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22. Juli 2018 7 22 /07 /Juli /2018 11:30
Sonntagmorgen. Gut geschlafen, schnell runter zum Frühstück. Mit dem Frühstück haben es die Franzosen nicht so. Es ist spartanisch, aber lecker. Frisches, knuspriges Baguette. Das Bild schlechthin vom Franzosen, wie er frühmorgens mit einer Baguettstange durch die Strassen zieht. Es gibt Schinken, Marmelade, fertig. Reicht ja auch, für mich jedenfalls. Bin eh kein Vielesser auf einmal. Lieber mehrmals am Tage.
 
Das Rad laß ich heute stehen. Es geht mit der Trom D erst mal zum Bahnhof, der sich mitten in der Stadt befindet. Er soll Ausgangspunkt sein und gleichzeitig auch schon mal Inspizierung wegen meines Abreisetages am Montag, damit ich da nicht suchen muß. Die Trom hält unterirdisch und ich gelange von dort direkt in die Bahnhofshalle, die eine schöne Himmelsgewölbearchitektur vorweisen kann. Schnell hab ich alles Notwendige herausgefunden und trete auf dem Bahnhofsvorplatz. Der gesamte Bahnhof ist eingebettet wie in ein Gefäß, auf dessen Aussenwände bunte Graffityzeichnungen zu sehen sind. Gut verpackt und nett anzusehen.
 
Hatte ich es schon geschrieben? Ich sag es nochmal. Ich bin ja nur wegen Tomi Ungerer nach Strassburg. Ich bin ganz vernarrt in diesen humorigen Philosophen, der gar nicht intellektuell sein wollte, sondern aus seinen Beobachtungen heraus die Welt analysiert hat, wunderbare Kinderbücher entworfen und böse, fast schon zynische Darstellungen des Weltgeschehens illustriert hat. Ich liebe alles, was er veröffentlich hat.
 
Aber nun spaziere ich erstmal bei Sonnenschein vom Bahnhof weg durch die Strassen. Alles noch recht leer, in den Cafes sitzen die Menschen und beginnen mit aller Muße den Tag. Ich bin sofort begeistert von den vielen, kleinen Geschäften, die ich zu sehen bekomme. Keine Monokultur, wie sie mittlerweile überall in den Städten erscheint, Bäcker, Optiker, Händyläden, Fastfoodketten, Billigsupermärkte und Bekleidungsgeschäfte, die zu irgendwelchen Ketten gehören. Nicht mal den Laden mit den zwei Buchstaben hab ich hier gesehen, ihr wißt schon, Hennes und so. Alles individuell kleine Boutiquen, in denen es Laune machen würde, ein wenig zu stöbern. Meine Begeisterung erstreckt sich auf die Fensterläden, die Dinge anbieten, die sonst nirgendwo so einfach zu finden sind. Ein Philateliegeschäft. So herrlich altbacken die Auslage im Fenster. Meine Nase an die Scheibe drückend schau ich mir die mit so viel Sorgfalt und Liebe gestalteten, teils bunten, aber auch einfach nur schwarzweiß gezeichneten Briefmarken aus aller Welt an. Dass es noch Menschen gibt, die Briefmarken sammeln find ich einfach wunderbar.
 
Was war das für eine Welt, in dem Briefe noch von Hand geschrieben und mit ebenso großer Sorgfalt, wie der Inhalt geschrieben wurde, steckte man ihn in ein Kuvert, versehen mit einer Briefmarke, die man gezielt aussuchte, weil sie eine Zier auf dem Umschlag sein sollte. Wenn die nötigen Mittel dafür da waren und natürlich die Zeit, wurde doch jedes Detail, mit dem sich im Leben beschäftigt wurde, mit größter Beachtung und Hingabe beschäftigt. Heute ist alles schnelllebig, praktisch, quadratisch, aus, fertig. Und alle finden das toll.
 
Ich bin mit meinem Fotoapparat bewaffnet, bleibe öfters stehen. Das führt wohl dazu, dass ich immer mal angesprochen werde, ob man mir helfen könne. Es wird sich als Stadtführer angeboten. Das Ansprechen erfolgt oft in vielen Sprachen und vor allen Dingen auf vielfältige Weise. Die lassen sich was einfallen. Es sind Herren der Schöpfung, die sind halt kreativ. Als ich einmal *Schönes Fräulein* höre, muss ich doch kichern. Nein danke, es ist alles im grünen Bereich. Ich finde mich zu recht.
 
In einer kleinen begrünten Nebenstrasse nicht weit vom Bahnhof entfernt steht in einer eufeuumringten Nische ein hübsches Schränkchen. Es steht einfach so da in der Straße und lädt zum Stehenbleiben und Schauen ein, was sich darin wohl verbirgt. Er sieht ja nicht aus, als wenn er einfach entsorgt worden wäre. Beim näher gehen entdecke ich einiges Kleinod darin verborgen. Büroordner, Schlappen, Socken , Bücher und Geschirr. Oben drüber ein Schild auf dem zu lesen ist *trocotheque* Was auch immer das heißen mag. Ich habs gegoogelt am Abend, bin aber nicht fündig geworden.
 
Neben mir steht plötzlich eine Französin, die aber, wie ich schnell herausfinde, ein paar Brocken deutsch spricht. Auf meine Frage, was das mit dem Schränkchen auf sich hat, erzählt sie mir, dass man sie immer mal in Strassenecken finden kann. Dort sammeln sich Gegenstände, die nicht mehr gebraucht und dort hineingelegt werden. Andere kommen vorbei, schauen und finden genau das, was ihnen fehlt. Ich finde das eine nette Idee. Ähnlich wie mit den Bücherschränken. Unser kleines Gespräch ist recht nett, sie erzählt mir, dass sie eigentlich aus Paris käme, jedoch in einem Urlaub einen italienischen Gastronom in Strassburg kennengelernt habe, die große Liebe und so sei sie hier sesshaft geworden. Wies so geht im Leben. Als sie jedoch das Jammern anfängt, wie sehr Strassburg sich durch die vielen ausländischen Mitbürger verändert habe, sie die Gefahr sehe, dass die eigene Kultur verloren ginge, werde ich etwas zappelig. Ich hab echt null Bock jetzt auf solche Diskussionen. Sage ihr nur noch, dass ich das französische Flair jedoch an allen Ecken spüre und verabschiede mich mit einem freundlichen Dankeschön fürs miteinander Plaudern.
 
Auf dem großen Kleber Platz prangt mir in seiner ganzen Würde der olle Feldherr General Kleber entgegen, der unter Napoleon die Expeditionsarmee nach Ägypten geführt hat. Ich habe mir den Roman *Die Nadel* ein Stück französische Geschichte, in der Herr General Kleber eine Rolle spielt, einmal vorgemerkt, um ein wenig Geschichtsluft zu schnuppern. Übrigens wurde er dann später von türkischen Fanatikern ermordet. Die französischen Soldaten, als sie ihn faßten, waren so in Rage und Verbitterung über den Tod ihres Generals, dass sie den Attentäter schnurstracks gepfählt haben. Hinter General Kleber erstreckt sich an der Audette das ehemalige lange Militärgebäude. Der Name Aubette erklärt sich aus der Wachablösung, die dort an jedem Morgen stattfand. Heute ist es ein Veranstaltungsort.
 
Vielleicht für die meisten Touris nicht so interessant, doch mein Interesse hat der Club de la Presse Strassburg - Europa geweckt. Ich ging davon aus, dass sich dahinter die Redaktion eienr Strassburger Zeitung befindet. Jedoch recherchierte ich und entdecke, dass es sich um einen internationalen Presseclub handelt, in dem sich Medienvertreter und Journalisten aus aller Welt zum Austausch zusammenfinden. Den Mitgliedern geht es vor allen Dingen um die Bewahrung der Pressefreiheit, die in einigen Ländern der Welt durch das politische Regime eingeschränkt ist, ganz aktuell wissen wir es ja aus der Türkei. Stelle mir diese Zusammenkünfte sehr interessant vor. Leider habe ich auf deren Webseite nichts gefunden, wo evtl. Veröffentlichungen über Themendiskussionen, die dort stattgefunden haben, zu finden sind. Schade.
 
Ich laufe eigentlich ohne Plan durch die Strassen, lasse die Eindrücke auf mich wirken, komme zur Kathedrale. Die Eingänge der Kathedrale werden von Securitasleuten streng bewacht. Von ihnen erfahre ich, dass der Zugang erst um 13.30 Uhr gestattet wird, da am Vormittag lange Gottesdienste stattfinden.
 
Ich verschiebe die Besichtigung auf später und will nun sehnsüchtigerweise endlich zum Tomi-Ungerer-Museum. Da ich noch keinen Stadtplan besitze muss ich mich durchfragen. Begegne einem netten älteren Franzosen, der mir reizenderweise seine Hilfe anbietet und mich bis zum Eingang des Ungerer-Museums begleitet. Da er kein Wort deutsch oder Englisch spricht, ich kein Französisisch ist unsere Unterhaltung schräg und lustig. Wie immer hab ich jedoch den Eindruck, wir verstehen uns.
 
Das Museum ist in einem alten schönen Partrizierhaus aus dem Jahre 1884 untergebracht, eine kleine Oase. Im Garten der Villa steht eine Skulptur aus Metall, die aus einer Zeichnung Ungerers gefertigt wurde. Der Name der Skulpur Sur les dents (auf den Zähnen). Sie zeigt eine menschliche Gestalt, in deren Kopf eine Säge steckt. Auf den Zähnen, das erinnert mich daran, dass wir manchmal, wenn es uns alles zu viel wird im Alltag, uns ausgepowert fühlen, sagen....ich gehe auf dem Zahnfleisch... Da ist nix mehr, mit dem ich zubeißen kann. Vielleicht hat Ungerer das ausdrücken wollen, die Welt, so wie sie sich in ihren Schrecken und Abstrusitäten zeigt, der hat man nix mehr entgegenzusetzen, denkt man vielleicht manchmal in Momenten. Ich weiß es aber nicht.
 
Zwei nette Damen an der Kasse begrüßen mich freundlich, sprechen deutsch und wir plaudern ein wenig. Erzähle, dass ich aus Köln mit dem Rad gekommen wäre, um endlich mal die Ausstellung meines von mir verehrten Herrn Ungerer zu bestaunen. Sie lachen und wir machen noch ein paar Witze. Ich sage, ich schwöre, ich würde ihn heut noch heiraten, auch wenn er alt ist. Was kümmert mich das Alter bei einem Mann. Humorvoll muss er sein, klug-witzig und ein verschmitzes Lächeln, das sich in seinen Augen spiegelt, dass muss er haben. Die beiden Damen lachen. Ich erwerbe meine Eintrittskarte und los gehts.
 
Direkt im Eingangsbereich der Ausstellung befindet sich eine Videodokumentation über Ungerer, die ich bereits kenne aus der Ausstellung in Brühl bei Köln, die ich vor Jahren schon besucht hatte. Ach Ungerer... mit 12 Jahren hat er schon prophezeit, ich werde ein Wanderer sein. Wanderer durch und zwischen den Welten. Das gefällt mir, denn so empfinde ich mich auch immer in dieser Welt, auch wenn ich keine berühmte Künstlerin bin. Er war ein Wanderer, Kinderbuchautor- und zeichner, Cartoonist und Philosoph, der nie vergessen hat, auch Kind zu bleiben und dem zur Erwachsenenwelt einfach immer nur Böses einfällt. Kinder hat er immer ernst genommen. Zu recht. Denn Kinder sind die Einzigen, die noch keine Angst haben vor ihren ausgesprochenen Worten. Sie sagen, was sie denken und fühlen, wenn man sie nicht unterdrückt, aber vor allen Dingen können wir Erwachsenen von ihnen lernen, wie offen sie dem Andersartigen, Fremden gegenüber sind. Sie sind noch nicht geschlossen, sag ich immer.  Und ihre Wahrheiten sind tief. Ungerer sagt selbst, dass die Kinder in seinen Kinderbüchern nie Angst haben, selbst wenn die drei Räuber kommen, alles läuft weg, selbst die Hunde, aber die Kinder bleiben. Dennoch sagt er, ohne Angst gäbe es keinen Mut.  Der Mut ist die Überwindung der Angst.
 
Herrlich. Sein Lebenslauf ist spektakulär. Er flog als Kind von der Schule, wurde später Seemann, Fischer und Fremdenlegionär. Dann 1956 kommt Ungerer mit 6o Dollar in New York an. Die Zeichenschule in Strassburg hatte er abgebrochen. Und schon ein Jahr später bekommt er dort einen Preis für seine erstes Kinderbuch über eine Schweinchenfamilie. Seine Karriere beginnt in vielen Bereichen, Cartoonist, Werbegraphiker und Kinderbuchautor. Das Schöne ist in seinen Zeichnungen zu entdecken, dass alle seine Helden Monster, Menschenfresser, Böse, wie auch immer, dennoch auch liebenswert sind. Aber er zeigt Amerika auch sein anderes Gesicht. Vehement und mit großem Einsatz reagiert er auf die amerikanische Politik und den Vietnamkrieg und kritisiert jede Form von Ideologie. Es ist ein großer Zorn, der ihn antreibt, so sagt er. Der Zorn sei es, der ihn antreiben würde, das Richtige, aber vor allen Dingen auch seine Kunst hervorzubringen zu lassen. Ich verstehe das. Ich kann die Thesen über Emotionslosigkeit absolut null verstehen. Was für einen Kwatsch.  Sicherlich müssen diese im Zaum gehalten werden, aber sie sind Ausdruck unseres Empfindens, unseres Denkens. Wer sie negiert den nenn ich gleichgültig.
 
Amerika zeigt sich geschockt. Ein Kinderbuchautor der zornig auf ihr Land reagiert? Im Jahre 1970 erscheint sein böses satirisches Werk *Fornicon* eine böse Satire über den Menschen und ihre Gier nach Lust und Befriedigung. Ein Anti-Porno-Buch. Ich kenne es in- und auswendig, auch wenn es sich derzeit nicht in meinem Besitz befindet, aber aus meinen alten Buchhändlertagen. Wie recht ich ihm geben muß. Porno ist der Tot der Liebe, der Nähe. Immer mehr und immer höher hinaus in der Befriedigung der Mensch, der dann auch nicht zurückschreckt vor Verletzung und Traumatisierung des anderen, weil er wie eine Maschine geworden ist, auf die man nur ein Knöpfchen drückt, damit Befriedigung erreicht wird. Erich Fromm sagte übrigens über Fornicon, es sei das letzte Wort, dass über Pornographie gesagt werden kann. Und was Fromm sagt, ist mir fast in allem heilig. Wahrheiten will der Mensch jedoch nie hören. Er müßte anfangen sich dann mit sich selbst zu beschäftigen. Und wer will das schon. Ungerer erliegt der Ächtung, seine Werke werden verboten, selbst seine Kinderbücher. Aufträge bleiben aus und er kehrt New York den Rücken und geht nach Kanada. Dort lebt er mit seiner Frau und Hund in der totalen Einsamkeit, betreibt Gartenbau und Viehwirtschaft, ohne seine künstlerische Arbeit zu vernachlässigen. Er macht weiter. Als sich die Welt beruhigt hat, kommen wieder Aufträge, aus Europa, ein Liederbuch, an dem er 5 Jahre arbeitet.
 
Ich bin fast zweieinhalb Stunden in seiner Ausstellung. Sitze immer wieder vor den vielen Zeichnungen, Plakaten und seiner Spielzeugsammlung, aus denen er sich oft Anregung auch für seine Zeichnungen geholt hat. Ich kann mich einfach nicht lösen von diesem Menschen, der so viel Schicksalsschläge in seinem Leben durchlaufen hat. Mit 3 Jahren schon verliert er seinen Vater, der an einer Blutvergiftung stirbt. Später die Besatzung des Elsaß durch die Deutschen, Verbote seines künstlerischen Schaffens, schwere Krankheiten. Ungerer ist immer wieder Überlebender. Mehrere Schlaganfälle, zum Teil erblindet und eine schwere Krebserkrankung haben ihn niedergeworfen. Sein Motto *Tumor mit Humor* hat mich selber auch in meiner Krebserkrankung begleitet und mir Kraft gegeben. Im Laufe meines Lebens bin ich immer wieder Menschen begegnet, sei es im Alltag oder im künstlerischen Raum, die mir gezeigt haben, das Schweres leicht genommen und überwunden werden kann. Daher bin ich dankbar, dass die Welt diese Menschen hervorgebracht hat.
 
Angefüllt mit all dem, was ich gesehen und gedacht habe wandere ich an der Ill entlang, über Brücken hin- und her. Der Hunger treibt mich dann zurück in die petit france, auch *klein Frankreich* bezeichnet,  um mir etwas Gemütliches zu suchen, wo ich meinen Hunger stillen kann. Ich komme über die Ponts Couverts, wie die Franzosen sagen, in das alte Viertel. Übrigens geht die Bezeichnung petit france darauf zurück, dass im 16. Jahrhundert dort ein Krankenhaus stand, in dem Geschlechtskrankheiten behandelt wurden. Es hieß *Zum Französel*, so dann auch später die Syphillis bezeichnet wurde. Die vielen Ponts sind Zeichen dafür, dass dort von 1200 bis 1250 Befestigungsmauern erstanden, die im Laufe der Jahrhunderte verstärkt wurden. Vier Kanäle sind es, die das petit france durchqueren, sie tragen die Namen der Mühlen (Zornmühle, Dinsenmühle, Spitzmühle) die sie all zu damals mit Wasser versorgt haben. Nur der vierte Kanal diente damals der Schifffahrt.
 
Durch das Viertel schlendert nun ebenfalls ein kleienr Touristenstrom, denn es ist nach all meinen Spaziergängen das schönste, malerischste Viertel in Strassburg. Heute gibt es keinen Gestank mehr, wie einst zu damals, als die Gerber noch ihre Felle zum Trocknen an der Luft auf die Strassen hängten und die Bewohner diese Orte mieden. Viele Restaurationen, kleine Geschäfte aber vor allen Dingen die hübschen Fachwerkhäuser fesseln beim Durchlaufen.
 
Ich habe gefunden, was ich nun möchte. Essen. Gut...aber was...Ich bin mal wieder anders, als wie man von mir erwartet und was man mir so angeraten hat. Du musst unbedingt Flammkuchen...sagte meine Freundin, die selber Flammkuchen zaubert und der ich vor ein paar Wochen auf einem Weinfest dabei geholfen habe. Du musst...dich unbedingt vom französischen Essen bezaubern lassen, sagen andere. Mach ich aber nicht. Ich bin son Typ. Ich finde ein tibetisches kleines Restaurant, dass Momo Tibetan im Namen trägt. Es hat mich einfach angezogen. Ich war zwar nicht im Tibet, aber in Indien. Und in Delhi gab es ein kleines tibetisches Lokal an dem ich morgens mein Frühstück einnahm und einfach nie diese Athmosphäre und die Freundlichkeit der Menschen dort vergessen kann. Das war es, was mich nun in dieses Lokal zog. Ich konnte auf der Strasse gemütlich Platz nehmen und ließ mir vegetarische Momos servieren. Saulecker. Zur Erklärung. Momos sind zu vergleichen mit italienischen Raviolis oder schwäbischen Maultaschen. Und so saß ich da, aß vergnügt und ging in Strassburg meinen Erinnerungen an meine Reise durch Indien und Nepal nach. Reisen ist auch immer Begegnung mit Vergangenem, egal, ob es aus dem Alltag entspringt oder aus ereignisreichen Wanderungen durch die Welt.
 
Zufrieden will ich nun zur Kathedrale. Es war mittlerweile 16.00 Uhr geworden. Ich habe das Verschwinden der Zeit nicht bemerkt. Mittlerweile steht eine kleine übersichtliche Schlange am Strassburger Münster, so wird sie bezeichnet. Umrandet ist sie von hübschen alten Fachwerkhäusern, in denen einige Gastronomie mit gemütlichen Strassensitzplätzen logiert, natürlich auch die überall vorzufindenden Souvernierlädchen. Der Sage nach soll auf dem Vorplatz des Münsters der Teufel vor sehr sehr langer Zeit von einer Skulptur des Münsters angezogen worden sein, die ihn selber in Form des Verführers zeigte. Der Teufel war auch neugierig. Daher ließ er den Wind, der angeblich immerr über den Vorplatz weht, ich habe ihn an diesem Tage nicht bemerkt, einfach draussen und zog in den Chorraum der Kathedrale. Dort las der Pfarrer gerade in diesem Moment eine Messe. Pech gehabt, der Teufel, er wurde sodann in den Pfeiler eingeschlossen. Dort haust er nun und der Wind, der Wind, das himmlische Kind wartet seitdem auf seine Rückkehr. So kanns gehen. Manchmal weht einem der Wind kräftig entgegen und will einen mitreißen. Daher, immer ufbasse, woher der Wind weht.
 
Die Securitaleuts werfen einen Blick in die Taschen und Rucksäcke der Besucher, erst dann wird Einlaß gewährt. Ich bin überrascht, als ich eintrete, denn anders, wie von meinem Kölner Dom gekannt, herrscht große Stille und recht wenig Besucher sind im Innenraum vorzufinden. Ich erzähls einfach, denn warum soltle ich mich schämen. Ich weiß ja selbst nicht einmal warum. Jedenfalls sofort nach dem ich eingetreten bin muss ich weinen. Ich war einfach so ergriffen von diesem Bauwerk, seinem Ausdruck, seine Erinnerung, Mahnung an etwas Größeres, an das viele Menschen glauben und vielleicht ist es ja doch auch in mir, dieses sich nicht abfinden wollen damit, dass all das, was ich sehe, alles ist. Ich weiß es nicht. Ich setz mich still in eine Bank und meine Gedanken gehen an die Menschen, die gerade Schweres zu durchleben haben. Da ist ein guter alter Freund, der seit einigen Jahren um sein Leben kämpft, da ist der nette User aus meinem Schachforum, dessen Frau wohl nun wieder kämpfen muß und sie eine schwere Zeit haben. Aber auch all die, die mir verloren gegangen sind, sind ganz präsent in mir. Wie immer, nicht nur an diesen Orten.
 
Nach einem kleinen, stillen Rundgang im Münster verlasse ich es wieder. Ich bin nicht so ein Kunsthistoriker und es müßte sich lange Zeit damit beschäftigt werden, was es alles um und über dieses Bauwerk zu erzählen gibt. Vor der Kathedrale macht ein Musiker auf einem merkwürdigen Instrument Musik. Irgendso was wie ne Stehgeige. Ich glaube, es ist ein Japaner. Er nennt es Himmelsmusik. Ich höre ihm gern ein wenig zu. Erst als er beginnt zu singen, erschrecke ich und denke, auweia, wenn das Himmelsmusik sein soll, wie hört sich die in der Hölle an, wenn überhaupt von Himmel und Hölle geredet werden kann und ziehe endlich weiter. Spätger, fast gegen Abend, entdecke ich ihn immer noch. Sitz den lieben langen Tag da und spielt seine Himmelsmusik.  Meine Versuche das Strassburger Münster auf ein Foto zu bekommen, sind vergebens. Es ist einfach so groß, dass es nie ganz auf ein Bild paßt, egal von welcher Serite ich es auch versuche. wurscht..denk ich, ist ja auch nicht so wichtig.
 
Lieber schau ich mir noch die alten Häuser im Viertel an. Das Liebfrauenwerk, die alte Hirschapotheke an der Ecke der Rue Merciere, die schon seit 1264 dort steht, das eine kleine Mär zum besten hat. Angeblich soll der Eckpfeiler des Obergeschosses die Menschen auf die Probe gestellt haben. Wer Eintritt erlangen wollte, musste sich zwischen der Mauer und dem Pfeiler hindurchzwängen, ohne sie zu berühren.  Vielleicht war das ja damals die Nagelprobe, um zu testen, ob man zuviel Gewicht am Leibe trug, ich weiß es nicht und schmunzele vor mich hin. Schau mir den Rohan-Palast an, in dem Kardinal Rohan residiert hat, der bekannt ist durch die Halsbandaffäre. Ich will das jetzt hier nicht alles erzählen. Meine geneigten Leser mögen das bei wiki nachschauen. Es würde den Rahmen sprengen.
 
Lauf da so herum durch die vielen kleinen Gässchen, Schmiedegasse, Gerbergasse, Ribisegasse, um wieder an die Ill zu gelangen und wandere unten am malerischen Ufer entlang. Auf einer Bank liegt ein Mann ausgestreckt der Länge nach und hält sein Mittagsschläfchen. Ob das nun ein echter Clochard ist? Man siehts ihm nicht an. Vielleicht hat er auch einfach mit nix was zu tun und denkt sich, an diesem Platz kann ich mein Mittagsschläfchen halten, ohne dass die Sonne mich trietzt. Ich finde ihn einen schönen Anblick, als Zeichen von gelebter Gelassenheit und Muße. An einer wunderschönen Patisserie mache ich halt und gönne mir einen Cafe au lait, der hierzuzlande ja in einer Tasse direkt serviert wird, mit dem Milschaum oben druff. Hier ist anders, als Cafe au lait stellt sich heraus, bekomme ich eine Tasse schwarzen Kaffee und ein Kännchen heißer aufgeschäumter Milch, mit der ich meinen Kaffee selbst verdünnen kann. Dazu gibt es, wie mir Madame Patisserie anvertraut, die besten Törtchen von ganz Strassburg. Es duftet auch wunderbar in ihrem kleinen Cafe und sie ist eine der charmantesten Französinnen, die ich bisher kennengelernt habe. Sie erinnert mich ein wenig an den Film *Chocolate*, den ich schon viele Male gesehen habe und der den Hunger auf Schokogenüsse in einem steigern kann, woran man vorher nicht geglaubt hat, dass man so verführt werden kann.
 
Jetzt fängt es tatsächlich vom Himmel herab ein klein wenig zu tröpfeln an. Egal, ist ja nicht viel und spaziere der Ill entlang zur protestantischen Paulskirche, der sich Niemand enziehen kann. Das Kirchlein steht an der südlichen Spitze der Ill-Insel St. Helena an der breitesten Stelle des Flusses und soll das meistfotografierteste Bauobjekt Strassburgs sein. Empfangen werd ich von zwei jungen Mädchen, die sich anbieten mir Fragen zu beantworten oder einfach um mehr zu erfahren. Aber ich möchte keinen weiteren Input, sondern einfach nur einen Moment dort still sitzen und bedanke mich.
 
Mein Spaziergang mit vielen weiteren Sehenswürdigkeiten endet gegen 20.00 Uhr und ich fahre mit der Trom D zurück zu meiner Jugendherberge, bei der ich den Tag im ruhigen Garten, ich bin fast allein in der Jugendherberge, ausklingen lasse. Ein voller Tag mit so vielen Eindrücken.
 
Der Montag steht mir noch zur Verfügung und an diesem Tag radele ich noch einmal mit dem Rad in die Stadt. Im kühlen Fahrtwind lasse ich noch einmal alles an mir vorüberziehen, fahre vor allen Dingen an den Kanälen entlang, zwischendurch immer wieder mal ein Päuschen auf einer Bank, den Moment genießend. Natürlich fahre ich auch zum Sitz des Fernsehsenders arte, bei dem ich nicht wenige Stunden meiner Fernsehgewohnheit fröhne. Ich dachte, vielleicht kann man ja eine Führung durchs Haus machen, aber ich habe nichts gefunden und es dann auch dabei gut sein lassen.
 
Ich möcht nochmal zum Europaviertel, um in Ruhe zu fotografieren. Als ich da so herumstehe, nähert sich eine Delegation aus Senegal dem Ausgang zu. Ich sehe sie kommen. Aus der Gruppe heraus löst sich ein Mann und kommt direkt auf mich zu. Was ich hier mache. Ich lache und sage, na was wohl, fotografieren. Oh lacht er zurück, dann nur mit mir zusammen, nimmt mich einfach in den Arm und ich bitte einen der anderen Passanten vor mir, ein Bild von uns Beiden zu machen. Er fragt mich, woher ich komme und natürlich erzähl ich nicht ohne ein ganz ganz klein wenig Stolz, dass ich mit dem Rad aus Köln gekommen bin. Köln, wo ist das fragt er. Muss ich ihm erklären. Dass ich nun 458 km gefahren bin. Er lacht wieder und sagt das ist gut, das ist gut. Alle fahren Auto hier, sagt er. In Senegal sei es normal, dass die Menschen sehr, sehr weite Strecken zu Fuß oder mit dem Rad zur Arbeit, zum Einkauf oder einfach nur um Familienangehörige zu besuchen, zurücklegen. Kommst du mal nach Senegal sagt er, und lacht. Ich auch. Und beim ganzen Gespräch schaut er mich, obwohl wir Beide immer wieder lachen müssen, ganz ernst an. Ich habe das Gefühl, einem Menschen zu begegnen, der sich wirklich, auch wenn es nur für einen Moment ist, für den interessiert, der da vor ihm steht. Mich hat das sehr berührt, diese Nähe, die dieses gegenseitige Anschauen für eine kurze Zeit unseres Gespräches geschaffen hat. Wir verabschieden uns und ich wünsche ihm alles Gute für sein Leben und die Arbeit, die er macht, sage ihm auch, dass er zu den schönsten Begegnungen meines Aufenthaltes gehört und meinen Tag hier in Strassburg beendet.
 
So soll es sein, ich kehre mit meinem Rad Strassburg den Rücken, fahre Richtung Jugendherberge und mache noch einen Abstecher hinüber über die Trom Brücke, die ja auch für Radler befahrbar ist, nach Kehl. Am Bahnhof tausche ich mein Ticket für die Zugrückreise am nächsten Tag um. Denn ich hab entdeckt, dass es für mich ja viel günstiger ist, von dort zu fahren, als dass ich am frühen morgen noch einmal hinein nach Strassburg zum Bahnhof muß. Der Umtausch wird mir auch mit freundlicher Beratung gewährt. Ich bekomme sogar 2o Euro rückerstattet, die Route, die für mich entdeckt wird, ist sparsamer im Preis und auch im Umsteigeverfahren, was ja mit Rad und Packtaschen und oft auch kurzer Umsteigezeit immer sehr anstregend ist. Selig bin ich.
 
Radele in die Innenstadt von Kehl und bin doch ein wenig erschrocken über die Gegensätzlichkeit beider Städte. Hier blickt mir nichts Altes, Beständiges entgegen. Kehl wurde während des zweiten Weltkrieges fast vollständig zerstört. Daher also. Ich wußte es nicht.
 
Ich habe aber keine Lust mich weiter mit der Stadt zu beschäftigen, sondern radele an dem sehr schön gelegenen Rheinufer entlang und setze mich irgendwann auf ein Bänkchen, um in Ruhe den Tag ausklingen zu lassen. Neben mir hockt eine alte Dame, die ich dann näher kennenlerne. Maggie, so heißt sie, saß da und studierte Sprachbücher. Wie sie mir erzählt, war sie zur Zeit ihres Berufslebens sehr viel in den USA und hat dort für große Firmen Semniare im Bereich Coaching gebeben, u.a. für Chrysler. Sie trauere ihrem Berufsleben nicht nach, sei aber immer noch aktiv, hin- und wieder gebe sie auch heute noch Seminare oder einfach nur Sprachkurse. Sie halte sich viel in Florenz auf, aber auch in Bonn, ganz in meiner Nähe. Auch sehr viel Privates erfahre ich über ihr Leben, wie es so gelaufen ist und höre immer wieder die Worte, dass man nie aufgeben darf, immer weitergehen und mutig sein muß. Da ist er wieder der Mut, der nicht zum Vorschein kommt, wenn wir die Angst siegen lassen. Ein schönes Gespräch, das meinen Aufenthalt abrundet. Sie lädt mich noch zu einem Eis ein in der Innenstadt, zu der wir gemeinsam zurückkehren, verabschieden uns dann, aber nicht ohne uns zu versprechen, dass wir postalisch in Verbindung bleiben.
 
Meine Reise ist beendet. Die Rückfahrt geht mit kleinen Problemen, aber gut nach Hause.
Ich sitze abends daheim auf meinem Balkon und kann es nicht fassen, dass ich mal wieder eine größere Strecke bewältigt habe. Habe mir mal wieder einen kleinen Traum erfüllt. Es müssen ja nicht immer die großen sein. Unterwegs sein ist schön. Auch wenn es dieses Mal recht anstrengend war wegen der Hitze und ich nach meinem Sturz auch an eine Grenze meinerseits gestoßen bin. Dass ich Angst entdeckt habe, dennoch den Mut hatte, den richtigen Weg danach zu gehen. Wie sich einen Tag später herausstellt, als ich mein Rad in die Werkstatt brachte, bestätigte sich meine Entscheidung, mit dem Zug zu fahren auch nochmal auf der Strecke Mannheim - Baden-Baden. Der Handwerker sagte mir, dass meine zweite Bremse es ebenfalls nicht mehr lange getan hätte. Passiert halt, sagt er, wenn sie lange drin sind, die Bremszüge. Die Hitze, das viele Abbremsen dann wegen der Höhenunterschiede. Glück im Unglück halt. Mit einer Bremse, in diesem Falle war es nur noch die Hinterradbremse, ist nicht gut zu fahren sagt er. Nicht auszudenken was gewesen wäre, wenn die noch gerissen wäre und ich hätt gar nicht mehr weiterfahren können. So ist mir die letzte Etappe noch gelungen und auch ein wenig Herrumradeln in Strassburg selbst. Nun steht es wieder da wie neu bremslich gesehen und ich habe ein paar Tage später schon wieder eine schöne Radtour unternehmen können.
 
Und immer ist es schön, so ganz für sich zu sein. Nicht viel reden zu müssen, auch nicht zu können, da Niemand da ist. Hin- und wieder, dafür bin ich natürlich dankbar, immer wieder schöne Begegnungen, bekam ich viel erzählt, aber du selber bleibst zurück. Wer viel redet, hört die Anderen nicht. Wer wenig redet hört und sieht mehr.
 
Und nun...mal schauen, wo mich der Weg zum nächsten Ziel hinführt. Es gibt so viele schöne Orte, die Zeit reicht einfach nicht aus und manchmal auch das nötige Kleingeld. Aber das macht alles nichts. Das Wichtigste ist immer noch, gesund zu sein und jeden Tag Freude am Leben zu haben. In diesem Sinne meinen geneigten Lesern eine gute Sommerzeit weiterhin mit ebenfalls vielen schönen Eindrücken.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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2. Juli 2018 1 02 /07 /Juli /2018 11:47

 

 

 

 

 

 

Viel Vergnügen!

Da hat Jack London einen wunderbaren, zum Nachdenken und Schmunzeln, schönen Agententhriller geschrieben. Er spielt im Jahre 1911 in New York, in dem anarchistische Attentäter so präsent waren, wie heutzutage terroristische. Obwohl...erstens hat er ihn gar nicht vollendet, denn irgendwann verging ihm die Lust am eigenen Werk, das eigentlich einzig dazu dienen sollte, kurzfristig schnell ein wenig Geld zu verdienen. Er dachte, das ging am besten und schnellsten mit einem Krimi. Jedoch,  es verging ihm ebenso schnell die Lust am Schreiben. Erst im Jahre 1960 schrieb ihn Krimiautor Robert L. Fisch zu Ende. Nun ist dieses hochamüsante, aber auch philosophisch reiche literarische Werk in einer Neuübersetzung von Eike Schönfeld erschienen.
 
Achja...und zweitens...Schon nach einigen Seiten entdeckt man, daß es zwar Agenten gibt, aber keine Spione. Warum also der Manesse-Verlag sich des Genres *Agententhriller* bedient hat, kann ich Euch nun nicht sagen.
 
Und drittens...man sollte diees herrliche Buch unbedingt lesen. Es ist ein wunderbares Lesevergnügen. Gemütlich unterm Sonnenschirm, auf einer Bank am Fluß oder einfach bei Sommergewitterwetter liegend auf dem Sofa mit einem kühlen Getränk und Lust auf gute Unterhaltung.
 
Was geschieht?
 
Es geht um eine GmbH, die Attentate für Auftraggeber erledigt. Kopf der Firma ist der Russe Ivan Dragomilov. Persönlich nimmt er die Aufträge an, jedoch wird die Person, die getötet werden soll, einer strengen Überprüfung unterzogen. Die Fragen, die geklärt werden müssen beziehen sich auf den Grund der Tötung, ob diese gerecht und moralisch verantwortbar ist. Werden diese beiden Fragen bejaht, wird der Tötungsauftrag an einen der weiteren Mitarbeiter, genauer gesagt *Killer* der Agentur-GmbH weitergegeben und immer präzise und erfolgreich ausgeführt. Die Killer sind keine dumpfbackenden Tötungsmaschinen, sondern gehen ehrenwerten Berufen in Unternehmen oder Universitäten nach und beschäftigen sich allesamt, jeder hat sein eigenes Spezialgebiet, mit hochintellektuellen Fragen des menschlichen Seins und Moral.
 
Der Auftrag muß sofort gezahlt werden. Ein Widerrufsrecht gibt es nicht. Wenn es läuft, dann läuft es.
 
Nun aber kommt Dragomilov ein junger Mann entgegen, der wiederum der Geliebte und zukünftige Ehemann seiner Nichte ist. Glaubt man, zumindestens für einige Seiten lang, bis sich auch hier eine überraschende Wendung auftut.
 
Dieser junge Mann, Winter Hall mit Namen,  hat sich die Frage gestellt, was passiert da eigentlich bei all den Attentaten, wer sind die Hintermänner und stößt so auf Dragomilov, den er in einer langen Diskussion davon überzeugen kann, dass es keine gerechte Tötung eines Menschen gibt. Dragomilov muss sich geschlagen geben und nimmt den Auftrag Halls an, den Kopf der perfekten Tötungsmaschinerie zu ermorden. Hall weiß zu diesem Zeitpunkt noch nichts über die verwandschaftliche Verbundenheit Dragomilov zu seiner Geliebten Grunnya. Als er den wahren Grund der Verbindung dieser Beiden erfährt, möchte er den Auftrag zurückziehen, da er nun auch Dragomilov als sein Tötungsopfer erkannt hat. Jedoch ist das leider nicht möglich, denn es ist ein Statut der GmbH, einmal angenommene Aufträge werden ausgeführt, so sie den Grundsätzen der Firma entsprechen.
 
Und nun beginnt eine wahrlich herrliche Verfolgungsjagd auf Dragomilov von seinen eigenen Auftragskillern durch die ganze USA. Wie er sich geschickt durchlaböriert und einen nach dem anderen seiner eigenen Leute umbringt und auf welche intelligente und auf einem immer gut ausgeklügelten Plan beruhend versuchen will, mit dem Leben davon zu kommen, ist spannend und auch amüsant zu lesen. Denn, auch das ist eine Regel der Firma. Kann sich der zu Tötende über ein Jahr retten, wird also von keinem der Auftragskiller der GmbH gefunden, kann der Auftrag doch noch storniert und dem Auftraggeber das Geld zurückgezahlt werden. Der Preis übrigens richtet sich nach dem Wert der gesellschaftlichen Stellung des Opfers. Für das Töten einess Polzeichefs genügen schon 10.000 Pfund, ein erstrangiger Monarch dagegen das Zehnfache und für den König von England wären es gar sage und schreibe eine halbe Millionen.
 
Abgesehen von dem Spannungsbogen, den das Buch vorgibt, den interessanten, teils witzigen Dialogen über Moral und Metaphysik kann man gar nicht umhin kommen, sich selber mit dieser Frage zu konfrontieren. Gibt es eine Ehtik des Tötens? Oder anders gesagt: Kann Böses Gutes tun? Kriege haben darauf ihre eigenen Antrworten entworfen. Im zivilen Alltagsleben sieht das jedoch ganz anders aus.
 
Ich jedenfalls kann nur eines sagen. Wäre ich involviert in eine Situation, in der ein oder mehrere Täter andere Menschen mit dem Tod bedrohen oder gar einige schon getötet hätten und ich hätte die Möglichkeit und den Mut etwas zu tun, den Mörder selber zu erschießen oder anderweitig zu töten, ich würde nicht zurückschrecken und mich am Ende nicht als Mörder fühlen.
 
Jack London
Mord auf Bestellung
Manesse Verlag
24,95 Euro
Isbn: 978-3717524267
 
Viel Vergnügen!
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26. April 2018 4 26 /04 /April /2018 12:05
ein aufmerksamer Beobachter seiner Umwelt sieht einfach alles, natürlich auch alles, was ihn selber betrifft. Manchmal eben auch das nicht so Schöne. Das ist nicht immer einfach, so ein Leben, ständig bist du damit beschäftigt, zuzulassen oder auszusortieren, was ist wichtig und was brauchst einfach nicht. Fakt ist immer erstmal, du sieht alles, einfach alles. Und das macht es schwerer, manchmal das Leben. Vielleicht aber auch reicher, manchmal bin ich mir gar nicht so sicher, ob es ein Vor- oder Nachteil ist. Jedenfalls ein Gar-Nix-Merker möcht ich niemals sein. Denn wer nix merkt, kann auch nix verstehen. Das ist doch so, oder?
 
Neulich, da spazierte ich mal wieder so gemütlich vor mich hin. Das ist schön, wenn du Zeit hast, selbst wenn eine Pflicht vor dir liegt, diese ungemein drucklos oder hektisch erledigen zu können.
 
Ich spazierte also, weil ich noch Zeit hatte, zuerst einmal eine kleine Runde durch die Strassen. Die Sonne schien, es war warm, endlich,  und schaute mal hier mal da in die Umgebung. Da näherte ich mich einem mir voranschreitenden Päärchen. Vorausgeschickt, ich konnte nicht wissen, was es für ein Päärchen wahr. Daher nahm ich an, es war ein frisch verliebtes. Jedenfalls, alles, was sie so miteinander taten, wie sie da so Arm in Arm daherschritten und sich erzählten und neckten, pufften, sich los ließen, wieder in den Arm nahmen, hin- und wieder, legte er den Kopf auf die Schulter der Frau, naja, eben alles, was man so tut, wenn man miteinander spazieren geht, sich mag und die Nähe des Anderen genießt.
 
Sie fielen mir auch deswegen auf, weil sie so gar nicht dem *üblichen Schönheits- und Perfektionnismusideal des Menschen* in unserem Zeitgeist entsprachen. Ich persönlich verdreh ja immer die Augen, wenn ich so manche, vorwiegend Männer, über das Bild, dass sie von einer Frau haben, reden. Wer wie und warum und wo schön ist und wer nicht. Denke oft, meine Güte, so haben meine Kinder nicht geredet, in keinem Stadium ihrer Entwicklungsstufen. Manche Leuts werden einfach nie erwachsen bzw. reich an Geistesgröße. Was nicht bedeutet, dass auch ein Erwachsener das Kind in sich bewahren sollte. Aber damit ist ganz sicher etwas anderes gemeint. Frauen hört man weniger urteilsmässig über das Schönheitsempfinden bei Männern reden. Mich persönlich interssiert das Aussehen eines Menschen recht wenig, Es gibt andere Kritierien, warum ich einen Menschen mag oder nicht.
 
Jedenfalls, um ein Bild von den Beiden mir da Voranspazierenden zu geben, er war sehr kompakt, was die Körperfülle anbelangt und hinkte mit einem Bein neben der Frau her. Kleidungsmässig nun auch nicht nach der neusten Mode ausgestattet, eher so zweckerfüllend. Jeanshose, lockeres, weites, graues T-Shirt oben drüber, fertig. Sie ebenfalls mehr als kompakt, besonders die untere Hälfte schien vom guten Essen zu profitieren. Auch ihre Kleidung betreffende Angezogenheit reduzierte sich auf bequem und unspektakulär. Eine schwarze weite Hose und eine locker graue Bluse bedeckten ihren recht fülligen Körper. Und während ihres Neckens und Knuffens, stießen ihre fülligen Körper, auch bedingt durch die Gehbehinderung des Mannes, immer mal wieder aneinander und ich hatte das Gefühl, sie mussten Beide ihr Gleichgewicht im Nebeneinander und Miteinander Hergehen immer mal wieder erneut finden.
 
Aber das ist ja alles nicht so wichtig. Also, das Aussehen der Beiden, aus den anfangs geschilderten Gründen. Für mich jedenfalls. Daß die sich mochten, das war doch das Schöne. Mir wird immer ganz warm ums Herz, wenn ich Verliebte, Liebende sehe. Ich kann mich da so was von mitfreuen.  Wenn ein Mensch einen anderen gern hat, ihn liebt, dann ist es wurscht, ob er dick oder dünn ist, klein oder groß und ganz und gar eben, ob er dem Urteilsmaß des allgemeinen Bildes, dass die Zeit von Schönheit vorgibt, entspricht.  Das wichtige, was ich erzählen will, ist eigentlich die Geste, die der junge Mann plötzlich tat und das, was daraus folgte.
 
Ich lief also eine ganze Weile ganz still hinter ihnen her, einfach auch, weil ich nicht schneller war, aber auch ein wenig, weil es mir gefiel, einfach urteilslos die Beiden da vor mir zu sehen. Nur sehen, was sich da so abspielte.
 
Wir kamen an einer Stelle vorbei, die rechts ein langgezogenes abgrenzendes Blumenbeet aufwies, in dem kleine Pflanzen aber auch große Büsche, wie Rhododendron und Hortensien wuchsen. Der Rhododendron blühte in voller Pracht. Herrlich anzuschauen, in allen Farben, weiß, rosa, dunkelrot.
 
Der junge Mann löste sich plötzlich aus der Umarmung der Frau und pflückte, haste nicht gesehen, blitzschnell eine Blüte des Rhododendrons ab und reichte sie der Frau. Ach wie nett, dachte ich so bei mir und lächelte stillvergnügt vor mich hin. Wirklich liebenswert, wildromantisch diese kleine Geste, so empfand ich sie jedenfalls. Die Frau nahm die Blüte, ich konnt ja nun nix von vorne sehen, und ebenso blitzschnell wie der junge Mann sie gepflückt und ihr sie überreicht hatte, gab sie ihm sie wieder zurück. Ob sie jetzt nun daran gerochen hatte und der Duft ihr nicht gefiel, ich weiß es nicht, warum auch immer, sie sie ihm zurückgab. Ich überlegte kurz, ob sie etwas dazu gesagt hat, hören konnte ich ja auch nichts, dafür war die Entfernung zu weit. Es passierte nun aber genauso, er nahm die Blüte zurück, hielt sie noch einen Moment und dann warf er sie mir nix dir nix einfach wieder neben sich in das Blumenbeet. Danach gingen die Beiden auch nur noch einfach so nebeneinander her. Geredet haben die auch nicht mehr, jedenfalls kontne ich das anhand ihres Gebahrens nicht annehmen. Ich weiß ja nun nicht, wie das zwischen den beiden weitergegangen ist, danach.
 
Ich war richtiggehend geschockt. Ehrlich. Warum, dachte ich so bei mir. Das sind ja so Momente, wo du wirklich aufpassen musst, dass da jetzt nicht geschwind ein Gedanke kommt, ein Urteil oder einfach so ein * was biste du für eine blöde Kuh*, ist doch so, manchmal will einem das wenn nicht über die Lippen gehend, aber im Kopf ist das da schon mal drin. Ich hab zwar nicht blöde Kuh gedacht, sondern einfach nur, *wie doof von der* So. Erwischte mich natürlich sogleich auch mit den Entschuldigungsgründen ihres Handelns. Vielleicht hat se Allergie, oder kann Rhododendron einfach nicht ausstehen, Himmel Herrgott, so ging es hin- und her in meiner Gedankenwelt, Roeschen, Roeschen, mach hier nen Punkt, überhol jetzt die Beiden und gut ist. Geht dich eh nix an und wissen warum es so geschah, wirst du nie herausfinden. Könnte ich natürlich, einfach mal fragen beim Überholvorgang, wieso wollten sie die Blume nicht. So frech kann ich ja schon mal sein, in diesem Falle hatte ich jedoch davon abgesehen. Man weiß ja nie, was da auf einen zukommt an Lebenspotential, das einem dann erzählt wird oder natürlich auch ein* Das geht sie ja mal gar nichts an und grimmig angeguckt wird.
 
Ich hatte da jedenfalls in diesem Moment keine Lust drauf. Ich zog mit meiner Gehgeschwindigkeit an, überholte sie von links, wie ein schnelleres Auto, drehte mich kurz um und fiel dabei jetzt aus allen Wolklen. Das war gar kein verliebtes Päärchen, hahaha, sondern wohl Mutter und Sohn. Den jungen Mann schätze ich auf kurzen Blick so um die 16 Lebensjahre, die Frau dagegen so Anfang 50. Konnt ich ja schließlich von hinten nicht sehen. Ich sah ja nur ihr Gezärtel miteinander. So kanns gehen. Ist ja auch so, manchmal geht man hinter einer Frau her, mit langem wallenden Haar und denkt, wow , was hat das junge Ding für schönes Haar und dann sieht man sie von vorn und ist ganz überrascht, wenn sich hinter dem langen Haar eine alte Dame oder jedenfalls eine mindestens 50 oder 60jährige präsentiert. Kann man ja nicht erkennen, von hinten, nur am langen Haar. Langes Haar sagt noch gar nix aus über den Menschen, jedenfalls von hinten. So erliegt man Täuschungen. Da ist ganz sicher schon so mancher der Herren, die sich von der langen Pracht von hinten haben einfangen lassen, dann beim Vorderanblick enttäuscht gewesen,-) Selber schuld, sollen sie nicht immer ihren Projektionen erliegen. So wie auch ich an diesem kleinen Geschehnis meiner Projektion erlegen war in Bezug auf verliebtes Päärchen.
 
Ich will jetzt ja auch nicht darüber philosophieren, inwieweit der Mensch warum und wieso immer seine Projektionen braucht, woher das eigentlich kommt, welchen Ursprung das in seinem innersten Sein hat, das würde ja zu endlosem Geschreibsel führen, sondern ich sags jetzt mal ganz einfach, was ich sagen will:

Das war einfach lieblos von ihr, das nicht Annehmen des Blümchens, ebenso wie das Wegwerfen desselben.
 
Das Leben der Menschen besteht so oft aus jahrelang erlittenen Lieblosigkeiten, dass sie am Ende selber zu einem lieblosen Menschen werden, einfach einer der vielen *Erkalteten* weil es zu schmerzhaft wäre, all diese Lieblosigkeiten an sich heranzulassen und sie zu ertragen, gar auszusprechen, wie sie sich beim Erlittenen fühlen.
 
Ich bin dann weiter und weiter gegangen und haben beiden mir unbekannten Menschen von Herzen gewünscht, dass das eine Ausnahme in ihrem Miteinander ihres Lebens war und sie ansonsten ebenfalls wie jkeder Mensch lernen, gut miteinander umzugehen und wenn es mal nicht gelingt, sagen zu können, wos brennt und sich verzeihen können.

 

 
 
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23. April 2018 1 23 /04 /April /2018 12:31
Neulich hatte mir ein netter Mensch einen Film empfohlen, den ich unbedingt schauen sollte, all die weil, wir hatten ein Gespräch über John Travolta und ich sagte zu seinem schauspielerischen Können und Auftreten ein *naja*. Zugegeben, manchmal passiert das ja, man sagt etwas über Etwas oder Jemanden, obwohl man gar nicht allumfassend informiert ist, nur bruchstückweise etwas kennt. Natürlich passiert mir das auch. Und so war es in diesem Falle. So kam es, dass ich mir diesen Film anschaute ( Lovesong for Bobby Long) und wurde zum Besseren belehrt, was die schauspielerische Leistung und das Auftreten John Travoltas betrifft, der einfach grossartig in seiner Rolle als Bobby Long zu sehen war. Respekt. Aber ich will ja jetzt nich von dem Film erzählen, obwohl ich ihn hiermit sogleich an alle, die ihn noch nicht geschaut haben, unbedingt weiter empfehle.
 
Ich will hier eigentlich ein Buch hervorheben, dass unbedingt gelesen werden sollte. Auch hier muss ich zugeben, es betrifft ja einen alten Klassiker, dass ich mal wieder erst zur späten Zeit meines Lebens dazugekommen bin, es in die Hand zu nehmen. Obwohl ich es natürlich von Berufs wegen schon zig mal in der Hand gehalten hatte und immer dachte, Roeschen, Roeschen, du musst das unbedingt lesen. Jetzt hab ich es geschafft, obwohl ich es aus den Augen verloren hatte, gab mir der vorher angesprochene Film mit Travolta einen Schubs. Dort tauchte das Buch nämlich auf. Ich schielte sofort auf den Buchtitel, das eine Protagonistin des Films in die Hand nahm und dachte, achja, sieh mal an. Und am nächsten Tag lief ich in die Buchhandlung meines Vertrauens und erstand ein schönes Exemplar.
 
Zuhause angekommen, verkrümelte ich mich sofort auf meinen schönen Balkon, das Wetter lud ja dazu ein und hielt Carson Mc Cullers "Das Herz ist ein einsamer Jäger" in der Hand, schlug es auf, vertiefte mich in die ersten Zeilen und konnte es nicht mehr loslassen. Obwohl es fast 600 Seiten umfaßt, las ich es in zwei Tagen aus. Ich kann dann einfach nicht aufhören, wenn mich etwas fesselt, egal ob Buch, Mensch oder irgendein anderes Ding, es los zu lassen. Ist so.
 
Die Geschichte, die Mc Cullers hier erzählt, spielt Ende der 30er Jahre in Georgia und erzählt die Geschichte des Taubstummen John Singer. Er lebt mit dem ebenfalls taubstummen Spiros Antonapolous zusammen, der im weiteren Verlauf der Geschichte eines Tages in die Irrenanstalt eingeliefert wird, weil er für die Gesellschaft nicht mehr tragbar ist und eine Gefahr darstellt. Um Singer herum werden die Lebensgeschichten weiterer Menschen erzählt, die allesamt mit Singer in Kontakt sind, all die weil sie sich oft in seiner Stube versammeln, in der er zumeist vereinsamt sich seinem Schachspiel widmet und gegen sich selber spielt und umkommt vor Sehnsucht nach seinem verlorenen Freund Antonapolous, und ihm von ihrem Leben erzählen, ihren Erlebnissen, Sehnsüchten, Träumen und Gedanken zum Geschehen in der Welt.
 
Da ist das junge Mädchen Mick Kelly, die aus dem sie beschwerenden Familienleben, in dem sie sich ebenso einsam fühlt, wie Singer ohne seinen Freund und sich in ihre inneren Welten und ihrer Liebe zu Musik zurückzieht und oft, auch wenn sie dabei ihre jüngeren Geschwister im Schlepptau hat, durch die Gegend zieht und sich irgendwo versteckt, um sich in ihre Träume zu versenken. Sie hat mir auch die Liebe zu Beethovens 3. Sinfonie geschenkt, die ich zwar kannte, aber in den letzten Tagen wieder und wieder gehört habe.
 
Dann gibt es den Farbigen Dr. Copland, der umgeben von einer Flut von Bücherwelten versucht gegen den Rassismus in dieser Zeit entgegen zu wirken. Seine Gedankenwelt diesbezüglich ist inspiriert von Karl Marx, dessen Buch er in- und auswendig kennt. Aufopfernd stellt er sich seiner Berufung den Bedürftigen zu helfen, ohne auf sein eigenes Wohl zu achten.

Wir treffen auf Portia, der Tochter von Copland, die ihren Vater regelmässig einmal in der Woche besucht und für ihn kocht und versucht in dieser Zeit ohne Streit mit ihm auszukommen. Er war und ist kein einfacher Mensch und Familienvater gewesen. Die drei weiteren Söhne Coplands haben keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater.
 
Da ist Biff Branon, der eine unglückliche Ehe mit seiner Frau Alice führt und sie am Ende an den Krebs verliert und ihm nur noch die melancholischen Erinnerungen an die guten Zeiten seiner Ehe als Erinnerung bleiben. Die Beiden hatten gemeinsam ein Restaurant geführt, in dem auch John Singer nach dem Verlassenwerden von seinem Freund Tag für Tag seine Mahlzeiten einnimmt.
 
Dort treffen wir auch auf Jake Blount, der sich tagelang dort betrinkt und in seinem besoffenen Zustand  wutentbrand über die Ungrechtigkeiten der Welt schwadroniert und wieder und wieder versucht alle Menschen von der einzigen "Wahrheit" zu überzeugen und sie dazu zu bringen, etwas dagegen zu tun.
 
All diese Menschen führt McCullers mit ihren Lebensgeschichten hier zusammen und verknüpft sie. Es ist mit eines der besten Bücher, das ich nun gelesen habe, weil es immer noch aktuell ist. Unaufhörlich weiter noch herrschen Ungerechtigkeit, Gier, Egoismus, Macht und Rassismus in unserer Welt, auch wenn sich insgesamt weltweit Vieles auch zum Guten verbessert hat. Ich möchte jedenfalls in keiner anderen Zeit gelebt haben.  Und niemals darf der Mensch aufhören dagegen anzukämpfen, egal welche Schritte er dazu benutzt, auch die kleinsten helfen auf ihre Weise etwas zu verbessern um das Leben des Einzelnen etwas menschlicher erscheinen zu lassen.
 
Ich habe mich, wenn ich auf mein eigenes Leben zurückblicke, das ja immer mal wieder geschieht aufgrund der aktuellen Geschehnisse, in jedem der Protagonisten ein klein wenig selber wiedergefunden. In der heranwachsenden Mick Kelly, die sich in ihre eigenen Welten zurückzieht, um das Schwere von Außen zu vergessen und ihren Träumen und Sehnsüchten nachhängt, aber niemals vergißt dennoch bodenständig das ihre zu tun, in dem schwarzen Arzt Dr. Copland, der umgeben von seinen Bücherwelten, hin- und wieder vergeblich versucht, gegen sichtbare Ungerechtigkeiten, die an Menschen verübt werden, anzugehen, manchmal, zwar weniger, aber auch, in Jake Blount, in dem ich in jungen Jahren auch oft versucht habe, mit Reden andere zu überzeugen, wie und was man tun kann und sollte, bevor ich verstanden habe, dass das nicht weiterbringt und ich nur für mich handeln kann.
 
Aber vor allen Dingen in John Singer, der ein guter Zuhörer der Lebensgeschichten anderer Menschen war, obwohl er Vieles von dem, was er hörte auch nicht verstand. Aber wir wissen ja, was wir im Moment vom anderen nicht verstehen, geht uns oft später auf, nachdem wir sie mehr und mehr kennen- und schätzen gelernt haben, erst dann wissen wir meistens, warum sie an diesem oder jenem Zeitpunkt ihres Lebens so gehandelt, gedacht und geredet haben. Das ist wichtig finde ich. Es darf niemals an oder in einem Urteil über einen Menschen stehengeblieben werden. Wir würden uns dem Wunder des Menschen verschließen. Der Mensch ist mehr, was wir nur in einem Moment eines Geschehens an ihm wahrnehmen.
 
Die Autorin Carson McCullers verstarb 1967, nur 50 Jahre zählte ihr Leben. Und Tennesse Williams sagte einmal über sie:
 
"Carsons Herz war oft einsam, und es war ein unermüdlicher Jäger auf der Suche nach Menschen, denen sie es anbieten konnte, aber es war ein Herz, das mit einem Licht gesegnet war, das seine Schatten überstrahlte."
 
Wunderbar! Da kann sich nur gewünscht werden, einem solchen Menschen zu begegnen
oder vielleicht auch selber einer zu werden.
 
Ein schönes Buch, voller Wahrheiten über die Wirklichkeit des einzelnen Menschen und des Weltgeschehens. Es lehrt uns, zu tun, was zu tun ist, aber auch anzunehmen was ist.
 
Carson McCullers
Das Herz ist ein einsamer Jäger
Diogenes Verlag
isbn: 9783257242249
13,00 Euro

 


 

 

 
 
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8. April 2018 7 08 /04 /April /2018 14:14
Ich suche nicht und finde doch
oder...aus meinem Tageserlebnistagebuch
 
Gestern war wieder so ein Tag. Ja ein ganz besonderer Tag. Frühling, Wärme, Sonnenschein, blauer Himmel. Endlich raus, nicht nur für ein, zwei Stunden, sondern auf dem Rad den Tag verbringen, rundherum durch die Lande. Wie ich das liebe. Ich könnte auf meinem Rad schlafen, ehrlich. Manchmal wird mir gesagt, wie kannst du das nur so lange aushalten, dieses stundenlange Sitzen. Aber es ist wirklich so, ich hab da null Probleme, daher, wenn es alleine fahren würde, ich könnt auf meinem Sattel schlafen. Stell mir das gerade herrlich vor. Also, in einem selbstfahrenden Auto hätt ich nie die Ruhe, einfach so vor mich hinzudämmern, nur, um das mal gesagt zu haben.
 
Ich hab mich also aufgemacht. Natürlich viel zu warm angezogen. Weil...trete ich auf meinen Balkon hinaus, ist es dort immer viel viel kühler, als vor dem Haus. Ich unterliege da, egal welche Witterung vorherrscht, immer einem Irrtum. Aber das Zwiebelmusterprinzip hab ich verinnerlicht. Also erstmal alles angelassen, abstreifen geht ja immer.
 
Die Leuts sind ausser Rand und Band stell ich schon nach einigen Minuten fest. Alle scheinen ein wenig glücklicher und zufriedener zu sein. Wintermonate sind halt hart. Da muss man durch.
 
Es geht am Rhein entlang. Ziel, erstmal, ist der Aachener Weiher. Dort soll es *umsonst & draussen* geben, Musik- und Tanzfestival. Dacht, fahr ich mal hin und schau mir das an. Ich möcht durch den Rheinpark fahren und fahr bergauf die kleine Hafenbrücke am Mülheimer Hafen. Da gehts steil auf. Erster Gang, paß schon. Ok, ich gebs zu, die letzten 10 Meter musste ich doch absteigen, ging nicht mehr. Es war ja Winter, sag ich mir. Das kommt schon wieder.
 
Oben angekommen, seh ich da im Sonnenschein 5,6,7, ich kanns nicht sofort erfassen, andere Radler stehen. Machen da wohl Pause. Stehen am Geländer und schauen um sich herum. Ich hab das nicht geplant. Ich plane nie etwas. Nicht mal, ob ich einen Menschen anspreche oder nicht. So war das auch diesmal. Es war irgendwie so etwas wie ein von was weiß ich woher *gesteuertes* Soll oder Muß. Wie auch immer. Ich blieb da vor ihnen stehen und sagte mal guten Tag. Fragte, sind Sie eine Radgruppe, die sich regelmässig zum Ausfahren trifft oder einfach nur Freunde, die ab und an was zusammen unternehmen. Ich gestehe, immer wenn ich so direkte Fragen an mir völlig Unbekannte stelle, schweigen die erstmal für einen Moment. Überraschung wohl.
 
Jedenfalls, die haben sich schnell gefangen, lachten dann übers ganze Gesicht und klärten mich auf. Ja, sie seien eine kleine Truppe, die sich einmal im Monat zu einer gemeinsamen Radtour treffen würden. Manchmal rund um Köln, aber hin und wieder auch mit dem Zug irgendwohin, an die Ahr oder ins Bergische und dann dort herumfahren. Ich hab das ja nun nicht geplant. Ich bin ja meistens auch lieber alleine unterwegs. Da muss man keine Kompromisse machen, kann rasten, wann und wo man will. Aber in diesem Moment dachte ich, Roeschen, Roeschen, du kannst nicht immer nur jammern über die verlorenen Freunde, trau dich, mach mal einen Schritt auf neue Bekanntschaften zu. Und so fragte ich, ob ich da mal mitmachen könnte. Ich wäre zwar ein Eigenbrödler, aber wenns drauf ankommt, kann ich auch ganz gut in Gemeinschaft, ich geb mir jedenfalls Mühe. Eigenbrödler, meinten sie, das traut man ihnen gar nicht zu, so wie sie uns hier entgegengekommen sind. Natürlich, Neue seien immer willkommen. Und so tauschten wir unsere Telefonnummern aus, ich sagte ihnen meinen Namen und sie versprachen mir, den nächsten Termin telefonisch per whats app durchzugeben. Schön, dachte ich. Der Tag fängt ja gut an. Tschüss Roeschen sagten sie. Ich weiß auch nicht warum, so, wie sie mich verabschiedeten, das war so freundlich und warmherzig, dass ich mich jetzt richtig auf ein gemeinsames Radtourchen mit dieser kleinen Gruppe freue.
 
Ich fuhr weiter und dachte, siehste, Roeschen, nie suchst du, aber finden tust du doch etwas. Es ist doch so, ich stell mir das schrecklich anstrengend vor, wenn ich ständig nach irgendetwas suchen müßte. Ich leb eigentlich da einfach so vor mich hin. Erfülle meine kleinen und großen Pflichten, schaffe mir meine selbstgebauten Inseln und hin und wieder erfülle ich mir einen kleinen oder größeren Traum. Meistens ist es so, plötzlich hab ich eine Idee, und da spring ich dann drauf an. Was da eigentlich genau für Faktoren eine Rolle spielen, die mich dazu bringen, aus dem Nichts heraus an irgendeinen Ort zu fahren oder einen fremden Menschen anzusprechen, kann ich gar nicht so genau erklären. Bei Menschen wird ja gesagt, die Chemie muss stimmen. Aber bei völlig Fremden ist es ja nicht möglich die Chemie zu kennen. Da muss es etwas anderes sein. Irgendeine Ausstrahlung, ein Blick, eine Haltung des Körpers, jedenfalls irgendetwas das für von jetzt auf gleich neugierig macht, was das wohl für ein Mensch ist. Ich komm da nicht raus. Das war schon immer so. Und auf diese Weise hab ich eben schon sehr viele interessanten Menschen mit ihren Lebensgeschichten kennengelernt. Der ein oder andere ist mir sogar verblieben, wenn auch keine große Freundschaft daraus entstanden ist, verloren hab ich sie nun aber nicht.
 
Das schönste an meinen Ausflügen sind die kleinen Dinge, die ich entdecke. Keine Sensationen, nein, wer will schon Sensationen erleben. Es sind nun mal die oft nicht beachteten Dinge, für die ich gern ein Auge habe und die mir ebenso zufallen, obwohl ich sie nicht suche.

So gleich ein Stückchen weiter, kommt mir ein Päärchen entgegen. Mit nem Hund an der Leine. Obwohl... Hund, ich kann das gar nicht Hund nennen. Sagte ich auch, dem Ehepaar. Die waren aber nicht beleidigt. Ich sagte, hahaha, sie haben einen 400 Gramm Chihuahua  und lachte sie dabei an. Immerhin war der an einer Leine und lief selbst. Denn, mein geneigter Leser fragt sich nun wohl, wieso ich auf 400 Gramm Schwere des kleinen Dings da kam. Nun ja, es verhielt sich so, dass ich am Tage zuvor, ich machte eine Rast nach meinem Einkauf für eine alte Dame an einer Frittenbude. Das ist nämlich ebenfalls so. Manchmal überfallen mich Gelüste, einfach so. Die haben auch nicht schon vorher in mir geherrscht. Die sind plötzlich ganz einfach da. Und so erlaubte ich mir den Genuß einer Portion Pommes in der Schale. Jedes Mal, wenn ich die Pommes in einer Schale serviert bekomme, überfallen mich wehmütige Gedanken. Früher, ja früher, da war alles anders. Selbst die Frittenverpackung. Die gab es nämlich in einer fettfreien Tüte. Ich erinnere mich noch genau daran, als Kind, im Winter, wenn ich mit meinen Eltern spazieren ging, manchmal eine solche Tüte Pommes von ihnen spendiert bekam. Die kalten Finger umschlossen die warme Tüte und ich war stolz wie Oskar, sie mein zu nennen dürfen und verspeiste sie mit Hochgenuß. Und wie das duftete. Einfach herrlich. Ich trauere den Pommestüten wirklich nach, ehrlich, so bin ich. Aber was solls, egal wem oder was du nachtrauerst, Erinnerungen sollen bleiben, doch die Trauer darf dich nicht lähmen, sie hindert dich sonst am guten Erleben im Heute. Das ist so. Das weiß ich, auch wenn ich mich oft schwer tue. Dinge verändern sich nunmal. Etwas vergeht, dafür kommt etwas Neues oder Anderes. Und so lange du dein Leben hast, musst du mit den Veränderungen leben, klarkommen, sie manchmal ja auch bereichernd erleben. Wer zu macht für alles Neue, der blockiert sich selber. Ist so.
 
Aber wo war ich nun stehen geblieben. Ich stellte mich also mit meiner Schale Pommes an ein kleines Tischchen, das in der Sonne stand. Da war schon Jemand. Eine alte Dame, wirklich uralt, so sah sie jedenalls aus, klein und hutzelig. Hatte auch eine Schale mit Pommes. Ich sagte schön guten Tag. Da standen wir Zwei nun, gedankenverloren, labten uns an den köstlich knusprigen Pommesstangen. Die waren nämlich saugut, da, wo es sie gab. Plötzlich schaute ich neben die alte Dame und sah dann den Kinderwagen. So ein altes Modell, von früher, auf hohen Beinen, dick gepolstert. Fährt heut kein Mensch mehr mit herum. Auch die Kinderwagen haben sich weiterentwickelt und verändert. Ich mochte diese alten hochbeinigen Kinderwagen. Sie hatten was Stolzes an sich. Als wenn der Stolz der Eltern, ihr Kind spazieren zu fahren sich in ihm spiegelte.
 
In diesem Kinderwagen war aber kein Kind. Da lag ein Tier. Ein Hund, genauer gesagt. Jedenfalls nennt sich das Ding *Hund* ich sag das ein wenig belustigt, weil, selber Hundenarr wie jeck, fängt ein Hund für mich erst immer ab mindestens 50 cm Widerristhöhe an. Ist ja auch wurscht. Die alte Dame fand ihren Hund schön und liebte ihn. Jedenfalls sah man das. Sie hatte das Tierchen da in dem Kinderwagen eingebettet wie eine Prinzessin auf der Erbse. Von unten gepolstert mit einem Lammfell ausgestattet, rundherum mit Kissen und Deckchen verkleidet, lag das Hundeprinzesschen wohlgebettet in dem Kinderwagen und schaute zu mir hoch und ich es an. Oha, sagte ich zu der alten Dame, der Hund hats gut bei ihnen, besser als so mancher Mensch. Ich kontne mich nun mal des Gedankens nicht erwehren, der mir plötzlich kam und ich auch gleich die Bilder vor Augen hatte, von den vielen Menschen, die da einfach auf der Strasse obdachlos sitzen, gar schlafen müssen. Wie traurig das alles. Das waren nur meine Gedanken, ich sagte das nicht. Man muss ja nicht alles sagen, ist meine Devise, nur diesen einen Satz, der purzelte so aus mir heraus. Sie nahm mir das aber nicht krumm. Sie nickte stolz und meinte, 400 Gramm sei sie schwer, die kleine Tschischi (ich weiß nun nicht, ob das so richtig geschrieben wird, ich hatte ja nicht vor, darüber nun in meiner Geschichte hier zu erzählen, daher fragte ich sie auch nicht nach der Schreibweise des Namens) und hört aufs Wort. Sie fahre ihn meistens in dem Kinderwagen spazieren. Nur zum Austreten lasse sie ihn mal kurz laufen. Ich beließ es dabei, wollte auch nicht weiter von ihr und ihrem Hundeleben hören. Ich schmunzelte in mich hinein und dachte, nun ja, manche Menschen haben eben an 400 Gramm Hund ihr Glück gefunden. Das ist ja auch voll in Ordnung. Nur ein ganz klein wenig musste ich daran denken, dass es ja auch heißt, manche Menschen lieben ihren Hund mehr als ihren Nächsten. Vielleicht ist das ja auch einfacher, einen Hund zu lieben, die geben selten Widerworte. Und ich geb es ehrlich zu, manchmal ist mir ein Hund auch tausend mal lieber, als so mancher Zeitgenosse.
 
Das 400 Gramm schwere-Hundebesitzerpäärchen lauschte vergnügt meiner Erzählung von der gestrigen Begegnung mit der alten Dame, von der ich nun wußte, wie schwer ungefähr so ein kleines Hundetierchen ist und fragte, wollen sie es mal auf den Arm nehmen. Sie sagten, bei ihnen wäre es so gewesen, als sie es das erste Mal auf den Arm genommen hatten, wollten sie es nicht mehr hergeben. Gott bewahre, dachte ich, gut, dass Gedanken nicht lesbar sind, war dann jedoch nicht abgeneigt, die 400 Gramm mal zu nehmen. Sie hoben es von der Erde auf und drückten es mir in den Arm. Da zappelte es nun, das Tierchen, warum weiß ich auch nicht, wahrscheinlich weil es merkte, wie hilflos ich mich mit ihm fühlte. Selbst mein Kichern war etwas brüchig und verlegen. Ich fühlte mich nicht so recht wohl, obwohl, so sagt man doch, es zu niedlich war, das 400 Gramm schwere Tierchen.  Ich weiß nicht, ich hab bei der Bezeichnung für *niedlich* immer so ein Gefühl der Ablehnung. Wer oder was will schon niedlich sein. Naja, ich streichelte es mal zur Beruhigung ein wenig und übergab es ihnen wieder. Nä, ich  habe das gern wieder zurückgegeben, das 400 Gramm schwere Tierchen. Nicht mein Ding. Es war mir einfach zu niedlich. Groß, stürmisch und ein wenig rauh, das ist mir lieber, bei Mensch und Tier, nur ehrlich muss es sein.
 
Ich radelte weiter im herrlichen Sonnenschein, das Rheinufer nun zu meiner rechten Seite, dass mich dazu einlud ein wenig auf dem Mäuerchen vis a vis des Doms zu sitzen ud den Ausblick zu genießen. Dann ging es weiter und nun wollt ich erst einmal eine lange Weile nicht aufgehalten werden. Einfach fahren und fahren. Bis nach Zündorf ging die Fahrt, den Weg den ich in- und auswendig kenne, dass der  Muße des Schauens aber keinen Abbruch tat. Je mehr man etwas anschaut, um so dichter wird das Erkennen der Beschaffenheit. Das ist nicht nur bei einem Ort so, sondern auch mit den Menschen. Situationen wo man etwas sofort in ihrer wahren Größe und Schönheit entdeckt, gibt es wohl nur selten.
 
Mit der Fähre gings dann rüber zur richtigen Seite Kölns und über Rodenkirchen, das linke Rheinufer entlang bis zur Deutzer Brücke. Von dort aus radelte ich durch die Inenstadt Richtung Rudolfplatz, Aachener Weiher. Dort sollte ja nun mein nächstes größeres Ziel sein. Während ich fröhlich auf meinem Rad fuhr, beäugte ich die mich überholenden Autos, die für einen Einkaufsbesuch aus dem Umland nach Köln auf der Suche nach einem noch freien Parkhaus waren. Selbst schuld dachte ich, stehen sie da wie blöd in der Schlange. Wären se mit der Bahn gefahren, hätten sie es gemütlicher gehabt und sicher auch mehr erlebt. Aber so sind sie halt die Autoleuts, die fahren halt auch zum Brötchenholen zum Bäcker. Ein buntes Gewimmel von Menschen am Neumarkt, raus in die Läden, rein in den nächsten. Die sind alle auf der Suche, dachte ich. Nach irgendwas Neuem, was sie meinen, was sein muss. Was bin ich so froh, dass ich nichts suchen muss.
 
Schnell hatte ich den Rudolfplatz erreicht und musste sehen, dass der mit einem Flohmarkt besetzt war. Also vom Rad absteigen. Früher ging ich oft auf Flohmärkte, stöberte, nach alten Büchern oder Schallplatten und nach manch anderem kleinen alten Tand. Seitdem ich nach dem Prinzip weniger ist mehr lebe, hab ich das Interesse verloren. Der ganze Kwatsch, den der Mensch ansammelt, irgendwann, wenn du nicht mehr da bist, muss das alles entsorgt werden. Und das meiste Zeug, dass du angesammelt hast, interessiert eh keinen Menschen mehr. Was bleibt sind vielleicht ein paar Fotoalben, ein paar Bücher und wenige andere echten persönlichen Dinge des Verstorbenen. Ist doch so. Selber schon so oft erlebt. Ich hab wirklich immer Sorge. Neulich sagte ich noch zu meinen Kindern, man man, wenn ich nicht mehr bin, behütet meine Bücher, wirklich, das sind doch meine allerliebsten Schätze. Mutter, sag nicht so was, meinten sie dann. Du lebst noch lange. Und dann sehen wir weiter. So sind die Kinder halt, jung, mitten im Leben stehend, wer will da schon an den Tod denken. Es ist aber besser, sich vorzubereiten, hin -und wieder jedenfalls. Wer an den Tod denkt, denkt gleichzeitig auch mehr an das Leben, das er hat.
 
Vom Rad absteigend dachte ich mir, ist ja nicht voll, es ist warm, die Sonne scheint, spazierste halt mal mit deinem Rad an den Ausstellungstischen vorbei. Und muss gestehen, es war wirklich ein schöner Trödelmarkt. Nicht son Plunder. Kleinode, Mobiliar, Bücher, Schallplatten, alles alt aber vom Feinsten. Ich hab den Blick für so was. An einem Stand mit allen Radios und Grammophons blieb ich wie verzaubert stehen. Der Besitzer hatte auf einem alten Grammophon eine alte Jazzvynil aufgelegt. Herrlich, erinzigartig dachte ich. Stand da ganz versunken und fühlte mich plötzlich in eine andere Welt verzaubert. Aber sich in diese andere alte Welt verzaubern zu lassen, bedeutet auch die Schatten dieser Zeit sofort vor Augen zu haben. Bei mir ist das jedenfalls so.  Klasse auch die alten Röhrenradios noch. Wirklich schöne Dinge hatte er da.
 
Und noch ein weiterer Ausstellungsplatz hatte mich fasziniert. Schöne alte Möbel waren da zu besichtigen. Ich liebe diese alten mit lauter Lebensgeschichten behafteten Möbelstücke einfach, auch wenn ich nichts von ihnen weiß, aber ich kann es mir ja zurechtfantasieren. Sie haben noch Rundungen, Ecken und Kannten gemeinsam, wie beim Menschen, sind nicht funktionell alle gleich ausschauend, damit sie überall reinpassen. Ganz besonders waren zwei Stühle interessant. Mit Bildern verblichener zweier Schauspielerstars waren sie verziert, Sitzfläche und Anlehne. Schwarz-Weiß-Bilder, es gab den weiblichen und den männlichen Stuhl. Zu sehen waren Marylin Monroe und James Dean. Leider kam ich nicht dazu, mal zu fragen wie das technisch wohl gemacht wurde. Ich kann nur vermnuten, dass die Bilder aufgeklebt wurden, und dann mit Lack übersprüht wurden. Vorsichtig fuhr ich mit der Handfläche über die Oberfläche der Stühle und dachte, so muss es wohl gemacht sein. Es war einfach zu viel Andrang an diesem Stand. Ganz sicher gehen die heute weg, da war ich mir sicher. Irgendein Cineastfan wird sie mitnehmen  und zu seinen anderen Fetischen Film betreffend in seiner Wohnung haben wollen.
 
Für mich war da noch ein anderes erspähtes Glanzstück, welches zu einer meiner lieben kleinen Leidenschaft paßte. Ein Schachtisch. So was sieht man ja selten. Schwarzlackiert prangte er da unter den vielen anderen Sachen heraus und lachte mich an. Mitten auf der Tischplatte ein kleines Schachbrett eingraviert. Sagenhaft. Mir fehlten die Worte. Und ich dachte an meine schönen mir geschenkten Schachfiguren zuhause, für die ich immer noch kein Brett habe und kam in die Versuchung gedanklich, ihn zu erwerben. Fragte nach dem Preis. 85 Euro sollte er kosten. Da wäre sicherlich noch was drin gewesen mit Handeln. Nun hatte ich aber erst vor kurzem einen schönen alten Retro-Tisch aus den 50er Jahren erstanden, länglich mit schwarz-weiß-braunen Mosaiksteinchen auf der Platte. Ganz stolz bin ich auf ihn und erfreu mich jeden Tag seines Anblickes und dass ich der Besitzer dieses schönen alten Tischchens sein darf. Aber wirklich, ehrlich, ungelogen, den hätt ich auch gern gehabt. Was soll ich jedoch mit zwei Tischchen in meiner kleinen Höhle. Der Mensch kann eben nicht alles haben. Und so wünschte ich mir immerhin, dass dieser schöne Schachtisch einen würdigen Besitzer fand.
 
Nun endlich weiter zum Aachener Weiher. Draussen und umsonst, da wollte ich ja hin. Aber da war nix los. Warum weiß ich auch nicht. Jedenfalls, ich hatte noch nie ein solches Festival besucht. Das war das erste Mal. Es gab gar keine Bands. Nur DJ´s, die auflegten. Wie langweilig. Doch am Aachener Weiher ist es sonst schön. Idylle mitten in der Stadt. Die Sonne glitzert im Wasser und da sitz ich nun auf der Treppe und schaue den Sternchen im Wasser zu und lausche den Gesprächen der rund um mich herum versammelten Grüppchen oder Päärchen zu. Junge Leuts allemal. Ein junger Mann meint, nachdem (seine Freundin wohl ) vor Vergnügen kwitscht, ach guck mal Entchen, hör mir mit denen auf, da hab ich Angst vor. Das meint er ehrlich. Er beteuert es jedenfalls noch eingie Male. Ich hab noch nie ne Schlagzeile gelesen, Ente greift Mensch an, aber wer weiß, vielleicht verheimlicht uns die Presse ja so etwas. Ich sag nur Verschwörungstheorien. Hütet Euch vor den Enten. Sie wollen die Herrschaft übernehmen, in Köln wird das beginnen. Ich muss doch schmunzeln über die Dinge, die manche Leuts so von sich geben.
 
Mich ziehen die vier Schwäne an, die da auf dem Weiher ihre Runden drehen. Drei von ihnen sind nah beieinander. Wovon zwei irgendwas miteinander haben. Ich weiß nicht was. Schließlich kann ich nicht erkennen, sind es weibliche oder männliche Schwäne. Also eine von denen attackiert eine andere immer. Vielleicht sind es Weibchen und Männchen. Vielleicht mag er sie und will sie anflirten, wozu ist ja klar. Möglicherweise sind es aber auch Rivalen um die  oder den Dritte(n)  im Bund. Die liefern sich eine sich ständig wiederholende Prozedur. Der eine schwimmt davon, der andere hinterher. Zwischendurch nimmt einer einen Anlauf und rast mit einer Geschwindigkeit mit seinen zwei Beinen über das Wasser, dass ich es kaum glauben will. Wie schnell die sind zu Fuß auf dem Wasser. Bisher gab es doch nur einen, der übers Wasser laufen konnte. Ihr wißt schon. Aber die zelebrieren das wie jeck. Einholen kann der eine den anderen jedoch. Er ist einfach immer schneller, im übers Wasser laufen, im kurzen Flug und im Fortschwimmen. Nun ja, aufgeben ist nicht jedem gegeben. Ehrlich gesagt, nach einer gewissen Zeit widme ich mich lieber dem Einzelgänger zu. Der hat mit all dem Gerangel um, wer ist der Beste, Größte, Schnellste, Begehrenswerteste nix zu tun. Der dreht da abseits von den anderen seine Runden und macht sein Ding, taucht mal unter, hat wohl was zu fressen gefunden, schwimmt weiter, aber niemals in die Nähe der Anderen. Der gefällt mir. Warum wohl. Der ist halt schlau. Der weiß, dass das in den meisten Fällen nix bringt, sich anzunähern. Da muss schon großes Glück vorherrschen, dass er wohl mal auf Jemanden trifft, der ähnlich gesinnt ist wie er selbst. Unzufrieden schaut der überhaupt nicht aus. Natürlich weiß ich nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Vielleicht ist da ja auch der Wunsch, einem solchen einmal zu begegnen, damit er nicht ständig seine Kreise alleine ziehen muß. Jedenfalls mir hat es Freude gemacht, das alles zu beobachten. Beobachten ist Meditation. Aber nun wird es Zeit, der dumpfe Rythmus des wabbernden Technos wird lauter. Ich kann mich darin nicht finden, in den Menschen, die dort nun mehr und mehr sich versammeln auch nicht und ziehe weiter meines Weges mit meinem Rad.
 
Fahre durch den Grüngürtel, durchs belgische Viertel, Mediapark, weiter nach Nippes, meiner alten Heimat. Es lockt mich der Gedanke, mich in meinem Lieblingscafe niederzulassen und eine Kleinigkeit zu essen und in mein Buch versunken die Welt um mich herum ein wenig zu vergessen. Voll ist es. Klar, alle sind raus und wollen diesen ersten schönen warmen Frühlingsboten genießen. Ich erwische noch einen Tisch und mach es mir gemütlich. Es gibt ein leckeres Tabuleh und eine Apfelschorle. Was will ich mehr vom Leben. Neulich las ich einen Satz, den die gerade verstorbene Frau von Imre Kertez, einem ungarischen Autor, den ich sehr mag, sagte: Das Leben, das uns gegeben wurde, müssen wir in vollen Zügen leben, das ist unsere Aufgabe, wo immer wir auch sind. Den fand ich richtig und schön. Und es ist sicher ein Geschenk, das zu können, ohne nach dem Großen und Sensationellem zu trachten.  Ich bin mir dessen bewußt und dankbar dafür.
 
Mit einem alten Ehepaar, dass sich zu mir an den Tisch setzt komme ich noch ein wenig ins Gespräch und radele dann zu meiner Lieblingsfussballkneipe, um das entscheidene Spiel gegen Mainz anzuschauen. Meistens schau ich ja zu Hause allein. In so einer Kneipe ist es allemal ein zusätzliches Erlebnis. Die Leuts um mich herum. Die Herren der Schöpfung, wie sie gröhlen und lamentieren und die Gesichter verdrehen, wenns nicht so geht, mit dem Verein da auf dem Spielfeld, wie sie meinen es gehen müßte. Aber das kennt man ja.  Zuschauer sind immer schlauer als die Beteiligten und wissen, wie und wo es lang gehen muss. Ich halte mich da einfach an das, was ich sehe und gut ist. Das ist viel unaufgeregter. Und am Ende gibt es dann ein Fazit. Ich bin einfach son Typ. Es gibt nen Topf mit Erdnüssen und drei Drecksäcke für mich. Bisserl Bier muss sein in einer Kneipe beim Fussball, auch für mich. Nun denn, das Ende hat gezeigt, das war es wohl für den Heimatverein. Die zweite Liga ist so gut wie sicher. Der Kölner-Fan an sich ist da relaxt, zu feiern gibt es immer was, dann eben im nächsten Jahr wieder den Aufstieg.
 
Genug ist genug. Der Tag war voll mit Bewegung, Hören, Riechen, Schauen, Erleben. Ich fahre nach Hause. Es ist 18.00 Uhr mittlerweile. Hier mache ich es mir gemütlich und schreib wie so oft ein kleines Tageserlebnisbuch, dass ich meinem geneigten Leser heute mal nicht vorenthalten will.
 
Ich bin da einfach unterwegs gewesen wie immer, ohne etwas zu erwarten und dennoch hab ich viel geschenkt bekommen, nicht gesucht und doch gefunden. Und beschäftigen wird es mich wie immer noch ein wenig. Die Menschen, die ich wiedersehen werde, um mit ihnen zusammen zu radeln, aber auch über die anderen Dinge kann ich nachdenken. Welche Menschen das wohl sein werden, die diese beiden hübschen Möbelstücke erwerben werden. Wie sie wohl sonst leben und ob sie sich ebenso wie ich mich über meinen schönen Tisch so freuen können, den ich erwarb,  oder ob es für sie nur ein weiteres Sammlerstück wird. Und über Schwäne und Enten und dem Rausch des Fussballspiels, in den Menschen so gerne eintauchen, es gibt ja immer etwas, das einen nachhaltig beschäftigt, auch in den kleinsten Dingen, denen begegnet wird. Dafür hab ich ja nun heute am schönen Sonntag, der ohnehin nicht so sonnig erscheint wie der gestrige Tag genügend Zeit. Und die braucht es doch auch am Ende um Erlebtes zu verarbeiten.
 

Also, es heißt ja...Wer suchet der findet...ich halte mich lieber an ..ich suche nichts und finde doch...In diesem Sinne bis zum nächsten Erlebnistagebuch:)

 
 
 
 
 
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7. April 2018 6 07 /04 /April /2018 09:51
Sitze da
 
gedankenverloren
 
auf dem Stuhl
 
streife den Socken
 
über meinen Fuß
 
sitze da
 
gedankenverloren
 
in Erinnerungen
 
da ist ein
 
Loch in einer Socke
 
ausziehen
 
oder anlassen
 
am anderen fuß
 
die Socke
 
hat auch ein Loch
 
nur woanders
 
zwischen die Erinnerungen
 
schiebt sich der Gedanke
 
geht das
 
mit dem Gehen
 
und dem Loch in der Socke
 
was ist schon ein Loch
 
in der Socke
 
gegen das Fehlen
 

all derer

die ich so vermisse


 

 
 
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29. März 2018 4 29 /03 /März /2018 14:41
Hab ich es schon gesagt? Also, wenn nicht, dann jetzt. Ich habe alle Bücher von Murakami gelesen und fein säuberlich in meinem Regal bewahrt. Ich les sie auch zweimal oder dreimal, wenn ich Lust drauf habe.
 
Warum, frag ich mich immer wieder. Ich weiß natürlich die Antwort und will sie meinen geneigten Lesern auch nicht verheimlichen. Ich weiß zwar, dass es im Leben des Menschen Geheimnisse geben soll, so auch bei mir, die ich nicht mal meinen Tagebüchern anvertraue, manche lüfte ich jedoch auch ganz gern. Weil ich damit einem anderen Menschen etwas mehr von mir zeigen möchte. Und natürlich als Buchhändlerin möchte ich den ebenfalls Leseleidenschaftlichen nicht vorenthalten, warum ich Murakami so sehr liebe und schätze.
 
Es ist ganz einfach im Grunde. Weil ich alle seine Protagonisten so mag. Wieso fragt man sich jetzt wohl?
 
Nun ja, es liegt darin begründet, dass alle seine Protagonisten Einzelgänger sind. Menschen, die sich in ihrer Welt ein wenig verloren und fremd fühlen. Die entweder aus den Schritten ihres eigenen Weges ein wenig gescheitert sind oder einfach aus den Geschehnissen in ihrem Leben geworfen werden. Die sich in das Alleinsein zurückziehen, weil sie genug von den Menschen haben, die sie entweder langweilen oder sie Angst vor Verletzungen haben, denen sie nicht gewachsen sind. Vielleicht auch hin- und wieder aus der Erkenntnis daraus, dass sie selber kein Mensch sein wollen, der andere verletzen möchte. Das läßt sie so allein und einsam wirken. Obwohl, unkommunikativ sind sie nie, diese Protagonisten von Murakami. Wenn es darauf ankommt, können sie reden, auch das wirklich Wichtige zur Sprache bringen, wenn auch mir kargen, einfachen Worten. Auch sind sie Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, zwischen dieser Welt und dem Jenseits. Machen Erfahrungen und haben Erlebnisse mit Dingen, die ein funktioneller Mensch, der Tag für Tag seinem Trott nachgeht, niemals machen geschweige denn verstehen würde. Und so bleiben sie auch deswegen meistens für sich, versuchen zu verstehen, was da gerade geschieht und wieso gerade ihnen.
 
So, nun genug warum ich Murakami so liebe im Allgemeinen.
 
In seinem ersten Band seines neuen Buches * Die Ermordung des Commendatore* findet man ihn wieder, diesen einsamen, stillen und ruhigen Einzelgänger. Ein Ich-Erzähler, der seine Geschichte damit beginnt, wie ihm eines Tages seine Frau verkündet, sie könne nicht mehr mit ihm leben. Aus heiterem Himmel. Der Ich-Erzähler ist Maler, Porträtist um genauer zu sagen. Damit verdient er seinen Lebensunterhalt. Und das nicht mal schlecht. Er ist angesehen in seinem Beruf. Er hat eine besondere Gabe. Er erkennt in seinen zu poträtierenden Menschen das ureigene Wesen und kann es auf der Leinwand wiedergeben. Und das nicht einmal, weil sie ihm stundenlang Modell sitzen, das nämlich mag er gar nicht. Mit den zu porträtierenden Menschen verabredet er sich für eine oder zwei Stunden und läßt sich ein wenig aus ihrem Leben erzählen, versucht der Spur dieser Leben zu folgen und daraus seine charakterlichen Schlüsse zu ziehen, die sich dann in den Linien und Farben im Porträt des Menschen niederlasssen und eben nicht einfach nur naturgetreu ein Gesicht darstellen, sondern erkennen lassen, was für ein Mensch da wohl auf dem Bild zum Vorschein gekommen ist.
 
So schreibt er an einer Stelle: * In jedem Menschen findet sich, wenn man tief in sein Inneres blickt, unweigerlich ein Licht, das zum Vorschein kommt, sobald man seine beschlagene Oberfläche (und die haben wahrscheinlich viele) mnit einem Tuch reinigt und poliert. Und dieser Geist durchdringt dann ganz von selbst das Werk.*
 
Der Erzähler wird also verlassen. Seine Frau bietet ihm an, sie würde ausziehen und er könne die Wohnung behalten. Aber das lehnt er ab, im Gegenzug bietet er an, er zöge aus, würde ihr alles lassen, nehme nur ein paar Habseligkeiten mit, und das wars. Und so macht er es auch. Packt einen kleinen Karton, setzt sich in sein Auto, einem alten Peugeot 205 mit Handschaltung.
 
Auch das sind mir die lieben Dinge, die ich in Murakamis Werken schätze. Seine Protagonisten sind altbacken, lieben die alten Autos und die alte Musik, aus den 60ern, 70ern, 80ern, aber auch den Jazz und Opern. Und so kommt all dies natürlich auch immer wieder zum Vorschein in seinen Büchern. Sie sind voll von Musik und Fetischen diesbezüglich. So erzählt er mit Leidenschaft von alten Tannoy Autograph Lautsprechern, Röhrenverstärker von Marantz. Ich muss nicht sagen, dass das alles auch autobiografisch ist. Das ist eben auch Murakami selbst, der ja über eine lange Zeit auch ein Jazz-Cafe betrieb.
 
Und nun fährt er einfach los, dieser Ich-Erzähler, ohne ein Ziel im Sinn zu haben, läßt sich treiben. Übernachtet mal hier, mal dort, im Auto, im Motel oder einfach in einem Zelt. Und all die Zeit versucht er von den Erinnerungen der Jahre seiner Ehe mit seiner Frau zu entkommen, jedoch lassen sie ihn verständlicherweise nicht so los, wie er erhofft hat. Ich kann dieses eifnach so herumfahren mit dem Auto sehr gut nachvollziehen. Auch ich habe das früher, als ich noch ein Auto besaß, des öfteren, wenn mir daheim etwas zu viel wurde, getan. Mich einfach ins Auto gesetzt und losgefahren. 
 
Irgendwann hat er jedoch genug von der Herumfahrerei und fragt einen Freund, ob er nicht einen Rat weiß, eine Wohnung oder ein Haus, das er anmieten könne. Und wie der Zufall es will, bietet dieser ihm das Haus seines Vaters, der gerade wegen hochgradiger Demenz in einem Altersheim untergebracht wurde, an. Dazu muß gesagt werden, dieser Herr Vater war und ist ein berühmter Maler Japans, namens Tomohiko Amada.  Er hat sich nach einem Aufenthalt in Wien in der Anschlußzeit 1938 Österreichs an Deutschland von der westlichen Malerei abgewandt und nach einer längeren Zurückgezogenheit einem traditionellen Malstil Japans zugewandt, der Nihonga-Technik. Warum und wieso und was das Geheimnis seines plötzlichen Abbruches seines Aufenthaltes in Wien damals 1938 war, wird am Ende des Buches offenbart. So finden wir in Murakamis Büchern auch immer Ereignisse der Weltgeschichte, mit denen sich seine Protagonisten beschäftigen oder sie gar selber erlebt haben.

So zieht er in das Haus des berühmten Malers und von jetzt an entsteht eine so typische verworrene Erlebnisgeschichte des Erzählers, die teils märchenhaft, mystisch, die ihm da oben im einsamen Haus auf einem Berg, in dem er sich selber genügt, umgeben von einer riesigen Schalplattensammlung des berühmten Malers, allesamt klassische Werke und dem nun nicht mehr benutzten Atelier des selben. Hier möchte er sein Leben neu beginnen.
Er erzählt nicht nur von den Ereignissen, die ihm wie ein Dieb in der Nacht plötzlich aus dem Nichts heraus, geschehen, sondern auch über seine Vergangenheit aus Kinder- und Jugendtagen. Denn irgendwie hängt das alles zusammen. Man weiß bei Murakami nie, wann die Geschehnisse, die seinen Protagonisten widerfahren einfach nur unwahrscheinlich anmuten oder in den Bereich des Fantastischen hinübergehen. Das macht sie so spannend, seine Bücher.

Die Dinge überstürzen sich fast. Denn der Ich-Erzähler bleibt nicht allein. In seiner Arbeit als Lehrer an einer Malschule im Dorf (der Freund rät ihm dazu, obwohl er finanziell nicht darauf angewiesen ist, damit er mal unter Menschen kommt) lernt er Frauen kennen, mit denen er eine sexuelle Beziehung, wenn auch im Geheimen, Unerlaubten, eingeht. Er lernt einen Nachbarn, den geheimnisvollen Herrn Menshiki, einem IT-Unternehmer, kennen, der von nun an sein Schicksal mitgestaltet und er entdeckt im Haus des berühmten Malers ein Bild, sorgsam verpackt und in einem geheimen Versteck untergebracht, das er ausfindig macht, weil er in der Nacht stets ein seltsames Rufen von irgendwo oben unterm Dach hört und ihm nachgeht und dabei das Bild, aber nicht nur das, sondern auch die Behausung einer alten Eule entdeckt, die wohl vom Tagesschlaf nachts erwacht und ihren Raubzügen nachgeht und am Ende wieder dorthin zurückkehrt.
Das Bild, das er dort entdeckt hat den Titel *Die Ermordung des Commendatore*, das im Grunde nur ein verschlüsselter Hinweis auf des Malers Aufenthaltes der Nazizeit in Wien hinweist.
 
Und es gibt merkwürdiges Glockengebimmel, unheimliche  unterirdische Höhlen ( auch das ein immer wiederkehrendes Bild in Murakamis Romanen) und Gemäldefiguren, die sprechen und sich neben ihm aufhalten.
 
Mehr will ich nun nicht verraten. Wenn man mich jetzt fragt, welche Botschaft Murakamis Bücher haben, so auch dieses, dann antworte ich kurz:

Dass es erst im Rückblick des Lebens eines Menschen entdeckt wird, dass das Leben an sich etwas sehr Geheimnisvolles ist. Es war und ist so voller unvorhersehbarer Wendungen und fantastischer Zufälle, dass man es kaum glauben mag, wenn es nicht selbst erlebt worden wäre. Denn es ist doch oft so, selbst wenn wir im Moment des tatsächlichen Geschehens noch so achtsam und aufmerksam sind, meinen wir meistens, dass nichts, was da gerade passiert, unerklärlich wäre. In unserem Alltag sehen wir doch nur, wie sich *normale* Dinge  auf ganz *normale* Weise abspielen. Entweder entspricht etwas den Regeln der Vernunft oder nicht. Doch ob wirklich etwas der Vernunft entspricht, vermögen wir erst zu erkennen, nachdem eine gewisse Zeit vergangen ist. Jedenfalls hab ich Vieles, das in meinem Leben geschehen ist, erst im Nachhinein richtig begriffen und verstanden, warum und wieso es gerade so gekommen ist.
 
Ich hoffe, ich habe ein wenig Neugier auf  Murakamis Buch gemacht. Ich beende mit einem kleinen Zitat aus seinem Buch:
 
*Neugier beinhaltet immer ein gewissen Risiko. Ohne das lässt sie sich nicht befriedigen. Neugier ist aber nicht nur der Katze ihr Tod*
 
Viel Vergnügen!
 
Haruki Murakami
Die Ermordung des Commerndatore I
- Eine Idee erscheint -
Dumont Buchverlag

480 Seiten, 26 Euro

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29. März 2018 4 29 /03 /März /2018 09:26
Gestern hatte ich einen Termin auf der anderen Rheinseite. Wie immer lege ich meine Wege, wenn es nicht unumgänglich ist und mein Rad, wie zur Zeit, sich in der Werkstatt befindet, zu Fuß zurück. Ich lebe einfach dem Motto * Wer zu Fuß geht, erlebt mehr* Und Leben heißt ja auch nichts anderes wie *erleben*
 
Manchmal erlebe ich Dinge, über die ein Roman geschrieben werden könnte. Es bräuchte nur ein wenig Drumherum fantasiert zu werden und schon fertig. Leider fehlt mir dazu der nötige Ehrgeiz, obwohl ich ja gern schreibe. Ich schreibe wirklich sehr gern. Es gibt Zeiten, da fließt es aus mir heraus. Manches ist auch nur versteckt, im Verborgenen verblieben, hier bei mir zu Hause in meinen unzähligen kleinen Heftchen, die überall herumliegen und mir immer zur Verfügung stehen für kleine und große Einfälle. Manchmal gibt es aber auch Geschehnisse, die mich für eine lange Weile blockieren. Dann ist da viel drin in mir, dass ich erzählen möchte, aber es will nicht heraus kommen, weil das, was geschehen ist, so tief und fest in mir ist, dass ich warten muß, bis die Blockade sich löst und ich wieder loslassen kann. Ist einfach so. Ich schreibe deswegen so gern, weil ich immer denke, beim Reden kann ich gar nicht alles sagen, was in mir ist. Mir fehlt oft der Mut oder vielleicht ist es das Mißtrauen in mir, weil ich denke, wen interessierts schon. Und wenn ich so denke,  dann wollen die Worte nicht kommen und ich sitze da und bleibe stumm. Ja der Mensch, auch ich, ist ein merkwürdiges Wesen.
 
Gestern also, ich war auf dem Weg. Erst einmal rüber kommen, über die Brücke, die die beiden Seiten Kölns verbindet. Ich gehe gern über Brücken, obwohl ich immer ein wenig Angst habe. Das ist so seit meiner Kindheit. Immer ziehen in mir Gedanken hoch, was ist, wenns hier in der Brücke irgendwo eine brüchige Stelle gibt, die ich nicht sehe, und dann..Versinken in den Wogen und Wellen, Strudeln des Wassers. Ich weiß, diese kleine Ängstlichkeit ist ein wenig kindisch, doch hab ich im Laufe meines Lebens erfahren, dass es viele kleinen kindischen Ängste im Leben der Menschen gibt, warum also sollte nicht auch eine in mir sein. So akzeptierte ich irgendwann diese kleine Ängstlichkeit, muss aber auch jedes Mal ein klein wenig schmunzeln über mich selber, wenn ich sie denn dann mal wieder bemerke.
 
Während mein Blick hinunter aufs Wasser fällt, den Strom der sich in alle Ewigkeit von Ort zu Ort bewegt, versuche ich den um mich herum tösenden Lärm des Autoverkehrs zu verdrängen, ohne den Gedanken los zu werden, dass das alles doch eine große Verrücktheit ist mit dem Autoverkehr. Obwohl ich neulich, vor ein paar Tagen wegen einer Fahrt zu einem Abschied eines mir lieb gewordenen Menschens selber für eine Zeit mit einem Auto, um über die lange Entfernung über Autobahnen und Bundesstrassen zum erwünschten Ziel zu gelangen,  unterwegs war.
 
Müde fühlte ich mich, unsagbar müde. Gestern auf meinem Fußweg, der ca. 1 Stunde wohl in Anspruch nehmen würde. Woher sie kam die Müdigkeit. Ich weiß es nicht. Vielleicht vom schlechten Schlaf in der Nacht, von den aufwühlenden Träumen, die mich mehrmals weckten oder einfach nur von der Schwere der Dinge die in den letzten Tagen über mich hereingebrochen sind. Es ist ja auch egal. Es galt die Müdigkeit zu überwinden. Einfach laufen, laufen und weiter. Irgendwann wird sie schon verschwinden.
 
An den alten Gebäuden der Riehler Heimstätten, einem Altenpflegeheim, vorbei, den Mauern abgrenzenden Zoo, dessen Geruch ich schon aus der Ferne wahrnehme, gelangte ich fast an mein Ziel, als ich an einem kleinen Park, der mich noch von der Neusser Strasse trennte eine alte Dame stehen sah. Ich gestehe mein Blick fiel zuerst auf ihren an der Leine gehaltenen kleinen drolligen Hund. Ich weiß nicht, was es für eine Hunderasse war. Ich habe auch nach unserem Gespräch total vergessen sie zu fragen. Aber alt war er. So sagte sie. 15 Jahre genau.Sah aber gar nicht so aus. Eher quicklebendig und wendig der kleine drollige Hund. Eine Hundemadam war sie. Und wie es so meine Art ist bei solchen Gelegenheiten sprach ich sie an, die alte Dame. Ihr Hund ist aber niedlich, sagte ich ihr.
 
Als wenn sie, die alte Dame darauf gewartet hatte, war sie sofort in ihrem Element und begann zu erzählen. Ja alt sei er, so wie sie auch. 74 Lenze zählte sie schon. Sie habe den Hund mit einem Jahr bekommen. Er kam aus dem Tierheim, war ausgesetzt worden. Ihre Tochter meinte damals, sie solle sich einen Hund anschaffen, damit sie erstens Bewegung habe und zweitens Gesellschaft. Sie lebte nämlich allein. Ihr Mann vor einigen Jahren verstorben. Sie hätte lange überlegt und dann zugestimmt. Probeweise erstmal für drei Monate. Dann habe sie gemerkt, dass das Hundchen ihr gut tue. Sie komme schneller raus an die frische Luft und ausserdem hie und da begegne sie einem anderen Menschen mit Hund oder einem wie mir, der einfach mal stehen blieb, um mit ihr ein paar Worte zu wechseln.
 
Jeden Tag ginge sie die selbe Strecke mit ihrem Hundchen. Seit längerer Zeit hatte sich auf diesem ihren Weg ein kleines Ereignis zugetragen. Sie hatte bei ihrem täglichen Spaziergang immer einen kleinen Beutel in der Tasche, in dem sich Rosinen und Nüsse befanden. Ab und an passierte es nämlich, dass sie an Unterzuckerung litt und da bräuchte es von jetzt auf gleich etwas, dass die damit verbundene Störung behoben werden könne. Und sie habe sich für Rosinen und Nüsse entschieden, der Gesundheit wegen. Als sie eiens Tages einmal von einem solchen kleinen Anfall beherrscht wurde, blieb sie stehen, holte ihr Beutelchen heraus um eine Handvoll davon zu essen. Und da sah sie, wie nur ein Stückchen weiter vor ihr eine Krähe ihr zuschaute. Sie schaute eine Weile ebenfalls zu ihr hin. Es war wohl so wie ein stilles Zwiegespräch zwischen ihr und der Krähe. Ich konnte diese ihre Schilderung sehr gut nachvollziehen, all die weil auch ich des öfteren einmal solch kleinen Zwiegespräche führe, mit Vögeln, einem Eichhörnchen oder einer vor mir herschleichenden Katze, die erschrocken über meine plötzliche Anwesenheit stehen blieb und mich abwartend anstarrte.
 
Und dann sei sie einfach auf die Idee gekommen der kleinen Krähe etwas von ihrem leckeren Proviant abzugeben und warf ihr ein paar Brocken hinüber. Krähen, wie wir wissen, sind recht schnell zutraulich, empfinden wenig Scheu oder Ängstlichkeit, besonders wenn es darum geht, sich einen Vorteil zu verschaffen. Da sind sie sogar sehr erfinderisch. Da hab ich schon so manche vergnügliche Zeit verbracht beim Zuschauen über ihren Einfallsreichtum, wenn es darum ging, an etwas Begehrenswertes heranzukommen. Diese Krähe hatte Glück. Sie musste sich nicht mal besonders anstrengen um etwas Leckeres zu ergattern. Die alte Dame warf es ihr genau vor die Füße.
 
Der alten Dame gefiel das. Sie hatte ihre Freude an diesem kleinen Geschehnis. Und schon am nächsten Tag blieb sie wieder an der selben Stelle stehen und sie wollte es kaum glauben, aber die Krähe war wieder da, wie am vorherigen Tag. Sie schien da zu wohnen oder jedenfalls war es ein Stützpunkt auf ihrem langen Tagesflugweg auf der Suche nach Brauchbarem oder einfach nach einem Rastplätzchen. Und so geschah es ganz einfach, dass die Beiden sich seit nun schon längerer Zeit Tag für Tag dort trafen. Die alte Dame meinte, sie hätte sogar das Gefühl gehabt, als sie hin -und wieder mal, aus gesundheitlichen Gründen, ihren Weg für ein oder zwei Tage unterbrechen musst und sie der Krähe danach wieder begegnete, diese sie ganz aufgeregt flügelschlagend begrüßte. Obd as stimmt, es ist ja auch egal, wenn die alte Dame es so empfunden hat und sie sich darüber freute, genügt das ja.
 
So habe hier ihre Freundschaft mit einer Krähe begonnen, die ihr in ihrem täglichen Alleinsein etwas gab, das vielleicht Niemand zu verstehen vermochte, aber das war ihr auch egal. Für sie hatte es eine Bedeutung. Und es ist ja so, wer kann schon nachvollziehen, wer oder was für einen anderen Menschen von Bedeutung ist, wenn es für ihn selber keine ist.
 
Jetzt mache sie sich tatsächlich schon ein wenig Sorgen. Es fiele ihr schon immer schwerer jeden Tag mit ihrem Hund hinaus zu maschieren. Die Knochen, der Kreislauf, all das, was nun mal so ist im Älterwerden. Und der Hund, wenn er nicht mehr ist, einen neuen wolle sie sich auf keinen Fall mehr anschaffen, Wo soll der hin, wenn sie dann plötzlich sterbe. Das wäre doch zu traurig, sich an das Tier gewöhnt zu haben und umgekehrt und dann ist man plötzlich nicht mehr da. Das wolle sie einem Tierchen nicht antun.
 
Und sie erzählte mir nun noch eine Geschichte, die ich ebenfalls sehr berührend empfand. Vor eineinhalb Jahren war sie einmal heftig gestürzt, zu Hause beim Versuch an eine obere Stelle in ihrem Wandschrank etwas hinauszufischen. Da sie alleine war, musste sie sich heftig quälen, um wieder auf zu stehen und sich bewegen zu können. Es ging, war aber sehr schmerzhaft. Als die Schmerzen nicht aufhörten nach ein paar Tagen, musste sie einen Arzt aufsuchen, der meinte, es sei wohl ein Bruch in ihrem Knöchel und sie müsse damit ins Krankenhaus. Sie war tüchtig erschrocken. Was sollte denn dann mit ihrem Hund passieren. Wer würde sich denn um ihn kümmern. Ihre Tochter lebte seit Jahren in Paris. Freunde hatte sie keine mehr. Alles weggestorben. Und die Nachbarn, fragte ich sie. Hätten die sich nicht um ihren kleinen drolligen Hund kümmern können.
 
Ach hören sie doch auf, entgegente sie mir. Die Menschen sind nicht mehr so nett! Da wäre keiner. Die einen gingen tagsüber arbeiten, die anderen ihr aus dem Weg. So sei es nunmal. In jungen Jahren sei das noch anders gewesen. Da hätte noch jeder auf den anderen geachtet. Heute könnte man einfach weg sein, es würde Niemandem auffallen. Traurig sei das, sagte sie, aber so ist es nunmal geworden in der Welt. Nun ja, das ist halt ihre Erfahrung dachte ich bei mir. Und wird wohl auch großenteils so zutreffend, wie auch von mir ja schon des öfteren beobachtet bei meinen Besuchen alter Menschen und ihrem Umfeld.
 
Jedenfalls sie stand vor dem Problem wohin mit ihrem Hundchen, wenn sie jetzt ins Krankenhaus müsse. Und da wäre ihre eine Idee gekommen. Manchmal auf ihrem täglichen Spaziergang begegnete sie einem Obdachlosen. Obwohl, der hatte wohl auch eine klitzekleine Behausung, aber war doch immer draussen. Er trank auch wohl. Nicht so schlimm, dass er nicht ansprechbar war, aber er hatte sein tägliches Pensum, das er vertrank. Hatte er ihr erzählt und so nahm sie ihn auch wahr. Aber es war immer nett mit ihm ein paar Worte zu wechseln. Sie wußte nicht viel über ihn. Warum er in dieser Situation lebte. Wie es dazu gekommen sei, habe ihn auch nie gefragt und er auch nichts erzählt. Und so blieb es bei ihren Gesprächen immer nur beim Heute, was gerade ist und war und gedacht und gefühlt wurde. Ja, sagte sie, man könne es so sagen, ein klein wenig habe sie sich mit ihm angefreundet. Und so hätte sie den Entschluß gefaßt, ihn einfach zu fragen, ob er sich nicht um ihren kleinen Hund kümmern könnte, wenn sie für ein paar Tage ins Krankenhaus müsse.
 
Und man stelle sich vor, der Mann habe sofort eingewilligt. Selbstverständlich würde er das tun, gerne sogar. Und so kam es, dass sie ihm ihren Hund anvertraute. Und mit einem Schmunzeln und funkelnden Augen erzählte sie weiter, dass der Mann sie doch tatsächlich im Krankenhaus besuchen gekommen wäre. Mit dem Hund in einem Körbchen auf sie im Cafe wartend, damit sie ihn sehen und knuffeln konnte. Und stellen sie sich mal vor, sagte sie mir, wie er daherkam plötzlich aus seinem sonst so etwas verwahrlosten Aufzug, wie er da Tag für Tag auf der Parkbank saß. Mit Schlips und Kragen angezogen habe er sie besucht. Richtig fein habe er ausgesehen. Sie sei ganz überrascht gewesen. Ja, der Mensch ist ein merkwürdiges Wesen, sagte sie und ich musste schmunzeln, weil ich das ja selber einige Zeit vorher gedacht habe. Es stimmt einfach. Man schaut nie in einen anderen herein. Und es taugt nicht Schubladen aufzumachen in die man einen Menschen hineinstecken will. Denn letzten Endes ist jeder doch für eine Überraschung gut, die einem das ganze Bild, das von ihm gehabt wurde, auf den Kopf stellt.
 
Ich fand diese Geschichte, erlebt von dieser netten alten Dame, richtig schön, so daß ich sie hier meinen geneigten Lesern erzählen wollte. Die alte Dame sagte noch, sie habe ihm abgesehen vom der Gewißheit, dass es keinen Lohn gibt für eine solche freundliche und liebe Geste, dennoch etwas Geld gegeben und zwei Stangen Zigaretten. Ist doch auch in Ordnung sagte ich ihr. Sie wisse ja darum, dass die wirklichen Dinge, die ein Mensch für einen anderen tut nicht bezahlbar sind und das habe sie wohl ja auch erkannt und weiß es zu schätzen.
 
Ja, sagte sie. Die Menschen sind nicht mehr so nett. Dabei bliebe sie. Aber ab und an fände man doch einen kleinen Diamant, eine Perle oder wie immer man das nennen möchte oder gar selber ist man einer für einen anderen. Daran will sie sich die letzten Lebensjahre, die ihr verblieben, festhalten und dann versuchen den Dingen, die geschehen, die ihr widerfahren werden beim noch Älterwerden und Sterbenmüssen, eine Gelassenheit zu geben. Denn was geschehen soll, geschieht und ist selbst mit größter Anstrengung nicht aufzuhalten.
 
Ich weiß nicht, aber es war so, wir verabschiedeten uns, ich bedankte mich für dieses schöne Gespräch, dass ich mit ihr führen durfte und über das Vertrauen das sie mir schenkte, mir etwas von ihrem Erleben zu erzählen und ging nun weiter. Dabei mußte ich weinen. Aber auch lachen.
 

Und ein wenig hat mir diese Begegnung tatsächlich geholfen all das, was die letzten Tage geschehen ist, ein wenig besser zu verstehen und anzunehmen. Die schönsten Geschichten werden doch immer im Leben geschrieben.

 
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3. März 2018 6 03 /03 /März /2018 08:10
Unter dem weißen Schnee
liegt die ganze Welt
 
wie die Traurigkeit
unter der Fröhlichkeit
 
wie Gesichter
unter Masken versteckt
 
wie die Wahrheit
unter dem *wenn du wüßtest*
 
wie die Hoffnung
unter der Angst
 
bedeckt
von der Ungewißheit
 
sie steht da still
die Welt
 
wie der Mensch
unter der Ungewißheit
 

was ist.

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6. Februar 2018 2 06 /02 /Februar /2018 10:19

Damals

sagtest Du

wir werden auch alt noch

zusammen

auf einer Bank sitzen

und zurückdenken

was wir gemeinsam erlebten

 

doch dann

ging ich einen anderen Weg

ich wollte deine

freundschaftliche Hand behalten

doch

Du hast sie mir entzogen

Angst wohl

denn meinen Weg

wolltest auch Du ja gehen

aber

Dir fehlte der Mut

und so lebst du weiter

hinter Deiner Fassade

ohne mich

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