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22. Januar 2021 5 22 /01 /Januar /2021 12:57

Es ist jetzt 11.00 Uhr. Freitag. Die Zeit an dem das Telefon klingelte und dann hatten wir uns. Wir redeten und redeten, 4, 5 Stunden und zumeist war es Dir immer noch nicht lang genug. Mir fiel fast das Ohr ab oft. Den Hörer nicht mehr halten können, sagte ich, Wolferl, wir machen Schluss. Ich hab auch Hunger. Ich muss was essen. Wir hören uns wie immer nächste Woche. Wenn irgendwas sein sollte, auch zwischendurch. 

 
Aber es gibt keinen Freitag mehr. Kein Zwischendurch. Kein *Ciao Röslein, pass auf dich auf* ...Nie mehr wieder wird Irgendjemand *Röslein mich nennen. 
 
Letzte Woche war es der letzte große Freitagsanruf. Du klagtest schon lange. Es ging Dir nicht gut. Auf alles Mögliche hast Du es geschoben. Es könnte dieses oder jenes sein. Projektionen. Zum Arzt wolltest Du nicht. Deine Angst vor einer Infizierung durch Corona jetzt in dieser Zeit war größer, als die Sorge um Dein Wohlbefinden, herauszufinden, was da mit Dir los ist.
 
Ich musste Dich lassen. Was sollte ich tun. Auf meine Bitten, auf mein Drängen, auf mein Schimpfen hast Du nicht gehört. Du musst nachdenken sagtest Du immer. Nachdenken? Worüber dachte ich. Alles liegt auf der Hand. Es gibt nur eine kluge Entscheidung und die ist, sofort zum Arzt. Du warst doch immer so klug. Unglaublich klug. Hast den Dingen ins Auge gesehen, sie analysiert und herausgefunden. Es entsprach immer der Wahrheit. Du hattest einen klaren Verstand, einen guten Blick für die Wirklichkeit. Nicht nur für das was geschah, sondern auch für den Menschen. Du hast immer Recht gehabt mit der Entzauberung der Menschen die sich immer als die *tollen* über alles Drüberstehenden präsentieren wollten. Wir dachten beide so und sahen das selbe. 
 
Das war das Wunderbare, was uns in der Freundschaft verbunden hat. Wir hatten so Vieles gemeinsam. Den Blick auf die Welt und den Menschen. Bücher verbanden uns. Wir konnten stundenlang darüber reden. Manchmal nur über eine einzige Aussage in dem Gelesenen. 
 
Jetzt sitze ich hier und schreibe Dir diesen Brief. Hier in meinem Blog steht dieser Brief an Dich. Wie hast Du Dich immer über einen Blog von mir gefreut. Schon damals beim Kölner Stadt-Anzeiger. Schreib Röslein, sagtest Du immer, schreib dir alles von der Seele. Erzähl den Menschen. Warum denn nicht. Lass die, die es dir nicht gönnen, dich angreifen, reden.
 
Genau zu der Zeit, in der wir telefonierten, schreib ich jetzt diese Zeilen an Dich.  Vielleicht siehst Du ihn ja, von da oben, unten, irgendwo, an dem Ort, wo Du jetzt bist bei Deiner Eila. Sie hat auf Dich gewartet und jetzt seid Ihr wieder beisammen. Mir war immer klar, dass Du ihren Tod nie überwunden hast. Es stimmt einfach nicht..Die Zeit heilt alle Wunden...Das hab auch ich immer und immer wieder erfahren. Ein Wort, ein Ort, eine Begegnung und schon ist das, was uns Schmerzen bereitet hat, wieder da. Manchmal auch nachts in den Träumen. Nichts ist jemals vorbei. Lass sie reden, die Leuts, die sagen, es ist rum. Sie machen sich nur was vor, wollen nicht hinschauen. 
 
Die Menschen belügen sich selbst. Spinnen sich eine Wirklichkeit zurecht, in der sie leben und an der sie festhalten. Klappt ja auch zumeist. Nur ist es nicht die Wahrheit ihres wirklichen Seins. 
 
Letzten Freitag ging es dann gar nicht gut mit Dir. Du konntest kaum noch sprechen. Ich war erschrocken, mutlos. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, konnte. Von hier aus. 200 km entfernt von Dir. Ohne Auto. Und Du wolltest ja auch immer noch nicht, dass ich was tat. Mein Reden und Reden flog immer noch an Dir vorbei. Ich musste mich den eigenen Projektionen überlassen, Mutmaßungen, was Deinen Gesundheitszustand betraf. Woran das lag, dass Du plötzlich so schnell abgebaut hattest. 
 
Vielleicht, sagtest Du, hättest Du Dich im Dezember doch irgendwo mit Corona infiziert und das sind jetzt diese schrecklichen Nachwirkungen. Vielleicht. Ich teilte diese Mutmaßung nicht. Wo hätte das geschehen sollen. Du, der Du absolut isoliert von Allem lebtest. Es ist etwas anderes Ungutes, sagte ich Dir. Ich spürte das. Jedoch kann etwas dran getan werden. Noch. Du musst nur endlich. Ja Röslein sagtest Du, ich denke drüber nach. Jetzt ist Wochenende, mal sehen...Montag...
 
Den Freitag konnte ich mich nicht mehr konzentrieren auf Irgendwas. Was ist da los mit meinem Wolfi. Da ich weiß, wie wütend Du auch werden kannst, wenn etwas getan wird, wozu Du nicht Deine Einwilligung gabst, war ich verunsichert. Ich sah Dich ja nicht. Deinen Zustand. Und noch 3 Wochen zuvor, klagtest Du zwar, aber warst ganz mein Wolfi, wie immer. 
 
Alles was ich tat in diesen Tagen war von Unruhe begleitet. Meine Gedanken bei Dir. 200 km entfernt. Ich tat das Zwischendurch. Am Sonntagmittag rief ich Dich an. Du gingst nicht ans Telefon. Es dauerte 1 Stunde bis Du endlich zurückriefst. Röslein, sagtest Du, mach das doch nicht. Ich brauchte jetzt so lange, um an das Telefon zu kommen. 
 
Alles überschlug sich. Fassungslos vernahm ich diese Worte. Was war mit Dir los? Ok, ok, sagte ich, jetzt ist genug. Das mach ich nicht mehr mit. Am Montag ruf ich den Notdienst an, wenn Du nicht selber etwas tust und schick sie Dir nach Hause. Ich muss drüber nachdenken, sagtest du. Schon wieder. Wir legten auf. 
 
Montagmorgen rief ich an. Gefahr im Verzug sagte ich. Sie kamen sofort. Am Telefon, als ich Dir Bescheid gab, sagtest Du, danke Röslein, ciao Röslein. Eine Stunde später dann telefonierte ich mit der Uniklinik. Notaufnahme. Wir können noch nichts Genaues sagen. Sagten sie. Da hat einer ganz schön was verschleppt. Es wurde gewartet auf ein Bett auf der Station. 
 
Dann ging alles so schnell. Am Abend sagte die Ärztin mir, eine schwere Lungenentzündung verbunden mit einer Sepsis. Man müsste Dich ins künstliche Koma versetzen. Ich hatte keinen Gedanken mehr. Dachte nur, was passiert da mit Dir. Mit meinem Wolfi. Ich stand und stehe noch immer unter Schock. 
 
Dienstag morgen klingelte das Telefon. Die Ärztin. Sie sagte...Du möchtest mich noch einmal sprechen. Sie hielt Dir das Telefon ans Ohr. Du sagtest mir etwas. Sätze, die ich nicht mehr verstand. Nur einzelne Worte. Koma. Was passiert. Und dann. Röslein...danke...ciao Röslein...Das war das letzte was ich von Dir hörte. Dann warst Du weg. 
 
Mittwochmorgen sagten sie es stehe schlecht um Dich. . Ich müsste mit allem rechnen. Mit allem rechnen? Wieso denn? Warum? Das kann nicht sein. Das kann ich nicht fassen. Verstehen. Da war doch Hoffnung. Und jetzt nicht mehr? Was passiert da? Keine Gedanken mehr. Nur Leere in meinem Kopf.
 
Und dann hörte ich nicht mehr auf zu weinen. Weine immer noch. Ich ging spazieren. An diesem Mittwochmittag. Sah nichts mehr. Redete und redete mit Dir in meinem Kopf. Sah nichts mehr. Nahm nichts mehr wahr. 
 
Ich erzählte Dir...Wolfi weißt Du noch, wie wir die Katze beim Kacken erwischten und sie uns ganz empört anschaute und wir da vor ihr standen und lachten und lachten. Es war so wunderschön. Wir hatten den gleichen Humor.
 
Oder erinnerst Du Dich, wie wir auf der Kaimauer saßen am Main und dieser Typ kam vorbei. Ein junger Mann. Er hatte schulterlanges Haar. Es wippte beim Auftreten seiner Schritte. Und ich sagte, guck mal, der hat die Haare schön und gleichzeitig prusteten wir heraus, lachten und lachten, konnten nicht mehr aufhören. Er hatte die Haare schön und trug sie von Wettertaft gehalten da zur Schau. Niemals niemals werde ich dieses Bild vergessen.
 
Ich erzählte Dir von unseren Klettertouren rauf zum Altkönig, mal hattest Du Probleme mit der Überwindung der Höhe, mal ich, mal gelangten wir Beide im Gleichschritt ohne Beschwerden nach oben. Unser erstes Picknick dort auf der Höhe mit dem weiten Ausblick runter ins Taunusland und nach Frankfurt hinein. Im Sonnenschein. Zwischen den Tannen saßen wir und es war so herrlich still, ruhig. Die Zeit war stehengeblieben. 
 
Und unsere schönen Wanderungen hinauf zum Bahain-Tempel, wo wir im Sonnenschein unsere Jause vertilgten und uns dann weitermachten zum Kaisertempel. Eine riesige Tour war das mit vielen Höhenmetern die überwunden werden mussten. Ganz schön abgestrampelt haben wir uns, vor allen Dingen, wenn es heiß wurde, im Sommer. 
 
Und erinnerst Du Dich, sagte ich, an unsere Tischtennismatchs, an denen Du ehrgeizig wie Du warst, versuchtest eines zu gewinnen, was Dir selten gelang. Du warst eben schwerer als wie ich. Ich sprang und sprang an die unmöglichsten Stellen. Bekam den Ball immer und preschte ihn Dir zurück. Du warst sprachlos. Aber wolltest nie aufgeben. Was hatten wir für einen Spaß. Nur im Schach konnte ich Dich nie in die Knie zwingen. Dazu war ich zu schlecht.  Fing ja auch gerade erst an. Du warst lange Vereinsspieler. Ein sehr guter sogar. Du konntest mir noch erzählen, wie die Stellung auf einem Brett vor zig Jahren war und hast dich geärgert, wenn ich das nicht mal in einer vor Minuten zu Ende gegangenen Partie  beherrschte. Nach vielen Jahren kann ich es jetzt aber auch liebes Wolferl. Nicht immer, aber hin- und wieder. 
 
Dann wieder die Stunden, an denen wir in der Musik versunken waren. Du warst ein alter Rock´n Roller. Erzähltest mir immer wieder von Deinen Localheros. Knut Engemann mit seiner Band Puma & the Beutelratten....Hank Kerns & The Rockin Devils....The Rounders...Back to the roots....Und Matthias mit seiner All coulors´-Band...Du hast sie Beide vereehrt. Viele Konzerte haben wir auch gemeinsam besucht dieser Beiden. Das waren auch die einzigen Momente in Deinem Leben, wo Du Dir ein Bier gegönnt hast. Hast sonst nie getrunken. Aber Rock´n Roll... dazu gehört ein Bier und eine Kippe, waren immer Deine Worte. Geraucht hast auch Du sonst nie. 
 
Ich hab sie übrigens Beide angeschrieben. Knut und Matthias. Schließlich sollten Sie wissen, was mit Dir geschehen ist. Dass du gegangen bist. Hinüber. 
 
Ja, das passierte. Das ist geschehen. Genau in dieser Zeit, als ich am Rhein spazierte und mit dir redete. Ich war nicht ganz 10 Minuten zu Hause, da klingelte das Telefon. Du bist nicht mehr da. Fortgegangen. Von dieser Welt. Von mir. 
 
Das Weinen will nicht aufhören. Ciao Röslein....
 
Wenn wir jetzt reden würden...am Telefon..würde ich Dir erzählen, dass bei Menschen sich die chemische Zusammensetzung emotionaler Tränen von der Zusammensetzung der Tränen, die sich bilden, um das Auge zu benetzen oder zu säubern, wenn es gereizt ist. Dass es bekannt ist, dass die Freisetzung dieser chemischen Stoffe dem Weinenden wohltun kann, was wiederum erklärt, warum sich Menschen dann besser fühlen, nachdem sie sich ausgeweint haben. 
 
Ich weiß nicht, wie lange ich noch weinen werde, bis sich dieser Zustand einstellt. Das alles gut ist. Ich nichts ändern kann. Man kann nichts zurückgewinnen. Ich weiß nur, dass ich von dem vielen Weinen wie blind bin. Dass ich Dich vermisse und immer vermissen werde, solange ich selber lebe. 
 
Und weißt Du was, liebes Wolferl, Knut hat mir sofort zurückgeschrieben. Mir erzählt, wie Ihr Euch vor 40 Jahren kennengelernt habt mit Puma & the Beutelratten. Dass Euch Beide die Musik verbunden hat und dass er sich immer gefreut hat hat, wenn Du auf seinen Konzerten da warst. Zuletzt hattet ihr euch 2019 bei den Mainzer Weintagen gesehen.
 
Auch Matthias hat mir gerade eben, während ich Dir diesen Brief schreibe geantwortet. Dass er noch am gestrigen Abend mit Knut gesprochen habe, den er eigentlich nur über Dich kannte, weil Du ihm immer von ihm erzählt hast. Beide sind unendlich traurig, dass Du fort bist. Und dass sie schon lange vor hatten, einmal gemeinsam zu spielen. Wer weiß, vielleicht klappt das ja jetzt einmal. Und es wird Dich ganz sicher freuen, dass Du Deine beiden Localheros zu einer gemeinsamen Session zusammengebracht hast. Ich weiß, dass Du ganz außer Dir wärest, könntest du das dann miterleben. Ich bin mir sicher, du freust Dich auch jetzt, da oben, unten, wo auch immer Du jetzt bist. 
 
Liebes Wolferl, ich schreibe jetzt schon fast solange, wie auch unser Telefonat immer andauerte. Ich merke dass ich langsam etwas ruhiger werde. Dass mir das gut tut. Das ich vielleicht beginne, zu akzeptieren, dass Du nie wieder ..ach Röslein, ciao Röslein.. zu mir sagen wirst, niemals mehr am Freitag das Telefon klingeln wird. Du Dich nie wieder genau wie ich empören kannst, über die Dummheit der Menschen, über die Belanglosigkeiten, die sie austauschen, über ihre Herzlosigkeit und ihre dumme aufgezeigte Selbstoptimierung.
 
Weißt Du, am Dienstag als ich auf unserer Schachseite war, auf der Du ja auch spieltest, mich überhaupt dort hingelotst hattest, erblickte ich einen Satz in diesen oft jämmerlichen Chat...der hieß..Ach eigentlich ist das Leben immer schön, es kommt nur darauf an, was man daraus macht... Das war dieser Satz..Ein selten dümmlicher und phrasenhafter Satz...Wie eine Ohrfeige, die man Menschen erteilt, die nicht bevorzugt in einer schönen heilen Welt leben...Die gerade im Mittelmeer um ihr Leben kämpfen... oder 20 km zu einer Wasserstelle laufen müssen, um eine tägliche Ration Wasser zu ergattern...die in Kriegsgebieten leben, ihr Zuhause bombadiert wird, sie ihre Familien verlieren.... sie zusehen müssen, wie ihre Kinder vor ihren Augen vor Hunger sterben....Ein Satz wie eine Ohrfeige für sie...Sag das denen mal..kommt nur drauf an, was ihr daraus macht... Herjeh...
 
Nein! Das Leben hat Schönheiten zu bieten, ja..Das Leben kann gute und schöne Momente hervorzaubern und wir können uns daran erfreuen, auch nur, wenn wir in dieser bevorzugten Lage leben, dass wir es können. Aber das Leben ist nicht immer schön..Es ist überwiegend grausam, unbarmherzig, oberflächlich und desillusionierend....Wir leben in einer Welt des Zwielichts...hörte ich neulich einmal...
 
Doch bedeutet dass nicht, dass ich nicht darauf hoffe und daran glaube dass das Licht gegen die Dunkelheit Irgendwann gewinnen wird. 
 
Und weißt Du, worüber ich auch noch wütend bin. Ja wütend. Über diesen Menschen, der mich behandelt, wie einen Schwerverbrecher, weil ich ein vereinbartes Telefonat viereinhalb Stunden vorher abgesagt habe und um einen anderen Termin gebeten habe, weil sich ganz unvorhergesehener weise mein Sohn angemeldet hatte, den ich im letzten Corona-Jahr nur drei Mal ganz kurz habe sehen dürfen... Es keine Antwort gab, auf meine Mitteilung. Erst viel später...Barsch und mit Vorwurf...dass dieser Mensch ja keine Kinder habe. Was kann ich dafür... Und ich dachte, dieser Mensch sei mir freundschaftlich gesinnt. Und dieser Mensch sich Christ nennt und in die Kirche rennt und jammert, wenn er das nicht kann. Und sein Jesus, der hat am Kreuz doch denen vergeben, die ihn mordeten, ihn seinem Schicksal überlassen haben...Und ich jetzt wegen eines verschobenen Telefonats schlimmer behandelt werde, als diese Verbrecher. Was sagst Du dazu? 
 
Siehst Du Wolferl, jetzt bin ich ganz darin versunken, in all dem, was mir so geschehen ist, von dem ich Dir sonst immer habe erzählen dürfen oder Du mir, von dem, was Du gesehen und erlebt hast. Ganz wie in unseren Telefonaten. Das wird auch niemals aufhören. In meinen Gedanken werde ich weiter mit Dir reden und Dir alles erzählen... Vielleicht werde ich nur noch mehr Briefe an Dich  in diesem meinem Blog schreiben...Und dann werde ich ganz still sein auf meinen Spaziergängen und hören, was Du mir antwortest...
 
Liebes Wolferl...ich hoffe, Du bist gut angekommen, wo wir uns Irgendwann wieder begegnen werden. Davon bin ich überzeugt, wenn ich auch nicht weiß, wie das ausschaut. Das Einzige dass mich tröstet ist, dass es schön war, dass es Dich gegeben hat, in meinem Leben, wenn auch schwere Zeiten darin enthalten waren. Dennoch hat die Versöhnung gesiegt und unsere Freundschaft hat gehalten. Das war und ist mir immer wichtig gewesen. Nichts ist so tragisch, wenn auch für den Moment oder die Zeit, in der wir in einer Tragödie leben und es schmerzlich ist, als wenn nicht drüber weggekommen werden kann und am Ende übrig bleibt, was gut war und ist. Und es ist auch so, dass ganz sicher Dinge zwischen Menschen geschehen, die nicht vergeben werden können...soweit bin ich mittlerweile...Doch heißt das nicht, dass man nicht  weiter miteinander reden kann und sogar Freunde bleibt.  Niemand ist ohne Schuld oder Fehler. Niemand... Prägen wir uns das nur immer oft genug ein, dann ist das Leben leichter und einfacher. 
 
Ich muss jetzt ohne Dich weiterleben. Ich weiß, dass das schwer sein wird. Du wirst mir immer fehlen.  Ich bin dankbar, dass ich Dich über 12 Jahre Freund hab nennen dürfen. Wolferl, Trollo, Du alter Haudegen.. Trollo, erinnerst Du Dich...Mit diesem Nicknamen hab ich Dich kennen lernen dürfen. Damals beim Kölner Stadt-Anzeiger. Da begann unsere Freundschaft.  Du warst allerdings alles andere als ein Troll. Ein authenthischer Mensch der sich hinter einem lustigen Nicknamen verborgen hatte. Das hatte ich gleich erkannt. 
 
Ich werde den Finnen im übrigen schreiben. Denke, dass mein Englisch reichen wird... Aber vielleicht denken sie fast ein ganz klein wenig wie ich..dass Du es, wenn auch unbewusst, so gewollt hast. Das Weggehen...hin zu Deiner Eila...jetzt am Ende... Kein Kampfgeist mehr in Dir war, weil der Körper zu schwach wurde, wenn auch so plötzlich. 
 
Wer versteht schon das Leben...wie das Leben am Ende für einen ausgeht..Wieso und warum gerade so... Der Traum von einem schmerzfreien Loslassen am Ende wird wohl nur ein Traum sein und bleiben...Schmerz und Leiden gehört am Ende immer dazu, auch wenn wir ihn dann überwinden und es am Ende alles gut wird. So habe ich es oft auch erleben dürfen, bei all denen, die ich schon verloren habe. So wünsche ich es mir auch für mich selber...
 
Ciao Wolferl...Bleib da, wo Du bist, der Du gewesen bist... Denn hier wie dort...verrate niemals dein Selbst.
 
Dein Roeslein 
 
P.S. Ich wollte, dass ich Dich anschauen kann, daher das Foto
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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3. Januar 2021 7 03 /01 /Januar /2021 14:17

Dieses Buch von Anne Weber, die 2020 den Buchpreis dafür erhielt, muss man gelesen haben. Ein Krimi, obwohl natürlich das Buch nicht unter das Genre *Krimi* fällt. Jedoch liest es sich so unglaublich spannend, dass es nicht aus der Hand gelegt werden kann. 

 
Ein Heldinnen-Epos, ist der Buchtitel. Darüber, was und wer für ein Held gehalten werden darf, kann sich bekanntlich gestritten werden. Da hat jeder eine eigene Vorstellung. Persönlich denke ich immer an Menschen, die ganz unscheinbar in ihrem Alltag ein solches Heldenleben führen, in dem sie sich für Andere einsetzen, ihnen zur Seite stehen und dennoch von der Öffentlichkeit unbeachtet sind. Wie viele solcher Helden und Heldinnen die in ihrem Lebensalltag ihre Arbeit machen es wohl geben mag.
 
Dieses Buch jedoch handelt nicht von einer fiktiven Person, sondern von einer großartigen Frau, die mit ihren jetzt 97 Lebensjahren sich noch bester Gesundheit erfreut . Keine andere als Anne Beaumanoir, Neurologin, klinische Neurophysiologin, Epileptologin, Judenretterin und Resistance-Kämpferin. Sie engagiert sich noch heute vor allen Dingen an Schulen gegen Rassismus, Nationalismus und religiösen Fanatismus, in dem Sie Vorträge hält und Seminare gibt. 
 
Ihr Leben erzählt Anne Weber als Epos, in Versen, eine gewaltige Prosa, die dennoch leicht und flüssig zu lesen ist. Ich empfand eine Leichtigkeit ob der geschriebenen Zeilen, die da unregelmäßig auf einer Buchseite erschienen, die die Erzählung niemals langatmig werden ließ. 
 
Anne Beaumanoir, geb. am 30. Oktober 1923,  wuchs in kleinen Verhältnissen in der Bretagne auf. Ihre Eltern waren Gastwirte, freiheitlich gesinnt. Sie hatte durch die Jugendherbergsbewegung Kontakt zu den Trotzkisten, schwärmte für den  Abenteurer und Schriftsteller Andre Malraux.
 
Im Buch heißt Anne Beaumanoir einfach nur Annette. Sie hält sich Zeit ihres Lebens für *Niemand* Denn als sie begann während des 2. Weltkrieges im Widerstand gegen das mörderische Regime der Deutschen zu kämpfen, wechselte sie ständig den Namen und ihr Aussehen. Schon als 13-jährige  war für Annette ein Dasein als sozialistische Aktivistin das zu erstrebende Lebensideal. Sie weiß einfach wo ihr Leben hingehört. So engagiert sie sich schon als der spanische Bürgerkrieg begann in einer Bewegung, die gegen Francos Diktatur kämpfte und eben später dann gegen Hilters Weltherrschaftsanspruch und seinen verbrecherischen Krieg. 
 
Hitler greift Frankreich an und Annette schließt sich der Resistance mit gerade mal 17  Jahren an. Ihr Leben von da an besteht aus Botengängen, überbringen von Materialien, finanziellen Unterstützungen, aber auch vom Transportieren gefährdeter Mitkämpfer an sichere Orte. Diese Arbeit trägt sie durch ganz Frankreich. Sie kennt jeden Ort. Die Arbeit in der Resistance-Bewegung verlangt ihr Gehorsam und Akzeptanz der vorgegebenen Regeln ab, an die sie sich zu halten hat. Einzelaktionen abweichender Form sind da nicht erwünscht. 
 
Und dennoch, als sie von den sich in Gefahr befindenden Menschen hört, die sich in einem Haus verstecken vor den Nazis, tut sie einfach, was sie meint tun zu müssen und kann 2 der jüdischen Kinder retten. Sie bringt sie in abenteuerlicher Reise von Paris aus zu ihren Eltern, die sich um sie kümmern werden und die es schaffen werden, die barbarische Zeit der Nazis zu übersehen. Dafür wird sie von ihren Genossen abgestraft und versetzt. 
 
Es grenzte sicher für manchen Widerständler an Wunder, dass sie dieses schreckliche Zeitgeschehen überstanden und zu überleben haben. Annette beweist in immer neuen auftretenden Widrigkeiten und Gefahrenlagen eine praktische Lebensintelligenz, vor allem aber hatte sie ein Gespür dafür, wem sie vertrauen konnte und wem nicht. Dennoch wird ihr das am Ende dann einmal nicht helfen, denn von einem , dem sie vertrauen musste und für dessen Sicherheit sie gar sorgen musste und ihre eigene damit aufs Spiel setzte, wird sie verraten. Aber das kommt erst später. 
 
Der Krieg ist vorbei. Anfang der 50er Jahre gründet Annette eine Familie, sie bekommt 2 Söhne und arbeitet als Neurophysiologin. So richtig findet sie sich jedoch in einen normalen Lebensalltag nicht hinein. Das abenteuerliche Leben des Widerstandes fehlt ihr. Auch wenn sie sich neben Familie und Beruf in der Parti communiste francais wieder mit Botengängen und Bespitzelungsdiensten engagiert.  Die in ihr bis dahin verwurzelte  kommunistische Gesinnung erscheint ihr durch ihre Erfahrungen und Beobachtungen plötzlich zweifelhaft.
Die Worte ihres Vaters kommen ihr in den Sinn: Bei den Kommunisten verhält es sich so, dass die eine Hälfte immer  damit beschäftigt ist, die andere zu bespitzeln. Genau das sieht sie. 
 
Als sie sich mit Rousseaus beschäftigt, schließt sie sich seiner Überzeugung an: *Nichts ist es Wert auf dieser Erde mit Menschenblut erkauft zu werden* und sie kehrt der kommunistischen Gesinnung den Rücken und will nicht mehr für sie arbeiten. 
 
Wir befinden uns im Jahr 1954. Frankreich reagiert auf das besetzte Algerien und deren Unabhängigkeitsbefürworter- und kämpfer mit Repression und Folter. Annette kann ihrem Gerechtigkeitssinn nicht widerstehen und beginnt sich mit den algerischen Unabhängigkeitskämpfern, der FLN, zu solidarisieren und für sie zu arbeiten. Wieder als Botengängerin, Überbringerin, vor allen Dingen um die finanziellen Mitteln des Kampfes zur Verfügung zu stellen. Sie wird von da an eine Terroristin gegen den eigenen Staat. 
 
Dieses Engagement ihrerseits wird ihr zum Verhängnis. Verraten und zu 10 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt, da auch nicht hilft, dass sie in der Zeit der Besatzung durch die Nazis zu den Widerstandskämpfern gehörte, Leben gerettet hat.
 
Sie ist mit ihrem dritten Kind schwanger, dass eine kleine Tochter sein wird, als sie ins Gefängnis geht. Hoffnung auf Begnadigung schwindet dahin und es hilft nur das eine: Flucht. Und dazu wird ihr verholfen. Nach Nordafrika, Algerien. Der Preis ist hoch. Ihre Kinder wird sie nicht mehr sehen, bzw. nur noch selten. . Auch wenn sie Hoffnung hat. Immer wieder. Dass Mann und Kinder nachkommen können. Aber ihrem Mann, der es versucht, wird die Ausreise verweigert. 
 
In Algerien arbeitet sie als Ärztin und kämpft weiter mit um die Unahängigkeit Algeriens. Die Kämpfe sind schwer, auch hier Folter, Ermordungen ausgeübt von den Partisanen und Annette hat wieder ihre Zweifel: Wenn das Gerechtigkeit sein soll! Dennoch folgt sie ihrer Lebensmaxime: Sie gehorcht dem Gebot des Ungehorsams. 
 
Dann  kommt sie, die Unabhängigkeit Algeriens und unter dem Präsidenten Ben Bella bekommt sie gar einen Posten im Kabinett des Gesundheitsministers. Zwei Jahre währt ihre Zeit und Arbeit, dann kommt der Militärputsch und wieder muss sie fliehen. 
 
Ein kleiner Einblick. Mehr will ich nicht verraten. Dazwischen gefüllt mit Abenteuer, Spannung dieses einzigartige Leben einer Frau, die alles getan hat, um sich selber nicht zu verraten. Die Mann und Kinder verlassen hat, die in Algerien gar mit einem anderen Mann, obwohl verheiratet, zusammenlebte, niemals aufgehört hat, um ihre Kinder zu kämpfen, die ihr aber, als sie sie dann endlich sehen kann, entfremdet sind. 
 
Ein Leben voller Kampf, Zweifel. Fluchten, Veränderungen und Selbstzweifel und das Anerkennen müssen, des sich *geirrt* zu haben, in seinen Idealen und  immer wieder neu Aufstehen und Weitermachen. Sicher ist es für Annette immer ein Trost gewesen, Menschenleben gerettet haben zu dürfen, auch wenn dadurch ihr eigenes ein großes Stück verloren gegangen ist. Das genau aber macht sie zu einer Heldin. 
 
Wenn ich vor etwas Respekt habe, dann vor Menschen wie Annette Beaumanoir, die sich zeitlebens einsetzten für Gerechtigkeit, Solidarität und Menschenwürde, für die, die keinen Anwalt haben, denen Niemand hilft. Und immer wieder kann sich der Mensch fragen, wie hätte ich in einer solchen Zeit gelebt und gehandelt. Hätte man den Mut gehabt, Ähnliches zu schaffen, Mut aufzubringen, das eigene Leben hintenanstellen, um Andere zu retten? 
 
Neulich las ich, dass die Deutschen meinten, 25% der Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus hätten Widerstand geleistet oder Leben jüdischer Mitbürger gerettet. Was für eine Täuschung. Es waren nur 1%. Traurig aber wahr. 
 
Anne Weber
Annette
Ein Heldinnen-Epos
Matthes & Seitz Berlin
22 Euro
 
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14. Dezember 2020 1 14 /12 /Dezember /2020 10:58

Bücher helfen diese schwierige Zeit gut zu bewältigen. Mir jedenfalls. Mit einem Buch ist der Mensch bekanntlich nie allein. Und wenn ein Buch so kurzweilig, dennoch tiefsinnig und nachdenkenswert ist, vergeht die Zeit wie im Flug. 

 
Auf 134 Seiten fliegen wir mit dem Autor David Szalay um die Welt. Reisen im Kopf dachte ich. Länder und Städte in Gedanken betrachten, sich ausmalen, wie sie wohl ausschauen, was es Sehenswertes gibt, welche Geschichte diese Orte haben, wie Menschen dort leben. Googeln geht ja immer, sich kundig machen, es mit den Bildern zu vergleichen, die im Kopf entstanden sind.
 
Szalay wuchs in London auf, seine Mutter war Kanadierin, sein Vater Ungar. In Oxford studierte er Literatur und arbeitete zeitweise als Verkäufer in einem Anzeigengeschäft der Londoner Finanzindustrie. All zu viel gibt es nicht zu finden über ihn. *Turbulenzen* ist sein fünfter Roman, der jetzt von Henning Ahrens aus dem Englischen übersetzt  im Hanser Verlag erschienen ist. 
 
So bin ich an einem Nachmittag beim 3. Adventskerzchen  auf 134 Seiten mit seinem Büchlein einmal um die Welt geflogen.
 
London - Madrid
Madrid - Dakar 
Dakar - Sao Paulo 
Sao Paulo - Toronto 
Toronto - Seattle
Seattle - Hongkong
Hongkong - Ho-Che-Minh-Stadt
Ho-Che-Minh-Stadt - Bangkog und Delhi
Delhi - Kochi (wusste nicht wo das ist)
Kochi - Doha
Doha - Budapest
Budapest - London
 
Wer fliegt kann in Turbulenzen geraten. Und auch das Leben gerät immer wieder  in Turbulenzen, in gefährliche, manchmal  auch freudige Turbulenzen. Die Letzteren sind uns selbstverständlich lieber. 
 
Im ersten Kapitel sitzt im Flug von London nach Madrid eine Frau mit ihrer Flugangst. Sie wollte eigentlich lieber mit Zug und Bus, aber die Vernunft und die Statistik überzeugte sie am Ende. Letzten Endes ist der Flug immer noch das Sicherste. Sie lebt in Madrid, besuchte jedoch einen Monat lang ihren Sohn in London, der an Prostatakrebs erkrankt war. Nun hat sie ihn in seiner Wohnung allein gelassen. Er wollte nicht, dass sie bleibt. Tief in ihren Sitz versunken hängt sie ihren Gedanken nach. Wird er es schaffen? Wird er das Jahr durchhalten? Neben ihr schaut ein Mann auf seinen Bildschirm. Sie hört nichts, aber sieht, dass sich Menschen dort anschreien. Auf ihrem Bildschirm vor ihr ist nur die Route zu sehen und wo der Flieger sich gerade genau befindet. Sie dämmert vor sich hin und dann kommen die Turbulenzen. Sie hat Angst, richtig Angst. Manchmal löst Angst die Zunge und hebt Distanzen auf. So auch bei ihr und sie beginnt mit dem Mann neben ihr, der zuvor von ihr dachte, ein typisch englischer Charakter, die Dame, unnahbar, distanziert und schweigsam.
Nun aber, in ihrer beider Angst kommen sie sich näher, tauschen Informationen aus, er zeigt ihr Bilder von seinen Kindern. Sie erzählt von der Krankheit ihres Sohnes. Er bemerkt ihre tiefe Sorge. Er befindet sich auf dem Heimflug nach Dakar.  
 
By the way...Ein Flieger nach Madrid muss sich immer auf Turbulenzen gefasst machen. Es ist einer der Strecken in der Luft, die am häufigsten davon betroffen ist. Wird in einer der Geschichten gesagt. Ich hab das überprüft und gegoogelt.  Es stimmt wohl. 
 
Es ist oft so, dass sich Menschen Fremden gegenüber je nach den Turbulenzen, in denen sie sich gerade befinden, leichter öffnen. Mir ist das auch schon oft passiert. Den Fremden sieht man ja nicht mehr wieder. Er hat nichts in der Hand von und mit dem, was man anvertraut hatte. Es ist so viel leichter. Zudem wissen Menschen oft nicht was sie erwidern sollen, wenn sie von Traurigem, Schwerem und Unfassbarem, was dem Anderen widerfahren ist, hören. Selbst die, denen eine eintretende Turbulenz in ihrem Leben, sei es Krankheit, ein Unfall, der Tod eines  geliebten Menschen, ihr Leben durcheinanderwirbelt, haben oft keine Antwort. Finden sie auch nicht, weil sie sich dem Ereignis nicht stellen, sich ablenken, einfach nur vergessen wollen. Trauer wollen sie nicht. Sie sind zu schwach, um sie zuzulassen. 
 
Ich deute nur die erste Episode eines Fluges und der beiden Menschen, die sich dort begegnen an. Es folgen weitere 11 kurze Episoden von Menschen auf Flügen an Orte, wo sie entweder selber wohnen, sich also auf dem Heimweg befinden oder Menschen besuchen wollen, die wie sie dann erfahren, ebenfalls in Lebensturbulenzen geraten sind.
 
Manchmal schreibt Szalay über die Ereignisse, ein anderes Mal wieder deutet er sie an und man muss sich eigenen Gedanken machen, was da ist, wie es ausgeht und wie die Betroffenen damit wohl umgehen werden. Das machte es für mich so interessant. 
 
Wir reisen also mit seinem Büchlein um die Welt und sind am Ende wieder in London. Dort, wo der an Prostatakrebs erkrankte Sohn der Frau auf dem ersten Flug lebt. Dort wird er von seiner Tochter besucht, die aus Budapest zu ihm kommt um ihn ins Krankenhaus zu begleiten, wo er die Ergebnisse der bisherigen Behandlungsmethode erfahren wird. Sie will den Vater nicht alleine damit lassen. 
 
Jedoch geht es immer um Menschen auf diesen Flügen, die im vorhergehenden Kapitel ebenfalls schon als Nebenfigur aufgetaucht sind. Mir kam, wie ich oft auch denke, der Gedanke, das Leben der Menschen ist miteinander verbunden, manchmal, ohne dass wir weiter darüber nachdenken oder gar erfahren, was aus ihnen geworden ist. Denen, denen wir begegnet sind, mit denen wir geredet haben, die uns etwas anvertraut haben und wir Anteil genommen haben. 
 
Wenn ich ein Fazit ziehe aus allen Geschichten geht es um das Leben des Menschen an sich. Um das Sein. Wer man ist, wie man mit den Umständen der eintretenden Ereignisse im Leben umgeht. Was man daraus macht. Ob man Antworten findet oder wie ich oben schrieb, sie zumindest sucht. Und es geht immer auch um Nähe. Eine Nähe zu Menschen, die jeder doch sucht, aber sie selten findet. Also, die richtige Nähe, nicht das täuschende oberflächliche Miteinander. In einer Statistik las ich neulich, dass für  85% der befragten Menschen gute Freunde und enge Beziehungen zu anderen Menschen das Wichtigste im Leben sei. Das würde ich auch unterstreichen. Es braucht nicht viele, aber ein, zwei und wenn man sie hat, kann man den Turbulenzen des eigenen Lebens besser und stärker entgegentreten. 
 
Ob der Mensch dann glücklich ist mit seinem Leben? 
 
Bist du glücklich, fragt ein Mann eine Frau nach einer miteinander verbrachten Nacht morgens beim Wachwerden in einer Episode. Und er meinte nicht ob dieser zusammen verbrachten Nacht, nein er denkt überhaupt, mit ihrem Leben.  Eine Frage, die die Frau sicher nicht erwartet hatte. Dieses Zusammensein mit ihm schien ihr unverbindlich. Befriedigung eines Verlangens. Und nun das. Bist du glücklich.
 
Wann wurde einem das letzte Mal eine solche Frage gestellt, dachte ich. Mir. Ich kann mich nicht erinnern so richtig. Eher stelle ich mir die Frage immer mal wieder selber. Meine Antwort ist immer die selbe. Manchmal ja. Zumeist genügt es mir, wenn ein *ich bin zufrieden* die Antwort ist. 
 
Ein schönes Büchlein, dass ich jedem Lesebegeisterten wärmstens ans Herz lege. Gerade jetzt in dieser Zeit, wo es viel Zeit hat, zum Nachdenken, still werden, genauer hinschauen und Fragen zu stellen.
 
David Szalay
*Turbulenzen*
Hanser-Verlag
ISBN: 978-3-448-26765-7
19,00 Euro 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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28. November 2020 6 28 /11 /November /2020 18:36

Es fällt doch auf oder? Ich meine, dass die Menschen seit der Pandemie insgesamt alle entspannter und auch ein wenig weicher und freundlicher sind. Jedenfalls, mir ist das aufgefallen. Direkt schon. Als es alles begann. 

 
Heute hab ich das wieder gemerkt. Samstag in der Früh bin ich los. Einige Erledigungen standen auf dem Plan. Früh gehen ist das Beste jetzt in diesen Zeiten. Gerade an Samstagen. 
 
Hier bei mir machen die kleineren Geschäfte, bis auf den Supermarkt meines Vertrauens erst alle um 9.00 Uhr bzw. 9.30 Uhr auf. Das ist auch ok. Die müssen ja abends alle länger. Früher war anders. Da war der Einkauf um diese Zeit komplett erledigt. Aber ist ja rum. Das Früher. 
 
Es ist die erste richtige winterliche Kälte. 3 Grad sagt das Wetter. Schön ist das. Der Himmel ist blau, die Sonne lugt hervor. Was will man mehr. Beim Einkauf. Dick eingemummelt mit Schal und Mütze machts direkt gleich mehr Spaß. 
 
Beim Drogeriemarkt ist es noch leer. Auf Abstand braucht nicht geachtet zu werden. Die Bioprodukte, die auf dem Zettel stehen, sind schnell im Einkaufskorb. Jetzt noch die bestellten Kalender. Mist. Nur einer da. Komisch, dabei wurden die alle zur gleichen Zeit am selben Tag bestellt. Sagte ich schon, die Leuts sind alle so freundlich? Jedenfalls die Dame an der Kasse war es so was von. Tröstete mich mehrmals. Das kann schon mal passieren. Das nur eine Sendung kommt. Am kommenden Montag sind sicher auch die anderen da. Sie hatte echt Sorge, dass ich aufgeregt werde oder gar ärgerlich. Wurd ich aber nicht. Warum auch. Wenn man so freundlich bedient wird. 
 
Beim Biobäcker meines Vertrauens war auch Niemand. Und auch mein Brot *Roggen fein* war noch vorrätig. Herrje wie das alles klappte. 
 
In der Apotheke sollte ich für die Nachbarin Zink-Brausetabletten erstehen. Auch nur ich. Da drin. Zwei Damen waren zur Beratung da. Mit Masken. Eine junge, eine alte Dame. Die ältere Dame suchte nach meinem angefragten Produkt. Gabs aber nicht. Nur in Granulat meinte sie. Hm...ob ich mal telefonieren dürfe. Mit der Nachbarin. Muß ja wissen, ob das auch ging. Haben die gemacht. Mich telefonieren lassen. Kann man nun nicht erwarten. Echt freundlicher Kundenservice. Es passte dann auch. Bei dieser Gelegenheit erinnerte ich mich, wollte doch schon immer Müller-Wohlfahrts *Profelan* Arnika-Salbe. Für sie, die Nachbarin. Bring ich ihr jetzt mit. Gedacht, bestellt. 
 
Die ältere Dame suchte und suchte am PC, fand aber nix. Hm...Sie befragte ihre Kollegin. Die Junge. Diese suchte ebenfalls. An ihrem Pc. Nach der Salbe. Profelan, sagte sie, die heißt Profelan. Ach verdammt, hatte ich vergessen dazuzusagen. Genau, die iset, sagte ich. 
 
Aber dann passierte nix mehr. Ich stand da. Die beiden standen da. An ihren Computern. Ne ganze Weile standen wir da so rum. Die beiden wollten höflich sein, dachten, ich packe noch ein. Ich wollte höflich sein und nicht drängelig werden. Dann fragte ich sie aber doch, haben sie mir die Salbe bestellt? 
 
Als wenn sie aufwachen würden, schauten sie mich an und entschuldigten sich. Die eine dachte von der anderen..sie hätte. Sie wissen schon. Die Salbe bestellt. Für mich. Es war alles so entspannt. Macht ja nix, signalisierte ich. Dann machen sie es bitte jetzt. Die Junge übernahm. Tippte ein. Gab mir den Zettel. Montag könne sie abgeholt werden. Prima sagte ich. Steckte meine Geldbörse ein schaute die Damen nochmal an, sagte *Auf Wiedersehen und zu der jungen* Sie haben schöne Augen* War mir direkt aufgefallen, als sie mich das erste Mal hinter ihrer Maske anblickte. Schöne Augen hat die. Sagte ich ihr jetzt auch. War unverhofft. Nicht geplant. Sie hat sich aber gefreut. Das merkte ich. Sie hat nur Danke gesagt und mich angeschaut.
 
Ist wohl nicht selbstverständlich, dass von Fremden ein nettes Wort, man sagt ja auch Kompliment kommt. Warum aber nicht. Ich meine, zwischen Frauen ist das eher selten. Frauen sind ja meistens Zicken. Stehen ewig in Konkurrenz zueinander. Furchtbar ist das. Entweder sie behandeln dich dann schlecht oder sie kopieren dich. Das macht sie lächerlich. Als wenn man das nicht merken würde. Und die anderen ja auch. 
 
Bei Männern ist das ja auch so. Nur anders. Das mit dem Konkurrenzdenken. Obs das aber auch gibt, dass die sich mal was Nettes sagen? Glaub auch eher selten. 
 
Ein nettes Wort hat noch niemand geschadet. Und als ich weiter marschierte merkte ich, wie ich mich selber freute. Darüber. Dass ich ihr das gesagte hatte. Der jungen Frau. Sie haben schöne Augen. Ein wenig war der Tag damit schon fast vollkommen. Dachte ich jedenfalls. 
 
Hat sich die Freude jedoch einmal eingenistet, bleibt sie auch und es passieren einfach immer weiter, nette Dinge. 
 
Zuhause packte ich geschwind meine Einkäufe aus. Zog mich wieder an und machte mich auf zu meinem täglichen kantschen Spaziergang. Ihr wißt schon. Kant, der aus Ostpreußen/Königsberg. Der Filosof. Ging jeden Tag zur selben Zeit den gleichen Weg spazieren. Durch sein Dorf. Mach ich auch immer. Meistens jedenfalls. Am Rhein entlang. Eineinhalb bis zwei Stunden lang. Wenn ich nix anderes vorhabe. Mit dem Rad oder so. Kann das nur Jedem empfehlen. Wiederholungen. Tag für Tag. Erfrischung an Leib und Seele. Da kommen die besten Gedanken hervor. Denn denen, die, die im Sitzen entstehen, sollte man nicht all zu viel trauen. Sagte jedenfalls der olle Nietzsche. 
 
Kurz vorm Eingang zum Rheinufer fällt mein Blick auf das Straßenpflaster. Da hatte Jemand mit bunter Kreide geschrieben* Habt ein schönes Wochenende* mit Blümchen. Wie drollig. Wie nett. Nette Wörter. Einfach so. Dahin geschmissen. Auf die Straße. Nehmt sie Euch. Dachte Derjenige sicherlich. Ich nahm sie. Nicht nur für mich. Verschickte sie gleich an alle mit denen ich verbandelt bin. Auf diesem Gerät. Ihr wißt schon. 
 
Am Rhein war ich (fast) ganz allein. An diesem frühen Morgen. Also früh. Für die Meisten. Die waren jetzt mit ihrem Einkauf beschäftigt. Den ich schon erledigt hatte. 
 
Nach einem langen Marsch kehrte ich dann in die Zivilisation zurück. Über die Einkaufsstraße ging es zurück. Nur kurz jedoch. Bis ich in den Stadtpark gelange. Ich hörte sie schon von weitem. Die Musik. Standen da auf dem Bordstein vor dem Supermarkt meines Vertrauens. Spielten was das Zeug hielt. Ich kann da nicht anders. Ich steh da wie Gewehr bei Fuß. Musik zieht mich an. Immer. Egal wo. 
 
War schon schräg. Was die zelebrierten. Hatte aber was. Ne Trommel und ein Blasinstrument. Voll die Power. Der Rhythmus ging mir durch und durch. Während ich eine kleine Aufnahme mit meinem Gerät, ihr wißt schon, machte, trat eine alte Dame hinzu. Glaub, die war mindestens schon 80. Ganz sicher. Sah aber aus, kleidungsmäßig wie ein junges holländisches Meisje. Voll schräg. Lachend und voller Freude stand ich da und schaute mir alles an. Dann wollte die alte Dame mich noch mitziehen zu einem Hüpfer und Hopsasa. Die hatte anscheinend keine Sorge. Ihr wißt schon. Wegen der Pandemie. Maske hatte sie jedoch an. Schnappte mich am Arm und meinte, komm, mach mit...  Ein ganz klein wenig tat ich ihr den Gefallen. Dann zog ich jedoch weiter. Genug ist genug. Aber die Freude, die Freundlichkeit der Menschen heute, das war eine richtige Wonne. Ich nahm sie mit. Nach Hause.
 
Sie haben schöne Augen, damit fing alles an. Und ist es nicht so. Freude geben heißt Freude bekommen Das Leben kann so schön sein. Trotz allem. Solang es geht. Machen wir es so. Schatten und Dunkelheiten kommen eh von allein. 
 
Ich wünsche allen meinen geneigten Lesern einen schönen 1. Advent.  Der kann jetzt kommen. Die Kerzen stehen. Und der Weihnachtsstern leuchtet auch auf meinem Tisch. 
 
 
 
 
 
 

 

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16. November 2020 1 16 /11 /November /2020 14:52

Mein Lebensgefühl der Welt gegenüber ist überwiegend unaufgeregt. Ein Stoiker bin ich wohl noch nicht, jedoch ist es mein Ziel allumfassend mein  stoisches Gemüt den Dingen gegenüber zu haben, die mir so vor die Füße fallen, zu vervollkommen. 

 
Seit einiger Zeit pflege ich Tag für Tag in einem Jahrbüchlein *Der tägliche Stoiker* meine Morgenmeditationen zu verrichten. Oft stelle ich fest, dass die Betrachtungsweise auf die Welt und deren Geschehnisse, die die Philosophen dort empfehlen, in Verbindung mit einer kleinen Auslegung des Verfassers dieses Büchlein, auch ganz in meinem Sinne, will sagen in meinem Denken und Handeln vorhanden zu sein scheint. Bewusst bin ich mir selbstverständlich, dass das auch tagesformabhängig ist. Es gibt natürlich auch immer wieder neue Herausforderungen die einen auf die Probe stellen. Das ist mal klar.
 
Jedenfalls, ich bin schon ein ganz schönes Stück meinem Ziel im Laufe meines Lebens und fortgeschrittenem Alters näher gekommen. Denke ich jedenfalls.
 
Wissen tu ich aber auch, wo und wann ich aber nun wirklich nicht stoisch reagiere, sondern, wenn auch nicht direkt hysterisch, aber doch recht aufgeregt auf Geschehnisse reagiere. 
 
Diese Geschehnisse stehen in Verbindung mit Krabbel- und Flugtierchen. Nicht alle, Fliegen z.b. sind mir so was von egal und die hübschen,  wie z.B. die Marienkäfer oder Glühwürmchen, gar Schmetterlinge, denen kann ich gelassen zuschauen und mich an ihrer Art erfreuen.
 
Meine Contenance verliere ich  leicht bei Spinnen, die plötzlich in meiner Behausung auftauchen. Und zwar richtige Spinnen, so dicke, schwarze gruselige. Obwohl ich wissend bin, dass sie mir ja auch helfen, in dem sie anderes unliebsames Getier einfach wegfressen.
 
 Dennoch, wenn ich da schon mal eine erblicke und mir vorstelle, die könnte des nachts auch mal auf mir herumkrabbeln, dann läuft mir ein Schauer über den Rücken und mein ganzes Körpergefühl steht auf Alarm, nur allein schon bei dem Gedanken. Bewusst bin ich mir gerade bei den Spinnen, dass diese Abscheu ganz sicher mit unliebsamen Erfahrungen in meiner Kindheit zu tun haben, worauf ich nun aber nicht näher eingehen möchte. Nur kurz gesagt, sie waren wirklich nicht schön, gar quälend.
 
Immerhin kommt es nur selten vor, dass sich eine Spinne in meiner Wohnung ansiedelt. Und wenn, dann fange ich sie zumeist in einem Einweckglas und verfrachte sie dahin wohin sie gehört, raus in die Natur. Davon gibt es viel vor meiner Haustür. 
 
Eine neue Art von Plagegeistern, die ich in all den Jahren nicht wahrgenommen habe bzw. sie mir auch nicht über den Weg gelaufen sind, ist die Stinkwanze, auch Stinkkäfer, Marmorierte Baumwanze oder Halyomorpha halys genannt.  Lt. meiner Recherche treten sie tatsächlich erst seit dem Jahre 2017 in größeren Massen in unseren heimischen Gefilden auf. Sie kommt eigentlich aus China, hat sich jedoch als blinder Passagier in der Schweiz angesiedelt und von dort aus explosionsartig in ganz Europa ausgebreitet. 
 
Eben auch hier bei mir. In meinem Zuhause. Auf meinem Balkon. Kurz vor Herbstbeginn mit abnehmender Wärme habe ich sie Tag für Tag von meinem Balkon verscheuchen müssen. Von dort aus nämlich hatten sie ihr Ziel vor Augen. Nämlich meine hübsche, kleine wohlig warme Innenbehausung. Denn vorzugsweise verbringen diese Viecher den Winter gern an trockenen und warmen Orten. Sie fressen sich übrigens auch gern durch Birnen , Äpfel und anderes Obst. Sie sind also nicht bloß so Viecher, die mir persönlich eklig erscheinen, sondern echte Plagegeister, die in Massen auftretend, den heimischen Obstbaum heftig schädigen können und somit die Ernte gefährden. 
 
Die Entsorgung hab ich in unterschiedlicher Art und Weise getätigt. Also der Gedanke, dieses Getier mit bloßen Händen anzufassen, erzeugt in mir schon den reinsten Ekel, so wie ich ihn kaum gegenüber anderen Dingen bisher kennengelernt habe. Das liegt eben auch daran, dass, wenn man sie anfasst, sie ein widerliches stinkendes Sekret absondern. Das wollte ich mir auf jeden Fall ersparen. Es wird auch angeraten, falls man etwas von diesem üblen Sekret abbekommt, sich sofort die Hände waschen sollte, denn die Möglichkeit besteht, dass es sonst lange anhält. Igitt... Einfach nur widerlich. 
 
Hin- und wieder hab ich einer von den Stinkviechern in einem Einweckglas beim Sterben zugesehen. Das Glas stand dann draußen auf meinem Balkon und mehrmals am Tag habe ich geschaut, ob sie noch lebte. Sie halten lange durch.  Manche denken jetzt vielleicht, in mir stecke ein kleiner Sadist. Ich habe das jedoch ganz unschuldig getan. Zum einen ist dieses Viech ein Schädling, zum anderen habe ich ja auch schon oft Menschen beim Sterben zugesehen, wenn ihre Zeit abgelaufen war. Und für mich ist die Zeit einer Stinkwanze eben abgelaufen, wenn sie sich in meinen Gefilden bewegt und sich nach einem ruhigen Überwinterungsplätzchen umsieht. Der Gedanke, die haben sich hier bei mir in meiner Wohnung irgendwo niedergelassen und ich setze, lege oder trete unvorsichtigerweise nichtsahnend drauf, ne, das geht gar nicht. Da mach ich mir auch keine Sorgen um mein Karma, falls es eines geben sollte. Da hätte ich wenn denn dann ganz andere Sorgen. 
 
Manchmal hab ich jetzt beobachtet, sterben sie auch von ganz alleine einfach weg. Weil es in der Nacht zu kalt wurde. Sie werden stocksteif und liegen dann erfroren da. Da brauch ich sie nur mit einer Schippe aufzuschaben und über die Balkonbrüstung werden. 
 
Neulich ist jedoch passiert, dass sich eine solche gemeine, fiese, widerliche Stinkwanze über Nacht in mein Büchlein *Der tägliche Stoiker* in eine Seite hineingeschlichen hatte. Ich verrichte nämlich meine tägliche Stoikermeditation zumeist auf meinem schönen Balkon. Daher liegt das Büchlein manchmal auch nachts, weil ich es vergessen hatte mit in die Wohnung zu nehmen. Und gestern Morgen schlug ich ganz unbedachte die für den Tag passende Seite auf und da, da lag sie. Die Stinkwanze. Tot. Auf meiner Buchseite. Erfroren. 
 
Muss ja wohl. Obwohl... Ich weiß es nicht recht. Vielleicht hatte sie auch versucht aus der Buchseite herauszukommen und ist dabei zu Tode gekommen. Allerdings scheint es mir ein Rätsel zu sein, wie sie dabei hatte dem Tod erliegen können.  Denn beide Seiten waren verschmutzt mit ihrem dunkelbraunen stinkigen Sekret. Mit zwei Fingern hab ich ganz vorsichtig das Buch über die Balkonbrüstung gehalten, damit der sterbliche Überrest des Getiers hinunterfällt. Habe tüchtig geschüttelt. Ging gar nicht so ohne weiteres. Sie war da richtig angeklebt. Letztendlich hat es dann geklappt. Mit einem Tüchlein habe ich so gut wie es ging, die stinkige Spur abzuwischen versucht. Geklappt hat es nicht ganz. Mit der Nase ganz dicht ran stellte ich aber fest...es stank nicht. Gut. 
 
Aber ganz ehrlich, ich muss mich jetzt erstmal dran gewöhnen, dass sie da saß, diese Stinkwanze. In meinem Büchlein. Dass nun verschmutzt ist. Weil sie da gestorben ist. Wie auch immer. Vielleicht ist sie ja ganz stoisch, gelassen in der Nacht von dannen gegangen aus dieser Welt. Immerhin. Dies wird nun nicht jeder Stinkwanze zuteil und vergönnt, bei den großen Philosophen unserer Zeit (hoffentlich) stoisch das Zeitliche zu segnen. Ein ganz klein bisschen musste ich dann auch drüber lachen. Ein guter Tod war es jedenfalls. Besser als im Einweckglas so langsam... Ihr wisst schon... 
 
Und ja...es scheint so...Ihre Zeit ist nun vorbei. Seitdem hab ich keine einzige mehr gesehen. Hier bei mir. Auf meinem Balkon. 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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7. November 2020 6 07 /11 /November /2020 15:55

 

Das Sportprogramm am frühen Morgen. Erledigt. Pflichten? Erledigt.Sonne scheint. Wonniges Herbstwetter mit güldenem Laub überall. 

 
Raus! Einfach mal nur so. Flanieren.
 
Warm anziehen. Trotz Sonne. Ausziehen geht ja immer. Mütze und Schal und Wolljacke. 
Die Hauseingangstür steht offen. Mal wieder. Irgendeiner lässt sie immer auf.
 
Mach die Tür zu, es zieht oder haste Säcke vor der Tür, pflegte mein Vater zu sagen, wenn ich es mal vergessen hatte. Wenn er richtig schlecht drauf war, gabs noch einen Schlag dazu. Man vergisst einfach nie. Immer kommen Bilder oder Erinnerungen hoch, wenn irgendwas ist im Jetzt, dass sie auslösen. 
 
Ein kleines Stück weiter auf dem Gehweg steht breit und sperrend ein Auto. Nicht irgend ein Auto. Ein Besonderes. Jedenfalls denken viele so. Der Besitzer ganz sicher. Er denkt, schaut her mein Auto, ein Porsche, den kann ich hinstellen wo ich will. Ihr sollt ihn alle bestaunen. Mir doch wurscht, ob da noch ein Kinderwagen oder Rollstuhlfahrer oder eben auch nur ein Fußgänger dran vorbei kommt. Egal. Ich zwänge mich vorbei und würdige es keinen weiteren Blickes mehr. Gehe weiter. Ganz unaufgeregt. Bringt ja auch nix.
 
Das Rascheln des Herbstlaubes unter meinen Füßen ist viel schöner und interessanter. Die Bäume sind fast kahl. Dachte ich neulich schon beim Hinausblicken vom Balkon. Im Frühling blühts, im Herbst stirbts, dazwischen Kälte und Hitze, Sommer und Winter. Und wieder ein Jahr vergangen.
 
Immer mal wieder liegen Zeugen der seit Monaten herrschenden Pandemie auf den Strassen und Gehsteigen herum. Masken. Wurden verloren. Oder einfach keine Lust mehr gehabt, weggeworfen. Vieles wird einfach weggeworfen oder abgestellt. Auf den Straßen, wenn es nicht mehr gebraucht wird. Manche ordern die Sperrmüllabfuhr. Manchen ists aber auch egal. Raus damit und fertig. Gerad schräg gegenüber steht ein uralter Fernseher. Schon seit Tagen. Da hat Niemand Irgendwen bestellt. Zum Abholen. Mal sehen, wie lang der da noch steht. 
 
Gemütlich gehts durch den Park. Menschen flanieren. Wie ich. Meistens allein. Überwiegend Frauen. Manche sitzen zu Zweit auf Bänken, mit Abstand und genießen die warme Sonne. Hin- und wieder ein Pärchen. Halten sich an der Hand. Wieder Erinnerungen. Bei mir. An die Zeit, wo ich nicht mehr an der Hand gehalten werden wollte. Es war zur Gewohnheit geworden. Mehr ein Hinterherziehen. Als wenn ich gar nicht da wäre. Stur wurde ich da. Bockig. Wollte nicht mehr. Wie ein Esel. Wurde nicht verstanden. Egal. Vorbei. 
 
Durchquere das Hundeterrain. Wo dem Hund sein Geschäft erlaubt ist. Keiner da. Heute. Auch keine Tretminen. Wundert mich immer. Die sind verantwortungsvoll. Die Hundehalter. Machen alles weg.
 
In den beiden abgesperrten großen Käfigen wird gespielt. In einem ein Vater mit seinem Sohn. Schießen den Ball aufs Tor. Im anderen Basketball. Sie haben Freude miteinander. Schön ist das. Das Wetter auch. Drinnen bleiben kommt schon noch.
 
An der großen Strasse muss ich warten. Es dauert lang, bis die Ampeln dort umschalten auf Grün. Ich laufe schnell bei Rot. Kommt ja kein Auto und auch keine Bahn. Warum soll ich da rumstehen. 
 
Auf einem Stromkasten am Weg wurde ein Gesicht gemalt. Ein buntes kleines Plakat klebt darauf. Irgendwas mit Merry Christmas 2020. Ein Weihnachtsmann schüttet von oben herab aus einem Sack lauter Spielkarten. Ich weiß nicht, was das bedeutet. Daneben ein kleiner Aufkleber: Blaw blaw steht drauf. Kenn ich. Stimmt. Viel blaw blaw in der Welt. Schrecklich. Das viele Reden über alles, von dem man gar nichts wirklich weiß oder Ahnung hat. Hauptsache reden. Lenkt ja auch ab. Wer viel redet, kann nicht in sich hineinhören. Nimmt auch weniger wahr. Meistens denk ich dann auch blaw blaw und wende mich ab.
 
Die lange Straße bis zum Rhein runter zieht sich. Noch einmal Straßen überqueren. Aus dem Hochhaus rechts klingt aus einem Fenster ruhige Musik. Schöne Musik. Irgendwas klassisches. Kann es aber nicht erkennen. Überlege, wer da wohl wohnt. Ob die so nebenher läuft oder ob sich da Jemand gemütlich auf dem Sofa platziert hat und sich versenkt. Leben hinter den Fenstern. Erinnerung als ich Kind war. Im Auto sitzend, abends wenn wir im  Dunkeln von irgendeinem Besuch nach Hause fuhren, dachte ich immer, was da wohl so passiert. Hinter all den erleuchteten Fenstern. Wie viel Leben. Und so viel Unterschiedliches. Oder sind alle Leben von Menschen gleich? So fragte ich mich. Damals. Als Kind.  Hat sich nicht geändert. Denk ich heute auch noch.
 
Das Cafe und die Pizzeria kurz vorm Eingang zum Rhein haben geöffnet. Tische und Stühle angekettet, aber verwaist. Es darf Niemand. Es wird gewartet. Auf Menschen, die kommen und einen Kaffee oder ein Mittagessen mitnehmen. Nach Hause. Es tut mir leid für die Inhaber. Das Cafe hatte gerade erst vor ein paar Wochen geöffnet. Es liegt schön mit Blick auf den Rhein, daher auch der Name *Rheinblick* 
 
Die Rheinpromenade ist gut besucht. Spaziergänger noch und noch. Auch hier spielende Kinder auf den Rasenflächen. Die Bänke besetzt. Radler strömen vorbei. Ich wundere mich. Weil doch Samstag ist und nicht Sonntag. Und die Geschäfte noch aufhaben. Und trotzdem so viele Flanierer. Wie ich. Den Herbst genießen mit der güldenen Sonne, die so warm das Gesicht umhüllt. Sonntags bleib ich immer zu Hause. Meistens. Höchstens in der Früh. Oder mit dem Rad weit weg. Dann sinds zu viele Menschen. 
 
Die Papierkörbe sind übergelaufen. Einiges liegt auf dem Weg. Wohl keiner gekommen, wie sonst, im Sommer, wo eifrig aufgeräumt wird nach einer durchfeierten Nacht. An einem erblick ich eine Krähe, die an etwas im Papierkorb zieht und zurrt. Sie suchen nach Nahrung und reißen alles heraus. Sind nicht immer die Menschen. Auch die Tiere machen Unordnung.
 
Ein Angler steht gelangweilt an der Brüstung zum Rhein. Einmal fragte ich einen, was er angelt. Er sagte, wäre ihm egal. Es geht ihm nicht ums Angeln. Nur einfach hier stehen oder sitzen und Ruhe haben. Merkwürdig. Ginge doch auch ohne Angeln. Vielleicht würde die Frau dann mit wollen. Beim Angeln dabei zu sitzen, ist Frauen bekanntlich ja zu langweilig. Also angelt er. Manchmal muss man was erfinden, um mal für sich zu sein. 
 
Ein Stückchen weiter steht ein altes Pärchen. Ich glaub sie sind wirklich alt. Uralt. 80 oder mehr. Stehen da auch an der Brüstung. Er hat einen Schokoriegel in der Hand und gibt ihn ihr zum Abbeißen. Wie drollig So vertraut wohl schon über Jahrzehnte. Und immer sich noch zugewandt. Kann mich freuen über den Anblick. 
 
Ein wenig verlauft es sich jetzt. Mit den Menschen. Ein Schiff fährt vorüber. Schaue auf den Namen. Es heißt *Ellen* Ach..wie vor 2 Tagen, da fuhr es hier auch. Ellen, wie meine Nachbarin und ich muss an sie denken. Gerade jetzt. Sie muss zu Hause bleiben. Hatte Kontakt zu einem positiv Getesteten. Abwarten. Und hoffen. Das nichts ist und wenn, nicht so schlimm. 
 
Habe zwei junge Frauen vor mir. Hatte sie eingeholt im Laufen. Fange ein paar Gesprächsfetzen auf, als ich sie überhole. Du musst loslassen, nicht immer festhalten. Du bist zu sensibel. Du nimmst alles viel zu ernst. Sie redet und redet, immer weiter. Die andere schweigt. Im vorbeigehen denke ich, die Arme. Aber sie ergibt sich dem Wortschwall. Sie kennt das sicher. Ich muss schmunzeln und laufe etwas schneller weiter. 
 
Die Bäume sind alle gestutzt. In der letzten Woche hatte ich es jeden Tag beobachtet. Baum für Baum war die Baumgärtnerei am Werk. Mit einem großen Kran lifteten sie sich hoch in die Wipfel und sägten. Alles fiel. Der Weg abgesperrt. Musste außen rum gegangen werden. Aber jetzt alles fertig. Im nächsten Jahr kommt alles hoffentlich gesund wieder. Nur einer musste ganz gefällt werden. 
 
Auf dem Rasen glitzern die Herbstblätter wie silbern im Sonnenlicht. So schön. Huch..am Himmel da über mir. Eine Drohne mit einem Plakatschwanz hintendran. Steht drauf: Tante Tomate first! Schau ihr hinterher. Werbung! Nur wofür. Make Tomate great again, denk ich und muss lachen. Komisch, wenn man allein vor sich her lachen muss und alle können es sehen und denken vielleicht..was isn mit der ..Ist mir wurscht. 
 
1 ganze Stunde bin ich unterwegs jetzt. Denke ans Umkehren. Soll ich durch die Einkaufszone nach Hause? Das ginge schneller. Nur eine halbe Stunde. Doch da wuselt es sicher noch. Zu viele Eindrücke. Dann lieber den gleichen Weg wieder zurück. Hier und da etwas sehen, Eindrücke, Gedanken, alles will seine Zeit haben. 
 
Fast zuhause, aus dem Park heraus, noch einmal über die Straße. Ein Auto kommt. Sieht mich und hält. Will mich rüber lassen. Ich winke ihm, er soll mal fahren. Ich hab ja Zeit. Er nickt freundlich. Ich zurück. Ich rechne ihm das hoch an, dass er gehalten hat. Machen die wenigsten, jedenfalls nicht an den Stellen, wo sie es nicht müssen, wie auf der Einkaufsstrasse Richtung Wiener Platz. 
 
In meiner Strasse ist der Porsche weg. Kein Mensch zu sehn. Die Haustüre ist verschlossen. Ich habe rote Wangen vom Laufen. Und Hunger. Tüchtig. Das Essen wartet. Hatte ich vorbereitet. Ich freu mich. Ein schöner Spaziergang. Knapp 2 Stunden. Sport war auch. Jetzt kann ich wieder sitzen. Oder liegen. Lesen oder Schachspielen. Vielleicht auch malen oder Schreiben oder einfach nur liegen und gucken. Ein gutes Leben. Nach einem Spaziergang fühlt es sich gleich noch besser an. Das Leben. Ohne Reden. Nur gucken, was so ist. Vor mir, neben mir. 
 
In einem Buch las ich, wie ein Literaturprofessor zu seinen Studenten sagte, statt über das zu schreiben, was ihr wisst, schreibt über das, was ihr seht. Geht davon aus, dass ihr sehr wenig wisst und nie viel wissen werdet, außer ihr lernt zu sehen.
 
Das habe ich jetzt gemacht. Es gibt so unendlich viel zu sehen. Immer. Beim Flanieren oder einfach nur so um sich herum. Ich wünsche allen einen schönen Sonntag. 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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31. Oktober 2020 6 31 /10 /Oktober /2020 09:21

"Latte Macchiato", das klingt dermaßen italienisch, dass man es sich auf der Zunge zergehen lassen möchte. Wörtlich übersetzt heißt es in etwa "befleckte Milch". Ursprünglich wollte man auch die bambini an einer Kaffeekultur teilhaben lassen und hat deshalb ein wenig Espresso auf ihren Milchschaum geträufelt...

Inzwischen hat es sich zu einem Kultgetränk für Erwachsene gemausert, das Dreischichtenmodell des Latte gilt fast schon als eine Nobelpreis verdächtige Errungenschaft.

Wenn der gereifte Mensch ein richtiges Spielkind geblieben ist, dann will er den Milchschaum fest und steif haben, er will genau den "Bau- oder Konstruktionsschaum", der von den wahren Kennern belächelt und gering geschätzt wird. Aber jeder Gastwirt ist stolz auf die steife Blume, die auf seinem frisch gezapften Pils wie eine Eins thront.

Eine mittlere Katastrophe ist es, wenn der Milchschaum partout nicht mehr gelingen will. Aus dem stolzen Latte wird dann eine traurige Art von Café au lait. Ehrlich gesagt, das Geschmackserlebnis ist fast dasselbe, aber Optik, Haptik und Spielfreude kommen dann einfach zu kurz.

Was ist da los, wieso funktioniert das manuelle Aufschäumen der Milch nicht mehr?

Zu dem Thema gibt es Tausende von Posts im Internet. Natürlich glaubt fast jeder, seinen Stein der Weisen gefunden zu haben. Es gibt zu dem Thema sogar eine Doktorarbeit, diese fällt wohl in das Fach der physikalischen Chemie. 

Nachdem meine Verwirrung grenzenlos war, habe ich beschlossen, der Sache mal auf eigene Faust nachzugehen. 

Meine erste Theorie zielte auf die Beschaffenheit der Milch ab. Ich kaufe in der Regel eine Bio-Milch, die auf tradtionelle Art und Weise hergestellt wird, die pasteurisiert und homogenisiert ist und die eine Haltbarkeit von 7 - 10 Tagen aufweist. Ich weiß, dass für die Schaumbildung der Eiweißgehalt der Milch von Wichtigkeit ist. Dieses Eiweiß bildet nämlich die äußere Grenzschicht der Schaumbläschen. Steigt die Temperatur der Milch auf über 80° C, so beginnt eine bleibende "Denaturierung" des Milchweißes, es kann dann keine Bläschen mehr zusammen halten. Aus diesem Grund darf eine Milch, die aufgeschäumt werden soll, niemals zu stark erhitzt oder gar abgekocht werden. Auf den Milchpackungen wird der DURCHSCHNITTLICHE Eiweißgehalt der Milch angegeben, er beträgt in der Regel ca. 3,3 Gramm pro 100ml. Tatsächlich ist der Wert aber Schwankungen unterworfen, zum Beispiel in Abhängigkeit von der aktuellen Ernährung der Milchkühe. Es kann also durchaus Verdachtsmomente in dieser Beziehung geben. Deshalb habe ich versuchsweise verschiedene Milchsorten gekauft und getestet. Jedoch immer mit dem gleichen kümmerlichen und katastrophalen Ergebnis, es hat sich einfach kein vernünftiger Milchschaum gebildet.

Meine zweite Theorie richtete sich auf das einzige "Verschleißteil" meiner manuellen Aufschäumapparatur, nämlich auf dieses extrem feinmaschige Sieb, welches in der Milch auf und ab bewegt wird und welches als der Schaumschläger bezeichnet werden kann. Ich muss zugeben, dass ich bei der Pflege dieses Siebes, die eigentlich routinemäßig und ohne großen Aufwand erfolgen kann, über einen längeren Zeitraum ziemlich geschlampt habe. Jetzt habe ich das Teil einmal im wahrsten Sinne des Wortes unter die Lupe genommen. Zuvor habe ich mit Hilfe eines Haarföhns dafür gesorgt, dass das Sieb vollkommen trocken ist und dass mir somit nicht irgendwelche Wasserspiegelungen ein falsches Bild vorgaukeln. Anschließend habe ich ein Scheinwerferlicht installiert, die Lesebrille aufgesetzt und die große Lupe zur Hand genommen. Ergebnis meiner pingeligen Betrachtungen: Ca. 40% der Löcher des Siebes waren "verstopp". Nun stellte sich die Frage, ob es sich bei den Rückständen in erster Linie um Kalk oder um Milchfette handelt. Eine größere Entkalkungsaktion (über Nacht) brachte jedenfalls keinen messbaren Erfolg. Somit war eine fettlösende Reinigung angesagt. Dabei sind 4 Komponenten von Bedeutung:

1. Das Reinigungswasser sollte tiefenentspannt sein (also verwende reichlich Spüli).
2. Gelegentliches Erhitzen des Reinigungswassers bis zum Sieden begünstigt die Lösung des Fettes.
3. Mechanische Einwirkung ist von Vorteil. Der grobe Keil einer Wurzelbürste ist natürlich ungeeignet, stattdessen bietet sich das Auf- und Ab-Bewegen des Siebs in dem (heißen) Reinigungswasser an.
4. Eine lange Einwirkzeit ist angezeigt. Was Monate oder Jahre benötigt hat, um sich fest zu setzen, wird sich nicht in 5 Minuten auflösen lassen. Tatsächlich habe ich das Sieb für einige Tage in dem Spüliwasser liegen lassen.

Nach der Reinigungsaktion zeigte die erneute Begutachtung einen umwerfenden Erfolg: Bis auf ganz vereinzelte blinde Pünktchen war das Sieb vollkommen frei.

Der finale Aufschäumtest endete im Jubel, es bildete sich ein steifer Milchschaum, ein wahrer Schlagobers vor dem Herrn. Heureka!

Das Ganze hätte auch böse enden können, wenn ich nämlich in meiner Verzweiflung mühsamst nach einem PASSENDEN und wahrscheinlich sündhaft teuren Ersatzsieb recherchiert hätte, um dann den allerersten Internet-Einkauf meines Lebens tätigen zu müssen...

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14. Oktober 2020 3 14 /10 /Oktober /2020 13:14

Nicht, dass ich es nicht schon seit Tagen bemerkt hatte. Eigentlich nicht gemerkt, eher gespürt, da ist was nicht in Ordnung. Irgendwas ist da komisch. Wieso verspüre ich am linken  Oberschenkel rückseits immer einen leichten kühlen Hauch. Jedesmal, wenn ich es bei einem Spaziergang allein oder mit meiner netten Nachbarin bemerkte, dachte ich, komisch, wieso ist es genau und nur da immer so leicht kühl. Unauffällig strich ich mit meiner linken Hand nach hinten über meine Hose um zu fühlen, ob da etwas ist. Merkte jedoch nix. Rein gar nix. Ich ging weiter und dachte, ok, dann ist das eben so. Ich meine, das ist ja wie mit den Dingen im Leben, die einem einfach so plötzlich geschehen, unerwartet, woran du nix aber auch gar nix ändern kannst, du akzeptierst es einfach und gehst weiter. 

 
Glaub das ging ne ganze Woche so. Das Procedere. Spazieren, den kühlen Hauch spüren, wieder fühlen, nichts, weitergehen. Merkwürdigerweise bin ich auch nicht auf die Idee gekommen, wenn ich mit meiner Nachbarin unterwegs war, sie mal zu fragen, sag mal, schau doch mal an mir hinterrücks links hinunter, ist das was? Siehst du etwas? Ich weiß auch nicht warum. 
 
Grundsätzlich sind mir die Fragen nach dem Warum vieler Dinge im Leben nicht fremd. Es stimmt aber auch, dass ich oft, falls es keine Antwort gibt, mir einfach sage, warum nicht? Dann ist das eben so, oder mach es einfach...wirst ja dann sehen, was passiert. 
 
Zu erwähnen ist, dass die Hose, die ich trug, ein Erbstück meiner verstorbenen Freundin ist. Sie wurde also geliebt wie nur etwas. Auch, weil sie ein Relikt aus den guten alten Zeiten ist, aus Samtcord und mit Schlag. Mir doch wurscht, was gerade in oder nicht in ist. Wenns gefällt und ich dran hänge, schrieb ich schon mal, trag ich es, bis es auseinanderfällt. Bin son Typ. 
 
Heute war sie wieder dran. Die schwarze Samtcordhose. Zum Anziehen. Während ich noch einige Dinge im Haushalt erledigte, spürte ich plötzlich das erste Mal auch diesen leicht kühlen Hauch an meinem linken Oberschenkel rückseits in meiner Behausung. Bis dahin noch nie vorgekommen. Unbeobachtet, wie ich mich  daheim fühle, griff ich also mit meiner linken Hand etwas fester an meinen linken Oberschenkel rückseits und da, verdammt noch mal, da erfasste ich es. Es befand sich ein Riss in der Hose. In der schönen Hose. In der von mir geliebten schwarzen Samtcordhose meiner Freundin. Sprachlos wie ich war, brauchte es eine Weile, bis ich es kapierte und akzeptierte. Sie war kaputt. Keine Ahnung wieso. Durchgesessen? Der Stoff dünner und dünner geworden an der Stelle, die Fäden gerissen. Das war´s dann mit der Hose. Der alten geliebten. Dachte ich jedenfalls. 
 
Doch dann kam wieder dieses warum nicht? Dann besorg ich mir nen Lederflicken und näh den drauf. Ist doch wurscht. Ist nun nicht mehr unversehrt, dennoch wie neu, nur anders. Genauso mache ich es.
 
Es ist doch wie mit dem eigenen Leben. Wie viele Risse gehen dadurch und dann ist nichts mehr wie es war. Die Kindheit und Jugend, die keine war, weil es keine Unschuld gab, nur das Erkennen, dass man letztendlich alleine ist in dieser Welt, in der man sich fremd fühlt, wie hineingeworfen, ohne es gewollt zu haben und gezwungen ist, zu ertragen was ertragen werden muss.  Dann heiratet man, bekommt Kinder, die aus dem Haus gehen, ihr eigenes Leben leben, der Partner geht, die Freunde sterben, eine Krankheit ereilt dich und alles ist anders als zuvor.  Wie oft diese Einbrüche, Risse geflickt werden mussten, um dennoch weitergehen zu können. Die Risse versteckt unter dem Mut und dem Willen, so lange weiter zu gehen, wie es einem vergönnt ist und die Trauer des Verlorenen zu überwinden mit dem Guten und Schönem was einem noch begegnet und was tatsächlich auch noch da ist. Bis der Faden des eigenen Lebens reißt. 
 
Risse gehen durch die ganze Welt. Plötzlich ist auch da nichts mehr, wie es vorher war. Kaputtgegangen, das vermeintlich Heile. Eine Pandemie, ein Krieg, eine Hungersnot, ein Klimawandel, ein Börsencrash usw.usw... Es lebt sich besser mit der Gewissheit, dass nichts bleibt, wie es ist, dass Alles der Veränderung unterliegt und es nur die Möglichkeit gibt, sich mit dem Neuen anzufreunden, was nicht bedeutet, dass auch die Trauer über das Gewesene seinen Platz hat im Leben. Denn die Trauer ist eines der wichtigen Dinge im Leben, die nicht verdrängt werden darf, weil nur sie bedeutet, dass verarbeitet wird. 
 
Heute gabs eine andere Hose. Zum Spazierengehen. Auch eine alte, aber nicht so alt. Aber auch mit Schlag. Während ich durch den Park lief, fühlte ich plötzlich einen leichten kühlen Hauch am linken Oberschenkel, rückseits. Da sonst Niemand sichtbar war, fühlte ich mit der Hand nach hinten, suchte und suchte. Ne, da war kein Riss. Wirklich nicht. Merkwürdig, wie lang der Körper sich merkt, was irgendwo mal nicht stimmte. Es kommt sicher aber auch hier mal einer. Irgendwann. Aber bis dahin....
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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5. September 2020 6 05 /09 /September /2020 20:07
The Great Nowitzki
Für Sport hab ich mich eigentlich immer nur am Rande interessiert. Fußball ging nie an mir vorüber, schon wegen der Männer zu Hause. Radrennen fand ich immer ganz gut, auch hin- und wieder hab ich mal das eine oder andere Sportereignis bestaunt. Aber viel mitreden kann ich bei keiner Sportart groß. Eben auch über Basketball nicht. Ich war in der Jugend mal für eine kurze Zeit in einer Basketball-AG, gar nicht mal so schlecht. Habe es aber auch nicht weiterverfolgt. Wohl dachte ich, dass ich für diese Sportart nicht groß genug bin. Obwohl ich jetzt in einem anderen Buch erfahren habe, dass Basketballspieler zwar überwiegend groß sind, aber dass das kein Muss ist. Es gab mal einen Spieler mit Namen Muggsy Bogues, der nur eine Körpergröße von 1,60 m aufwies. Der kleinste Mensch, der je in dieser Sportart etwas geleistet hat. Belächelt soll man ihn haben. Doch ihm ist es gelungen, seine Körpergröße zu seinem Attribut zu machen, wofür er landesweit berühmt wurde. Wenn man klein ist, hat das auch seine Vorteile. Auf dem Spielfeld kann sich schneller und flinker bewegt werden und man kann ahnungslosen größeren Mitspielern den Ball abluchsen, so dass man leicht unterschätzt wird. Aber ich wollte Euch ja ein Buch mit dem Titel *The Great Nowitzki* unbedingt anempfehlen, auch wenn man von Basketball bisher nicht viel mitbekommen hat. Auf die Biografie vom  Sportjournalisten Thomas Pletzinger, der Nowitzki viele Jahre immer wieder begleitet hat,  bin ich aufmerksam geworden in der Sendung des literarischen Quartetts, in der Volker Weidermann, der jetzt ja auch beim Spiegel nach dem Ausscheiden aus der Sendung, eine Büchervideoshow unter dem Titel  *Spitzentitel* veröffentlicht. Weidermann les ich sehr gern, wie ich schon mal schrieb und als er diese Biografie von Nowitzki empfahl mit dem Hinweis, man muss kein Fan von Basketball sen und auch über keine Ahnung vom Spiel verfügen, um diese zu lesen. Er war sichtlich begeistert über diesen großartigen Spieler und Menschen, dass ich dachte, warum nicht.
Enttäuscht worden bin ich wie immer von seinen Empfehlungen nicht. Ein wirklich großartiges Buch, dass ich schnell durchgelesen habe und nun etwas mehr über den Sport an sich kennengelernt habe, aber vor allen Dingen etwas über den Menschen Dirk Nowitzki, sein Leben, seine Karriere und auch über die Menschen, die ihm auf seinem Weg zu einem der größten Sportler aller Zeiten im Basketball zu werden, allen voran sein Lehrmeister Holger Geschwindner, selbst in jungen Jahren ein hervorragender Spieler, verholfen haben. 
Mit 12 Jahren entschied er sich dann für den Basketball. Verehrt hatte er die Großen in diesem Sport schon immer. In seinem Jugendzimmer klebten Plakate von Scotto Pippen und Michael Jordan. Später standen dort dann auch seine Pokale, die er mit TG Würzburg erkämpft hatte. Da er groß war, schon als achtjähriger war er größer als seine Lehrer in der Schule und hat unter den Hänseleien seiner Mitschüler sehr gelitten, sich zurückgezogen und sich  in den Sommerferien, wenn andere im Schwimmbad waren, draußen im Hof seiner Eltern aufgehalten und stundenlang mit dem Ball auf den Korb geworfen, schien das genau das Richtige für ihn zu sein. Schnell wurde dann auch entdeckt, dass er höchst talentiert war. 
1993 dann hatte Nowitzki seine erste Begegnung mit Holger Geschwendner, der in ihm, so hat er es bezeichnet, einen Rohdiamanten sieht. Geschwendner, über dessen Person natürlich auch viel erzählt wird, ein enfant terrible, aber zutiefst kluger Mensch. Geschwender hat im Leben sehr oft erkannt, was mit den Dingen, die er sieht, einmal sein kann.  Von dieser ersten Begegnung an nimmt er Nowitzki unter seine Fittiche und die beiden sind unzertrennlich. Seine Trainingsmethoden sind außergewöhnlich und sie beinhalten zumeist auch die Zeit, in der nicht sportlich trainiert wird, sondern das Leben gehört ebenfalls dazu. Sie reden viel miteinander, hören Musik, lesen viel. Manchmal lesen sie sich gegenseitig vor, ob es Josef Conrads *Herz der Finsternis* ist oder Aitmantovs *Dshamilja*. Nowitzki hat später in seiner Zeit bei den Mavericks auch einen Lesezirkel gegründet, in denen sich auch einige seiner Sportkameraden befanden. Lustig empfand ich die Anekdote, in der erzählt wurde, dass ihm angeraten wurde das Buch Döblins *Berlin Alexanderplatz* mitzunehmen, als er mit den Mavericks auf ihrer Tour durch Europa in Berlin gegen die Italiener spielen sollten . Sie hatten damals das Spiel verloren und später sagte er zu Geschwendner, scheiß langweilig das Buch, er könne das nicht lesen und habe sich lieber Irvings *Garp und wie er die Welt sah* zugewandt. 
Aber vor allen Dingen war es Geschwendner immer wichtig im Gespräch zu sein, sich mitzuteilen. Er sagte einmal: "Der Mensch, der sich mitteilt, wird sich selber los" 
Lustig fand ich, ein Fan wird es wohl wissen, dass Nowitzki später bei jedem erfolgreichen Wurf immer vor sich hin summte David Hasselhoffs *Looking for Freedom* Musik hat Nowitzki immer begleitet. Z.B. schätzt er auch Mumford & Sons, die ich selber auch ganz gern je nach Stimmung höre. Er spielt im übrigen auch selber Saxophon. 
Geschwendner sagte, Sport und Musik sind das tägliche Ringen um die eigenen physischen und handwerklichen Fähigkeiten und der immer wiederkehrende Versuch, den eigenen Körper nicht immer bewusst wahrzunehmen, sondern ihn machen zu lassen. Er zielt auf die Selbstvergessenheit an und das kennt ja jeder, der Musik liebt. Ich könnte mir einen Alltag ohne Musik auch kaum vorstellen. Wie oft hat mich die Musik vergessen lassen oder mich auch angetrieben. 
Geschwendner,  der Jazzliebhaber ist, vergleicht diesen auch mit dem Sport des Basketballs. Er sagte immer, beim Jazz spielen Aktion und Reaktion eine große Rolle, wie eben beim Basketball oder anderen Sportarten auch. Die Instrumente kommunizieren miteinander, durcheinander und übereinander. Es sei wie ein Wettbewerb, in dem jeder wartet auf sein Solo, in dem er seine besondere Fähigkeit einsetzen kann. Und auch Fehler gehören dazu. Fehler seien das Salz in der Suppe, sie müssen integriert werden, weil sie immer der Anfang neuer Elemente für Unerwartetes,  Neues sind. Miles Davies sagte einmal, der nächste Ton entscheidet darüber, ob ein Fehler überhaupt ein Fehler ist oder einfach nur der Anfang von etwas Großem. 
Ich dachte mir beim Lesen, wenn wir Menschen das auch so sehen könnten im täglichen Leben und im Umgang miteinander, gäbe es keine Urteile oder Ablehnung, wir würden dann erkennen, dass jeder in seiner Individualität mit hineinspielt und alles zusammen ein wunderschöner Tanz ist, sei es in dem, was wir miteinander tun oder worüber wir diskutieren.  Jedenfalls ich betone, dass dieses Buch über Nowitzki keine dröge Biografie ist, sondern voller Lebenserfahrungen und Erkenntnisse der Menschen, die um Nowitzki herum sind, aber auch von ihm selber. Das macht das Buch so spannend. 
Der Leser erfährt, wie Nowitzki sein Ziel erreicht hat, seine beiden Wunschträume sich erfüllt haben. In der NBA zu spielen, bei den Mavericks, die anfangs nicht mal seinen Namen richtig aussprechen konnten. Einmal ist während eines Spiels sein Name irrtümlich mit *Nowitkzi* auf seinem Trikot angebracht worden. Und an der Olympiade teilzunehmen, ausführlich mit allem Drum und Dran wird sein Weg dahin beschrieben. Auch von dem Druck, unter dem er sich immer gefühlt hat. Von seinen vielen Verletzungen, die ihn niemals abgehalten haben, weiter zu machen. Bis hin zu seinem 30.000sten Wurf, den die Fans in der Halle euphorisch gefeiert und bejubelt haben. Auch die Fankultur, das Leben in Dallas, seinem Status, den er dort erreicht hat. Und vom Aufhören, dem Ende seiner sportlichen Karriere, den er immer wieder hinausgezögert hat. 42:21:1 das war sein Leben, alles andere hat hinten angestanden.   Ein Sportler, so habe er einmal gesagt, stirbt zwei Mal, am Ende seiner Karriere und am Ende seines Lebens. Das glaubte ich sofort. 
Dass er aber dennoch, trotz seines riesigen Erfolges immer ganz er selbst geblieben ist, ohne Allüren oder egomanen Verhaltensweisen. Immer hatte er auch das Wohl der/des Anderen im Auge und vor allen Dingen das Gelingen des Spiels seiner ganzen Mannschaft. Pletzinger spricht in diesem Zusammenhang von Lauterkeit. Ein Wort, dass wir im normalen Sprachschatz nur noch selten in Bezug auf einen Menschen sagen hören. Lauterkeit, das bedeutet, aufrichtig, ehrlich zu sich selbst und den Mitmenschen, demütig und auf dem Teppich bleiben. Im Alltag erleben wir zumeist das Gegenteil, auch von uns selber, wenn wir ehrlich mit uns sind, beim einen mehr, beim anderen weniger. Mich hat das sehr berührt muss ich sagen.  
Ich würde am liebsten noch 1000 Dinge aus dem Büchlein erzählen, aber es soll ja gelesen werden. 
Vielleicht ist die Frage interessant,  die Pletzinger sich am Anfang des Buches gestellt hat. Was macht Menschen zu dem, was sie geworden sind. Sie waren ja auch erst einer wie wir, wurden geboren,waren Kinder, wurden groß. Welchen Weg sind sie abgebogen. Ich denke, diese Frage kann sich ja jeder stellen, auch wenn er keine großen Erfolge vorzuweisen hat wie Nowitzki. Was macht uns zu dem, was wir jetzt gerade in diesem Heute sind? Dazu ist es immer notwendig auf die Vergangenheit zurückzublicken, sie zu beleuchten um zu verstehen. Daher ist die Vergangenheit zwar rum, wie manchmal gesagt wird, jedoch gehört sie zu uns und der Rückblick verschafft uns immer wieder das Verstehen, warum wir der sind, der wir sind. 
Ein wunderbares Buch über einen großartigen Menschen und Sportler. Es lohnt sich dann auch seinen Film *Der perfekte Wurf* zu schauen, den ich mir natürlich ebenfalls angeschaut habe und viele Sequenzen und Ausschnitte seiner Spiele mit den Mavericks. Ein wirkliches Lesevergnügen. 
Thomas Pletzinger The Great Nowitzki Kiepenheuer und Witsch ISBN; 978-346-2047329 26,00 Euro

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13. Juli 2020 1 13 /07 /Juli /2020 18:12

Man muss kein Fan von David Bowie sein, wenn man dieses vom Musikjournalisten John O`Connell geschriebenes Buch *Bowies Büher*  zur Hand nimmt. Es genügt auch, wenn man ihn als Menschen und Künstler zumindest interessant fand und einige Songs von ihm ganz gerne hörte. Mir persönlich ist Fan-sein eh nicht gemäß. 

Bei meinem letzten Hausarztbesuch fragte ich meinen Arzt, mögen sie David Bowie? Ja, meinte er, der war bunt, das fand er gut.

Und genau deswegen mochte ich ihn auch, seine schillernde Persönlichkeit, sein unglaubliche Wandlungsfähigkeit, sei es im künstlerischen Ausdruck oder ganz einfach in der Entwicklung seines Selbst. Unglaublich wie viele Metamorphosen er im Laufe seines Lebens durchgemacht hat, um zu dem zu werden, der er am Ende war.  Seine Songs mochte ich nicht mal alle. Seinen Film *Der Mann, der vom Himmel fiel* habe ich viele Male gesehen, damals. Seine Botschaft hat meine Erkenntnis, dass es schwer ist, in dieser Gesellschaft sein Selbst zu finden und zu bewahren, bestätigt. 

Als ich von diesem Buch im Deutschlandfunk hörte, habe ich es mir auf der Stelle bestellt und genau das gemacht, was Bowie auch immer tat und was ich mit jedem Buch tue, worauf ich mich gefreut habe, alles stehen und liegen lassen, aufs Sofa und dann ab- und eintauchen.  Und das zelebrierte ich an drei Nachmittagen in aller Seelenruhe. Denn, es gab nicht nur unfassbar interessante Einblicke in das Leben Bowies und denen der Autoren seiner 100 aufgelisteten Lieblingsbücher, wie deren Leben sich gestaltete, wie es zu ihren Werken kam, sondern am Ende eines jeden vorgestellten Buches, gab es einen Bowie-Song, manchmal auch zwei, in denen sich eine Figur oder die Botschaft des Buches in Bowies Musik widerspiegelte. So war das Lesen ein kurzweiliges Erlebnis und beim Hören der Songs kann man ein wenig entspannen und über das Gelesene nachdenken. Einfach nur herrlich. 

So erfährt man z.B. das Orwell sein Buch 1984 fast nicht hätte vollenden können und es somit der Welt verloren gegangen wäre. Orwell hatte einen Hang zur Selbstsabotage. Während eines verhängnisvollen Bootsausfluges im August 1946 las er die Gezeitentabelle falsch und wäre beinahe mitsamt seiner Nichten und Neffen ertrunken.

Oder dass Sean Connery einmal wegen seines Stresses mit LSD behandelt wurde. Wer hätte das gedacht. 

Dass T-Rex letztes Album *Dandy in the Underworld* bezogen war auf den Prototyp der Gestalt des *Großen Gatsby* von F. Scott Fitzgerald.

Dass Bulgakov seine erste Fassung von *Der Meister und Margarita* aus Angst davor, dass Stalins Geheimpolizei es hätte finden können. Er schrieb das komplette Buch nochmal neu und diktierte seiner Frau noch auf dem Totenbett die letzten Änderungen.

Nur mal so ein paar kleine Schmankerl, ich kann sie ja nicht alle aufzählen. Von den 100 Lieblingsbüchern Bowies habe ich selber gerade mal 7 gelesen. Camus *Der Fremde*, Flaubert´s *Madame Bovary* Orwell´s *1984* Döblin´s *Berlin Alexanderplatz* Nabokov´s *Lolita* Kerouac´s Unterwegs* Capote´s Kaltblütig* Das war es auch schon, obwohl durchaus eine Handvoll meiner Lieblingsautoren noch dabei waren, deren Werke ich noch nicht kannte.

Die überwiegende Anzahl der Autoren und ihre Werke waren mir bisher nicht bekannt. Viele interessante Sachen dabei, von der ich mir jetzt eine Liste angelegt habe, die ich mir zulegen möchte. 

Da wäre z.B. Ronald D. Laing´s Werk *Das geteilte Selbst*, in dem er über seine Arbeit mit Schizophrenen und psychisch kranken Menschen schreibt.  Für Bowie war dieses Buch sehr wichtig, denn, auch das wusste ich nicht, er hatte einen 10 Jahre älteren Halbbruder, Terry, der unter Schizophrene litt und sich im Januar 1985 das Leben nahm.

Bowie hat sich im Laufe seines Lebens immer wieder selber gefragt, warum (Zitat Daily Telegraph) er zur Großartigkeit bestimmt war und Terry dem Wahnsinn verfallen war. Später hat er einmal gesagt, wer weiß, was aus ihm geworden wäre, wenn er nicht Künstler geworden wäre und somit auch ein klein wenig das in ihm herrschende Chaos, seine Manie  und Verrückte in seinen Songs, Filmen und Videos hätte ausleben können.  So erfahren wir von Bowie auch, dass er lieber mit Wahnsinnigen verkehre als mit den frei und traurig umherwandernden Männern dahin zu ziehen. Und Recht hatte er sicherlich, denn wenn man sich so manche Menschen anschaut, dann sind schon sehr viele traurige Gestalten dabei, gefangen in ihrem Leistungsdruck und ihrem Habenwollen, was sie letzten Endes auch nicht wirklich glücklich und zufrieden macht. *Man fügt sich großen psychischen Schaden zu bei dem Versuch, dem drohenden Irrsinn zu entkommen* gestand er einmal 1993 der BBC. Das ist ja für Fromm-Kenner keine unbekannte Aussage. Auch Fromm sagte immer wieder, der Mensch müsse aufpassen, nicht verrückt zu werden, in diesem Irrsinn der Welt. 

Es sind unglaublich viele interessante Bücher in diesem Buch zu entdecken. Bowies hat alles gelesen. Romane, Erzählungen, Kunst- Musikbücher, vor allen Dingen Geschichte, die komplette amerikanische und russische Geschichte. In seiner Zeit nach seinem Herzinfarkt, nachdem er sich fast 10 Jahre zurückgezogen hatte, hat er überwiegend in seiner Wohnung gesessen und gelesen. Aber auch schon zuvor. Ich habe mich gefragt, wie er all das lesen konnte während seiner umtriebigen Action in seinem Leben und seiner musikalischen Karriere. Unfassbar. Er muss ein wandelndes Lexikon gewesen sein. Sicher ein Vergnügen wäre es gewesen, sich mit einem solchen Menschen über die großen Dinge des Lebens unterhalten zu können. 

Da Bowie Flugangst hatte, und zumeist, wenn es irgendwie ging, seine Reisen mit der Bahn oder dem Schiff vornahm, wie z.B. als er nach seiner US-Tournee mit Ziggy Sturdust wieder zurück nach England kehrte. Er hatte eine mobile Bibliothek, was bedeutete, es gab extra angefertigte Koffer in denen er auf all diesen Reisen an die 1500 Bücher mit nahm, um sicher zu sein (mein Gedanke) für jedes Interesse, dass ihn gerade an etwas befiel, etwas zur Hand zu haben. Man kann sich also vorstellen, welches Lesepotential er inne hatte. 

Und wenn ihm dann ein Buch besonders gefiel, bewarb er es bei seinen Freunden mit einem geradezu missionarischen Eifer. Wie herrlich, das kenne ich auch.

Und immer war er auf der Suche nach sich selbst, was man ja an seinem Leben und seinem künstlerischen Werk, wie ich zuvor schon schrieb, unschwerlich nicht erkennen könnte.  Auch ist das Lesen, neben vielen anderen auch eine Flucht,  sich in andere Menschen, Perspektiven und Bewussstseinszustände hineinzuversetzen. Es hebt den Menschen aus sich selbst heraus, nur um uns dann wieder zurückzubringen, aber unendlich bereichert.  Lesen hilft sich selber zu finden. Das ist auch meine persönliche Erfahrung.

Bücher waren die Werkzeuge, die Bowie genutzt hat, um sein Leben zu steuern, und nicht zuletzt ein starkes Argument für die Theorie, die Connelly hat, dass einen das Lesen von Büchern zu einem besseren Menschen macht. Dem hatte ich nichts hinzuzufügen. 

Was wäre ich und mein Leben ohne meine Bücher gewesen. In allen Lebenslagen haben Sie mir auf vielfache und unterschiedliche Weise geholfen, einmal nur woanders hin zu entschwinden, ein anderes Mal etwas mitzunehmen, dass ich für meine Weiterentwicklung brauchte. 

Ich werde das Buch bei meinem Hausarzt schenken. Das ist mal klar und ganz sicher noch einigen anderen. 

 

John O`Connell *Bowies Bücher*

Literatur, die sein Leben veränderte

Kiepenheuer & Witsch 

ISBN: 978-3462-05352-4

16,00 Euro

 

Viel Vergnügen!

 

https://www.deutschlandfunkkultur.de/john-o-connell-bowies-buecher-ein-neuer-blick-auf-einen.950.de.html?dram:article_id=478406

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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