Ein schöner Tag war das gestern. Welche Mutter hat es nicht gern, dass ihre Kinder immer wieder freudig heim kommen und es sich einfach nochmal gut gehen lassen wollen. Und wenn dann auch noch die Freunde gern dabei sind, ist das Glück doppelt.
Röschen jun. und Freundin hatten sich schon seit einigen Tagen angemeldet. Mir macht es immer wieder Freude dann etwas Besonderes zu kochen. Kein Fünf-Gänge-Menue, aber drei müssen´s schon sein;-)
Der Grund zum gemeinsamen Essen, war eigentlich hauptsächlich der gemeinsame Aufbruch im Anschluß zum Bauturm auf der Aachener Straße. Dort wird seit April diesen Jahres das Stück "Die Leiden des jungen Werther" von Goethe gezeigt. Seinerzeits heftig umstritten, weil ihm zum Vorwurf gemacht wurde, romantisch-verklärt rufe es die Jugend zur Nachahmung des Suizids auf, aus verschmähter Liebe. Hm...dachte ich, als ich das las, könnte das wirklich so gewesen sein?
Röschen jun. nebst Freundin hatten sich sorgfältig vorbereitet und Tage zuvor gemeinsam das Buch gelesen. Ich muß sagen, bei mir war es schon fast 2o Jahre her, seit ich es in der Hand hatte. Ich wollte mich auch nicht erneut hinein vertiefen, eher mich vom Theaterstück überraschen lassen.
Ganz davon abgesehen, dass mein Nachbar das Stück inszeniert hat, war ich absolut begeistert vom ersten Moment an. Naja..ich bin halt schnell begeistert, wenn es den Protagonisten gelingt, mich sofort zu fesseln.
Was ich liebe an Theaterstücken ist der Minimalismus. Also kaum Bühnenrequisiten, sondern der Schwerpunkt auf Körperbewegung und Sprache gelegt. Das ist in den Inszenierungen im Bauturm immer gegeben. Es ist eine kleine Bühne, vielleicht gerade mal 150 Menschen passen hinein.
Arne Obermayer, der den jungen Werther spielte, ist das hervorragend gelungen, mit seiner Lebendigkeit, seiner Dynamik einem schon fast den Atem zu rauben. Spannender wie ein Krimi hätte es nicht sein können. Frisch, jung, macht der junge Werther sich auf, will weg aus dem Großstadtleben, hinaus in die Natur. Sehr schön gemacht, eine Bildleinwand mit der er mittels einer Kamera Naturaufnahmen projezierte und mit Lob und Enthusiasmus die wiedergefundene Freude an der Schöpfung aufzuzeigen. .Schön auch, der Blick ins Publikum, in denen er die dort sitzenden Zuschauer zeigte, und den inneren Dialog über den Menschen an sich, damit ummauerte.
Ich muß sagen, Rüdiger Pape, ist es gelungen, diese doch eher anmutende melancholische, schwere Kost des Leidens Werther in einer Mischung aus Humor, Leichtigkeit und Schwere zu inszenieren. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass man bei diesem Thema so viel zu lachen bekommt.
Aber so ist es... Ich meine...es ist ja nur ein Buch, wenn auch in einigen Zügen wohl autobiographisch von Goethe her aus gesehen, muß man nicht eigentlich darüber lachen, was der Mensch an sich zustandebringen kann?
Ich meine, das Thema der Geschichte, die Dreiecksbeziehung, Werther, Albert und Lotte, die leidenschaftliche, später in den Selbstmord treibende Liebe eines jungen Menschen, ist aktuell. Wenn auch die vermeintliche Romantik, dass sich heute noch aus Liebe jemand das Leben nimmt, verloren gegangen ist. Gott sei Dank kann man da nur sagen.
Pape hat in kurzer, knapper Andeutung in diesem Stück gezeigt, welche immer wiederkehrenden Mechanismen den Menschen beherrschen. Da wäre der Hang zur Sicherheit. Frauen wollten damals versorgt werden, mußten an ihre Sicherheit denken, es war ihnen unmöglich, ein eigenständiges Leben zu führen und sich für die "Liebe" zu entscheiden. So auch Lotte. Sie steht plötzlich zwischen Albert und Werther. Albert der ihr alles verspricht, was Frauen scheinbar auch heute noch suchen. Bürgerliches Etablishment, Aufbewahrung, Sicherheit, Konsum, das Nutzen der Dinge, die doch so unnütz sind und das Leben nicht füllen können.
"Was will man mit all dem, was einen umgibt? Es schafft die Leere nicht zu füllen" So oder ähnlich war ein Satz von Werther, der sieht, wie sie lebt, was sie sucht.
Und er...der wilde Romantiker, der Aussteiger, noch fähig, mit ganz anderen Augen durch die Welt zu gehen, ihr den Rücken auf seine Weise zu kehren, in dem er eine Weile auf dem Land lebt, sich den Tag mit Tagebucheintragungen und Zeichnungen vertreibt. "Seelig die, die noch in den Tag reinleben können, ohne ihm was abgewinnen zu wollen" Das fand ich schön. Denn..ist der heutige Mensch nicht ständig getrieben vom Leistungsanspruch, der an ihn gestellt wird. Und wenn er dann zur Ruhe kommt, weiß er mit seiner Zeit nichts anzufangen. Nichts ist für die Ewigkeit, auch das eigene Leben nicht. Wären die Menschen sich dessen doch mehr bewußt!
Pape gelingt es mit wenigen Mitteln symbolhaft darzustellen, Liebe gegen Bürgerlichkeit. Man braucht nicht lange nachzudenken, was er sagen will, als Albert von seiner Reise zurückkommt mit einem Geschenk für Lotte. Ein rotgeblümtes Sofa, das Objekt der Begierde. Da steht er, Werther, mit seiner heftig entbrannten Liebe zu Lotte und demgegenüber das Sofa. Herrlich. Lotte entscheidet sich für das Sofa. Sie will sitzen bleiben. Die Bewegung in ein anderes Leben hin ist ihr zu unsicher, macht ihr Angst.
Später sieht man, wie sich ihr Haus anfüllt, mit Dingen, die der Mensch meint, unbedingt zu brauchen, kleinen Haushaltsgeräten, dem Wollteppich, auf dem sie für einen kurzen Moment mit Albert Zärtlichkeiten austauscht, dann aber wie gehetzt aufspringt und sagt." Er fluselt", der Teppich. Herrlich. Klarer Verdrängungsmoment. Es ging ihr darum, sie weiß, dass das nicht alles ist im Leben, dass sie tief in ihrem Inneren nach Erfüllung, nach wirklichem Stillen ihrer Sehnsucht sucht. Sie sucht eigentlich nach Werther, sie will ihn, aber sie kann sich nicht entscheiden. So lebt sie weiter ihr Leben in der Oberflächlichkeit des bürgerlich angepaßten Lebens und schafft es, Werther auszuschließen. Verbannt ihn aus ihrem Leben.
Werther kommt nicht los von ihr, nie. Leidenschaft? Was ist das eigentlich. Kann man sich das überhaupt vorstellen, dass es möglich ist, einem Menschen zu verfallen? Ist es möglich, dass ein Mensch sich selber verliert, scheinbar nur noch leben kann, wenn er den anderen besitzt?
Traurig ist´s, sagt der junge Werther an einer Stelle, wer nicht ganz bei sich ist und es nicht merkt....So hab ich es verstanden jedenfalls.. Es scheint in der Liebe eine Gefahr der Distanzlosigkeit zu geben. Ein sich selber verlieren, ein sich abhängig machen vom Gegenüber. Das Gegenüber soll der Maßstab des eigenen Glücks sein. Und man merkt nicht, wie groß die Erwartung ist, wie sehr sie das Gegenüber auch belastet, wie genau dieses Verhalten eine Beziehung belasten kann.
Werther verliert den eigenen Kampf um sich selber, um sein eigenes Sein. Er kann nicht ohne Lotte und nicht mit Lotte. So zieht er es vorher, seinem Leben einem Ende zu setzen.
Selbstmord...auch heute immer wieder ein Thema, immer wieder geschieht es auch heute, nicht immer nur aus Liebe, sondern auch aus anderen Enttäuschungen heraus an das Leben, dass nicht gegeben hat, was man sich zu wünschen erhoffte. Aber auch manchmal einfach nur, weil...es eine innere Leere gibt, die möglicherweise nichts und niemand füllen kann. Vielleicht, wenn wir das begreifen würden, wären wir nicht so erschrocken, wenn jemand geht, aus eigenem Wunsch heraus. Was wissen wir denn um die Stabilität einer menschlichen Seele? Haben wir überhaupt eine Ahnung davon, dass es wahrscheinlich ist, dass es Menschen gibt, die innerlich keine Stärke haben? Und? ist der Selbstmord eigentlich umsonst? Oder hat er eine Botschaft. Vielleicht diese eine kleine....falls du anfängst zu straucheln, falls du dich erwischst, dass du an Dingen saugen willst, an anderen Menschen, die dir behilflich sein sollen, dir das zu geben, dich so auszufüllen, damit du stehen bleiben kannst, dann hab acht... Schau genau hin...Die Lebensfreude, das Glück, die Stabilität kann dir niemand geben, sie muß in die selber erwachsen, dafür mußt du kämpfen...an dir arbeiten. Das Leben ist ein Kampf.
Das Leben ist eine Beschäftigung mit dem gegenwärtigen Moment. Schön sag Werther es in dem Stück...Wieso lebt der Mensch ständig in den Erinnerungen an die Vergangenheit und nicht im gegenwärtigen Moment? Das hat mir gefallen, natürlich;-)
Irgendwo hörte ich einmal den Spruch:" Man kann die Vergangenheit vergessen, aber die Vergangenheit vergißt einen nie" Man wird ohnehin immer wieder mit ihr konfrontiert, ungewollt....da muß man nicht dauernd noch das Leben der Vergangenheit leben, oder?
Lotte und Albert leben weiter...ungeachtet des Todes des jungen Werther...Ja...das Leben geht weiter, ob einer geht oder nicht... ob man selber darin eine Verantwortung, eine Rolle gespielt hat, ist gleichgültig...Denn in diesem Stück stellt Pape es so dar, dass man zur Haltung kommen könnte, welche Schuld trägt Lotte am Leiden von Werther. Hätte sie sich nicht darauf eingelassen, mit ihm gespielt. Muß man nicht vorher spüren, aufpassen, was passiert da zwischen mir und dem anderen, der sich in eine Beziehung drängt, ungewollt, nicht bewußt, und sich zurückziehen, verzichten?
Oder ist es gewollt, Schicksal eben, eine Herausforderung das Leben, das man meint zu führen, welches einem oberflächliche Sicherheit verspricht, zu tauschen gegen das, was wirklich wichtig ist?
Es ist wie es ist...am Ende bleibt auch die Vorstellung, was wäre wenn...also wenn Lotte und Werther sich hingegeben hätten? Wären sie glücklich geworden miteinander? Für immer? Kann Liebe immer leidenschaftlich bleiben? Kann Liebe immer ein Zuhause bleiben, ohne dass es ein böses Erwachen gibt?
Untermalt wurde die Inszenierung von schöner Musik, leise aber zart. In den ersten Szenen hören wir das leise Vogelgezwitscher, leise Töne aus einer Uralt-Aufnahme von Pink-Floyd´s Album Ummagumma...das war Gänsehautfeeling pur und es paßte, weil der Schrei am Ende schon auf das Leiden hindeutete. Es gab noch Jimi Hendrik Watchtower und am Ende, eine leise stille Melodie von Bohren & der Club of Gore. Es paßte, alles.
Der Applaus war frenetisch, Bravorufe, auch von mir;-) der nicht aufhören wollte. Verdient, finde ich.
Geht also hin, schaut es Euch an. Ich finde das kleine Thater am Bauturm hat es redlich verdient. Denn es ist nicht das erste Stück, dem ich mit Begeisterung folgte.
Die leiden des jungen Werther, Theater Am Bauturm