Schon beim Erwachen wusstest du es, nein nicht, dass Sonntag war, das war dir klar, aber dass es ein ganz besonderer Sonntag wird. Ein richtiger Sonntag.
Was ist ein richtiger Sonntag für den Menschen?
Ein richtiger Sonntag für mich ist, wenn du fühlst, dass die Welt für dich still steht. Kein Lärm, von nirgendwoher. Kein Mensch, der zu sehen ist. Kein Auto, das von hier nach dort fährt. Alles still. Noch.
Auf dem Balkon stehend lauschst du dem leisen Rascheln der gelbroten Herbstblättern nach, die langsam zu Boden flattern. Wie liebst du diese Jahreszeit. November. Alle bangen sich wegen dieses Monats. Er sei traurig, sagen die einen. Er wirke bedrückend andere wieder. Alles grau und trüb. Regen. Wolkenverhangener Himmel. Für dich war er niemals so. Nur eine Zeit die alles verabschiedet, eine kleine Weile noch, bis zeitgemäß das Neue aufbricht. Ein kurzer Moment doch nur, den du immer schon festhalten mochtest.
Du stehst da, auf Deinem Balkon, die Nase in die frische Herbstluft gestreckt, atmest durch und selig glücklich denkst du, wie schön, ich...ich lebe...das Leben ist schön.
Von anderen, den Freunden und Bekannten weißt du, sie sind unterwegs. An diesem Sonntag. Nach einer Woche mühsamen Arbeitens heute das Programm. Du hast es vergessen, was es war. Irgendwas mit Kultur, Ausstellung, Kino, Musik. Ja Musik, hätte es vielleicht sein können. Auch für dich. Du solltest ja mitkommen. Aber du hast dich anders entschieden. Allein zu bleiben. Nur für dich und diesen Sonntag. Dem richtigen Sonntag. Für dich.
Du schlurfst in die Küche. Machst dir ein Frühstück. Sitzt da am Tisch, die Kerze flackert. Draußen immer noch die fallenden Blätter von den Bäumen und Stille.
Behaglich, danach, das Sitzen an deinen Schachbrettern. Ein kleiner Plausch mit den manchmal unbekannten und bekannten Spielpartnern am Brett. Ein paar Worte nur, ausgetauscht. Was zum Lachen. Was zum Nachdenken. Anteil genommen. Am Leben. der/des Anderen. Auch das so schön. Aber du willst da nicht verharren. An den Brettern des Spiels. Obwohl du es so unendlich liebst.
Jetzt einfach nur Sitzen. Da, auf dem Sofa und still werden, wie der richtige Sonntag. Der stille. Und das Buch betrachten. Das da liegt und auf dich wartet. Fast bis zur Mitte hast du es verinnerlicht. Vielleicht schaffst du es heute bis zum Ende. An diesem mittlerweile immer noch stillen Nachmittag. Auf deinem Sofa.
Du machst dir ein wenig Musik an. Anour Brahem soll es sein. Dann liegst du und liest. Die Geschichte, die im *Alten Land* spielt. Die Gegend, die dir selber so ans Herz gewachsen ist im Laufe deines Lebens. Vielleicht auch deswegen, weil die Mutter, deine, auch dort gestrandet ist. Wie die Flüchtlinge in dem Buch. Im Krieg. Geflohen von überall her. Wie deine Eltern. Vater. Mutter. Und die Zeilen berühren dein Herz. Wegen dem Gefühl des Gestrandetseins. Dem Hinausgeworfen zu sein, aus der Heimat. Wie deine Eltern. Als wenn du sie jetzt noch besser verstehen kannst. Dass sie immer mit diesem nicht hierher gehören-Gefühl gelebt haben. Ein bisschen haben sie das an dich weitergegeben. Dieses, nicht so ganz irgendwo hinzugehören. Ein Fremder doch immer zu bleiben. Und Heimat für dich nur da ist, wo es Menschen gibt, die dich verstehen und die du magst, so wie sie dich mögen. Der Ort ist egal.
Du erinnerst dich daran, wie sie auch dich beschimpft haben. Damals. Dort, wo du aufgewachsen bist. Keine gute Gegend. Ein Übergangsort. Du Pollackenkind, haben sie dir manchmal hinterher gerufen. Und du wußest gar nicht, was das bedeutet. Damals. Es ist auch nicht mehr wichtig. Jetzt.
Jetzt liegst du hier. Auf dem Sofa. Versunken in die Geschichte. Gleichzeitig spielt die Musik. Du hattest dir Arvo Pärt ausgesucht. Für den nun spät gewordenen Nachmittag. Die Symphonien fügen sich ein in die gelesenen Zeilen. Beides wird in dir eins. Sie passen zur Geschichte.
Doch dann, ganz plötzlich, Eine Melodie, die dich innehalten lässt. Du legst das Buch fort und hörst nur noch. Klavierklänge so zart, so leise, so bezaubernd. Sie dringen tief in dich ein, die Töne. Sie lassen Tränen in Dir hervorbrechen. Die kommen einfach so. Ungewollt. Es ist gar nichts da, über dass du weinen müsstest. Gerade jetzt in diesem Moment beim Hören dieser wunderbaren Klänge. Obwohl es genug zum Weinen gäbe. Das Gestern, der Freund, erst kürzlich verstorben. Und nun noch der letzte, der im Sterben liegt, jetzt. In diesem Moment. Wo du hier liegst und diesen Tönen nachhörst. Der es schwer hat. Sehr schwer. Nein, darüber weinst du gerade tatsächlich nicht. Denn du hast es ja akzeptiert. Es ist so. Das Leben ist so. Auch du wirst gehen. Irgendwann.
Nein du weinst einfach so. Weil das *Tabula rasa* von Arvo Pärt einfach so unglaublich schön ist. Violine und Klavier. Musik die die Zeit anhält. Ein Zauber von Ewigkeit im Raum. Und das alles gut ist, wie es ist und wie es sein wird. Dass alles zusammengehört in der unendlich großen und langen Welt- und Menschheitsgeschichte, auch deiner eigenen.
Du bist so glücklich in diesem Moment. Draußen hat nun der Regen begonnen. Es tropft an deine Fenster. Es ist dunkel geworden. Die Kerze flackert vor dir. Und du denkst, es ist spät geworden. Du hast es gar nicht bemerkt. Wie der Tag sich dem Ende zugeneigt hat. Einfach so. Obwohl du gar nicht viel getan hast. Am Ende diese unfassbare Schönheit, die dir diese Musik von Arvo Pät geschenkt hat.
Du wirst nun nicht mehr viel tun. Immer noch nicht viel tun. Noch die letzten Seiten deiens Buches zu Ende lesen. Vielleicht noch ein wenig an deinen Schachbrettern sitzen.
Ja, das war ein richtiger Sonntag. Für mich! Ich hoffe, für meine geneigten Leser, dass ihr ebenfalls einen *richtigen Sonntag* erlebt habt. So, wie er zu euch passte.
Manchmal les ich ein Buch erst, wenn der Hype vorbei ist. Das Buch, das ich Euch heute vorstellen möchte, war so ein Buch.
Mariana Leky, 1973 in Köln geboren, gelernte Buchhändlerin, schrieb mit ihrem Roman *Was man von hier aus sehen kann* einen Bestseller, der sage und schreibe 65 Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste stand.
Zu Recht, wie ich jetzt im Nachhinein sagen darf. Und es ist ja auch gar nicht schlimm, wenn ein Spätzünderleser, wie ich einer bin (es gibt ja immer so Vieles Altes und Neues, was gelesen werden will) erst lange danach dazu komme, es zu lesen und von diesem Buch zu erzählen. So wird ein schönes Buch noch einmal aus der Versenkung gehoben und darauf aufmerksam gemacht. Es hat es schließlich verdient.
Was man von hier aus sehen kann ist ein kurzweiliger, humoriger, aber auch nachdenklicher Roman über das Heranwachsen der 10-jährigen Luise, die in einem kleinen Dorf im Westerwald aufwächst.
Genau richtig für trübe Novembertage, die so manchem Menschen mit Regen, Nebel und gar nicht blau werdendem Himmel das Leben ein wenig schwerer machen, wie es vielleicht sonst schon ist. Beim Lesen auf meinem Sofa habe ich oftmals laut lachen müssen. Dabei immer ein klein wenig schmunzeln müssen ob meines lauten Lachens. Nicht, dass ich nicht gerne lache, aber hin- und wieder dachte ich, schon komisch, wenn man allein wie ich da herumliegt, bei einem Buch und einfach laut los lacht. Keiner da, der mit einstimmt. Und die Nachbarn denken vielleicht, was ist mit der Nachbarin los. Die ist doch allein. Was hat die denn zu lachen.
Über Mariana Leky Wortwitz, so drollig und schrullig kann man einfach nicht anders. Die kleinen Pointen erwischen einen eiskalt. Wenn sie z.B. schreibt*
"Eine Witwe im Nachbardorf hatte ihren Hof vor Jahren zu einem Gästehaus umfunktioniert, sie vermietete es meist übers Wochenende an Therapiegruppen. Als ich ein Kind war, war Schreitherapie in Mode gewesen. Manchmal waren Martin und ich ins Nachbardorf gelaufen, aus dem Haus der Einkehr waren gellende Schreie gekommen, an allen umstehenden Häusern waren die Rolladen heruntergelassen. Martin und ich hatten das lustig gefunden und zurückgeschrien, so laut wie wir konnten, bis ein verzweifelter Anwohner aus seinem Haus gekommen war und gesagt hatte:"Bitte, nicht ihr auch noch"
Sich in diese beschriebene Szene hineinzufinden, sich wie die beiden 10-jährigen zu fühlen und zu denken, genauso hättest du es auch gemacht, wenn du so etwas miterleben und anhören musstest. Das ist einfach urkomisch.
Alle Figuren, die in Leky´s Roman eine Rolle spielen, sind urkomisch, schräg und drollig, aber vor allen Dingen liebenswert.
Da wäre Selma, Mutter von Martin, Großmutter von Luise, lebenserfahren und klug. Selma hat einen immer wiederkehrenden seltsamen Traum von einem Okapi. Es bleibt jedoch nicht bei der Seltsamkeit eines Okapitraums, denn, wer träumt schon von einem Okapi. Nein, denn immer wenn Selma von ihrem Okapi träumt, stirbt ein Mensch im Dorf. Daher haben alle Dorfbewohner Angst vor Selmas Okapiträumen. Und wenn da mal wieder eins auftaucht, im Traum, dann schleichen alle in schlafwandlerischem, todvermeidungswilligen Schritten durch ihr Leben. Aber ganz ganz wichtig, nicht vergessen darauf hinzuweisen, diese Selma sieht aus wie Rudi Carell. Nein, eigentlich verhält es sich so, wie Luise es später feststellen muss, Rudi Carell sieht aus wie Selma. Er ist eigentlich nur eine Kopie von Selma.
Martin, ihr Sohn, Arzt im kleinen Westerwälder Dorf, der bei Maschke eine Psychoanalyse macht, weil er entdecken will, welcher Schmerz ihn das ganze Leben plagt. Martin, der immer allen sagt: Ihr müsst mehr Welt ins Leben lassen. Wenn man nur hier bleibt, in diesem kleinen Dorf, kann man weder was lernen noch Abenteuer erleben.
Alaska, der Hund von Martin, den er sich auf Empfehlung seines Psychiaters zugelegt hat, weil er der Schmerz sein soll, wie er sagt, den Martin entdecken soll. Daher waren auf der Suche nach einem Namen für den kleinen Welpen anfangs etwas ratlos und meinten, dann könne er ja gut *Schmerzi* heißen. Das fanden sie dann aber doch doof und nannten ihn *Alaska* wegen dem Bildband, den Martin seiner Mutter Selma zum Geburtstag geschenkt hat und weil Alaska so weit weg war, wie der Schmerz, der Martin plagte, wohl auch. Und Bildbände gab es zu jedem Geburtstag von Selma von ihrem Sohn. Ein ganzes Regal voller Bildbände über die große weite Welt schmückte Selmas Wohnzimmer.
Und da ist der Optiker, der Selma schon seit Ewigkeiten liebt, aber ihr selbst nach dem Tod ihres Mannes Heinrich, niemals gesagt hat, dass er sie liebt. Dafür sorgten die Stimmen in seinem Kopf, die ihn immer wieder scheinbar zur Vernunft brachten, dies nicht zu tun. So bleib es bei Hunderten von Briefen des Optikers an Selma, in denen er ihr endlich seine Liebe gestehen wollte, die aber meistens nicht über zwei, drei Anfangszeilen hinausgingen. Aufgehoben hat er sie alle. Und irgendwann kommen sie dann auch zum Vorschein. Der Optiker trägt stets eine Anstecknadel am Revers seines Anzuges auf dem steht: "Mitarbeiter des Monats*. obwohl er eigentlich alleine arbeitet. Er beruhigt sich in unruhigen Lebenssituationen damit, dass er sich auf seinen Hocker vor sein Perimeter setzt und schaut und schaut und erst beruhigt ist, wenn er sieht, dass alles in Ordnung ist.
Und wir Martin, der gleichaltrige Freund von Luise, mit dem sie Tag für Tag mit dem Zug in die nahe gelegene Kreisstadt zur Schule fährt und der davon träumt, später, wenn er dann erwachsen ist, mal Gewichtheber zu werden. Und zwar so ein ganz Großer, wie Wassili Alexejew, den man auch den *Kran von Schachty* nannte und der mal so eben 180 Kilo beim Reißen meisterte.
Astrid, Luises Mutter, die Blumenhändlerin des kleinen Dorfes zu erwähnen, weil die Besonderheit an ihr war, dass sie über Jahre in schlechter Gesellschaft lebte. Und zwar nicht einer Person, sondern einer Frage. Man kann sich von einer immer wiederkehrenden Frage sein Leben lang ausbeuten lassen, erfahren wir von Leky. Natürlich verrate ich Euch die Frage nicht. Doch kenne ich solche Fragen in meinem Leben auch, für deren Anworten ich manchmal Jahre brauchte.
Dann haben wir Marlies, die Lebens- und Weltverweigerin. Die niemals aus ihrem Haus heraus will. Im Norwegerpullover und Unterhose an ihrem Tischchen sitzt und außer Erbsen aus Dosen nichts ißt. Manchmal raucht sie eine lange Peer Einhundert und später, als Luise erwachsen ist und eine Ausbildung zur Buchhändlerin in einem kleinen Laden in der nahe gelegenen Kreisstadt macht, macht sie ihr sogar ein wenig das Leben sauer, in dem sie ständig kommt und sich bei Luises Chef beschwert, das Buch, dass ihr Luise empfohlen hat, war scheiße:) So herrlich.
Und natürlich Frederik. Der eigentlich aus Hessen kommt. Aber nach Japan gegangen ist um dort buddhistischer Mönch zu werden. Der nix anderes macht all die Jahre, als zu erlernen, wie man Böden putzt, sitzt und geht, wie man sät und erntet, aber vor allen Dingen wie man schweigt und meditiert. Dieser Frederik aber dann ganz plötzlich in dem gottverlassenen Westerwälder Dorf aufkreuzt und Luise mitten im Wald begegnet, einen Marsriegel kauend. Luise befindet sich gerade auf der Suche nach Alaska, der verschwunden ist und der wohl sein Herrchen, Luises Vater, der mittlerweile die Welt hereingelassen hat und sich auf weite Weltreisen begeben hat, sucht. Der steht da plötzlich mit drei anderen Mönchen in schwarzer Robe und bringt Luise ganz durcheinander. So etwas hatte sie nämlich vorher noch nie gesehen, auch wenn sie nun schon 25 Lenze zählte. Und Frederik ist auch sogleich bereitwillig Luise bei der Suche zu helfen, nicht ohne ihr bei der Suche ebenfalls einen Marsriegel anzubieten.
Um all diese und weitere hier jetzt unerwähnten Protagonisten (diese waren mir am nahesten) entwickelt sich sich dieser wunderbare Roman, den man nicht mehr aus der Hand legen kann, zu einem spannenden Abenteuer des Lebens all dieser Menschen, die alle zusammengehören, füreinander da sind, sich umsorgen und behüten und da sind, wenn man sie braucht. Es geht um Liebe, Tod und Erleuchtung.
Was ich mitgenommen habe aus diesem Roman? Dass das Leben so ist wie es ist, wie es gerade ist. Und dass man Menschen und Dinge niemals unterscheiden darf. Jeder Mensch und jedes Ding ist wie es ist. Das sage ich zu mir auch immer, wenn ich mal das Gefühl habe, andere wollen mich be- oder entwerten. Schau, hier stehe ich und bin so wie ich bin, ich kann nicht anders und schon gar nicht so, wie du, der Andere es gerne hätte.
Und was die Erleuchtung betrifft: Putze den Boden, dann ist die Erleuchtung da! Sei immer mal wieder der Wischmob für Andere, der nach Getanem weggeworfen wird, das entbindet dich von vielen Erwartungen!
Fragt Ihr Euch auch, nach vollendetem Tagewerk, am Abend dann, wenn Ihr zur Ruhe kommt: Was war eigentlich der schönste Moment meines Tages?
Ich schreibe bewusst nicht *der glücklichste Moment* Ich hab es meistens nicht so mit den Superlativen, obwohl es da natürlich einige zu erzählen gäbe. Ich weiß ja, dass Glück im Leben des Menschen ist reduziert, sei es für eine längere Zeitspanne oder gar für einen Moment. Ich bin ganz zufrieden, wenn keine Abstürze, körperlich oder seelisch, in das Wohlbefinden herein brechen oder gar irgendetwas von außen mich verunsichert.
Daher bin ich sehr zufrieden am Abend in der Reflexion auf das Gewesene des Tages mich am *schönsten Moment* festzuhalten, ihn zu erinnern und obwohl er vorbei ist, ihm noch mal tief in mir nachzuspüren.
Manchmal ist es auch so, bei mir jedenfalls, dass, wenn etwas geschieht, ich schon weiß, das ist der schönste Moment des Tages, obwohl er noch gar nicht vorbei ist. Das ist einfach so. So wie heute.
Nach einer Pflichterfüllung, dem Absolvieren meines Sportprogramms fuhr ich auf dem Rad Richtung nach Hause. Die Luft war herrlich frisch, die Sonne gar nicht so erbarmungslos heiß und mir kam spontan der Gedanke, ach was, was soll ich zuhause, da kennt mich ja Jeder. Fährst in den Park Roeschen, an deine Lieblingsstelle auf die Bank und vertiefst dich noch in dein angefangenes Büchlein.
Denn wisst ihr was? Es gibt außer dem wohligen Platz daheim auf dem Sofa oder dem Balkon noch einen weiteren *schönsten Platz* zum Lesen, und das ist die Parkbank an meiner Lieblingsstelle in meinem nahe gelegenen Stadtpark. Da sitze ich öfter. Nicht immer zum Lesen, manchmal auch nur zum Muße üben, gucken, staunen, auf mich wirken lassen, den Gedanken Raum und Zeit geben. All das eben, wozu ich früher nicht unbedingt immer die Zeit hatte.
Ein so herrlich friedlicher Ort, dieser Stadtpark. Gerade heute habe ich das wieder stark empfunden. Sitz ich da im Schatten, der leichte Wind lässt die Blätter von den Bäumen schwanken, fast schon eine vorherbstliche Stimmung. Ich weiß natürlich, dass es noch nicht so weit ist, mit dem Herbst. Es ist die lang anhaltende Trockenheit, die die Blätter schon verfrüht von den Bäumen sinken lässt. Aber das ist eben so. Daran können wir ja nichts ändern.
Das schöne Büchlein, in dem ich gerade lese, hat zum Thema den selbstbestimmten Tod dreier alter Männer, die sich von der Gesellschaft verabschiedet haben und sich in einem Wald drei Hütten gebaut haben. Aber vom Buch will ich gar nicht erzählen. Vielleicht, wenn ich es zu Ende gelesen habe.
Dennoch kann ich natürlich nicht verhehlen, dass, wenn ich das Büchlein für eine kurze Zeit vor mir sinken ließ, mir eigene Gedanken um meine Vergänglichkeit, dem Älterwerden und dem sich Abfinden damit, dass ich auf den Tod zuschreite, durch den Kopf gehen. Das machte mir heute keine Angst. überhaupt nicht. Es gibt natürlich schon Momente im Leben, Alltag, Tagesverlauf, wo mich der Gedanke noch ein wenig schreckt. Ich bin noch nicht soweit wohl, für immer keine Angst zu haben vor dem Unausweichlichen. Aber wie alle Entwicklungs- und Erkenntnisprozesse, geht es Schritt für Schritt und eh man sich versieht, oft unbemerkt, ist man soweit.
Entspannend ist es auch, so einfach dem Treiben um mich herum, dass heute recht spärlich daher kam, zuzusehen. Den Radlern die an mir vorbei fuhren, wohin auch immer, zur Arbeit, nach Hause, einfach so in der Gegend herum oder zu anderen Terminen. Die anderen Menschen wahrzunehmen, die ebenfalls über das Glück verfügten, so wie ich, zu diesem Zeitpunkt auf einer Parkbank sitzen zu dürfen oder denen, die mit ihren Hunden oder ihren Kindern, seien es welche, die noch nicht lange auf ihren eigenen Beinen durch die Welt spazieren oder im Kinderwagen gefahren werden.
Ich finde das so schön, so friedlich, diesen Menschen dann zuzusehen, wie sie ohne Hetze da herumwandeln.
Als ich mich gerade wieder für einige Seiten in mein Büchlein vertieft hatte, die Umwelt fast ganz vergessen, hörte ich schon wie sich Schritte auf meine Parkbank zu näherten. Ich blickte hoch und sah ein junges Ehepaar mit einem Kinderwagen. Das Kind war gar nicht mehr so klein oder so jung. Ich kann mich natürlich auch täuschen. Vielleicht war es einfach nur schon so groß für sein Alter. Es sah auf jeden Fall sehr fröhlich aus. Das Kind. Da in seinem Kinderwagen. Wie es da so thronte und von ihrem Vater geschoben wurde. Die Eltern, sahen auch ganz fröhlich aus, fast schon glücklich. Also, das ist auf jeden Fall eine glückliche Zeit, denke ich, wenn mit seinem Kind um diese Zeit durch einen friedlichen Park spazieren gegangen werden kann, keine Sorgen und Nöte irgendwas das kleine Familienglück belasten und sich ganz dem Moment des Miteinanders hingegeben werden kann.
Der Vater ulkte und spaßte mit dem kleinen Mädchen, ja es war ein Mädchen, dass es nur so gluckste vor Freude. So schön. Er redete jedoch in einer Sprache, die ich nicht verstand. Ich machte mir auch nicht weiter Gedanken über ihre Nationalität oder ihrem Kulturkreis, in dem sie beheimatet waren. Das ist nicht wichtig für mich. Vielmehr erfreute ich mich an ihrer Art wie sie miteinander umgingen und wie dem kleinen Mädchen sichtbar alle Liebe ihrer Eltern zuteil wurde. Als sie auf meiner Höhe waren, fing der Papa gar an zu singen. Laut und deutlich. Ohne Scheu, sang er seiner kleinen Tochter ein Lied vor. Das Lied kannte ich sogar. Aus früheren Zeiten. Aus einem Film mit Doris Day. Ich konnt gar nix mehr denken in dem Moment. Doch, doch den einen Gedanken hatte ich, so junge Leuts und kennen dieses Lied. Vielleicht ist es jedoch gar nicht so ungewöhnlich, weil es ein Lied ist, dass zeitlos ist und dass jeder irgendwann in seinem Leben einmal zu hören bekommt, wo auch immer.
Es handelte sich um den hübschen Song* Que sera sera. Es war so schön, so unbeschreiblich schön, wie der Vater seinem kleinen Töchterlein dieses Lied vorsang. Ich hatte regelrecht eine kleine Gänsehaut vom Mitfreuen und ich sags ehrlich, auch wenn das der ein oder andere jetzt überhaupt nicht versteht oder gar denkt, hm..bisserl übertrieben, aber es war so, mir wurde so was von warm ums Herz. Es war ein absolut schöner Moment, diese Begebenheit, die ich da miterleben durfte. Und die Freude der Eltern sprang auch auf mich über, durchdrang mich und ich lachte stillvergnügt vor mich hin, den Dreien noch noch mitsummend nachblickend.
Wahrscheinlich ist dem Vater dieser Song eingefallen, weil das Töchterlein ihn vorher mit Fragen die mit "wann wird das sein und was kommt dann* bombardiert hatte. Ich kenne das ja von meinen Kindern, als sie in dem Alter waren. Und schwups fiel dem Vater das Lied ein. Das kenne ich auch. Wenn irgendwo, irgendwas gesagt wird, erinnert mich das manchmal auch an einen Song, der genau das Thema zum Inhalt hat, worüber geredet oder wonach gefragt wurde. Ich bin son Typ.
Und worum geht es in dem Song? Da erinnert sich eine Frau daran, wie sie als kleines Mädchen ihre Mutter nach der Zukunft fragte, die sie einmal haben wird und was die Mutter darauf antwortet. Aber hört selbst:
Alle fragen nach der Zukunft. Große und kleine Menschen. Sei es bezüglich ihres eigenen kleinen Lebens oder dem großen gesellschaftlichen und politischen Werdegang in der Welt. Jedenfalls ab und an gehen die Gedanken durch den Kopf. Am Ende ist es wirklich besser zu der Erkenntnis zu gelangen, die in dem Lied auch aufgezeigt wird. Wir wissen es nicht. Es kann nur ein *Heute* geben. Und jeder Tag ist ein neues *Heute* Und Tag für Tag entwickelt sich alles, man selber, das Leben, das man lebt und die große weite Welt. So ist es. Mehr nicht.
Lassen wir uns also nicht unterkriegen von Unheilsprophezeiungen. Tun wir, was wir tun können und leben unser Leben, unseren kleinen Alltag, mit dem was uns wichtig und lieb ist.
Ach, es war richtig schade, dass die Drei so langsam entschwanden. Ich hätte dem Vater noch gern ein wenig zugehört. Nun hab ich jedoch den Ohrwurm behalten und das Geschenk des *schönsten Moment* meines Tages. Das war er und ist er auch geblieben. Den hab ich meinen geneigten Leser jetzt erzählt. Und vor dem Einschlafen heute Abend werd ich bestimmt ganz still vor mich hin singen.
Früher war es ja so...Ärzte wurden als Halbgötter in weiß betrachtet. Wenn einer redete, dann waren sie es. Wenn man Glück hatte, kam man auch mal zu Wort und durfte Fragen stellen. Worauf als Antwort sogleich ein medizinischer Vortrag kam. Da verstand man dann gar nix mehr und war so schlau wie vorher. Man saß da, schaut den Halbgott an, nickte, nahm sein Rezept und die Diagnose demütig entgegen, um in die nächste Apotheke zu eilen, damit die empfohlene Medikation schnellst möglich zur Hand war. Das wars dann. Interessiert haben sich Ärzte zumeist nicht, welcher Mensch da vor ihm saß. Keine Zeit. Kein Interesse. Oder einfach so in ihrem medizinischen Denken und Praxisabläufen involviert, dass darüberhinaus gar kein Platz für den Menschen war. Diagnose! Diagnose zählte und das wars dann auch. Naja, immerhin. Ist ja nun auch wichtig. Wenn ich zum Arzt gehe, will ich schließlich wissen, was mir fehlt. Und das mit den Diagnosen ist ja auch nicht immer so einfach.
Jedenfalls...mir ist es beim Arztbesuch auch wichtig, dass ich, wenn ich schon mal da bin, auch angesehen werde. Also angesehen werden im Sinne von...welcher Mensch sitzt da vor mir, was führt ihn zu mir, welche Beschwerden hat er und wie kann ich ihm helfen. Ich kann mich auch nicht groß beklagen eigentlich. Der Arzt, mein Hausarzt, der mir der Wichtigste ist, ist perfekt. Er hat Zeit, er hat mich in all den Jahren kennen lernen dürfen, er weiß Bescheid über alle Diagnosen gewesener Krankheitsabläufe und was mich sonst auch so beschwert. Denn, das kann ja nun nicht geleugnet werden, Psyche, Seele, wie auch immer stehen im Zusammenhang mit den körperlichen Gebrechen. Oft muss der Körper sprechen, weil der Mensch nicht hinguckt, was ihm sonst außer dem Schmerz, der ihm zu schaffen macht, noch so in seiner Lebenssituation zu schaffen macht. Ist es doch so, dass der Mensch in seinem Hamsterrad kreist und nicht sieht, was dieses mit ihm macht.
Also, es ist schon gut, wenn der Hausarzt wirklich der Arzt des Vertrauens ist, da kann man bei den Fachärzten für bestimmte Bereiche schon mal ein Auge zu drücken, wenn man nicht angesehen wird und es schnell husch husch gehen soll oder muss.
So einen Facharztbesuch hatte ich vor ein paar Tagen. War schon lange angemeldet, genauer gesagt, seit einem halben Jahr vorgemerkt.
Ein Augenarzt. Vor einem halben Jahr stellte er die Drohung in den Raum wegen eines festgestellten Grauen Stars, scheint häufig vorzukommen beim älter werden, stehe möglicherweise eine OP ins Haus. Oha! Das hat mich schon tüchtig erschreckt. Augenlicht. Ohweia...Da kriecht schon mal die Angst in einem hoch. Ich weiß da ja bescheid aus meinen Betreuungen blinder Menschen. Um das, was es mit dem Menschen macht. Ehrlich...eine kleine Angst webte da schon in mir. Jetzt gibts ja Leuts, die sagen einem immer, wenn du vor was Angst hast, brauchste doch nicht. Angst haben. Ich find das blöd. Ehrlich. Schon als Kind wurde mir immer gesagt, wenn ein Alp mich nachts hoch schreckte oder irgendwas im Raum stand, wovor kleine Ängste hoch stiegen, dann kam immer von den Erwachsenen...du brauchst oder musst keine Angst haben. Hatte ich aber. Ist so. Was soll denn auch der Kwatsch. Ein Mensch, der vor nichts Angst hat, ist mir jedenfalls nicht geheuer. Neulich, ich weiß es nicht mehr, in einem Film oder einem Buch, hörte ich den Satz: Nur, wer auf alles verzichten kann, hat vor nichts mehr Angst. Und das wissen wir doch, Verzicht muss geübt werden, am Ende eben auch auf das eigene Leben. Aber dahin muss man erst mal kommen.
Egal, ich schweife ab. Wie so oft. Der Augenarzt. Ich hatte Termin. Wie immer gab es dennoch eine Wartezeit. Ist nicht schlimm für mich. Notfälle kann es schließlich geben. Zudem musste wegen der Untersuchung der Netzhaut ja auch ein drei maliges Träufeln einer Flüssigkeit in die Augen vorgenommen werden. Das dauert halt. Schließlich war es dann aber soweit.
Ich wurde ins Sprechzimmer gerufen. Da saß er, der Halbgott in weiß für das Augenlicht. Vor seinem Computer und studierte. Was weiß ich. Die Daten des Patienten, der vor mir war oder meine. Keine Ahnung. Er studierte jedenfalls. Er hat nicht mal Morgen gesagt. Jedenfalls ich hab nix gehört. Ich hab ihn angeschaut, bin an ihm vorbei zum Untersuchungsstuhl und habe beiläufig *hallo* gesagt. Kam immer noch keine Antwort. Er blieb weiter vertieft in seinen Studien vor seinem PC.
Na ja, war mir jetzt auch wurscht. Ich wusste eh, was kam und setzte mich bequem auf den Stuhl. Plötzlich aber sagte er was. Oha. Er sagte was, aber ohne mich anzuschauen. Hätt ich nun gar nicht mit gerechnet. Er fragte: Alles gut? Ich war völlig geschockt von dieser plötzlichen Frage. Gefasst und munter zugleich, wie es so meine Art ist, hatte ich die Antwort aber direkt parat: Ich sagte: Es ist nicht immer alles gut! Tja, ist doch so. Mehr wollte ich auch gar nicht zum Ausdruck bringen. Also jetzt nicht jammern oder heulen, was bei mir gerade nicht gut lief. Das war hier bei ihm ja nun nicht der richtige Ort. Ich weiß schon, wo was hingehört. Aber immerhin, immerhin hatte ich mit meiner Antwort etwas erreicht. Er drehte sich spontan von seinem PC weg und schaute mich an. Und...er lächelte. Kam sicher nicht so oft vor, dass er solche Antworten bekam. Ich freute mich. Wir verstanden uns, merkte ich,
Als er zur Untersuchung herüber zu mir kam sagte er dann, ja sie müssen eigentlich immer eine Brille tragen. Och, erwiderte ich, mach ich nur wenns nötig ist. Ich kann schon noch ganz gut über die Strasse gehen. Beim Autofahren zieh ich sie ja auf, beim Radeln auch, wenns nötig ist. Ich sage das vorweg, ich weigere mich nicht, sie immer zu tragen wegen der Eitelkeit. Es verhält sich eher so, dass ich sie nicht gut vertragen kann auf der Nase. Wie Handschuhe, wenn es kalt ist oder einen Schirm, wenn es regnet. Ja so ist das. Und es ist ja so, sagte ich ihm: Ich muss ja nicht alle sehen. Hihi , ich hatte ihn schon wieder aus der Reserve gelockt mit dieser Antwort. Er schmunzelte. Sagte aber nix. Wir verstanden uns eben.
Die Untersuchung folgte und ich konnte Aufatmen. Ne, eine OP sah er jedenfalls jetzt nach einer halbjährigen Überprüfung doch nicht für nötig an. Dem Himmel sei Dank. Sagte ich ihm auch. Da bin ich aber froh. Verstehe er, eine OP, wie auch immer, birgt immer Risiken und was nicht muss, das muss ja auch nicht. Herrlich, so eine erlösende Nachricht.
Wir prüfen das weiter. In einem halben Jahr, sagte er. Ob mir der so und so vielste Januar 2020 recht wäre. Klar, sagte ich, ich komme, falls ich dann noch lebe. Und wie schon zuvor bei meinen vorherigen unverhofften beiden Antworten schnellte sein Kopf wieder zu mir herüber, weg vom PC und schaute mich an und...was denkt man...sein Lächeln sagte mir wieder...recht hat sie ja. Wir verstanden uns eben auch ohne viel Erklärungen ob des Gesagten. Es kann doch so viel passieren in einem halben Jahr, ach was rede ich, selbst an einem einzigen Tag. Das will ich jetzt hier aber nicht weiter philosophieren.
Ich wollte einfach nur erzählen, wie es gelingen kann, einen Halbgott in weiß auch mal aus der Reserve zu locken und am Ende zum Fazit zu kommen, der ist eigentlich ganz sympathisch und ich fühl mich hier gut aufgehoben. Und was wichtig ist, kommuniziert er ja auch und dann, wenn ich nachfrage, bekomme ich auch Antworten, die ich verstehe.
Zu Hause musste ich noch lange nachsinnen ob meiner Begegnung mit ihm und vor mich hinschmunzeln. Mein Hausarzt des Vertrauens sagte einmal zu mir, Roeschen, Roeschen, manchmal haben die Menschen Angst vor Dir. Vor Dir und Deinen unerwarteten Sätzen, die so plötzlich aus dir herausschießen und mit denen Niemand gerechnet hat und über die man schon auch nachdenken könnte, wenn man wöllte:)
Übrigens, ich hab dann auch mal zu Halbgöttern in weiß gegoogelt und nachgeforscht. Es ist schon lange nicht mehr so, dass sie so angesehen werden. Bei einer statistischen Umfrage ist herausgekommen, dass nur noch 7 von 10 Menschen, sie als solche betrachten. Es ist auch nicht mehr in Stein gemeißelt, was ein Arzt dem Menschen sagt. Überwiegend holen sich Patienten heute eine zweite Meinung. Sie sind selbstbewusster geworden und lt. Studienergebnis sehen sich 60% der Befragten auf Augenhöhe mit ihren Ärzten. Es herrscht kein blindes Vertrauen mehr in *eine* Meinung. Patienten können heute ihre Daten, Laborberichte, Befunde und Diagnosen, sammeln und Zugriff auf sie haben. Das Internet ermöglicht auch, sich weitergehend zu informieren. Das ist besonders wichtig dann, wenn Diagnosen nicht so ohne weiteres gefunden werden. Wie ich las, gibt es in Deutschland rund 4. Mio. Menschen die unter 8000 seltenen Erkrankungen leiden. Diese Menschen machen oft eine lange Tortur durch, bis sie endlich die richtige Diagnose bekommen. Das bedeutet aber nicht, dass die Ärzte inkompetent sind, sondern das sie unzureichend informiert sind.
Nein, die Zeit der Halbgötter in weiß ist abgelaufen. Eine andere Zeit hat sie abgelöst. Eine Zeit, in der Arzt und Patient sich selbstbewusst gegenübertreten und wenn es gelingt, ein Vertrauensverhältnis aufbauen, der für Beide wichtig ist, um dem Übel, von dem der Patienten befallen ist, auf die Spur zu kommen und es richtig behandeln zu können.
Ich wünsche allen meinen geneigten Lesern gute Ärzte, wenn sie sie denn mal brauchen. Ärzte, denen sie vertrauen können.
Mal wieder mit einem Seufzer ein Büchlein zur Seite legen müssen. Hach...Julian Barnes, einer meiner Lieblingsautoren hat eine Liebesgeschichte geschrieben. Über die Liebe wurde mannigfaltig geschrieben und gefachsimpelt. Große Werke, die man nicht missen möchte. Ich könnt sie gar nicht alle aufzählen.
Was wären wir ohne die Liebesfähigkeit, obwohl sie uns doch immer wieder Kummer bereiten kann. Julian Barnes sagt in seinem Buch, die Liebe endet immer mit einer Katastrophe, egal ob sie hält oder sie auseinanderbricht. Wenn sie hält, können so viele Faktoren geschehen, die uns auf die Probe stellen und sie einfach zur Qual machen, weil sie nicht losgelassen werden kann... die Liebe, den, die oder das, was geliebt wird.
Manchmal liebt man den/die/das Falsche. Das endet dann in einer Katastrophe. Vielleicht ist es mit der Liebe zu Dingen, die man gerne tut, einfacher. Sie verlassen einen nicht, höchstens du selber kannst sie verlassen. Manche Menschen sträuben sich auch davor zu lieben. Wegen der Angst vor dem Unheil, das sie bringen könnte. Andere wiederum sind schnell dabei mit der Liebe. Sie können Dinge lieben, die sie tun und sich so zu einem Gefangenen machen, der keinen Ausweg mehr sieht, aus diesem auszubrechen und sich auch anderen Dingen zuzuwenden. Sie können sogar Menschen lieben, die sie gar nicht kennen, einfach nur ob ihrer klugen Worte wegen und sie dabei nicht doof sind. Denn es stimmt ja auch irgendwie. Es gibt Menschen, die sind sehr gebildet. Aber was nützt es, wenn sie schlau sind, wenn sie doch doof sind. Sie können die Literatur, die Kunst, die Musik lieben, deren Erschaffer sie ja auch nicht persönlich kannten oder kennen, aber all das für sie so lebenswichtig geworden ist und ihrem Leben einen Sinn und eine Fülle geschenkt hat.
Wenn der Mensch älter wird, blickt er manchmal, falls er allein geblieben ist, zurück, auf die Liebe oder gar mehrere Lieben, die ihm in seinem Leben Bedeutung verliehen haben. Und erst in der Rückschau begreift er mehr und mehr, wieso er den/die oder das geliebt hat. Da scheinen sich alle Summen der Attribute, was der-die-das jenige gewesen ist zusammenzufügen und ein ganzes Bild abzugeben.
Julian Barnes sagt nicht zu Unrecht, das denke ich mir jedenfalls auch, jeder Mensch hat einmal in seinem Leben eine große Liebesgeschichte vorzuweisen. Und von einer dieser großen Liebesgeschichten, wie sie zwischen Mann und Frau entsteht, erzählt er uns seinem Buch "Die einzige Geschichte*.
Die Geschichte beginnt mit einer Frage:
Würden Sie lieber mehr lieben und dafür mehr leiden oder weniger lieben und weniger leiden? Das ist, glaube ich, am Ende die einzig wahre Frage. Manchmal kann der Mensch sich nicht mal aussuchen, wen, wie oder was er liebt. Es passiert einfach und dann ist es, als wenn du aus der Realität und aus deiner Vernunft herausgeworfen bist.
Julian Barnes Liebesgeschichte ist ungewöhnlich. Ungewöhnlich deswegen, weil sie einen großen Altersunterschied zwischen den Liebenden aufweist. Sie beginnt in einem Tennisclub, in einem gutsituierten und wohlhabenden Viertel Englands vor gut 50 Jahren. Paul ist 19 Jahre jung und begegnet dort seiner großen Liebe, Susan, die fast 30 Jahre älter ist.
Heute ist es nicht ungewöhnlich, dass es Beziehungen gibt, wo der Partner, 10, 15 Jahre jünger ist. Ist es die Frau, scheint das weniger Probleme zu bergen, ist es der Mann und die Frau die Ältere, wage ich als Frau zu sagen, dass es problematischer ist, denn die Frau knabbert eher am Verlust der Attraktivität, der Angst wegen einer Jüngeren irgendwann verlassen zu werden oder gar vielleicht den Anforderungen in der Beziehung, die ein jüngerer Mann naturgemäß stellt, nicht mehr standhalten zu können. Eine solche Beziehung mit großem Altersunterschied zwischen den Liebenden kann nur bestehen, wenn Beide das akzeptieren und darüber hinweg kommen, nein, mehr noch, wenn es ihnen nicht wichtig ist und am Ende vielleicht nur noch zählt, dass jeder beim anderen Zuhause ist und sein will und sich gar nicht mehr umschaut, und all das, was sonst noch an Begehrlichkeiten in ihm webt, losgelassen werden kann. Ich schreibe das, nicht, weil ich es selber einmal erlebt habe. Jedoch kannte ich einen Fall im Freundeskreis, wo die Frau 14 Jahre älter war als ihr Mann und ich habe über die Jahre ihres Älterwerdens beobachtet und oft von ihr erzählt bekommen, wie sehr sie unter all dem *nicht mehr* ihres Seins leidet und wie sehr das ihre Beziehung belastet hat. Dennoch hat sie gehalten, diese Liebe. Aber ich glaube, dass ist eher selten.
Paul jedenfalls, so jung, seine Zukunft noch vor sich, verliebt sich in Susan, die mit Gordon verheiratet ist, der trinkt und sie manchmal schlägt. Es entwickelt sich vorsichtig, aber dann ist sie da, diese tiefe und liebende Verbundenheit der Beiden. Susans Mann Gordon verachtet seine Frau, wird auch handgreiflich Paul gegenüber, der so oft wie möglich in bei Susan in deren Haus übernachtet, in dem die Beiden alles miteinander tun, solange Paul noch bei der Arbeit weilt, was Liebende zu tun pflegen.
Wenn man auf die Idee kommen sollte, vielleicht ist es eine Art Beziehung, wie sie oft in französischen Romanen erzählt wird, junger Mann wird von älterer reifer Dame in die Kunst der Liebe eingeführt, dann hat man weit gefehlt. In diesem Falle sind Beide unerfahren. Susan hat bis zu ihrer Heirat mit Gordon keine großen Erfahrungen gemacht und von ihrem Mann Gordon wird sie sogar als *frigide* bezeichnet und Paul ist eben einfach noch zu jung und die Zeit, in der Beide leben zu moralistisch, anständig und verklemmt. Die große Befreiung von all dem steht erst vor der Tür. Und es ist erfrischend zu lesen, dass den Beiden an großer Erfahrung, gutem oder schlechtem Sex gar nicht gelegen ist. Sie haben ihn einfach. Eine Sexualität die wohl eher dem biblischem Kern des *sich Erkennens* entspricht. Und das genügt ihnen, sie sind glücklich damit.
Und sie sind auch in jeder anderen Beziehung glücklich miteinander. Susan, die eher wortkarg ist, Paul der so viele Fragen hat. Sie haben unendlich viele Gemeinsamkeiten, denen sie sich zuwenden können, ohne dass viel darüber geredet werden muß. Das Miteinander mit und an allem macht sie allein glückselig. Es braucht ja auch nicht viel Worte um gemeinsam das, was Beide lieben, zu genießen, wenn jeder weiß, wie es um die Gefühle des anderen steht, was er empfindet.
Paul jedenfalls läßt sich nicht vom Zweifel beirren, seine Zukunft mit einer fast 30 Jahre älteren Frau zu verbringen, sie mit ihr zu leben. Er möchte immer mit und bei ihr sein. Als es wieder einmal zu Handgreiflichkeiten zwischen ihm und Susans Mann Gordon kommt und er erfährt, dass er auch Susan übel zugerichtet hat, fliehen die Beiden in die Großstadt nach London. Dort erwerben sie ein Haus, leben, erleben gemeinsam in Pauls freier Zeit, während er tagsüber seinem Jurastudium nachgeht. Susan bleibt allein.
Es ist nicht nur das Herausgeworfensein aus ihrem Umfeld oder das Alleinsein, das das Unheil nahen läßt. Denn, es kommt zu einer Katastrophe. Susan beginnt zu trinken, wird depressiv, muss Psychopharmaka nehmen und Paul steht dem allen hilflos gegenüber. Er möchte, dass alles wieder so wird, wie es zu anfangs war, er möchte seine Susan wieder glücklich sehen, er möchte ihr helfen, von der Alkoholsucht frei zu werden. Aber wie so oft in Liebesgeschichten, reicht die Liebe des Anderen nicht aus, um das zu erreichen, was dem Anderen besser täte. Es gibt einfach Dinge, die sitzen tief im Menschen und wenn du sie nicht selber bewältigen kannst, bist du verloren, ob du nun geliebt oder ungeliebt bist. Der Mensch kann sich nur selber retten. Denke ich jedenfalls. Natürlich kann es Hilfszuweisungen, Ratschläge (obwohl in diesem Wort ja auch das Wort Schläge steckt und ich immer etwas unsicher ob dieser wohlgemeinten Ratschäge bin) oder aufgewiesene Perspketiven geben, dennoch, wenn der eigene Wille nicht da ist, gesund zu werden, vielleicht auch die Kraft dazu nicht da ist, bleibt alle Liebesmüh vergebens. Da zeigt sich die Liebe eher darin, zu bleiben, auch wenn es schwer ist. Doch das darf auch nicht zur Selbstaufgabe führen. Es darf auch gegangen werden oder? Manchmal kann das Loslassen ja eher Hilfe sein, als das das Gegenteil und der Mensch hat erst dann die Möglichkeit, aufzuwachen und sich zu befreien. Wer aber bedenkt das schon so. So mancher denkt, das Leben der Anderen hinge von ihm ab.
In einer Rezension im Spiegel wird etwas kritisiert, warum jetzt Julian Barnes den psychischen und körperlichen Verfall von Susan nicht näher betrachtet, die Gründe dem Leser erschließt. Man hätte es gern erfahren, sagt der Kritiker, der das Buch insgesamt jedoch sehr lobt. Wie kann man ein Buch von Julian Barnes auch nicht loben. Das kann ich mir gar nicht vorstellen, die ich eingie von ihm gelesen habe. Verstanden hab ich diese Kritik nicht. Sie muß wohl ein Mann geschrieben haben, denn als Frau weiß man bescheid. Man kann sich die inneren Qualen von Susan lebhaft vorstellen, wenn Einfühlungsvermögen vorhanden ist. Beim Lesen hab ich immer alle Antworten gegeben, wenn Fragen diesbezüglich gestellt wurden, nach Ursachen geforscht wurde. Paul war in dieser Beziehung einfach blind. Ich weiß es nicht. Oder seine Liebe war einfach so groß, dass er sich einfach nicht vorstellen konnte, dass seine geliebte Susan an all dem, was ich oben beschrieb litt. Am Alleinsein, am Älterwerden, am Verlust ihrer Attraktivität, der Angst ihn zu verlieren. Und wir wissen ja, manchmal reicht allein Verdrängung aus, um gewissen Belastungen auszuweichen. Wenn das jedoch nicht mehr hilft, dann kommt halt der Alkohol ins Spiel oder andere Drogen, die einen vergessen lassen, was einen quält.
Und natürlich geht es auch um Schuld. Die Frage, die sich Paul immer wieder stellt. Warum konnte er Susan nicht retten. Warum, denn das wird er, verläßt er sie am Ende?
Paul bleibt nach all dem, was passieren wird und wie sein Leben ohne Susan weitergeht, allein. Man sprach über ihn von einem Mann: "Ach, der ist gern für sich". Das ist für den Engländer nicht schwer zu verstehen, denn für ihn ist sein Haus ja eine Burg. Paul ging es aber um mehr. Um sein Ich und wo und wie man es aufbewahrte und wer, wenn überhaupt jemand, es voll und ganz sehen durfte. Das kann ich nachvollziehen und verstehe es. Ich glaub, ich seufzte am Ende auch ein wenig, weil ich auch so ein ganz klein wenig Paul in mir drin habe:)
Julian Barnes erzählt eine anfangs anrührende Liebesgeschichte, die jedoch mehr und mehr verwundet und zerstört wird. Nicht durch das Außen, sondern durch die Dinge des eigenen Seins. Es gibt verschiedene Erzählperspektiven im Büchlein und immer wieder philosophiert Barnes zwischendurch über die Liebe an sich oder das menschliche Miteinander, den gesellschaftlichen Konventionen, an die man sich in jeder Zeit gebunden fühlt. Wie immer ist es ein Buch voller Herausforderung zum eigenen Nachdenken und am Ende, weil die Geschichte dichter und dichter wird zwischen den Beiden legt man das Buch seufzend beiseite. So ist es.
Dieses Jahr wird es ein Jahr der alten Musiker. Am vergangenen Sonntag habe ich den Anfang mit Georg Ringswandl, der im letzten Jahr seinen 70.ten Geburtstag vollendet hat und m.E. nichts von seinem Charme und seinem Talent eingebüßt hat sein Publikum mit launigen Erzählungen und einer Formation excellenter Musiker einen vergnüglichen Abend zu bescheren. So wunderbar gemütlich, das es eigentlich kein Ende nehmen soll.
In Folge werd ich noch in diesem Jahr John Fogerty, der dieses Jahr schon 74 Lenze zählen wird, auf den ich mich ebenfalls wie jeck freue und natürlich legendär Nick Mason, dem Schlagzeuger der legendären Floyds, der im Januar nun schon 75 Jahre auf dem Buckel hat. Musikalisch zwar breit gefächert sind mir die alten Herren in ihrer Musikleidenschaft immer noch die Liebsten. Ist so.
Aber nun zum Georg, dem Ringswandel. Hatte mich am Nachmittag bei sonnigem Wetter mit meinem Rad aufgemacht. Bisserl herumschlendern auf zwei Rädern war meine Intention. Sonntags sind in einer Großstadt wie Köln immer drölfhundert Leuts überall wo du hinkommst zu finden. Das Rheinufer ist pickepackevoll und radeln heißt hier, Ausweichmanöver vom Feinsten, das mache ich gern hin- und wieder. Zwischendurch mal ein Bänkchen, auf dem ich sitzend dem Treiben der Vielfalt des Menschenzoos zuschauen kann. Ich sags aber gleich im voraus, nach so einem Happening bin ich dann aber auch wieder heilfroh in meine kleine Stille zurückkehren zu können. Genug ist genug.
Ab Dom bin ich durch die Innenstadt dann um zum Veranstaltungsort, dem Gloria. Auch hier Menschenrudel in Fülle. Ich fragte mich, was machen Leuts an einem sonnigen Nachmittag in einer Geschäftsstrase spazierend, wenn man nicht wie ich einfach nur zu einem bestimmten Ort finden muß. Tristesse ohne Ende, war mein Gedanke, an Geschäften, in denen dargeboten wird, was man nicht braucht, vorbeizuschlendern. Habe mein Rad, weil ich dann doch noch zu früh war, wie immer, in der Apostelstrasse abgestellt, um zu Fuß ein wenig das Umfeld zu begutachten. Es gibt schon auch noch kleine Geschäfte, bei denen es Spaß macht, mal stehenzubleiben, entdeckte ich dann. Eines, in dem es nur alles was mit Kämmen und Haarpflege und Rasiererei zu tun hat, oder einen Schumacher, bei dem man noch Schuhe nach Maß anfertigen lassen kann. Meine Nase aber festgedrückt an der Schaufensterscheibe hatte ich an einem Geschäft für kleinere und größere Kunstartikel. Dort schauten mir zwei wunderbare Schachbretter nebst Figuren aus wohl Metallmaterialien entgegen. Schach..eine Leidenschaft von mir.
An einem Kiosk kaufte ich mir eine Flasche Wasser und belauschte ein Gespräch zwischen dem Kioskbesitzer und einer jüngeren Frau. Es ging um wohl um Anspannung, Druck und Standhalten bei der Arbeit. Als die Frau sich verabschiedete und ich an der Reihe war, meinte ich zu ihm, sie machen hier wohl auch auf Lebensberatung in ihrem Kiosk. Er lachte, ja, das bleibt manchmal nicht aus. Menschen kommen, sind allein und wollen mal was loswerden. Ist ja wie beim Friseur, lachte ich zurück. Aber dann gings los.
Vor dem Gloria überlegte ich, wie lange ich in dieser Location nicht mehr gewesen bin. Mein letztes Konzert, dass ich dort sah, war Rufus Wainwright, das muss fast 15 Jahre her sein. Ich war dort mit meiner pubertierenden Tochter. Ein Konzert, dass mir ewig in Erinnerung bleiben wird. Dann gabs später nochmal eine Humba-Party in der närrischen Zeit, bei denen ich eine Zeit lang mein Vergnügen suchte, ausserhalb des mainstreamigen Karnevalsgetriebe und auf denen immer mächtig Stimmugn war, aber anders wie mit biervollgelaufenen Anmachpartytypen- und typinnen.
Beim Einlaß standen schon ne Menge Leuts. Durchschnittsalter zwischen 50 und 70. Das hatte ich so auch noch nie erlebt. Zumeist ist das Publikum doch sehr gemischt, auch bei den alten Haudegen des Musikgeschäftes sind immer viele junge Liebhaber zu finden. Vielleicht ist der Georg da dann doch zu speziell. Leider bin ich nie in die Gelegenheit gekommen, ihn mal in seinen jüngeren Jahren zu bestaunen und ihm zuzuhören bei Live-Auftritten. Ich hab das immer ein wenig bedauert, dieser Enfant-terrible-Energie nicht habe beiwohnen zu dürfen. Kannte es nur aus Mitschnitten von früheren Konzerten. Und wie sagt er so schön, es muß bei seinen Auftritten immer eine exessive Gaudi drin sein, die manchmal auch ein wenig an den Irrsinn heranreicht, einfach schräg halt. Das liebe ich. Nichts ist so wahr, was in einem Irrsinn des Menschen herauskommt. Und das hat er wohl auch auf der Bühne ausgelebt. Ein totaler Gegensatz zu seinem eigentlichen Beruf, in dem er nebenher gearbeitet hat. Und der über eine große Verantwortung zeugte als Kardiologe. Den Gesprächen seiner Kollegen nach zu urteilen, war er kein einfacher Mensch, aber ein großartiger Arzt. Aber was solls. Nicht einfache Menschen sind mir auch die liebsten, auf der Bühne und im Leben. Da hats in Begegnungen Reibungsflächen und gegenseitige Lerneffekte. Jasager gibts in Übermaß. Wie langweilig.
Dann die Überraschung. Es gab einen bestuhlten Raum. Oha...Sitzen beim *Wuide unterwegs*, denn so hieß sein Programm. Egal, dann ist das eben so, aufstehen geht ja immer. Noch fast eine Stunde bis zum Beginn des Konzertes. Sitze in der ersten Reihe, in die sich nur Wenige getraut haben. Erste Reihe muss sein, wenns irgendwie geht. Ein Ehepaar mit ihrer Tochter traut sich. Vater und Tochter begeben sich in die zweite Reihe, die Mutter setzt sich neben mich, was zu einem netten Gespräch zwischen uns Beiden führt. Sie kommt mit ihrem Mann aus Dresden. Hat ihm die Karte zu Weihnachten gesteckt, nachdem sie ihn dort einmal gesehen und ganz begeistert waren. Es hat sich angeboten, da die Tochter in Köln lebt. Wie so immer, erfahre ich einige privaten Dinge von ihr, dass sie z.B. eine Segeljolle besitzen, mit der sie auf der Elbe herumschippern, und davon soll es nicht viele geben, da man die Strömungen in der Elbe fürchtet. 8 Meter lang, die Jolle mit Kajüte, in der sie sich mit ihrem Mann den Sommer über vergnügt. Erzähle ihr, dass ich im kommenden Sommer den Elbe-Radweg entlang fahre, bis nach Dresden. Vielleicht gibts dort ein Wiedershen. So kanns gehen.
Dann kommt er mit seinen Musikern. Im grauen Anzug mit Hut spaziert er wackelig auf die Bühne hin zu seiner Zitter. Die Zitter hat ihm die Tante vererbt, wie er später erzählt. Die Arme. Verstorben. Vergiftet. In den USA. War bei einer Sekte. Und wegen des jüngsten Gerichts wollten sie vorgreifen. Mit Gift eben. Doch das ist gar nicht gekommen. Das jüngste Gericht. Son mist aber auch. Nun denn tot bleibt tot. Irgendwann hatte der Herr Papa nen Anruf bekommen, aus den USA wegen Geld zur Überführung des Restes der Leiche. War nicht mehr alles von da. Die lebten auf einem Berg. Die Sekte. Da kreisten die Geier. Son Oberschenkelknochen war schon wech. Den Rest wollte er nun auch nicht. Der Papa. Kein Geld, keine Tante. Aber die Zitter, die ist ihm geblieben. Nun bespielt er sie. Und so schön. Andacht und Randau heißt übrigens sein letztes Album. Und so wird auch der Abend. Mal geht es fetzig, mal heiter-besinnlich zu.
Ein bisschen ist sein Auftritt wie ein Helge Schneider-Event. Launige, derbe, humorvolle Einlagen mischen sich zwischen die musikalischen Darbietungen. Der Mann kennt sich aus. In Köln. Zwischen Bad Godesberg und Bonn könnt er sich vorstellen, sein Domizil aufzuschlagen., Alles so schön flach, keine Höhen. Im Zwölferrat hätte er auch Platz. Oder im Neunerrat in Euskirchen. Irgendwo tät sich schon was finden. Ist ja Jeckenzeit in Köln. Hat er festgestellt. unterwegs bei seinem Spaziergang durch Köln. Schlecht für ihn. Die Leuts haben bisserl was anderes vor. Selbst schuld denk ich. Und ja, Redner, Bütttenredner, die fehlen in Köln. Tät er gut reinpassen. Seine Band müßte aber noch einen Lehrgang machen, vorher. Vielleicht beim Hansi Hinterseer. Dann hauts vielleicht hin. Geld könnten se abräumen dann. In der närrischen Zeit. Ist aber was anderes wie Jazz. Wir wollen nicht wissen, in welchen tollen Bands die schon gespielt haben. Seine Musiker. Muß auch nicht sein. Es kann sich nur vorgestellt werden. Denn sie sind einfach irrsinnig gut. Eine Akkustik vom Feinsten. Transparent. Wunderbare Gitarrensolis. Einfach nur schön. Und ich sitze direkt davor.
Und ja Verkleidung für den Georg. Macht er ja nicht gern. Der 70jährige hats drauf. Gediegen im grauen Anzug, im Hip-Hop-Dress mit schwarzer Sonnenbrille. Geht doch. Umwerfend. Ich tät ihn heiraten:) Aber er hat ja schon eine. Schade eigentlich. Aber ne Gute. Es sei ihm gegönnt. Therapeutin. Hat an Sylvester Stunden mit der Freundin-Therapeutin aus Krefeld telefoniert. Er hat derweil gezappt. Im Fernsehen. War so ne Sylvestershow. Da hat er sich was abgekuckt.
Sein Selbstbewußtsein, dass ihm manchmal fehlte, hat er wettgemacht mit Vorwärtsstürmen. Das ist ja auch eine gute Strategie. Manchmal. Auf der Bühne hat er das ausgelebt. Was die Leuts denken, war ihm scheißegal. Hat er auch nen Song draus gemacht. Ist ja auch richtig. Ein Vorzeigemensch, der Georg, so ists richtig. Mach dein Ding. Ein paar bleiben dir immer, die dich mögen. Wer will schon von allen geliebt werden. Der Doktor Georg Ringswandl, 10 Jahre lang war er Oberarzt in der Kardiologie in Gamisch Patenkirchen. Tagsüber Leben retten, abends den Gurkenkönig auf der Bühne machen. Sewin Doppelleben hat ihm anfangs schon zu schaffen gemacht. Kann er noch vernünftig arbeiten, wenn er des Abends so verrückte Sachen macht? Immerhin waren in seinem Metier die Leuts Streichquartetthörer. Da paßt doch so ein Tage Metal Dings gar nicht rein. Die Leuts werden immer in Schubladen gesteckt. Das konnte man mit ihm nie machen. Nach seinem Burnout in der Mitte des Lebens, mit 45, steigt er ganz aus und widmet sich nur der Musik. Viel Feinde soll er gehabt haben. Aber wie heißt es so schön, viel Feind, viel Ehr!
Ein stiller und guter Beobachter seiner Umwelt ist er. Was er denkt, sieht und fühlt, findet sich in seinen Songs wieder. Ob es das digitale Proletariat betrifft, oder aber die städtischen Bauprojekte, die eh nur Typen wie Zahnärzten sich leisten können. Sein Gitarrenspiel hat er sich übrigens selbst beigebracht. Mit 18 Jahren in einem Sanatorium, in der er wegen Lungentuberkulose war. Seine Kindheit war nicht, wie sich eine Kindheit gewünscht wird. Sein Vater war schwer kriegsverletzt und psychisch labil und brutal. Mit 14 Jahren hatte er das erste Mal den Gedanken, er will seinen Vater umbringen. Erschreckend? Nein, überhaupt nicht. Vielleicht mag ich ihn auch deswegen so sehr, weil mich einige seiner Kindheits- und Jugendjahre an meine eigenen erinnern und ich weiß, wie schwer es ist, einen Weg zu finden, um das Erlebte zu verarbeiten. Und es ist ja so, wenn Du dich nicht wehrst, irgendwann, dann wirst du Opfer bleiben. Und wer will das schon. Um nicht Opfer zu werden, muss man möglicherweise auch zum Täter werden. Grenzen setzen. Damit es aufhört. Dazu braucht es Mut! Den hat er gehabt, nicht nur als Jugendlicher, sondern in jedweder Situation seines Lebens, das zu tun, was ihm taugt, zu sagen was er denkt und zu fühlen, was richtig ist. Meinen Respekt vor solchen Menschen.
Während des ganzen Konzertes spürt man auch das Einvernehmen der Band mit ihm. Ich glaube, dass er stolz ist, eine solch gute Mannschaft um sich herum zu haben. Die Verständigung klappt super. Und während der Georg seine Geschichten zum Besten gibt, er scheint seine Pillen vergessen zu haben, wie er kurz andeutet, denn er redet sich manchmal immer weiter hinein in eine wahnwitzig-humvorvoll-derbe Gedankenwelt, der man stundenlang zuhören möchte. Immer wieder der Wechsel zwischen energiegeladener rockiger, bluessiger Songs, dann wieder still auf einer Hockerprothese für Liedermacher, herrlich die Bezeichnung oder an der Zither sitzend. Eines meiner Lieblingsstücke an diesem Abend ist nicht der Fetzigste, sondern eiher ein stiller-melancholischer. *Nur ein paar alte Sachen* der Titel. Irgendwie geht mir bei dem Song das Herz auf. Da wendet sich ein Mensch alten Dingen zu, Briefe, Gegenstände, versinkt in Erinenrungen. Was soll bleiben, was kann nun endlich losgelassen werden. Irgendwann kommt der Mensch in ein Alter, in dem er solche Dinge tut. Einfach in den Tag leben und sich diesen Erinnerungsgegenständen zuzuwenden. Alles was gewesen ist, ist vorbei. Was bleibt der Trost der Dinge. Ein paar Tränchen kommen. Nicht aus Traurigkeit, sodnern aus einer Rührung oder Zärtlichkeit für das Leben. Ich glaube, dass trotz aller Derbheit seines Humors in seiner Welt- und Menschensicht ein tiefer Ernst, aber auch eine Zärtlichkeit auf alles steckt. Davon bin ich überzeugt, wenn ich ihn so anschaue und ihm zuhöre. Ich glaube, dass es wichtig ist, egal, welchen Weg man im Leben gewählt hat, was einem an Gutem und Schlechten geschehen ist, am Ende bleibt doch die Zärtlichkeit für das Leben. Anders kann es nicht sein, jedenfalls ist das auch meine Erfahrung.
Mein geneigter Leser merkt schon, es ist nicht nur das Musikalische, was mich an diesem wunderbaren Abend mit Ringswandl und seiner Band in den Bann gezogen hat, sondern auch all die Gedanken, die einen einfach überkommen beim Zuhören. Ein Abend mit Ringswandl ist mehr als nur Musik, es ist eine kleine Einführung in und über das Leben, an die er uns teilnehmen läßt und die zur eigenen Reflexion anregt. Das haben wohl auch die anderen so empfunden, denn es gab euphorischen Applaus und schöne Zugaben. Ich hätte auch noch weiter gewartet, aber die Leuts resignieren imemr so schnell, selbst beim Zugabe fordern. Schade. Naja, vielleicht ists auch so, wenns am Schönsten ist, soll gegangen werden.
Ich tät ihn gern nochmal wiedersehen. Vielleicht kommt er ja wieder. Ich glaub, er war mal wieder ganz gern in Köln,-) Und allen nah und fern, kann ich einen Abend mit ihm nur empfehlen. Eine Bekannte von mir ist gerade in Winterwacken gewesen. Und als ich mit meinem Rad nach Hause fuhr, dachte ich, wie gut, dass ich nicht in Wacken sein muß. Die Menschen sind halt verschieden, der eine ein Wackerer, der andere ein Ringdwandler:)
Und dem Georg und seiner Mannschaft wünsch ich viele, viele, ganz ganz viele schöne Konzerte mit treuen und neuem Publikum. Es lohnt sich.
Und noch was zum Schnuppern: https://www.youtube.com/watch?v=h9PIgsJiWP8
Das habe ich wirklich. Heute. Einen Mann gerettet. Das kommt ja selten vor, dass eine Frau einen Mann retten kann. Schon allein körperlich ist der Mann der Frau ja weit überlegen. Also, bei tätlichen Angriffen auf einen Mann muss man schon richtig was dagegen zu setzen haben. Als Frau, meine ich. Ich bin ja nun kein judo-karate-take-wan-do oder wie das alles heißt-typ. Das hab ich nicht drauf. Und ne Knarre hab ich auch nicht, mit der man, wie im Film mal einfach auf Selbsverteidigung im Nachhinein plädieren kann.
Ist auch wurscht. Es ging heute auch gar nicht um einen körperlichen Angriff auf einen Mann. Und zwar durch eine Frau. Sondern von anderer Art. Eben nur nicht tätlich. Jedenfalls im Sinne von körperlicher Gewalt. Es gibt ja auch noch andere Tätlichkeiten, die eine große Gewalt ausüben können. Und das ist der Wortschwall einer Frau. Ich schwöre. Was meine Wenigkeit anbelangt, übe ich mich im wortschwallen eher schriftlich. Ansonsten bin ich eher ein Ausrutscher diesbezüglich. Da muss es schon ein ganz heißes Eisen sein, dass ich mich aber mal so richtig echauffiere oder anders wie auslasse. Zumeist fehlen mir im Gespräch immer die sofortigen Antworten, ist so. Eher neige ich dazu, Gesagtes wiederzukäuen, um dann eine für mich richtige Antwort zu finden. Da kann man nix machen. Das ist wohl so angeboren denke ich.
Doof ist nur, wenn ich mal so einen Ausrutscher habe, werd ich gleich auf Ignore gesetzt. Das ist wirklich ungerecht. Zumeist von denen, die gar nicht merken, dass sie selber immer kwaseln. Das wiederum macht mich dann auch sprachlos. Geht ja auch nicht anders. Was soll man dazu denn auch sagen. Hallo! Merkst du eigentlich nicht, dass du... Ihr wißt schon, was nun kommt. In den meisten Fällen kommt man mit den anderen den Spiegel vorhalten nicht weiter. Dazu ist die Blindheit viel zu stark. Also laß ich es. Meistens ists mir auch wurscht. Nur von denen, wo ich nicht gedacht habe, dass sie solche Ignorelisten benutzen, da trifft es dann schon. Ein bißchen. Dann denke ich, ach was solls, derjenige ists einfach nicht wert. Wahrscheinlich stecken ganz andere Motive dahinter, die wiederum von diesen niemals zugegeben werden würden. Ist doch so.
Ich fang nochmal von vorne an. Wo war ich stehen geblieben? Ich habe einen Mann gerettet. Heute! Und das kam so:
Ein Paket sollte verschickt werden zum Geburtstag. Es war mein zweiter Anlauf. Den ersten hatte ich selbstvermaselt. Also noch mal neu. Dieses Mal sollte es ganz perfekt zugehen. Den Inhalt des Päckchens trug ich noch in meinem Rucksack. Mir fehlte jetzt nur ein ordnungsgemäß dafür vorgesehenes Verpackungsmaterial. Also bin ich in den Laden. Der, der mit Mac und Paper im Namen seinen Waren veräußert. Also nichts wie rein. War ganz leer da drinne. Glaub, kaufen nicht mehr so viele Leute Büromaterial oder Malereibedarf oder wie in diesem Falle Verpackungsmaterialien. Ich weiß es nicht. War jedenfalls ausser mir, keiner da. Schön so ein Laden, der einem ganz allein gehört. Kannste ungestört gucken und stöbern, ohne vom Gewimmel der Leuts abgelenkt zu werden. Möglicherweise noch von Telefonierenden. Schrecklich das.
Einer war dann doch da. Sah ihn erst ein wenig später. Stand an einer Türe, die wohl zu einem Lagerraum führte. Da mußte noch Jemand sein. Eine Frau, wie ich dann nach einer Zeit vernahm. Je tiefer ich in den Laden hineinkam, um so lauter wurde der Wortschwall, der aus dem Inneren des Lageraums nach außen drang. Gerichtet an den Mann, der davor stand. Der gehörte zum Inventar. Ein Verkäufer. Ihr Kollege.
Es war leer. Die hatten nix zu tun. Kenn ich ja. Wenn alles geräumt, eingeordnet, sortiert ist und die Kunden fehlen, stehste schon mal doof rum. Das hat die ausgenutzt. Diese Frau, seine Kollegin. Wie ein Maschinengewehr ratterten ihre Worte ihrem Kollegen entgegen. Der stand da und sagte nix. Ich dachte, die hört ja irgendwann auch mal auf oder? Sie redete und redete immer weiter. Irgendwas Privates. Ich hab gar nicht so genau auf den Inhalt geachtet. Ihrer Worte waren so viele, das einem der Atem stockte, um überhaupt folgen zu können. Der Arme, dachte ich. Also der Mann. Stand da irgendwie hilflos dem gegenüber. Ich spürte förmlich, wie er danach suchte, zu entfliehen. Als Kollege willste ja nicht unhöflich sein. Versteh ich.
Ich hatte jetzt auch gar nicht die Absicht bewußt einen Rettungsring zu werfen. Also dem Mann zu. Ich suchte aber nach meinem Verpackungsmaterial. Fand es nicht. Ging daher auf ihn zu und fragte ganz vorsichtig, ob er mir vielleicht helfen könne. Ich schwöre, es war absolut direkt erkennbar, dass eine Welle der Erleichterung durch sein ganzes Wesen verlief. Ich sah das jedenfalls.
Sofort hörte der Wortschwall der Kollegin auf, er zog ab und mit mir in eine andere Ecke des Ladens, um mir das gewünschte Regal zu zeigen, wo sich allerlei Brief- und Paketverpackungswesen befand. Er wich auch nicht mehr von meiner Seite. Ich schwöre. Ich wurd ihn nicht mehr los. Er begleitete mich zur Kasse. Als ich zahlen wollte, bot er mir an, das Paket für mich zusammen zu falten. Herrlich. Wunderbar, sagte ich. Gesagt, getan. Fertig. Legte ich mein Geschenk hinein. Auch zukleben jetzt? fragte er. Super, sagte ich. Total nett! Es gibt doch noch Dienstleistung und Service am Kunden. Dachte ich, sagte ich aber nicht. Unser verbaler Austausch beschränkte sich auf höchstens drei, vier Worte... toll, super, dankeschön, wie nett, keine Ursache, mach ich doch gern, freut mich, helfe gerne. Herrlich. So eine Kommunikation ohne viel Worte. Er genoß es. Ich sahs ihm an der Nasenspitze an. Zwischendurch schaute er mich mal verstohlen an und in seinem Gesicht meinte ich zu lesen, gibt auch Frauen, die können kurz und zackig.
Daß ich sah, was er dachte und er sah, was ich dachte, lag klar auf der Hand. Daher beim zwischendurch verstohlenen gemeinsamen gegeneinander Anblicken, lächelten wir uns einfach mal an. Schön war das. Es war mir klar. Es war nicht *nur* eine völlig freie, ohne Hintergedanken ausgeübte Kundenfreundlichkeit im Dienstleistungsbereich. Nein, es war unzweifelhaft. Ich hatte ihn einfach gerettet!. Und das wiederum wußte er, dass ich es wußte und das ließ uns Beide schmunzeln. Wir waren zwei Verbündete. Nein, um das klar hinterherzuschicken. Ich bin ganz sicher, dass er auch ohne das vorherige Geschehen freundlich und hilfsbereit gewesen wäre. Jedoch war es in diesem Falle eine für ihn lebensrettende Tat. Denn schließlich will man ja mit den Kollegen keinen Knatsch haben, der auf einer Zurückweisung, gar genervten, zurückzuführen wäre. Man muss ja schließlich noch länger mit diesem zusammenarbeiten.
So verabschiedete ich mich mit nochmaligem Dankeschön und einem Blick zurück zur Lagerraumtür und hoffte für ihn, dass er es für den Rest des Tages überstanden habe. Rief ihm noch zu: Und viele nette Kunden noch, wofür er mir mit einem smarten Lächeln dankte.
Mein Päckchen brachte ich zur Post. Alles ordnungsgemäß. Und das Fazit des Erlebten für mich war an diesem Tag: Wie gut, dass ich nicht viel reden muß. Ich erledigte meine weiteren Pflichten des Tages, fuhr noch eine Runde Rad und verbrachte den Spätnachmittag mit einem schönen Buch auf dem Sofa.
520 packende Seiten sind zu Ende und Seite für Seite wird eine Spannung aufgebaut, die einen in den Bann ziehen und ein Nachmittag auf dem Sofa zu einem Ort des Vergnügens machen.
Es handelt sich um, wie ich immer sage, einen Ermittlerkrimi. Carol O'Connell hats drauf. Es gibt 4 Leichen, die im Garten des Bürgermeisters auftauchen (warum?), denen der Mörder ihre Herzen entnommen hat und die seinem Auftraggeber als Beweis für die Tötung der Leichen per Post übersandt werden. Unter den Ermordeten findet sich auch eine Nonne, die früher einmal als Prostituierte gearbeitet hat. Weiterhin wird ein blinder Junge entführt, der der Ermordung der Nonne, wie sich herausstellt war sie seine Tante, als Zeuge beiwohnt. Daher muss auch er verschwinden. Der Junge. Der Auftragskiller nimmt ihn in seine Gewalt. Lösegeldforderung? Warum wurden diese Menschen scheinbar wahllos ermordet?
Dier Ermittlerin Mallory, ist eine Mischung zwischen Lisbeth Salander, aus Stig Larssons Trilogie, und Saga Noran, der Ermittlerin, die aus der faszinierenden Krimiserie *Die Brücke* bekannt wurde. Sie hat den Adlerblick und sieht Dinge, die ihren Kollegen bei Spurensicherungen niemals auffallen. Da ist der Hund des Serienkillers der mit seinem Trinkwasser vergiftet wird. Nur ihr fällt auf, dass das Wasser keine klare Konsistenz hat, sonden einegfärbt ist. Sie ist die Perfektionistin schlechthin.
Mit ihrem VW-Beetle, der über einen Porsche-Motor verfügt, bringt sie ihren Kollegen ob ihres wahnsinnigen Fahrstils an den Rand des Abgrundes seiner Ängste. Von vielen ihrer Kollegen gehasst, nur wenige schätzen ihren Eifer, ihre Unerbittlichkeit und ihre Vorgehensweise bei ihren Ermittlungen, geht sie dennoch sturköpfig ihren Weg um diesen Fall, der über erhebliche Verstrickungen wie durch einen Irrgarten führt, zu lösen. Obwohl sie von ihren Kollegen eher als herzlos charakterisiert wird, zeigt sich dennoch in ihrem Handeln, dass ihr dieser Fall schon wegen des blinden Jungens eine Herzensangelegenheit wird. Man kann sich schnell täuschen in Handlunsgweisen eines Menschen, um ihm Herzlosigkeit zu unterstellen, nur weil er seinen Weg geht. Man wird schnell für sozial inkompatibel erklärt, wenn man nicht mit der Meute läuft und sich jeglichem Gekungel entzieht. Wer nicht ist wie alle, muss das aushalten. Das kann Mallory.
Carol O'Connor zeichnet in ihrem Krimi eine Welt des Betruges, der Gier und einer Gleichgültigkeit, die uns mehr denn je durch die Augen des kleinen entführten blinden Jungens gezeigt wird. Der Bürgermeister, der in kriminellen Machenschaften von Hedgefond-Heuschrecken verwickelt ist. Ich weiß nun was ein Pump-and-Dump-Spiel bei Aktiengeschäften ist. Man lernt nie aus:) Und die katholische Kirche, die Dreck am Stecken trägt und last but not least die Polizei, die in sich verzweigt ein korrupter Haufen ist. Durch dieses Labyrinth der Unerträglichkeit des Handelns von Menschen in der Gesellschaft findet Mallroy einen Weg, diesen Fall aufzuklären. Nicht ohne ihre eigenen kleinen und größeren Verheimlichungen, die sie hinter dem Rücken ihrer Kollegen erforscht und ermittelt und die am Ende immer einen Aha-Effekt und Erstaunen seitens der Kollegen erweckt.
So ganz nebenbei erfahren wir auch Dinge, wie ein blinder Mensch durchs Leben geht. Wie er sich seinen Weg durch den Alltag bahnt, wie seine Sinne auf ganz andere Weise geschult sind, der Bub ist seit seiner Geburt blind, so daß für viele Nichtwissende ob seines Blindseins der erste Eindruck entsteht, er könne sehen. Mich haben diese Ausführungen besonders berührt, da ich selber in meiner vielfältigen Betreuungstätigkeit mit Blinden zusammen war und sie oft über längere Wegstrecken in ihrem Leben begleitet habe. Du lernst viel Neues, die Welt zu sehen, wenn du mit Blinden gehst.
Was sieht ein Blinder, wenn er die Augen zu macht? Diese Frage stellt ihm der Serienkiller, der mit ihm eine Weile zusammenlebt, bevor er den endgültigen Auftrag erhält, ihn zu töten und auch sein Herz als Todesbeweis den Auftraggebern übermitteln muß. Ist alles schwarz? Mach ein mal ein Auge zu, wird er antworten. Dann siehst du, was ist. Blinde...sie können nicht mal in ihren Träumen sehen. Wenn du weißt, was Blinde, zumindestens die, die seit ihrer Geburt blind sind, bei geschlossenen Augen sehen, dann weißt du auch wie der Tod ausschaut. Vielleicht?
Die Handlung spielt übrigens in New York und O'Connor erzählt ganz nebenbei über Veränderungen und Befindlichkeiten dieser Stadt. So erfährt man, dass im St. Mark Place-Viertel der Stadt früher einmal die Anarchisten- und Künstlertypen gelebt haben. W.H. Auden z.B. habe zwanzig Jahre lang im Haus Nr. 77 gewohnt und ein Stückchen weiter habe Manhattans allererster Mafiamord stattgefunden. Oder dass in der Strasse die Rolling Stones einen Song aus den 81er Jahren von ihrem Album Tattoo you * Waiting on a Friend* sitzend auf einer Treppe aufgenommen haben. Die St. Mark Place ist nicht nur eine Strasse, sondern eine ganze Epoche. Jedenfalls Mallorys direkter Kollege Sergeant Riker, kann hier viel erzählen.
In der Rezension des Deutschlandfunkes wird gesagt: Blind Sight - eine Carrol O'Connell* in Hochform. So ist es.
Man weiß nie, was einem so widerfährt, wenn man mal soeben ganz einfach nur einen kleinen Besuch abstatten möchte. Es muß nicht immer was Sensationelles sein, Irgendwas, was alles übertüncht, was man jemals erlebt hat. Manchmal sind es nur kleine drollige Begebenheiten, über die du entweder den Kopf schütteln, lachen oder ganz einfach mal drüber nachdenken mußt. Jedenfalls alle drei Dinge trafen heute zu. Bei mir.
Ich war auf dem Nachhauseweg von einem Besuch. Eigentlich wollte ich gar nicht raus. Weil...seit dem vorhergehenden Tag laborierte ich an einer Rotznasenhalskopfwehgeschichte. Nicht soooo tragisch, aber ein wenig matt fühlte ich mich, so dass ich den Termin am Vormittag schon abgesagt habe.
Der Nachmittag aber mußte sein, weil, dem, dem ich den Besuch abstatten wollte, ging es viel schlechter wie mir. Und wenn es einem schlechter als einem selber geht, da reißt du dich doch zusammen. Das ist doch klar. Und ich hatte ja versprochen, den Tag vorher, als der, dem ich den Besuch abstatten wollte, nicht zu mir kommen konnte, dass ich ihm am andern Tag den von mir lecker gekochten veganen Eintopf vorbeibringen würde. Ich bin son Typ. Da kann noch so viel Rotznasenhalskopfwehgeschichten vorherrschen. Solange da nicht auch noch Fieberhitze hinzukommt, halte ich meine Versprechen.
Das war auch alles gut. Hinterher bist du immer froh, dass du das getan hast, was du eigentlich wolltest, obwohl du dich eigentlich lieber hast drücken wollen. Wegen der Rotznasenhalskopfwehgeschichte.
Die war danach bei mir auch gleich viel besser. Obwohl ich vorher dachte, wenn ich das tue, wird es sicherlich noch schlimmer. Vielleicht ist es ja so, dass die Freude eine Kraft der Heilung sein kann. Ich weiß es nicht. Aber bestimmt trägt sie dazu bei. Also, ich fühlte mich danach wirklich etwas besser. Konnte sogar noch den Einkauf im Lieblingsbiomarkt meines Vertrauens machen. Ich muss jetzt ja nicht sagen, dass der, dem ich den Besuch abgestattet hatte, sich darüber so was von total gefreut hat. Aber ich sags vorsichtshalber doch mal. Der freute sich, ich freute mich, also konnte ich jetzt mit meinem Einkauf den Weg nach Hause antreten.
Mit der Bahn. Fahrrad ging nun wirklich nicht heute bei dieser Rotznasenhalskopfwehgeschichte. Was nicht geht, geht halt nicht. Das musst du dir immer wieder vorsagen, wenn mal was nicht geht, was eigentlich gehen sollte. Dann geht es eben anders. Und mit der Bahn fahren kann hin- und wieder zu netten, drolligen, schönen oder unschönen Begegnungen führen. Also, wenn du nicht damit beschäftigt bist, ständig auf dein viereckeiges Gerät zu schauen, wie das so usus geworden ist.
Wirklich, ich denke manchmal, der Mensch in unserer Zeit hat es verlernt, mal so richtig um sich herum zu gucken. Der weiß gar nicht mehr, was er eigentlich alles verpaßt. Zum Beispiel fröhliche Gesichter ( was natürlich eher Seltenheit ist), traurige ( was viel öfter vorkommt), müde ( was nach meiner Beobachtung der häufigste Fall ist, aber vielleicht fahr ich auch, wenn ich mal Bahn fahre, zu den falschen Zeiten) oder aber einfach die Landschaft, an der du vorüberschwebst, einen Sonnenauf- oder Untergang genau über dem Rhein, jedenfalls Dinge, die wirklich in unserer Welt passieren, kannst du sehen. Das ist anders als irgendwo was Erzähltes da in dem viereckigen kleinen Gerät. Weil, du bist da selber drin. Manchmal denke ich, die Leuts, die da ständig in irgendwelche Kästen gucken, wissen gar nicht mehr, ob es ein Draußen noch gibt, oder sie müssen sich fragen, bin ich jetzt drin oder draußen. Naja, ich will da jetzt auch nicht draufrum reiten. Ist ja auch egal. Jeder soll halt machen, was er meint, machen zu müssen.
Wo war ich denn überhaupt jetzt stehen geblieben? Achja, ich wollte nach Haus. Mit der Bahn. Als ich die Treppe herunterhopste, unten am Bahnsteig ankommend, sah ich eine Bahn stehen. Ich könnte jetzt rennen, dachte ich, dann krieg ich sie bestimmt noch. Wenn jedoch etwas gegen mein Gemüt ist, dann ist es das Rennen um einer Bahn oder Bus wegen. Niemals nie. Ich bin son Typ. Da warte ich lieber auf die nächste und guck derweil doof in der Weltgeschichte herum. Es ist natürlich auch so ein ganz klein wenig ein Spiel mit dem Leben oder dem Schicksal, wie auch immer man das nennen will. So dachte ich halt, ok...ich geh ganz normal, wenn die Bahn dann immer noch da steht und sogar die Türe öffnet, dann ist das richtig für mich. Genauso war es. Ich spazierte gemütlich zur Tür, drückte auf das Knöpfchen, siehe da, sie öffnete sich und mit einem total freudig-fröhlich-verschmitzen Lächeln auf dem Gesicht schaute ich den vor mir stehenden Menschen an, der wie Empfangspersonal da stand. Der sah mir das glaub ich an, dass ich da vorher das Schicksal herausgeforderte hatte und mich jetzt so darüber freute, dass es geklappt hat. Er lachte jedenfalls zurück.
Es waren auch noch Plätze frei. Ich erblickte einen Viererplatz, der nur von einem Menschen besetzt war. Die anderen zwei Plätze ihm gegenüber waren frei. Nichts wie hin. Setzte mich, dann fiel mir jedoch ein, huch...bin ich überhaupt in die richtige Bahn gestiegen? Weil...ich war so mit dem Leben-Schicksal herausfordern beschäftigt, dass ich gar nicht darauf geachtet hatte, welche Bahn es überhaupt ist. So was passiert mir schon mal in meinem ich träum- so- vor- mich- hin oder gedankenverloren durch die Welt schreiten.
Ist das jetzt die Linie soundso, fragte ich so laut vor mich hin? Der Mann, der vor mir saß, es war ein junger, vielleicht so um die mitte 20, antwortete mir auch direkt, jawohl sie ist es. Prima sagte ich, dann ist ja alles gut und lächelte weiter verschmitzt vor mich hin. Ich bin son Typ, wenn ich einmal in einem innerlich lachenden oder lächelnden Gemütszustand bin, hält das auch lang an, wenn nicht etwas Unerwartetes dazwischen kommt, was mich da herausnimmt.
Aber Unterwartetes passiert eben manchmal. Einfach so. Irgendwas womit du in aller Welt gerade jetzt in diesem Moment nicht gerechnet hast. So wie es jetzt geschah.
Der Mann, dieser junge, fragte mich doch plötzlich: Gehen Sie zum Karneval?
Sofort verschwand (erstmal) mein Lächeln auf meinem Gesicht und meine Stirn runzelte sich vor lauter Gedanken, was der jetzt wohl mit dieser Frage im Sinn hatte. Ich antworte nicht immer sofort auf eine Frage. Brauche eine kleine Weile, um drüber nachzudenken, was eigentlich mit der Frage gemeint ist oder einfach nur um festzustellen, was ist das denn für eine komische Frage. So dachte ich nämlich in diesem Moment.
Wieso? fragte ich den Frager. Der auch gleich drauflos: Weil sie so bunt ausschauen und es ist ja jetzt Karnevalzeit. Aha...sagte ich nach längerem überlegen. Damit hab ich nix zu tun. Schwarz können alle, vor allen Dingen die Haselnuß:) Die ist sogar schwarzbraun. Farben sind ausserhalb von Beerdigungen auch ganzjährig zu tragen. Wobei ich anmerke, dass ich, je nachdem wer da verstorben ist, mir auch in diesem Falle kein Kleidungsdiktat vorschreiben lasse, wie überall, wo ich hingehe, wo es ein solches zu geben scheint, weil die Leuts irgendwann mal entschieden haben, dass das so sein muß. Völlig doof und überflüssig. In den meisten Fällen jedenfalls.
Und überhaupt. Farben sind einfach schön. Ich trage gern Farbe. Und noch nie hat man mir gesagt, ich sei *zu* bunt. Ich behaupte auch, dass ich über einen guten Sinn für Ästhetik verfüge, was man bei anderen oft nicht sagen kann. Aber das spielt ja auch keine Rolle jetzt. Ich trag halt gern Farbe. Rot, orange, türkis sind meine Vorlieben. Warum kann ich nicht beantworten. Es ist ein Gefühlszustand. Darin fühle ich mich am wohlsten.
Pfffff...ob ich zum Karneval gehe, fragt der mich doch, entrüstet in mir versunken, welches nun aber doch schnell wieder von einem schmunzelnden, innerlich glucksenden Drolligkeitsgefühl ob der Frage wich. Mein geneigter Leser kann sich ja nun auf dem von mir oben veröffentlichten Bild selber überzeugen, seh ich jetzt aus als wenn ich zum Karneval ginge? Sachen gibts...
Ich nahm dem Jungen Mann dennoch seine Verlegenheit, in dem er mir nochmals versicherte, es war ganz bestimmt nicht bös gemeint. Nu ist doch gut, antwortete ich ihm. Vielleicht hab ich sie ja zum Nachdenken gebracht, ob meiner äußeren Erscheinung. Wer weiß. Oder vielleicht habe ich ihnen Anregung gegeben zur Recherche eines Hits zum Wochenende ....sing: schwarzbraunist die ..... lalalalala....
Ich kann da nix dafür, es war jetzt einfach alles zu drollig und komisch. Ich verabschiedete mich von ihm und wünschte ihm ein schönes Wochenende. Meine Aussteigestation war gekommen. Und nicht vergessen, rief ich noch...schwarzbraun kommt nicht gut:) Die Welt ist bunt. Ob er wohl verstanden hat, was ich ihm sagen wollte? Ich weiß es nicht. Vielleicht denkt er ja drüber nach. Oder sucht tatsächlich. Nach dem Hit.
Sachen gibts....Herrlich erheitert schwebte ich nach Hause...herrlich schmunzelnd erfreute ich mich noch beim Schreiben dieses kleinen Erlebnisses. Ich sag es nochmal....Sachen gibts:) Und was die Rotznasenhalskopfwehgeschichte angeht...mal sehen, wie es sich weiterentwickelt.
Eigentlich wollte ich mit Omma ins Kino gehen. Der Oppa ist nämlich vor Weihnachten verstorben. Die Omma ist tapfer. Sie ist zwei Jahre jünger wie der Oppa. Der Oppa ist 92 Jahre alt geworden. Ein stattliches Alter. Und ein gutes Leben. Er hat nicht leiden müssen. Er ist ganz einfach *mitten aus dem Leben* so sagte die Omma es uns, gegangen.
Wir mußten alle schmunzeln bei diesem Satz *mitten aus dem Leben mit 92* Aber sie hat es so empfunden, die Omma. Wir irgendwie auch. Der Oppa war noch bis zum letzten Tag recht mobil, vor allen Dingen im Kopf. Hat sich noch mit tausend Sachen beschäftigt, aber dann kam er ganz einfach so mitten im Leben, der Gevatter Tod und hat ihn geholt. Wir haben alle geweint. Das ist doch klar. Aber dann war es auch gut. Wir haben wieder gelacht und uns gefreut, dass wir ihn gehabt haben, den Oppa. Die Omma ist auch tapfer. Voll tapfer. Sie hätten ja damit gerechnet. Sie Beide. Haben viel darüber gesprochen. Wenn einer zuerst geht. Wie es für den anderen weitergehen soll. Gut weitergehen soll es. Haben sie beschlossen. Es geht mit der Omma auch gut weiter. Sie ist super tapfer. Und wir sind ja alle da. Ihre Kinder, ihre Schwiegerkinder, auch die nicht mehr Schwiegerkinder, die Enkel und das erste Urenkelchen. Das kann zwar noch nicht viel tun. Das machen wir ja. Aber es kann die Freude ins Herz schenken. Das kleine Leben. Und das hat es auch getan. An Weihnachten. Die Omma war glücklich. Ein Urenkel ist da.
Aber ich hole wieder weit aus. Mit Omma Kaffeeschnuddelchen wollte ich und dann anschließend ins Kino. Sie wollte auch. Zuerst. Aber dann, beim Kaffetrinken zog das Unwetter auf. Dicke Hagelkörner, wechselnd mit Regenschauer. Und ein Sturm, der sich gewaschen hatte. Lieber nicht. Sagte sie dann. Ein ander Mal. Wir haben dann weiter Kaffee getrunken und erzählt. Von Heute und von Gestern. Vom Morgen nix. Jedenfalls nix Weltbewegendes. Geht ja auch gar nicht. Was soll man schon von Morgen reden, wir haben ja gesehen. Es geht sehr schnell mit dem der Welt verlorengehen.
Bin dann allein. Ins Kino. Nur später. Als der Film aus war, dachte ich, schade Omma, dass du nicht dabei warst. Er hätte dir gefallen. Ich hol das mit ihr nach. Schau ich ihn halt noch einmal. Man kann ihn sowie immer wieder gucken. Es wird ganz sicherlich nicht langweilig.
Mit Bus und Bahn war ich trotz des Unwetters recht schnell in eines meiner Lieblingskinos. Dem Cinenova in Ehrenfeld. Da läuft er unter anderem. Natürlich viel zu früh. Wie immer. Viel viel zu früh. Über eine Stunde hatte ich noch Zeit. Das war nicht schlimm. Da sitzt ich eben rum, lese in der Zeitung, die ich in der Tasche hatte und als die Lust darauf vergangen war, guckte ich einfach so um mich herum und ließ die Füße baumeln. Später dachte ich, dass mit den Füßen baumeln lassen, paßte auch zum Film. Denn ein ganz klein bisschen bin ich, und nun kommen wir zum Film, auch ein Kind geblieben wie der Hape Kerkeling.
Der Junge muß an die frische Luft, dass sagte nämlich der Oppa im Film zum Hans-Peter, der später einfach zum *Hape* wurde, als er dann groß war und auf der großen Bühne der Unterhaltung seinen Platz gefunden hatte. Oscarpreisträgerin Caroline Link *Nirgendwo in Afrika, wohl jedem bekannt, hat Hape Kerkelings Autobiografie *Der Junge muss an die frische Luft* verfilmt, und zwar wunderbar gelungen, wie ich finde.
Der kleine Hans-Peter, gespielt von Julius Weckauf sollte nach meinem Ermessen einen Oscar für diese Rolle bekommen. Nicht, dass er sehr genau dem Bild des wirklichen kleinen Hans-Peter in den Kinderjahren ähnlich ausschaut, nein, auch, weil er genau, jedenfalls davon bin ich überzeugt, den Charakter des kleinen Hans-Peter 1:1 wiedergespiegelt hat. Jedenfalls weiß man das, wenn man auch die Erzählung von Kerkeling in seinem Buch selber verfolgt. Ich konnte gar nicht genug von dem kleinen Hans-Peter hören und sehen. Allerliebst. Wie man in dem Jungen das schon sah, was er später geworden ist. Evje an Dampen, Gisela, Günther Warnke, Hannilein, Horst Schlämmer und und und... In so viele Rollen ist er geschlüpft und hat aufgezeigt, wie gut Unterhaltung sein kann.
Wild, bunt, harmonisch und verspielt waren die ersten Kinderjahre von Hape. Aufgewachsen zuerst mit Vater, Mutter und dem älteren Bruder bei Omma Bertha und seinem Oppa in ländlicher Idylle nahe Recklinghausen. Er konnte über Felder und Wiesen streifen. Später mit seinem Pferd, dass ihm Omma Äenne geschenkt hatte. Der Vater, von Beruf Schreiner, verdiente gut, damals in den 70ern und schon bald konnte die Familie in die Stadt in ein eigenes Haus ziehen. Omma Bertha blieb zurück. Aber es sind doch nur 15 Minuten bis zur Stadt sagte der Oppa. Die Omma sollte nicht weinen. Und der kleine Hans-Peter schon gar nicht.
Die verrückte Omma Aenne, die das erste traurige Ereignis in seinem Leben war. Denn er mußte Abschied nehmen von ihr, sie verstarb an einer Krebserkrankung. Einen Gemischtwarenladen hatte sie, die Omma Aenne, in den Hans-Peter immer lief und es seine Gewohnheit war, still im Laden stehen zu bleiben um den Gesprächen der Kunden zu lauschen, die er dann später vortrefflich zum besten wiedergab. Herrlich. Und immer hatte er die Lacher auf seiner Seite. Ein wunderbares Kind dieser Hans-Peter. Man muß ihn einfach lieb haben und man muß in diesem Kind auch den Hape Kerkeling lieben, der er später geworden ist.
Und das ganze Millieu kommt einem doch all zu bekannt vor, wenn sich in der ungefähren Altersstufe befunden wird. Dieses 60/70er-Jahre-Geschmäckle, Eierlikör, Mettigel, Hausmannskost, Nierensessel und Nachbarn, die aus den Fenstern schauten, weil das Leben draußen noch interessanter war, als im Fernsehen oder auch noch keins da war. Caroline Link hat das alles so authentisch rübergebracht, dass man da saß und meinte alles spären, riechen und anfassen zu können. Der Film ist tatsächlich auch eine kleine Zeitreise. Man kommt nicht dran vorbei, dass eigene Erinnerungen hochkommen.
All das, was im Film gezeigt wird, hat man doch selber so erlebt. Die Schlager die tagtäglich gedudelt wurden und die das Leben der Menschen damals so in den Bann gezogen haben. Sie sangen sie mit, auch der kleine Hans-Peter konnte das vortefflich. Du bist nicht allein, denn du träumst von der Liebe...sang Roy Black damals und der kleine Hans-Peter konnte den Text auswendig. Eine unglaublich berührende Szene, wie er am Abend nach der Beerdigung seiner Mutter allein in der Küche steht und das Lied singt und sich dabei bewegt wie Roy Black selber.
Es schien, als wenn dieser Freitod seiner Mutter die Leichtigkeit und Unbeschwertheit ihm geraubt hat. Er trauerte. Wie furchtbar für ein kleines Kind, seine Mutter so zu verlieren. Dazu passierte es nicht irgendwo von ihm entfernt, sondern er hat neben ihr gelegen, im elterlichen Schlafzimmer. Die Mutter ist einfach nicht mehr aufgewacht. Hatte sich am Abend davor von ihm verabschiedet. Ich geh schlafen, sagte sie zu ihm, du kannst so lange Fernsehen schauen, wie es dir Spaß macht. Sie hat sich nicht mal umgedreht, als sie ging.
Sie hat mir keinen letzten Kuß gegeben, sagte der kleine Hans-Peter am Ende des Films. Verstanden hat er all das erst viel später. Warum! Depressionen. Da war nichts mehr in ihr an Gefühl. Nur noch Leere und Kälte. Weil, so hab ich gedacht, wie kann eine Mutter ein solches Kind einfach allein lassen. Das will man nicht begreifen. Aber da war nichts mehr. Wenn nur noch dieses Nichts im Menschen vorherrscht, dann kommt da entweder nichts mehr, nimmt nicht mehr am Leben teil, auch nicht mehr an den Menschen, die man einst geliebt hat, es ist einfach alles egal. Andere wiederum haben auch diese Leere und Kälte in sich, gehen aber nicht in den Tod, sondern werden aggressiv, verletzen, werden zu Gewalttätern. Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten dachte ich.
Aber es muß weitergehen. Das war und ist das Lebensmotto vom kleinen Hans-Peter und wohl auch von Hape Kerkeling geblieben. Niemals stehen bleiben. Wer stehen bleibt hat verloren. Nur das Weitergehen, Weitermachen hilft, denn man weiß nie, was noch kommt. Und auf Einbrüche können auch wieder freudige Dinge hereinscheinen, von denen du in Trauer und Schmerz nichts ahnst. Wenn du nicht mehr weitermachst, wirst du das nie erfahren. Und es muß zusammengehalten werden. Das hat er kennengelernt, der kleine Hans-Peter. Wie sie alle nach dem Tod seiner Mutter zusammenblieben, sich kümmerten. Die ganze Familie, Omma, Oppa, Tanten, der Bruder, Freunde, Nachbarn. Das war damals noch so. Jedenfalls manchmal. Das hat mit dazu beigetragen, dass er sich weiter entwickeln konnte, der kleine Hans-Peter, dieser Schoß der Familie, die ihn alle liebten.
In einem Gespräch mit ihm nach Abschluß der Dreharbeiten las ich, als er danach befragt wurde, ob er sich mit dem Tod seiner Mutter versöhnt habe, er die Antwort *Ja* gab. Ja, da er ein Mensch sei, der zur Versöhnung neigte. Das nehm ich ihm total ab. Es gibt keinen Frieden, wenn der Mensch nicht mit dem, was geschehen ist, sich ausgesöhnt und vergeben hat. Er wird sich ständig in der Opferrolle fühlen und die Welt einfach nur böse sehen. Jede kleinste Mißachtung anderer, unbewußte Verletzungen oder Kränkungen wird er so wichtig nhehmen, dass kaum eine gute Beziehung entstehen kann.
Das Buch endet nach ca. 300 Seiten. Hans Peter war da gerade 8 Jahre alt. Eigentlich sollte das Buch die Geschichte seiner Berufsjahre darstellen. Jedoch war es ihm genug. Er wollte ja kein Tolstoi werden. Typisch für Hape, dieser feine, ernste Humor, der die Geschichten der Menschen, wie er sie beobachtet mit einer Gabe, wie kein anderer, aufzeigen konnte. Vielleicht kommt ja doch irgendwann wieder etwas von ihm. Man möchte nicht auf ihn verzichten in dieser öden Unterhaltungswelt.
Der Film endet mit Hans-Peters erste Schulaufführung, dem Hans Dampf. Eigentlich sollte er diese Rolle spielen. Aber als er von seiner Lehrerin dafür vorgeschlagen wurde, lehnte er ab. Er war noch zu tief in der Trauer. Doch tags darauf hatte er sich wieder anders besonnen. Aber da war die Rolle schon vergeben. Und die Lehrerin gab ihm eine kleine Rolle als Hausmeister mit zwei Sätzen, die eigentlich aus dem off nur hätten gesagt werden sollen. Aber Hans-Peter kam auf die Bühne, sprach nicht nur diese beiden Sätze sondern machte seine eigene kleine Geschichte daraus. Und am Ende hörte man, wie alle sagten, der Hausmeister war der Beste. Da wußte man und das hatte ihm seine Omma Aenne noch auf dem Sterbebett gesagt, aus dir wird mal ein ganz Großer. Du sagst Sachen Omma, antworteter er ihr. Bist du jetzt auch verrückt. Aber was hätte er auch sagen sollen. Man weiß doch nie, ob als Kind oder Erwachsener, was Morgen mit einem passiert und wer man dann sein könnte.
Dann spricht der große Hape Kerkeling noch ein paar Worte, während die Kamera langsam über die Felder mit Mohnblumen und die Wiesen draussen vor den Toren Recklinghausens zieht und er sagt: Ich bin die Felder, die Wiesen, die Mutter, der Vater, die Ommas, die Oppas, all die Tanten und Onkels, all die lieben Menschen, die Gerüche, die Dinge die geschehen sind, all das bin ich.
Ich hab geweint. Wirklich. Ich hab mehrmals geweint, aber auch dann gleich wieder gelacht. Das geht gar nicht anders beim Schauen des Films. Und ist es nicht so. Wir, die da nur zuchauen auf ein anderes Leben eines Menschen, der uns durch seine wunderbaren Auftritte vergnügliche Stunden bereitet hat, wir sind doch auch all das, woher wir kommen, was wir erlebt haben, mit all denen verbunden, die uns durch unsere Lebenszeit begleitet haben. Wir sind nicht nur das, was unser ganz Eigenes ist, nein, wir sind auch das, was all das, was gewesen war mit uns und uns zu dem gemacht hat, der wir sind.
Und wenn es mal wieder im Leben recht schwer wird, ja na dann, dann muß man einfach mal, wie der kleine Hans-Peter mit seinem Oppa an die frische Luft. Tapetenwechsel nennt man so was. Das haben die Beiden auch gemacht, damals, als sich aufzeigte, dass es mit der Mutter nicht gut stand und Hans-Peter nur noch bei ihr weilte, um sie zum Lachen zu bringen, damit es ihr wieder gut ginge.
Ein wunderbarer Film für alle Hape-Fans, der selbst in der Schwere nie seine Leichtigkeit verliert und man eigentlich möchte, dass er immer weitergeht und uns noch mehr vom Leben Hape erzählt.