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6. Oktober 2014 1 06 /10 /Oktober /2014 07:21

Ein Fingerhut Benzin brennt mit kraftloser Flamme ab. Erzeugt man hingegen in einem Gefäß ein Luft-Benzin-Gemisch, z.B. durch Schütteln, so genügt ein kleiner Zündfunke, um eine gewaltige Explosion auszulösen...
 
Es waren bevorzugt Tüftler im deutschsprachigen Raum, die sich als Pioniere darum bemüht haben, diese Kraft zu bändigen und für den Menschen nutzbar zu machen. Wer von den alten Haudegen hätte aber gedacht, dass nach einigen Jahrzehnten fast der ganze Globus mit wunderlichen Vehikeln überschwemmt ist, die sich im Grunde immer wieder genau diesen billigen Knalleffekt zunutze machen.
 
Der Stoff, aus dem die Träume sind
 
Heute stehen weltweit etwa 1 Milliarde (!) solcher "Kraftfahrzeuge" bereit, mit deren Hilfe sich der Erdbewohner an einen Ort B befördern lassen kann, möglicherweise weil ihn am Ort A die Empfindung plagt, dass er nicht zur rechten Zeit am rechten Ort ist. Es geht dabei in erster Linie um die rein physische Anwesenheit, also um ein elementares taktisches Problem, mit dem sich auch der klassische Torjäger und Abstauber im Fußball häufig konfrontiert sieht.
 
Der Stoff, aus dem die Träume sind, muss in den meisten Fällen aus fernen Ländern "eingeholt" werden. George Bush sen. hat zu Beginn des ersten Golfkriegs in einem seltenen Augenblick der Wahrheit erklärt, warum amerikanische Soldaten am persischen Golf stehen. Er sagte wörtlich, dass es um die Verteidigung des westlichen Lebensstils ginge. Es ist fast unnötig, hinzuzufügen, was diesen Lebensstil im Wesentlichen ausmacht: Öl, Öl, Öl...
 
Eine unintelligente Technik
 
Beim Erdöl handelt es sich um einen wertvollen fossilen Rohstoff, dessen Entstehung Jahrmillionen in Anspruch nimmt. Der Mensch verbraucht es im großen Stil, verbrennt es und pustet die dabei anfallenden Schadstoffe in die Atmosphäre. Eine unintelligentere Technik kann man sich kaum vorstellen...
 
Wenn man sich unsere Städte anschaut, fühlt man sich stark an den technischen Bereich einer Bundeswehrkaserne erinnert: Einsatzfahrzeuge in Reih' und Glied. Wirklich jedes Haus scheint eine ganze Reihe von Knatterprotzen zu beherbergen. Ein Außerirdischer würde sich bei diesem Anblick an den Kopf fassen.
 
Der öffentliche Raum ist den Blechkarossen vorbehalten. Überliefert ist der Fall eines Autohassers im Süddeutschen, der mitten auf einer belebten Kreuzung in der Innenstadt ein Tischlein aufgestellt hat, um dort eine zünftige Brotzeit abzuhalten. Ihm ist ein unglaublicher Hass entgegengeschlagen. Wer sich dem Vorankommen - sei es auch nur im buchstäblichsten Sinne des Wortes - entgegenstellt, der muss mit dem Schlimmsten rechnen.
 
"CRUISING WELCOME"
 
Wenn auch vielleicht die deutschen Ingenieure in Sachen Technik vorangegangen sind, so sind im Lifestyle doch die Amerikaner tonangebend. Wer sich in den USA in einem geparkten Fahrzeug aufhält, macht sich nicht nur bei den Cops verdächtig: "NO LOITERING". Wer hingegen mit seinem Straßenkreuzer stundenlang um das Karré kurvt, der ist wohlgelitten: "CRUISING WELCOME".
 
Hat früher noch ein Führer gesprochen, um die vor den Volksempfängern lauschende Gemeinschaft zusammenzuschweißen, so wird heute das Wir-Gefühl durch eine Frontberichterstattung zur Verkehrslage gefestigt. Selbst am italienischen Badestrand erstirbt unter den deutschen Urlaubern augenblicklich das Gespräch, wenn der heimatliche Verkehrssender mit vertrautem Klang die Staulängen am Autobahnkreuz Oberhausen durchgibt...
 
Gefühl von Freiheit und Marlboro-Country
 
Merkwürdig, dass das Phänomen gern mit dem Ausdruck "Individualverkehr" belegt wird, handelt es sich in Wirklichkeit doch um eine Massenbewegung, um eine Gleichschaltung... In industriell gefertigten Massenprodukten, die dem Volk zugeteilt werden, dürfen sich die "Kraftfahrer" auf speziellen Pisten bewegen, vorausgesetzt, dass es wegen schierer Überfüllung nicht zum völligen Stillstand kommt... An dieser Tatsache kann auch ein am Kühler angebrachtes "Bullengitter" nichts ändern, welches ein Gefühl von Freiheit und Marlboro-Country vermitteln soll. Rinderherden auf deutschen Autobahnen sind immer noch die Ausnahme.
 
An den Tankstellen riecht es wie in einer Formel 1 - Boxengasse. Nur sind dort attraktive Boxenluder eher selten. Bevorzugt geben sich dort spießige Herren die Ehre, Ritter von der traurigen Gestalt, oft mit Hut und Bierbauch, die dort mit der größten Selbstverständlichkeit ihren Kraftstoff einholen, vergleichbar mit dem Kasten Bier zum Wochenende. Sie tun dies in dem ungemein beruhigenden Bewusstsein, ein Millionenheer von Gleichgesinnten hinter sich zu wissen.
 
Wie in Abrahams Schoß
 
Natürlich fügen sich nicht alle "Kraftfahrer" in dieses Klischee. Oft sieht man auch ausgesprochen zarte Geschöpfe am Steuer eines richtigen Boliden sitzen. Geländegängig, mit Allradantrieb, geschätzte vier Liter Hubraum, man fühlt sich an den Schützenpanzer Marder oder an ein Papamobil erinnert. Mit einem solchen Teil werden Brötchen besorgt oder die Kinder vom Hort abgeholt. Immerhin, die Kleinen können sich wie in Abrahams Schoß fühlen, wenn Mama sie so durch die Gegend schaukelt.
 
In Deutschland sind zur Zeit etwa 50 Millionen Kraftfahrzeuge zugelassen, allein der ADAC hat ca. 17 Millionen Vereinsmitglieder... Diese Zahlen kann sogar eine römisch-katholische Kirche nachdenklich machen, der in der Bundesrepublik etwa 25 Millionen Menschen angehören. Zumal die Automobilisten ihre Ersatzreligion wirklich leben, von Tag zu Tag, von Stau zu Stau und vor allen Dingen von Zahlung zu Zahlung...

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