Nachdem ich prima geschlafen habe, nachts lassen mich die Mücken freundlicherweise in Ruhe, nehme ich das erste Mal in diesen Tagen ein richtiges Frühstück zu mir. Das ganze nennt sich hier zwar Jugendherberge, aber anwesend sind gerade mal drei Ehepaare mit ihren Kindern. Ich nehme ein Riesenmüsli und zwei Brötchen und lausche den Gesprächen der Familien. Ein bißchen muß ich innnerlich schmunzeln, die meisten Männer sind wie das dritte, vierte oder fünfte Kind der Frau. Günther, nimm doch noch Butter..., Jürgen, pass auf die Marmelade auf, du kleckerst...., Robert, sag du doch auch mal was....-) Wat ios bloß´mit den Männern los? Bin ich froh, dass ich allein bin.
Gedacht und schon vorbei, denn an meinen Tisch kommt ein älterer Herr und fragt, ob er sich zu mir gesellen kann. Klar, sag ich. Auch mit dem Fahrrad unterwegs, fragt er mich? Ich nicke nur! Er auch, sagt er, und erzählt mir, dass er den sogenannten "Mönchsweg" fährt. Wat dat denn ist, frag ich ihn. Dann erklärt er mir, dass früher Mönche durch Schleswig gezogen sind, um die Bevölkerung zu missionieren. Na super, meine Antwort. Bei dem Wort "missionieren" läuft es mir kalt den Rücken herunter. Erinnerungen kommen hoch. Ich hab was gegen Missioniererei! Auf jeden Fall, er fährt jetzt in den Spuren dieser Mönche. Gestern sei er 72 km gefahren. Er würde jetzt doch schon sehr spüren, dass die Beine nicht mehr so viel Kraft haben wie früher. Das Alter, sagt er. Er sei schon 87 Jahre. Ich verschlucke mich fast an meinem Brötchen, denn das hätte ich nicht gedacht. Hatte ihn auf 75, 78 Jahre geschätzt. Natürlich fühlt er sich geschmeichelt, warum auch nicht! Wer denn nicht, sag ich ihm. Dann fragt er mich nach meinem Alter. Ich lächele ihn an und sage, aber, aber, eine Frau fragt man doch nicht nach ihrem Alter. 46 oder 48 Jahre meint er dann. Ich grinse, na ja ein paar Jährchen mußt du noch drauftun. Ich freu mich auch ein wenig, obwohl ich weiß, dass das überhaupt nicht wichtig ist.
Dann legt er aber weiter los. Wieviel Sport er früher gemacht habe. In seiner Jugend wäre das ja noch anders gewesen. Jeden Tag eine Stunde Sport. Man könnte ja sagen, was man wolle, nicht dass ich ihn jetzt falsch verstehen solle, aber das sei bei Hitlers Zeiten an den Schulen ja noch anders gewesen. Und heute! Wenn er all die dicken, unbeweglichen Kinder sehen würde. Er legt weiter los, von der Hitler-Jugend und dass er im Krieg Pilot war. Oh Gott, denke ich, jetzt, an diesem Morgen bitte keine Kriegsgeschichten! Sonst höre ich es mir gerne an. Nachdem ich noch ein drittes Brötchen vertilgt habe, verabschiede ich mich von ihm. Muß weiter, sonst wird es zu heiß und wünsch ihm alles Gute.
Das Gepäck verstaut, den Rucksack aufgezogen mache ich mich auf den Weg. Gleich zu Anfang ein kleiner Verfahrer, als ich aus Itzehoe raus bin. EIn bißchen plagt mich der Sonnenbrand und ich habe Sorge, dass er heute noch schlimmer wird.
Die ersten Kilometer fahre ich durch ein wunderbar, unberührtes Waldgebiet. Niemand außer mir unterwegs. Piepsen, Zwitschern und das Hämmern eines Spechtes sind die einzige Musik an diesem Morgen. Links und rechts hochgewachsene Farne. Einfach nur genial. Ich fahre an Breitenburg vorbei, wo ein sehr schönes Schloss zu sehen ist, das aber leider nicht zu besichtigen ist, weil es sich seit dem 16. Jahrhundert in Familienbesitz befindet. Diese hatte wohl großen politischen Einfluß auf das Schleswiger Geschehen.
Dann nähere ich mich nach ca. 20 km dem Örtchen Kellinghusen. Ein Dörfchen, das für seine Keramik bekannt ist über die Grenzen hinaus. Hier findet im August auch immer ein großer Töpfermarkt statt. Man kann die Töpferei besichtigen, aber das spare ich mir. Obwohl ich Töpfergeschirr liebe. Das meinige, zuhause, ist jetzt auch schon 20 Jahre alt. Echte Wertarbeit. Einmal erst habe ich einen Teller erneuern lassen müssen. Sonst hab ich kein anderes Geschirr. Ich kann die Frauen nicht verstehen, die für jede Gelegenheit ein Porzellan kredenzen. Meissner, Hutschenreuther, Thomas, usw.usw.. Wat soll dat, denk ich immer. Man kann doch eh nur eins gebrauchen. Bin da eher für Schlichtheit.
Daher gönne ich mir in einem sehr schönen, im Ort gelegenen Cafe, einen Espresso und ein großes Glas Wasser. Nach einer Weile kommen zwei weitere beladene Radfahrer dazu. Manoman, denk ich, die sind ja bestens ausgestattet. Stylisches Rad mit allem Pipapo, dat ganze Outdoor-Outfit Ton in Ton, bis zu den Handschuhen.,Wieso brauichen die eigentlich Handschuhe. Hab ich kein einziges Mal gebraucht bis jetzt, im Gegenteil fahre meistens mit einer Hand, in der anderen die Karte. Dann schaue ich mein altes Vehikel an, von dem niemand glaubt, dass ich mit dem Ding die Touren fahre. Ich habe leider auch keine Funktionskleidung inkl. Funktionsunterwäsche, wie mir einer der beiden stolz erzählt. Ich schaue an meinen roten Turnschuhen herunter, meinen orangefarbenen Rock und dem türkisfarbenen Normal-Baumwollshirt mit dem Kölner Dom vorne drauf. Helm hab ich auch nicht, kann ich nicht vertragen, dafür ein Original Sonnenhut vom Weltjugendtag in Israel. Ich grinse die Beiden an, als ich den Rucksack umschnalle und mich verabschiede. Geht auch so, sag ich. Aber wenn es regnet, meinen sie. Ich hab ein Cape und ne Hose in der Tasche, sag ich. Wird schon! Paßt schon! Und dann bin ich weg.
Weiter gehts, jetzt mit erheblichen Steigungen. Ich komme schon ziemlich ins Schwitzen und ein bißchen auch das erste Mal an meine Grenzen. Aber Grenzen fordern uns ja bekanntlich heraus. Man muß ein System haben, um gegen das Schwere anzugehen, ein Bewältigungsprogrtamm, um es zu bestehen. Das ist beim Radfahren nicht anders wie im Leben. Meines ist gerade folgendes: Ich schaue einfach nicht, wie lange es bergauf geht, sondern konzentriere mich und richte meinen Blick direkt nach vorne, nach unten auf meine Beine und die Kraft, die ich aktivieren will. Geht doch. Ich genieße trotz allem den herrlichen Wald, unterbrochen von weit auslaufenden Wiesen, Weiden, manchmal grasen Kühe, manchmal weiden Pferde, auch zwei weiße Ponys, hallo Anouk, denke ich. Jedesmal, wenn ich eine Steigung geschafft habe und es wieder runtergeht, jauchze ich vor Vergnmügen. Aber auch hier diszipliniere ich mich. Das Rad läuft dann so schnell, aber ich will auch das erleichternde Rollen lange genießen. Die Entspannungsphasen genißen lernen ist schließlich auch eine Kunst, denn sehr schnell kommt wieder der nächste Anstieg, im Leben das nächste Problem.
Der Himmel bewölkt sich und ich befürchte einen Wetterumschwung. Es ist jetzt 13.30 Uhr und ich bin ca. 45 km gefahren. Mein Magen meldet sich und bevor ich das letzte Waldstück fahre, steige ich ab, lehne mich an einen Baum, esse noch eine Banane, einen von den leckeren Äpfel vom Fährhaus, fühl mich insgesamt schwer, aber gut.
Und weiter! Es folgt eine schöne Buchen- und Lindenchaussee, dahinter Wälder. Plötzlich springt ein Langohr aus dem Gebüsch, direkt vor mein Rad, ein richter Feld- und Waldhase mit hochgestellten Ohren. Ich freue mich wie ein Kind, das das erste Mal einen Hasen sieht. Kann mir gerade mal wieder nix Schöneres vorstellen, als hier durch die Weltgeschichte zu fahren und eine kleine Sehnsucht keimt in mir auf. Nächstes Jahr vielleicht Finnland oder lieber Irland? Schaun wir mal! Auf jeden Fall dann vier Wochen.
Nach knapp 60 km komme ich in Nortorf an. Und jetzt? Das übliche Procedere. Geh in ein Hotel, Gasthöfe gibt es nicht vor Ort. Die Jugendherberge ist noch mal 1o km entfernt, dat will ich heute nicht mehr. Hotelzimmer 40,00?, nö, geht nicht. Was jetzt? Ich fahre wieder zum Marktplatz zurück und sehe einen Buchladen. Spontan gehe ich rein, sage der netten Buchhändlerin guten Tag. Ich dachte, sag ich ihr, ich frage mal ne nette Buchhändler-Kollegin, ob sie nicht ein nettes Quartier, möglichst billig, weiß. Sie ist, wie übrigens alle Norddeutschen unglaublich freundlich, nett, hilfsbereit, aber sehr, sehr langsam. Aber das hat ja bekanntlich auch Vorteile. Und doch grinse ich innerlich, wieso haben die so die Ruhe weg. Sie ruft sogar für mich an zwei Stellen an, die 4 bis 5 km entfernt liegen, aber leider nix. Aber ich solle da und da hinfahren, da hätte ich bestimmt Glück. Sie erklärt mir den Weg, ich versuche mir alles zu merken, ich solle aufpassen sagt sie mir, denn Verfahren ist schlecht in diesem Gebiet, denn es ist von Moor umgeben. Das dachte ich mir unterwegs schon, als ich meinen Blick schweifen ließ, dass es hier wohl Moor gäbe. Da kommen Erinnerungen an Gruselabende mit schön-schaurigen Moorgeschichten. Ich fahre also weiter. Muß durch einen bemerkenswerten Skulpturenpark und komme an ein Einfamilienhaus vorbei, an dem ein Schild steht:"Ferienwohnung"! Ich zögere noch etwas und dann klingele ich. Ein Frau, sehr sympathisch macht mir auf und ich frage sie nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Jau, sagt sie, die Gäste sind gerade abgereist, aber sie habe noch nicht sauber gemacht, ich könne gegen 18.00 Uhr wiederkommen, da sei sie fertig. Dann könnte ich gegen ein Entgelt von 18.00 Euro die Nacht dort bleiben. Ach, das ist ja herrlich, machen Sie sich keine Mühe, sag ich ihr, ich bin nicht anspruchsvoll und so dreckig wird es schon nicht sein. Ein paar Handtücher, Bettwäsche solle sie mir rauslegen, das andere mache ich schon alleine. Sie willigt ein und ich bin glücklich. Das Schicksal meint es gut mit mir.
In der Wohnung lasse ich alles fallen, die Knie machen mir jetzt auch zu schaffen, wohl wegen der Steigungen. Erst mal Dusche, dann wieder aufs Rad, ihr wißt schon, der Magen knurrt. Ich finde das Hotel wieder, das einen sehr schönen Innenhof hat, der aber leer ist, dann bestelle ich mir einen großen Teller Pasta, eine Apfelsaftschorle und bin sehr, sehr zufrieden. Ich sitze noch eine Weile, trinke einen Espresso und geh zurück ins Dorf. Internet gibts hier leider nicht. Der Mann im Schreibwarenladen beschwert sich, als ich ihn frage, ob es im Dorf Internet gibt. Stadt, sagt er, es ist eine Stadt. Jau, sag ich aber ohne Internet und er muß lachen.
Also die "Stadt Nortorf" ist nix Großartiges, klein, aber fein. Die einzige Besonderheit ist, dass sich in der Nähe der geographische Mittelpunkt von Schleswig-Holstein befindet. Übrigens befinde ich mich schon im Gebiet Rendsburg-Eckernförde. Der Punkt befindet sich im Ortsteil Thienbüttel und ist ca. 3 km entfernt. Natürlich fahre ich hin. Die Koordinaten, wen es interessiert, lauten: nördliche Breite 54 Grad 11´o7.9 353. östliche Länge 9 Grad 49´19.5452. Mir sagen diese Zahlen leider sehr wenig. Ich fahre zurück und schau mir noch die St. Martinkirche aus dem 1300 Jahrhundert an, die durch die Zerstörung der vielen Kriege 1871 komplett abgerissen und neu erbaut worden ist. Sie ist der zentrale Mittelpunkt von Nortorf. Was es noch zu sehen gibt: am alten Rathaus steht eine Handwerkerzunftstätte. Es hängen an einem 24 m hohen Metallbaum 24 Zunftzeichen aus handwerklichen Bereichen aus dem Kreis Nortorf.
So, jetzt ist genug für heute. Ich fahre zurück zu meinem Quartier, setze mich in meinen eigenen kleinen Garten. Und da kommt es mir wieder. Ein Bier wäre jetzt fein. Aber woher? Weit und breit nix zu bekommen. Ich traue mich. Klingele noch mal bei der Frau, ob sie nicht ein Bier für mich habe, ich will es auch zahlen. Klar hat sie und gibt mir eine Flasche Bergadler Premium Pils. Kannte ich bisher noch nicht, schmeckt aber lecker. Was für ein schöner Abend. Ach ja, und die türkischen Jungs sind auch wieder auf dem Handy. Gute Nacht!