Die einen versuchen zu recht zu kommen, passen sich den Gegebenheiten an, versuchen das Beste draus zu machen, die anderen resignieren, ertränken ihre Hoffnungen und Träume, jeden Tag.
 
Ich gehe noch in ein Cafe. Noch nichts gegessen an diesem Morgen. Ich wollte keinen Krach machen. Es schlief noch alles. Versunken bei einem Late Macchiato versuche ich zu erspüren, wer sie sind, die Menschen, die hier sitzen. Oben in der Ecke läuft der Fernseher. Ein Bollywood-Video, schöne Frauen auf denen alle Männerblicke gerichtet sind, wie gefesselt. Frauen sind überall gleich, nur die äußere Schönheit ist anders.
 
Die Frau neben mir spricht mich an, erzählt mir, dass sie jeden Morgen hier in diesem Bahnhofscafe sitzt, vor der Arbeit. Sie lebt allein, sie braucht ein paar Minuten das Gefühl, Leben um sich zu haben. Seltsam, denke ich. Brauchen also die, die daheim bleiben, die, die sich auf den Weg machen und suchen, beim Reisen. Aber wonach sucht man eigentlich?
 
Im Grunde ist jede Reise eine Suche nach sich selbst. Nirgendwo, an keinem Ort, lernt man sich besser kennen, als in der Fremde. Wieso eigentlich?
 
Warum erkennen die, die einem am nächsten sind, einen so wenig und warum erkennt der Fremde das ureigene Wesen, das, was einen ausmacht, sofort?
 
Suchen wir nicht ständig danach einmal ganz in unserem Sein mit allem, was uns ausmacht, von einem Anderen erkannt zu werden? Und was dann? Wenn es geschieht? Ist dass dann Erfüllung?
 
Viele wissen gar nicht mehr, dass sie suchen, dass alles, was sie tun, kaufen, die Sinne befriedigen, Wissen anhäufen, sich Nachrichten einverleibend, ein Irrweg ist, ein sich Ablenken, auf der Suche nach sich selbst. Kein Wissender hat je die Welt verändert, allenfalls hat er eine Möglichkeit geschaffen, sie zu erklären, die Welt. Es gibt soviele Grundlagen des Wissens, die die Welt und das Leben der Menschen erklären wollen, das Woher und Wohin....doch alles Wissen endet im Nichtwissen. Niemand weißt letztendlich, denn am Ende bleibt es ein Geheimnis.
 
Der Zug fährt an. Ich werde umsteigen müssen in Landeck. Gleisbaustelle, das war nicht geplant. Schade, eines der schönsten Strecken.
 
Das Abteil ist leer, sehr angenehm. So hab ich es gern. Allein im Zug. Ach, ich reise so gern. Ein Traum wäre es, immer weiterzufahren, wie Sten Nadolny damals, mir einer Jahreskarte. Dann schrieb er seine Deutschlandreise. Einfach einsteigen, irgendwo aussteigen, dableiben, erleben, schauen, vielleicht bei den Menschen vor Ort wohnen, sie kennenlernen, um dann wieder weiterzufahren, an den nächsten Ort. Nur so, lernt man seine Heimat und die weite Welt kennen. Schade, dass es nur ein Traum bleibt.
 
Warum können sich viele Menschen ihre Träume erfüllen und tun es nicht....bleiben gefangen in einem Leben, dass sie gar nicht wollen und warum gibt es so viele, die sich sofort aufmachen würden, aber es nicht können? Warum verstehen die, die im täglichen Einerlei bleiben, nicht die, die nicht dazu geboren sind, für ewig und immer an einem Ort zu bleiben? Warum werfen sie ihnen manchmal Rastlosigkeit vor, wo nur pure Lebensfreude, Neugier auf die Schönheit der Welt ist. Ist es nur eine Ohrfeige, die sie austeilen, weil auch sie Träume haben, nur andere vielleicht, aber sie nicht leben?
 
Der Zug fährt, der Abschied wird dichter. Ein letztes Mal die Berge, dann kommt der Tunnel, kilometerlang, bis Landeck.
 
Schon kommen die ersten Erinnerungen hoch an das, was gewesen war, die Gespräche, die Begegnungen mit den jungen Leuten, die hier so ganz anders leben, als in einer Großstadt mit viel Freizeit in der Natur und viel Ehrgeiz für´s Studium.
 
Der Abend im Club, wo die Reggae-Hip-Hop-Band spielte, wo ich mich vergessen konnte im Rhythmus, im Tanz, ein bißchen, für ein paar Stunden, zwischen all den jungen Leuten. Die Texte der Band sprachen von den Wünschen der jungen Menschen, die sich gar nicht von den meinen unterschieden.
 
Respekt und Akzeptanz vor dem Gegenüber, keine Gier, keine Macht, kein Reichtum, nur suchen nach dem, was wirklich innerlich glücklich macht und zufrieden. Und eine friedliche Welt....und dem Einsatz jedes einzelnen Menschen dafür...aber auch die Einsicht, dass man Frieden nur schaffen kann in seinem eigenen Umfeld. Im kleinen fängt der Frieden an. So einfach ist das.
 
Der Intercity fährt gemütlich, nicht zu schnell. Er hält an jedem kleinen Bahnhof. Was gibt es schöneres, als in diesem Zug zu sitzen und die Welt an sich vorbeisausen zu lassen. Ich fühle mich so herausgenommen. Draußen geht der Wahnsinn weiter, während ich hier drinnen im Zug, in Sicherheit bin und vor meinen Augen die eigelbdotterfarbenen Löwenzahnwiesen, die ich aufsauge und die Birkenbäume, deren noch frisches Grün mein Herz erwärmt.
 
Die Beine gemütlich auf dem gegenüberliegenden Sitz schaue ich schläfrig in den Himmel, sehe die Wolkengebilde, Riesen, Zwerge, Gnomen, aber manchmal auch Gesichter, an denen ich hänge, bis ich einnicke, diesen nur Minuten anhaltenden Dämmerschlaf. Ach, es könnte ewig so weitergehen.
 
Wäre es doch im Alltag auch so, diese Haltung zu bekommen, fest zu stehen, wie ein Fels in der Brandung und von allem, was geschieht, was einem angetan wird, was einen verletzt, was Probleme macht, sich nicht erschüttern lassen, es einfach an sich vorüberziehen lassen, wie ein Gewitter, das vorbeigeht.
 
Das Goldene Dachl taucht auch in meinen Gedanken wieder auf, diesem Wahrzeichen Innsbrucks, dessen 2.657 vergoldete Dachschindeln in der Sonne einem schon von weitem entgegenstrahlen. Kaiser Maximilian, der übrigens wie so viele kaiserliche Hoheiten in Aachen gekrönt wurde, hat sie selbst um 1500 in Auftrag gegeben. In diesem Goldenen Dachl repräsentierte er seine Macht. Ein Kunst- und Kulturliebhaber soll er gewesen sein, der beides für seine politischen Zwecke genutzt hat. Viele, viele Künstler haben am Dachl gearbeitet, deren Namen unbekannt geblieben sind und dennoch haben sie sich verewigt in diesem Gebäude, ein Gesamtkunstwerk aus Architektur, Skulptur und Malerei.
 
Von Maximilian stammt auch der Spruch "Alles auf der Welt vergeht, nur die Ehr steht", wie wahr! Da mußte ich an Sloterdijk denken, dessen Buch in meinem Schoß liegt und Rilkes Schlußsatz unter seinem Torso-Gedicht:"Du mußt dein Leben ändern!" Stimmt! Um zu Ehr und Ruhm zu kommen, muß man es wohl fürwahr, egal in welche Richtung. Apropo, Sloterdijk´s Betonung liegt auf dem Wörtchen "muß" und nicht "du sollst!". Also Freiheit. Ein feiner, aber großer Unterschied.
 
Nun denn....Maximilian hat sich ein Ehrenmal gesetzt im Goldenen Dachl und in der Hofkirche, in dem er sein Grabmal hat errichten lassen, bewacht von großen schwarzen Figuren, sehr beeindruckend. Aber zu Lebzeiten ist er arm verstorben und am Ende aus Innsbruck verwiesen worden, wegen seiner Schulden. Er starb entfernt, einsam und allein.
 
Ich glaub, ich hör mal auf und erzähle morgen, oder übermorgen weiter, wie es mir so ergangen ist, unterwegs:-)))

Diesen Post teilen
Repost0

Kommentare