22. Juli 2018
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12:46
Am Morgen bin ich recht frisch erwacht und nach einem reichhaltigen Frühstück mache ich mich auf den Weg. Rüdesheim sollte heute mein Ziel sein.
Der Weg führt am Rhein entlang durch das Neuwieder Becken. Es gibt dort einige Baustellen, die ich umfahren muss und den Weg zurück nicht gleich finde. Also das erste Mal Begegnung mit Umwegen, Verfahrwegen um wieder zum rechten Wegzu finden. Eine solche Tour ist immer auch ein Suchen und Finden. Wie im Leben halt. Aber es gibt schöne kleine Haltestellen, wo es Unerwartetes zu entdecken gibt, oft auch Kurioses. So an einer Anlegestelle ein Stromkasten auf dem FC-Fans ihre Liebe zum Verein dokumentiert haben. Ich hab natürlich direkt für den Sohnemann ein Foto geschossen. FC-Fans gibts halt überall.
In Engers entdecke ich das Schloß Enger. Das Schloß wurde von den Erzbischhöfen und Kurfürsten im Spätbarockstil im 18. Jahrhundert erbaut, also gar nicht so alt und ist mit das einzige, das erhalten geblieben ist. Heute wird das Schloß als Tagungsstätte oder für Veranstaltungen genutzt und man kann es natürlich besichtigen. Aber ich war noch nie son Schloßgucker. Aber herrschaftlich schön schauts schon aus.
Es wird heiß heute. Ich merke es. Mein Vegetativum reagiert da sofort. Das bedeutet es wird anstrengend. Darauf muss ich mich einstellen. Vor allen Dingen in der Mittagshitze. Manchmal kann man dem Wetterbericht auch trauen.
Aber schön still liegen die Wege vor mir und das Wummern der manchmal vorbeiziehenden Schiffe geben einen schönen Klang von sich, in dem ich mich einbetten lasse und ebenfalls das Gefühl habe, ich schwebe auf meinem Rad so vor mich hin. Ich halte immer mal an, Pausen sind wichtig bei Hitze.
Hatte ich schon erwähnt, das neben dem Rheinradweg auch der Limesradweg zu befahren ist. Wer auf Entdeckung der Römerzeit ist, sollte ihn unbedingt befahren, denn Geschichte aus dieser Zeit ist hier groß.
Ich komme nach Bensdorfy-Sayn, das landschaftlich gelegen an den Ausläufern des Westerwaldes liegt. Schöne Strecken führen hier direkt am Rhein entlang. Sayn selber soll schon in der Bronzezeit besiedelt gewesen sein. Der Ort wird von zwei Bächen, dem Sayn und dem Brex durchzogen, die beide in den Rhein münden. Es gibt die Burg Sayn und das Schloss Sayn. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde die Burg allerdings von den Schweden gänzlich zerstört. Die Fürstin zu Sayn-Wittgenstein-Sayn soll im Garten des Schlosses eine große Schmetterlingssammlung beherbergt haben, daher heißt er auch der Garten der Schmetterlinge. Ein wenig tut es mir gerad wieder leid, keine Zeit zu haben, um solche Dinge zu bestaunen. Ich muss mich wie im Leben mal wieder damit abfinden, es kann nicht alles erkundet, gewußt und bestaunt werden, die Lebenszeit reicht einfach dafür nicht aus.
Und ich habe auch gut daran getan, keine größeren Stops zu machen, denn der Weg, der jetzt bis anch Rüdesheim folgt, ist echt riesenanstrengend. Ich muss sagen, ich komme ein wenig an meine Grenzen.
Der Weg folgt nun bis nach Lahnstein und auf der linken Seite seh ich im Vorbeiradeln Koblenz liegen, wo mir das große Kaiser-Wilhelm-Denkmal am Deutschen Eck hinüberwinkt. Ich erinnere mich an meine Tagestour mit dem Rad von Frankfurt nach Köln, wo ich eigentlich in Koblenz Rast machen wollte, aber dann noch so fit war, dass ich dachte, fährste weiter Roeschen, wenigstens noch ein wenig, aber dann hab ich nix mehr zum Unterkommen gefunden und musste die komplette Strecke bis Köln durchfahren. Das war ein Wahnsinn, den ich nie vergessen werde.
Ich habe einen schönen Ausblick auf die Burg Lahneck, die wirklich prächtig auf dem Hügel ehrauslugt. Hier kann auch ein Teil des Deutschen Jakobsweges absolviert werden. Da hab ich ja bei meinen Touren immer ein Auge drauf. Obwohl ich den Originalweg von Frankreich nach Spanien durchlaufen bin, hab ich aber nie groß ein Bedürfnis verspürt, die deutschen Wege einmal abzulaufen, vielleicht kommt das ja noch.
Zu erwähnen ist noch, wie ich bei Abendrecherchen erfahre, auf meinem Bette liegend, dass auch Goethe im Anblick der Burg Lahneck sich inspiriert gefühlt hat und sogleich ein Gedichtlein verfaßt hat, dass ich hier einfügen möchte:
- Hoch auf dem alten Turme steht
- Des Helden edler Geist,
- Der, wie das Schiff vorübergeht,
- Es wohl zu fahren heißt.
- Sieh, diese Senne war so stark,
- Dies Herz so fest und wild,
- Die Knochen voll von Rittermark,
- Der Becher angefüllt;
- Mein halbes Leben stürmt' ich fort,
- Verdehnt' die Hälft' in Ruh'
- Und Du, Du Menschen-Schifflein dort,
- Fahr immer, immer zu!
Und eine weitere Begebenheit hat mich ebenfalls berührt. Dort oben auf der Burg Lahneck soll im Jahre 1851 eine 17jährige Touristin verhungert sein, nachdem eine marode Treppe hinetr ihr eingestürzt war. Gefunden hat man ihre Leiche bzw. ihr Skelett erst bei der Renovierung eines der Türme, aber immerhin ihr Tagebuch von ihren letzten vier Tagen. Das hätte ich nun gern gelesen. Ob man es da wohl bei eienr Burgbesichtigung zu sehen bekommt. Ich weiß es nicht, werds aber noch herausfinden und es ist sicherlich eine Zukunftsoption meinerseits dann noch einmal dort anzureisen, um es mir anzuschauen. Ich weiß, ich weiß, ich bin merkwürdig, was andere Leuts vielleicht nicht interessiert, mich aber um so mehr. Ich bin son Typ.
Nun geht es weiter vorbei an Orten wie Felsen, Kamp-Bornhofen, Kestert bis nach St. Goarshausen. Für Wanderer übrigens, hier schon beginnen die wunderschönen Rheinsteigwanderungen, von denen ich auch einige schon durchlaufen habe, vor allen Dingen erinnere ich mich an die schöne Wanderung von Lorch aus hoch über den Rheinsteig, wo mir in der Abenddämmerung noch eine Bache mit ihren Jungen begegnet ist. Es ist immer schön, an Orte zu kommen, wo viele schöne Erinnerungen lebendig werden.
St Goarshausen gehört schon zum Loreleykreis und die Stadt gehört seit 2002 zum Unesco-Weltkulturerbe. Ich habs vorher nicht gewußt, ehrlich.Sie wird umgeben vom Rheinischen Schiefergebirge. Urkundlich erwähnt ist die Stadt im Jahre 1222. Das ganze Königs-, Fürsten- und Herzigsgedöns macht mich schwindelig. Ich hab eh Probleme mit Namen, also laß ich das mal lieber.
Weinanbau ist hier seltener zu finden, weil die Gebiete, um Pflanzungen anzulegen schwer zugänglich sind, zu zerklüftet die Lagen. Als es noch Weinanbau gab, wurden schon zu früheren Zeiten die Arbeiter dort hoch entlohnt, weil die Arbeit vor allen Dingen bei großer Hitze äusserst anstregend war. Apropos große Hitze. Ich schwitze und das nicht schlecht und es ist sauanstregend.
Von St. Goarshausen aus befahre ich eine der stressigsten Strecke auf meinem Wege. Fast nur an der Schnellautostrasse vorbei. Der Radweg keinen Meter breit und die LKW´s und Busse rasen 1o cm neben dem Bordstein an mir vorbei. Es kommt kein Haus, kein Dorf, nix, nur Strasse, Strasse, Strasse und rechts neben mir der glitzernde Rhein. Ich weiß gar nicht wieviele Kilometer ich schon gefahren bin, ich schaue zwischendurch nie nach meinem Zähler, erst am Abend, wenn ich angekommen bin.
In Kaub mach ich eine kleine Rast am Ortsufer. Ein Mann kommt mir entgegen und ich frage ihn, ob dieser Weg nun wirklich immer so weiter geht bis nach Rüdesheim und schau ihn ein wenig zermürbt an. Er bestätigt dies und ich seufze. Als ich mich bedanken will und weiterfahren möchte, sagt er, dass wahrscheinlich die Strecke kurz hinter Lorch immer noch für Radfahrer gesperrt sei und man dann ganz auf die Autostrasse ausweichen müßte, was aber, wie er denke, nicht mal erlaubt sei, weil es viel zu gefährlich sei. Er könne sich daran erinnern, dass er vor einigen Wochen diese Strecke zurücklegen wollte und durch die Baustelle aufgehalten wurde und so die Rheinseite wechseln mußte. Er sei sich aber nicht sicher. Er ist sehr nett, denn er versucht einen Kollegen mit dem Telefon zu erreichen, der genauer bescheid wisse, damit ich Gewißheit erlange. Leider erreicht er ihn nicht und er empfiehlt mir besser auch die Rheinseite zu wechseln und dort bis nach Bingen weiter zu fahren, um von dort aus mit der Fähre wieder rüber nach Rüdesheim zu gelangen, wo ja meine Herberge liegt.
Auch, weil ich dort einen in der Nähe lebenden alten Freund treffen werde, dem ich versprochen habe, auf meiner Radtour meine alte Kamera zu überlassen. Ich hatte nämlich zum Geburtstag von meinen Kindern eine neue bekommen, weil sie meinten, die Qualität der Bilder sei nicht mehr so gut. Ich weiß es nicht, vielleicht hatten sie nur Bilder gesehen, die ich machte, weil ich ohne Brille ein wenig schäl bin und sie dachten deswegen, es müßte eine neue her. Ich häng immer so an meinen Sachen und war dann auch total überrascht, als die neue auf meinem Geburtstagstisch lag. Aber nun bin ich natürlich froh, dass ich die niggelnagelneue habe, denn sie ist doch noch besser zu handhaben und weist noch mehr Möglichkeiten auf. Dennoch, die alte tats ja noch und was soll die zuhause rumliegen, wenn sie ein anderer Mensch nutzen kann. Also wie versprochen Übergabe in Rüdesheim.
Also höre ich auf seinen Rat und wie ich am Abend dann erfahre, habe ich gut daran getan, denn es war genauso wie der freundliche Mensch mir sagte. Bis nach Niederrheinbach-Lorch ist es noch ein Stückchen des Weges, da muss ich durch, entnervt, mittlerweile hungrig und von der Gluthitze malat fahre ich dann mit der Fähre auf die andere Rheinseite. Es ist eine Autofähre. Der Fährbetrieb übrigens wird schon seit 5 Generationen von einerFamilie betrieben.
Es gibt ein nettes Video zum Familienfährbetrieb, dass ich ebenfalls gern einfüge:
Es ist ganz interessant, was Herr Schnaas, der jetzige Fährmann so erzählt. Seit 12 Jahren habe er keinen Urlaub mehr gemacht. Die Fähre ist ein Ganzjahresjob. Unvorstellbar denk ich mir. Ein Alltag ohne Atempause. Wie kann das gehen?
Auf der anderen Seite angekommen, knicke ich echt ein. Sehe das Schild, Kilometer nach Bingen, noch ganze 30... Ich glaub, ich schaff das nicht mehr, so fühl ich mich jedenfalls, aber ich weiß, dass ich muß. Und wie es auch im Leben oft ist, wenn du denkst, es geht nicht mehr weiter, irgendwie geht es dann doch. Also sitz ich auf und fahre, werde aber belohnt, denn der Weg nun auf der Bingenerseite ist wirklich hübsch, links liegt mir nun der Rhein, rechts lauter kleine Schrebergärten, so daß es mir echt Antrieb gibt. Wo es viel Abwechslung gibt, ist ein Weg immer besser zu bewältigen, als wenn du lange eintönige Strecken fährst. Auch das ist ja ein schönes Bild für den Alltag, wenn du ständig im langweiligen Alltagstrott hängst, wirst du schneller müde, als wenn du erfreuliche Abwechslungen hast, neue Erfahrungen und Begegnungen.
In Bingen angekommen, ein kurzes Stück noch über die Flaniermeile am Rhein, wo gut betuchte Urlauber sich zeigen, rauf auf die Fähre und rüber nach Rüdesheim. Ich bin jetzt echt total erleichtert und froh, als ich den Freund auf der anderen Seite am Bahnhof stehen sehe und ruf ihm schon von weitem zu. Freudige Begrüßung. Er lädt mich zum Essen ein und wir maschieren durch die weltberühmte Drosselgasse. Mensch Drosselgasse, sollte jeder kennen. Ich hab ehrlich gesagt noch nie vorher davon gehört. Sicher auch, weil ich mich für derartige Dinge nicht interessiere. Aber sie ist nunmal weltberühmt, 2 Meter breit und erstreckt sich über eine Länge von 122 Metern und laut wiki sollen da Jahr für Jahr 3 Millionen Menschen ihre Runden drehen. Unfaßbar. Für mich jedenfalls. Was wollen die da.
Im 15. Jahrhundert wurde die Gasse von den Rheinschiffern bewohnt. Im Jahre 1833 wurde ein großer Teil der Gebäude dort durch Feuer vernichtet. Und im Nationalsozialismus war die Drosselgasse ein beliebter Ausflugsort für die Angehörigen der Nazi-Freizeitorganisation *Kraft durch Freude* Mir wird schlecht bei dem Gedanken. Es wurde angeordnet, dass dort nur Musik gespielt werden durfte, die dem deutschen Empfinden nach genehm ist. Manoman, wie krank das alles. Schon allein deswegen würde ich ncht an diesen Ort zurückkehren wollen. Ich kann mir nicht helfen, ich hab immer den Verdacht, dass etwas von diesem Geist noch herumschwirrt.
Nun denn, ich hätte eh durch diese Gasse gemußt, denn meine Jugendherberge lag noch 2 km entfernt, hoch oben auf dem Berg. Und ich war froh, dass ich mit dem Freund gemeinsam eine kleine Rast in einer dann etwas abgelegeneren Pizzeria machen konnte, wo ich selber zwar kaum etwas herunter bekam, aber immerhin ein wenig ruhen konnte. Manchmal vertreibt eine unglaubliche Anstrengung den Hunger, jedenfalls erleb ich das oft auf solchen Touren und kehrt erst viel später, leider zur ungünstigen Zeit, wenn es nix mehr gibt, zurück. So ist das Leben halt. Kannste, willste nicht, willste, kannste nicht. Der Mensch ist ein merkwürdig Wesen.
Und jetzt sag ich was, was bin ich so froh gewesen, dass ich den Freund an meiner Seite hatte. Denn, obwohl man mich beim Buchen der Jugendherberge schon vorgewarnt hat, von wegen 2 km 7%ige Steigung bergauf, war ich von dem vorliegenden Weg total schon beim Anblick geschafft. Ich meine, ich hätte es schon schaffen müssen, auch alleine, aber ich war so was von dankbar, dass der Freund mir mein Rad abnahm, es mit den schwerbepackten Radtaschen auf dem steinig-gerölligen Weg bergauf schob. Man, ist das schwer, dein Rad sagte er. Jo, nickte ich.
Die Jugendherberge erreicht, stelte ich fest, sie war von der einfachen Art, aber alles was ich brauchte war da. Bett, Dusche, wenn auch nicht auf dem Zimmer, aber sie war nicht voll belegt, so daß es kein Problem war. Wir saßen dann noch gemeinsam ein gutes Stündchen auf einem Bänkchen, genossen den schönen Anblick aufs Tal und hinüber auf die andere Rheinseite und dann verabschiedete er sich. Ich hoffe, meine Kamera bringt ihm Freude. Und ich fiel nach dem Duschen schachmatt aufs Bett, aber auch ein wenig glücklich.
Mein letzter Blick auf meinen Tageskilometerstand: 118 km. Hurrah! Gute Nacht