6. Januar 2019
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Harren und Hoffen sind die beiden Worte, mit denen dieses, für mich eines der schönsten Bücher, welches ich je gelesen habe, endet und dass mich oft zum Weinen gebracht hat, weil so Vieles, was Dumas vom Schicksal des Edmont Dantes, natürlich in anderer Art und Weise, einem im Leben doch selber passiert. Ein Buch, dass mich über viele Stunden mit seinen 932 Seiten von der Welt da draußen getrennt hat. Bei mir Zuhaus in meiner kleinen Höhle oder im Zug auf Hin- und Rückfahrt zu den Weihnachtsferien mit meinen Kindern.
Selbst dort, in schönem Beisammensein vieler Stunden, die auch Möglichkeiten zum Rückzug gaben, ließ ich es nicht aus der Hand. Dieses Buch wird mir nicht nur wegen seiner Geschichte niemals vergessen sein, sondern auch wegen der Erinnerung die es mir schenkt. Der Moment, wo ich mit meinen Kindern zusammen saß, jeder ging seiner Beschäftigung nach, wir hörten bei unserem Tun die Suite 1 von Bach, für mich das schönste Musikstück für ein Instrument, dem Cello, welches ich neben der Geige so liebe. Ein unvergeßlicher Moment des Zusammenseins voller Nähe und Herzenswärme, ohne dass ein Wort gesprochen wurde und ich mich unglaublich wohl gefühlt habe.
Das Buch von Alexandre Dumas erschien in den Jahren 1844 und 1846 als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift Les Journal. Und obwohl es einer der bedeutensten Werke der französischen Literatur ist, habe ich es erst jetzt zur Hand genommen, bin nie zuvor in die Gelegenheit gekommen. Anlaß gab mir der Film mit Robert de Niro *Sleepers*, den ich vor einger Zeit sah, in dem einer der Jugendlichen, die in einer Erziehungsanstalt Furchtbarem ausgesetzt waren, dieses Buch las und ihm so die Zeit des Schreckens vergessen zu machen, ja, gerade zu half, sie zu überleben. Ich weiß ebenso um diese wunderbare Möglichkeit in Büchern Halt zu finden, wenn die Welt gerade unglücklich erscheint.
Ich weiß auch nicht warum. Vielleicht schreckte mich immer die Fülle der Seiten ab, denn als Mensch, der viel mit und an sich selber arbeiten mußte, eine Familie zu versorgen hatte, vielem anderen, aber vor allen Dingen als Buchhändlerin, die ständig damit beschäftigt sein muß, das Aktuelle zu lesen, damit es den Kunden, die, in all den Jahren habe ich das jedenfalls nie erlebt, nach klassischer Literatur suchten, Empfehlungen geben konnte. Denn der Mensch in unserer Zeit verlangt immer nach dem Neuen und mißachtet die Schätze der Vergangenheit, wie so mancher auch die Erinnerung an das Gestern verachtet. Aber was ist ein Leben ohne die Erinnerung nicht nur an die Geschichte der Welt, sondern auch an seine eigene, an Menschen, die nicht mehr bei einem sind, an glückliche oder traurige Momente.
Ein Abenteuerroman, so wird das Buch beschrieben. Und ja, es ist ein Abenteuer dieses Buch, wie das ganze Leben doch auch ein Abenteuer des Menschen ist, der durch diese Welt schreitet.
Die Geschichte von Edmont Dantes, der von einer Schiffsreise heimkehrte, voller Glück die Ladung seines Reeders gerettet zu haben, nachdem der Kapitän ums Leben gekommen ist, für den er noch auf seinem Sterbebett gekämpft hatte, dort auf der Insel Elba, wo Napoleon im Exil lebte und seine Rückkehr vorbereitete und Dantes, ohne es zu wissen, in diese Verschwörungspläne der Bonarpartisten mit hinein geriet, in dem ihm ein Brief anvertraut wurde, den er nach Paris überführen sollte. Niemand durfte von diesem Brief erfahren. Dantes schien am Anfang des Erfolges zu stehen. Der Reeder, Morrel, sein Chef, den er verehrte ernennt ihn zum neuen Kapitän und der Heirat mit seiner geliebten Mercedes scheint nichts mehr im Wege zu stehen.
Aber dieser Brief, das Versprechen, das er dem Absender gab, ihn an den Adressaten zu übergeben, stürzte sein Leben ins Unglück. Natürlich nicht nur dieser Brief allein, sondern der Verrat durch Freunde, die Korruption, die Habgier und die Machtgier der Menschen, die in seinem Umfeld lebten. Wir lesen mit Dumas auch die geschichtlichen Ereignisse bis zur Julirevolution 1830. Ich will dazu gar nicht so sehr viel sagen, dass kann ja alles nachgelesen werden.
Edmont Dantes wird nach Verrat und Heimtücke in ein Verließ des berüchtigten Gefängnis Chateau d If, einer Festungsinsel vor Marseilles gebracht, in der er 14 Jahre verbrachte. Dann für Tod erklärt.
Ich möcht nun aber für all die, denen ich dieses Buch wärmstens ans Herz lege, wenn sie es noch nicht kennen, nicht mehr viel verraten, wie dieses Abenteuer des Edmont Dantes, der dann später zum Grafen von Monte Christo wird, verläuft.
Ich verpreche aber, dass es gar nicht anders sein kann, als dass diese Geschichte von Glück und Unglück, Liebe und Haß, Rache und Vergeltung, aber auch von Zweifeln, Hoffnung und Glaube einen nicht mehr losläßt.
Und sicher wie in allen Büchern, die über das Leben erzählen, gibt es immer Momente, wo sich selber in Frage gestellt werden kann. Ich hab viel über den Sinn der Rache nachgedacht. Ich denke, die meisten Menschen hätten Gründe genug dazu, nicht nur Rachgedanken in ihrem Inneren zu entwickeln, sondern auch den Wunsch sie zu vollziehen. Ja, in manch einem Moment hatte ich sogar den Gedanken, vielleicht kann nur der Antrieb Rache nehmen zu wollen den Menschen zu einem ganz anderen werden lassen, ohne sie jemals auszuführen. Sie kann vielleicht Ansporn sein, ehrgeiziger zu werden, als man es im innersten seines Wesens vielleicht ist. Fast bin ich in der Beschäftigung mit den Gedanken über Rache an einen Punkt gekommen, wo ich es ein klein wenig bedauert habe, niemals Rachegelüste empfunden zu haben, jedenfalls kann ich mich bewußt nicht daran erinnern. In einem Film mit Kevin Spacey, den ich vor einiger Zeit sah *Das Leben des Gale* wurde gesagt: *Wer Rache sucht, gräbt zwei Gräber* Vielleicht war es das, was mir imemr Angst gemacht hat, ich weiß es nicht.
Ich habe auch die Sprache geliebt, in der dieser Roman aus einem anderen Jahrhundert erzählt wird. So herrlich altbacken die Dialoge. Mir hat es größtenteils gefallen, mit welcher großer Distanz sich in dieser Zeit Menschen sprachlich begegnet sind, obwohl sie Freunde oder gar Ehepartner waren. Kaum mehr zu glauben in unserer jetzigen Zeit, wo man immer und überall gleich auf Du und Du steht und es den Anschein hat, es gäbe keine Grenzen mehr zwischen den Menschen. Ich kann mich davon nicht immer ausnehmen. Auch ich überschreite sicherlich hin- und wieder diese Grenzen. Es ist doch schöner, wenn die Zeit der Annäherung zwischen Menschen langsam voranschreitet und nicht mit der Tür ins Haus gefallen wird, wenn es noch Werben und Umwerben gibt und noch Vorsicht waltet mit dem, was man dem Anderen gerne sagen möchte, wenn noch Sorge besteht, ob es nicht anstössig, unverschämt oder gar verletztend, zu neugierig, was auch immer ist. Kommunikation ist ein zerbrechlich Ding, weil ja nicht zerstört, sondern angenähert werden will.
Natürlich muß man es mögen, wenn Dumas, wie im Grafen von Monte Christo kein Zeitproblem hat, um Spannung aufzubauen, in dem er alles genau schildert, Örtlichkeiten, Ausstattung der selben, kleine Beschreibungen der Ereignisse, die einem möglicherweise unwichtig vorkommen, aber dennoch zum Ganzen dazu gehören, weil sie genau das ausmachen, was einen wie einen Sog in das Geschehen mit hineinzieht. Heute, wenn du mal etwas länger ausholst, wird einem immer gleich gesagt, komm zum Punkt. Zuhören kann nicht mehr jeder. Dabei gehört doch gerade das Ausschmücken eines Erlebnisses, auch wenn es, bei mir jedenfalls, ich kann nicht anders, zum Erlebten dazu. Und ich meine nicht das erfundene Ausschmücken, sondern all das, was so geschieht, bis zum wirklichen Höhepunkt des Erlebnisses gekommen wird. Doch in Zeiten von Twitter und Facebook oder whatsapp, Kurzmeldungen und der Gier nach immer neuen Informationen, möglichst mit Sensationscharakter, ist das Zuhörenkönnen zu kurz gekommen. Der Mensch hat es heute immer eilig. Auch beim Lesen, weil schon der nächste Roman winkt.
Er hat es auch eilig zum Ziel zu kommen, mit dem, was er erreichen will und wenn das Leben, das seine oder das Weltgeschehen nicht schnell so verläuft, wie er sich das vorstellt, gibt es Jammern und Klagen. Wie schnell geht das, gar solche Momente, wo man das Leben als nicht mehr lebenswert betrachtet. Ich zitiere mal einen Satz aus dem Grafen:
*Man hat es immer eilig mit dem Glück, Herr Danglars, dass wenn man zu lange gelitten hat, wird es einem schwer, ans Glück zu glauben*
Man müßte ein Buch schreiben über die *Ungeduld des Menschen* :)
Es gibt unendlich viele Lieblingsstellen in diesem Buch für mich, ich kann sie gar nicht alle aufzählen, aber zwei möchte ich benennen:
*In einem Augenblick der Verzweiflung habe ich wie du mir eines Tages das Leben nehmen wollen, in einer verzweifelten Lage hat dein Vater Hand an sich legen wollen. Hätte man deinen Vater in dem Augenblick, wo er den Lauf der Pistole gegen seinen Kopf richtete, hätte man mir in diesem Augenblick, wo ich das Gefängnisbrot, das ich drei Tage lang nicht anrührte, von meinem Bette stieß, ich sage, hätte man uns beiden in diesem Augenblick gesagt: LEBET! Es wird ein Tag kommen, da ihr glücklich sein und das Leben segnen werdet; mochte die Stimme gekommen sein, woher sie wollte, wir hätten sie mit dem Lächeln des Zweifels oder der Qual des Unglaubens angehört, und wie oft hat dein Vater später, wenn er dich in seine Arme schloß, das Leben gesegnet, wie oft habe ich selbst....*
Man muß das Leben lieb behalten, es braucht Geduld, um die Strecken des Schmerzlichen und Unglücklichen auszuhalten, es braucht mehr Mut zum Leben als es sich zu nehmen, so denke ich jedenfalls.
Eine andere:
*Ich lebe zurückgezogen im Hause meines edlen Beschützers, und ich lebe so, weil ich die Stille liebe, die mir erlaubt, mich mit meinen Gedanken zu beschäftigen. Aber der Herr Graf von Monte Christo widmet mir väterliche Fürsorge, und nichts, was das Leben der Welt ausmacht, ist mir fremd, nur nehme ich aus der Ferne daran teil. So lese ich alle Zeitungen, und indem ich aus der Ferne das Leben der anderen verfolge, habe ich erfahren, was heute morgen in der Pairskammer vorgefallen ist und was heute Abend vor sich gehen sollte*
So ist es, dachte ich. Ich kenne das gut. Es ist nicht so, als wenn du nicht weißt, was in der Welt vor sich geht, wie es zugeht zwischen den Menschen, nur, weil du nicht ständig inmitten all dem bist. Du kannst das Leben auf vielfache Weise begreifen und kennenlernen. Und es gibt wohl auch nichts Schöneres, für mich jedenfalls, als die Stille seines Hauses zu genießen und seinen Gedanken nachzugehen, Zeit dazu zu haben und nicht von einem zum anderen zu hüpfen, sondern mit Sorgfalt auszusuchen, was und wem sich zugewandt werden will.
Nun denn, ich höre jetzt auf und hoffe, dass ich Einige dazu verleiten kann, sich diesem wunderschönen Buch zu widmen, das eine Zeit voll Miterleben und mit Dabeisein im Leben des Grafen von Monte Christo schenken kann und ganz nebenbei auch zum Nachdenken über das eigene Leben anregt. Ein Buch, dass das nicht tut, hat es nicht verdient, ein Buch zu sein. Jedenfalls kein literarischer Roman.
By the way ...ich habe mir natürlich nach dem Lesen des Buches auch, ich glaube die letzte Verfilmung von 2002 unter der Regie von Kevin Reynolds angeschaut. Und ich kann nur sagen...Der Film ist eine Beleidigung an das Buch. Ich werde jedoch versuchen, noch an ältere Verfilmungen heranzukommen um zu vergleichen. Nur eines bitte..niemals zuerst den Film schauen. Immer das Buch lesen.
Der Graf von Monte Christo
Anaconda Verlag
ISBN: ISBN: 978-3-86647-292-1
9,95 Euro