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15. Februar 2021 1 15 /02 /Februar /2021 12:28

Das harte Geräusch heruntersausender Rollläden dringt in die Stille seiner Wohnung. Oh, tatsächlich, schon wieder 18.45 Uhr. Ein Blick aus dem Fenster zeigt ihm, dass sich ein Hauch von  Dunkelheit über die Landschaft gelegt hat. Die Leutchen unter ihm, seine Hausgenossen, sind in Sachen Rollladen-Disziplin gnadenlos. Der genaue Zeitpunkt des Herunterlassens ist strikt an die draußen herrschenden Helligkeitsverhältnisse geknüpft. Abweichungen von dieser Regel konnte er nur in ganz seltenen Ausnahmefällen beobachten, bei Verspätungen im Bereich von einer halben Stunde muss ein sehr triftiger Grund vorgelegen haben. 

 

Am frühen Morgen geht es ebenfalls sehr genau zu, allerdings greift dann eine andere Dienstvorschrift. Obwohl es sich bei seinen Mitbewohnern um Rentner handelt, gehen jeden Morgen um Punkt 7.00 Uhr zahlreiche Rollläden des Hauses hoch, im Sommer wie im Winter,  an Werk-, Sonn- und Feiertagen gleichermaßen. Aber keinesfalls von einer Zeitschaltuhr gesteuert, sondern größtenteils im Handbetrieb, einige per Knopfdruck. Für die Nachbarschaft ist dies nicht nur ein sehr zuverlässiges Weck- Zeitsignal, sondern auch das Zeichen dafür, dass das Haus jetzt wieder für den allgemeinen Publikumsverkehr geöffnet, die Dienstbereitschaft sichergestellt ist. 

 

Geburtstagsfeier bei Muttern. Ein bisschen bucklige Verwandschaft, ein paar interessante Diskussionen und vor allen Dingen: Kaffee und leckerer Kuchen. Ungefähr 90 Minuten nach dem Kaffeeklatsch heißt es unerbittlich: Zeit fürs Abendbrot! Es ist etwa 18.00 Uhr, er fühlt sich wie in einer Klinik oder in einem streng geführten Altenheim. Im Prinzip ist er ein sehr guter Esser, er kann schon Unmengen vertilgen, wenn es darauf ankommt, aber dieses fahrplanmäßige Abendbrot kommt ihm doch 2-3 Stunden zu früh. Er versucht, seine Meinung einzubringen, kann aber doch nicht mehr als eine Viertelstunde herausschlagen. Die Abfertigung darf nicht ins Stocken geraten , die Zugereisten wollen ja auch wieder zeitig nach Hause fahren, das Bubchen  muss ins Bett...Oder wie die ausgedachten Argumente auch lauten mögen. 

 

September, Altweibersommer, es ist heiß. Im Supermarkt hält Weihnachten Einzug, in den Regalen tauchen Lebkuchen und Spekulatius auf, zum Teil wirklich sehr preisgünstig. Wahrscheinlich lautet die dahinterstehende Philosophie: Das Zeug muss raus, wir können nicht ewig damit warten. FAst unnötig zu sagen, dass man 3 Tage vor Weihnachten in demselben Geschäft weder Lebkuchen noch Spekulatius bekommt. Tja, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Sein Hinweis an die Angestellte, dass ein Hund vollkommen außerstande ist, einen Wurstvorrat anzulegen, wird mit einem Lachen beantwortet. Es sind wohl nur wenige Hunde in der Kundschaft vertreten, stattdessen hat man es wohl in erster Linie mit disziplinierten Verbrauchern zu tun, die im Spätsommer ihre Spekulatiusvorräte anlegen und diese bis Heiligabend unangetastet lassen. 

 

Dezember 2015. Anhaltend schlechtes Wetter, fast jeden Tag kalter Regen, oft mit Eis oder Schnee vermischt. Ein paar Häuser weiter sind zwei Bauarbeiter am Werk, eine Garage soll entstehen, mit einem Keller-Unterbau und dazugehörigem KFZ-Lift. Bei den Tiefbauarbeiten ist Beton im Weg, der zum Teil mit einem Presslufthammer abgetragen werden muss. Die beiden tapferen Recken stehen Tag für Tag in ihrem selbst ausgebaggerten Erdloch, kämpfen gegen den Beton, gegen das Regenwasser und gegen die Kälte an. Ihr Arbeitstag ist sehr lang, am Abend werden Scheinwerfer eingeschaltet, um noch ein paar Stunden zu gewinnen. Auch am Samstag arbeiten sie. Sie arbeiten sehr effektiv, er staunt über die schnellen Fortschritte, die gemacht werden. Und sie schaffen es: Kurz vor Weihnachten, nach 3-4 Wochen intensiver Bauarbeiten, ist der Rohbau fix und fertig, sogar die Dachbedeckung wurde von den beiden angebracht. Ihm hat diese Leistung schwer imponiert. Aber ihm hat schon damals etwas geschwant, und er sollte Recht behalten. Heute, über ein Jahr nach der Fertigstellung des Rohbaus, hat noch kein einziges Auto die Schwelle dieser Garage überquert. Vielleicht müssen noch ein paar Details geklärt werde , vielleicht hat man doch keinen geeigneten Garagenmieter gefunden, oder der Besitzer hat bisher keine Zeit gefunden, sich um die Sache zu kümmern. 

 

Ihn verblüfft auch oft die Rasanz, mit der viele Leute ihren Lebenslauf abwickeln. Er erinnert sich noch gut daran, wie er seit langer Zeit einmal wieder einen Schulkameraden auf der Straße traf. Der konnte sich das Lachen bei seinem Anblick nicht verkneifen, meinte dass er noch exakt so aussehe wie 15 Jahre zuvor als Schulbube. Sein Äußeres hatte sich ziemlich verändert, war er am Ende durch die Hölle gegangen? Er berichtete ihm davon, dass er eine Familie gegründet hat, mit Kindern und so weiter, aber auch, dass leider die Ehe inzwischen längst geschieden ist. Er war baff, ihm ging das alles viel zu schnell. Manchmal denkt er, dass man die Lebenserwartung einer Riesenschildkröte haben müsste, so an die 180 Jahre. Dann könnte man sich ganz anders in die Dinge hineinknien, hätte als Mensch eine ganz andere Einarbeitungszeit zur Verfügung und könnte in seinen Erkenntnissen sicher sehr viel weiter kommen. 

 

Nachtmenschen sind ihm sympathisch, sie hinken immer ein bisschen hinterher. Welche Wohltat, wenn bei der Zeitumstellung im Herbst der Tag einmal 25 Stunden hat! Aber er will nicht an den biologischen und pyhsikalischen Grundtatsachen des Lebens rütteln. Der Mensch hat nun mal eine Lebenserwartung  von ca. 80 Jahren und die Erde braucht nun mal 24 Stunden, bis sie sich einmal um ihre Achse gedreht hat. Trotzdem will er die Langsamkeit loben. Und weil Niemand mit seinen schrägen Ansichten gern ganz allein dasteht, denkt er an ein Zitat, das von Friedrich Nietzsche stammt: 

"Du liefst zu rasch: Jetzt erst, wo du müde bist, holt Dein Glück dich ein"

 

 

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2. Februar 2021 2 02 /02 /Februar /2021 13:49

Korrekt. Genau. Prinzipientreu.

 

Karl-Otto betrat das Fast-Food-Restaurant. Während des zurückliegenden Tages hatte er sich mit kniffligen Problemen auseinandergesetzt, war deren Lösung nach seinem Empfinden jedoch keinen Milimeter nähergekommen. Daraus resultierte bei ihm eine unzufriedene und gereizte Stimmung. In einer solchen Verfassung kam es vor, dass er gegen seine sonstige Gewohnheit seine Aufmerksamkeit auf die Aussenwelt richtete. Er hatte dann oft das Gefühl, den stumpfsinnigen Betrieb zu durchschauen.

 

Sofort nahm er wahr, dass sich an den Kassen lange Warteschlangen gebildet hatten. Er lenkte seinen Blick hin zu den Mitarbeitern, die hinter der langen Theke mit der Kundenabfertigung befasst waren. Vier Männer, eine Frau. Klare Sache, dachte er, bei der Frau anstellen, die sind immer schneller als die Männer. In demselben Moment sah er, dass die Mitarbeiterin drei leere Papiertüten vor sich aufbaute. Das deutete auf eine grössere Sache hin. Es war nun klar, dass diese Kasse für ihn nun doch nicht in Frage kam.  Daneben ein dunkelhäutiger Angestellter. Karl-Otto erinnerte sich, dass dieser zügig arbeitet.  Aber etwas schien mit der Kasse nicht zu stimmen, der Schichtführer war hinzugekommen und malträtierte mit leicht verzweifeltem Gesichtsausdruck die Tastatur. Zu riskant, das kann dauern, dachte Karl-Otto und entschied sich für einen ihm unbekannten jungen Kerl, an dessen Kasse auch die wenigsten Leute anstanden. Er stellte sich hinten an, und zwar sauber und eindeutig: Es muss vollkommen klar sein, zu welcher Warteschlange er gehörte. 

 

Jetzt cool bleiben, in Ruhe weiter beobachten. Karl-Otto erwartete keinen Laufschritt von den Mitarbeitern des Restaurants. Aber er war davon überzeugt, dass eine gewisse Ökonomie und Effiziens des Bewegungsablaufs der Sache doch sehr förderlich sein kann. Ihm kam es jetzt vor, als ob dieser junge Angestellte doch einen Tick zu ostentativ hinter der Theke entlang schlurft. Der Weg zur Friteuse zieht sich. Vielleicht sollte man dies beim nächsten Mal bei der Wahl der Warteschlange mit berücksichtigen, die Kassen auf der linken Seite sind mit kürzeren Wegstrecken verbunden. Während Karl-Otto dies bedachte, kehrte die männliche Thekenfachkraft zu ihrer Kasse zurück. Nun war für Karl-Otto der Moment gekommen, um abzuchecken, wie es um die dienstliche Kommunikation bestellt ist. Immerhin, die Deutschkenntnisse des jungen Mitarbeiters schienen passabel zu sein. Allerdings machte der Kunde an der Spitze der Warteschlange einen unentschlossenen Eindruck. Karl-Otto hoffte, dass sich kein größeres Beratungsgespräch entwickelte. 

 

Allmählich hatte sich die Warteschlange verkürzt.Es waren vor ihm nur noch zwei junge Frauen asiatischer Herkunft verblieben, die offensichtlich zusammengehörten. Der Mensch hinter der Theke ließ jetzt seinen ganzen Charme spielen oder das, was er dafür hielt. Karl-Otto hatte stellenweise den Eindruck , dass sachfremde Themen verhandelt wurden, denn es war wohl kaum anzunehmen, dass die jungen Damen bei einer normalen Bestellung so kichern würden. Drei strahlende Gesichter vor seiner Nase, aber die Abfertigung machte keine rechten Fortschritte. Er musste registrieren, dass die Thekenfachkraft nun auch ihre Stadtkenntnisse in die Waagschale warf. Handelt es sich hier etwa um einen Tourist Info Schalter, fragte sich Karl-Otto, jetzt ziemlich gereizt. Er wusste, dass es in einem solchen Moment nicht opportun ist, seinen Unmut laut werden zu lassen. Er hatte es schon erlebt, dass ein Mitarbeiter sich dafür gerächt hatte, indem er just in dem Moment, als Karl-Otto an der Reihe war, einen unvermeidlichen und ausgedehnten Gang zur Toilette einschob. Also lieber ruhig bleiben. Nebenbei apportierte der Restaurant-Mitarbeiter nun doch immer ein paar Menübestandteile auf das bereitstehende Tablett. Plötzlich die Erlösung: 11 Euro 40, verkündete die Thekenfachkraft. Dieses Kommando schien für die beiden Asiatinnen etwas überraschend zu kommen, denn erst jetzt nahmen beide ihre Rucksäcke ab und kramten nach ihren Geldbörsen. Nachdem sie sich auf die Zusammenlegung einiger Münzen geeinigt und die Rechnung beglichen hatten, folgte einer überaus herzliche Verabschiedung von der ortskundigen Thekenfachkraft . Karl-Otto war nun endlich an der Reihe!

 

Karl-Otto war sofort hellwach. Er wusste, dass er jetzt gefordert ist. Konzentriert, gut hörbar und redundanzarm wollte er seine Bestellung an den Mann bringen. 

 

Karl-Otto: Nabend

Die Thekenfachkraft nickte.

Karl-Otto (laut und deutlich): 1 Vorteils-Menü mit einem Happy Chicken Achter, mit Pommes Frites und Cola-Light.

Karl-Otto wollte die Thekenfachkraft nicht mit Informationen überfüttern, er wusste natürlich genau, welche Rückfragen nun fällig waren. 

Thekenfachkraft: Was für Sauce?

Karl-Otto: Curry

Thekenfachkraft: Für Pommes: Ketchup oder Majonäse?

Karl-Otto: Ketchup

Thekenfachkraft: Mitnehmen oder hier essen?

Karl-Otto. hier essen

 

Das Eintippen schien ohne Komplikationen abzulaufen, manchmal ein etwas heikler Punkt. Karl-Otto sah zu seiner Zufriedenheit, dass der angezeigte Rechnungsbetrag korrekt war: 5 Euro 29 Cent. Die Thekenfachkraft steuerte das Regal mit dem Küchen-Output an. Natürlich kein Chicken Achter vorrätig. Karl-Otto war alarmiert. Immerhin bestellte der Mitarbeiter deutlich den Achter. Aus der Küche erschallte ein: "MOMENT". Der Thekenmensch kehrte zurück. 

 

Thekenfachkraft: Achter dauert

Karl-Otto. Wie lange ungefähr?

Thekenfachkraft: Moment

Karl-Otto: Okay

 

Natürlich war gar nichts Okay. Aber Karl-Otto wusste, dass er nichts verschenkt, solange er nur ein "okay" einschiebt. Er durfte jetzt nur nicht den Fehler machen und die Rechnung begleichen. Wichtig war jetzt, dass der Mitarbeiter die Zwangspause gut nutzt und die anderen Sachen herbeischafft. Also vermied es Karl-Otto, dass sein Gegenüber des Geldes ansichtig wird, das er schon in der Hand bereithielt. Stattdessen ließ er ganz selbstverständlich und suggestiv den Blick in Richtung Pommes-Vorrat und Getränkezapfstelle schweifen. Der Mitarbeiter konnte sich dem nicht entziehen, machte sich nach einem Blick auf sein Display folgsam auf den Weg.

 

Karl-Otto beobachtete nun scharf. Bursche, ich schau dir auf die Finger , dachte er grimmig. Cola LIGHT habe ich bestellt. LIGHT wird immer ganz rechts, normale Cola irgendwo in der Mitte. Karl-Otto sah: richtige Zapfstelle. Immerhin.

 

Pommes Frites sind auch nicht ganz ohne Tücken. Karl-Otto konnte es nicht leiden, wenn die letzten Reste aus dem Blechbehältnis für ihn zusammengekehrt wurden. Er hatte es schon fertiggebracht, in der Warteschlange Jemanden vor zu lassen wenn ihm dies aus Gründen des Fritten-Timings angebracht erschien. Aber auch dies lief nun zu seiner Zufriedenheit ab, die Ware hatte die Friteuse noch nicht lange verlassen. Der Mitarbeiter kehrte zurück. Ohne Schwierigkeiten zu machen, legte er noch die Packungen mit Curry-Sauce und Ketchup auf das Tablett. Es fehlte nur noch der Chicken Achter, der sich hoffentlich in Arbeit befand.

 

Karl-Otto wollte es unbedingt vermeiden, vorzeitig zu bezahlen. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass er dann sofort links liegen gelassen wird und der Willkür des Restaurant-Mitarbeiters ausgeliefert ist. Eine Sache konnte er noch ganz organisch einflechten: 

Karl-Otto: Kann ich bitte einen Deckel auf dem Cola-Becher haben?

 

Dies brachte aber nur etwa 15 Sekunden , dann war sein Wunsch erfüllt. Jetzt wurde es ernst. Karl-Otto schaute nervös auf die Uhr und war entschlossen, eine Lüge aufzutischen. 

 

Karl-Otto: Ich muss zum Zug. Wie lange dauert es denn noch mit dem Chicken Achter? 

Thekenfachkraft: Nur Moment. Wenn Sie wollen, bringe ich es Ihnen an den Platz

 

Karl-Otto war innerlich entrüstet. Er stellte sich vor, dass er in einem Restaurant dinieren will, und dann kommt der Oberkellner mit den Kartofffeln und mit der Aufforderung: "Jetzt iss erst mal das, Fleisch bringe ich Dir später. Und Abkassieren würde ich auch gern schon mal."

 

Karl-Otto: NEIN, ich will alles zusammen haben, nehme es selber mit zum Platz. 

Thekenfachkraft: Okay, das macht dann 5 Euro 29 Cent. 

Karl-Otto mit einem fahrigen Blick auf die Uhr: Ich kann gar nicht warten, mein Zug geht bald. Fragen Sie doch noch mal in der Küche nach, wie lange der Chicken Achter noch braucht, wenigstens in etwa.

 

Etwas widerwillig bewegte sich der Mitarbeiter in Richtung Küche, beharrte diesmal sogar auf eine Zeitangabe. Wendete sich dann wieder an seinen Kunden. 

 

Thekenfachkraft_ 1 bis 2 Minuten. 5 Euro und 29 Cent. 

 

Karl-Otto dachte sich, dass diese Zeitangaben oft Schall und Rauch sind. Solang ich nicht gezahlt habe, störe ich den Betrieb, solange kann ich Druck ausüben. 

 

Karl-Otto: Ich zahle gern, wenn ich meine Bestellung habe. Die Pommes werden ja auch kalt, das geht doch so nicht. Sie wollen das ganze Geld, liefern mir aber nur die Hälfte meiner Bestellung. So geht es nicht!

 

Thekenfachkraft: Ist fertig, wenn Sie bezahlt haben. Andere Leute hinter Ihnen wollen auch. 

Karl-Otto: Ach so, kein Problem, bedienen sie ruhig erst den Herrn hinter mir, selbstverständlich. 

 

Karl-Otto trat einen großen Schritt zur Seite und versuchte, den hinter ihm stehenden Mann mit einer großzügigen Geste an die Kasse heranzuwinken. Natürlich wusste er, dass es nicht weiter geht, so lange er nicht gezahlt hatte, aber jetzt kam es darauf an, sich dumm zu stellen und Zeit zu schinden. 

 

Thekenfachkraft: Ich habe hier eingetippt, kann erst weitermachen, wenn sie bezahlt haben

Karl-Otto: Aso, hm?, dann reden sie mit ihrem Koch, wenn ich die Ware habe, zahle ich sofort. Wenn ich nicht vorher weg muss, mein Zug geht bald.

 

In der Warteschlange hinter Karl-Otto war erstmals lautes Murren zu hören. Sichtlich genervt orientierte sich der Mitarbeiter wieder in Richtung Küche, betätigte sich jetzt als Sklaventreiber, rief lautstark nach dem Chicken Achter. Karl-Otto verspürte eine gewisse Genugtuung, legte jetzt noch eine Schippe nach. 

 

Karl-Otto: Sie haben mir gesagt, es dauert einen Moment. Das ist aber ein langer Moment, kann ich nur sagen. Ich kann nicht mehr warten, mein Zug. Und die Pommes werden doch auch kalt. Ist das hier nicht Fast Food? Scheint mir eher Slow Food zu sein,

Die Thekenfachkraft: Es kann sich nur noch um Sekunden handeln. 

 

Der Mitarbeiter hatte es jetzt aufgegeben, das Geld einzufordern. Stattdessen stand er an der Küchenausgabe, rief nochmals laut nach dem Achter. Der Schichtführer war aufmerksam geworden, peilte hinter den Kulissen in die Küche rein. 

 

Schwupp, da rauschte die heiß ersehnte Packung an. Sofort griff der genervte Thekenmensch danach und brachte sie mehr als zügig auf das Tablett seines schwierigen Kunden. In derselben Sekunde überreichte Karl-Otto seine abgezählten 5 Euro 30 Cent , verzichtete auf die Entgegennahme von Kassenbon und 1 Cent-Stück , entschwand mit dem Tablett in der Hand. 

 

Karl-Otto empfand es wie einen Sieg auf der ganzen Linie. Seine Stimmung verbesserte sich zusehends. Er war fest entschlossen, es sich nun in Ruhe schmecken zu lassen. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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10. Februar 2009 2 10 /02 /Februar /2009 13:00
Er fühlte sich wie jeden Morgen. verschlafen, sein Kopf dumpf vom Alkohol der letzten Nacht. Er hatte es mal wieder übertrieben, obwohl er sich vorgenommen hatte, nicht mehr so viel zu trinken. Aber dann umhüllte ihn wieder diese Einsamkeit, diese innere Leere, an die er nicht ran kam, die er nicht wußte aufzufüllen.

Jeder Gang am Tag fiel ihm schwerer und schwerer. Er spürte die Ablehnung, die Blicke, die Gesten, die ihm entgegengebracht wurden. Er befand sich auf dem Abstieg. Er spürte es, konnte dennoch nichts dagegen tun. Ihm fehlte die Kraft. Er hatte schon lange keine Freude mehr verspürt. Worüber auch.

Sein monatlicher Gang zur Arbeitsvermittlung war erfolglos. Er gab kein gutes Bild ab. Sein Anzug war lange aus der Mode gekommen. Er sah, dass er sich nachlässig kleidete, aber auch daran änderte er nichts. Er merkte, wie er sich selber immer fremder fühlte. Es wohnte keine Freundlichkeit mehr in ihm, auch für sich selber nicht. Wozu sollte er sich pflegen? Wen interessierte es, wenn es ihn selber nicht mehr interessierte. Woher nahmen bloß all die anderen die Kraft, einfach weiter zu machen, Tag für Tag. Wieso hatte er sie nicht.

Er schlüpfte schwer in seine Schuhe, hob die am Boden liegenden Bierflaschen auf, die er letzte Nacht in sich hin ein gekippt hatte, leerte den Aschenbecher und brachte sie in den Müll. Das schaffte er gerade noch. Er machte den Kühlschrank auf, um etwas Eßbares zu finden. Gähnende Leere empfing ihm. Er mußte einkaufen, hatte aber keine Antrieb. Er zappte in das Fernsehprogramm, aber seine Aufmerksamkeit wurde nicht gefesselt. Alles leere Worthülsen, die ihm da entgegenkamen. Er schaltete den Fernseher wieder aus, ging in den Flur und zog sich seinen Mantel an.

Seine Schritte, benommen, immer noch unter dem Einfluß des Alkohols, suchten sich ihren Weg. Müde, lustlos, melancholisch und zerstreut strich er durch die Straßen, hin, zu seiner Kneipe. Immerhin, da warteten sie auf ihn. Das erste Bier und der Klare, er vergaß seinen Hunger. Die Gespräche ödeten ihn an, irgendwann merkte er nicht mehr, dass er mittlerweile lallte. Dann schlug die Stimmung um, er wurde aggressiv, er spürte es, konnte aber nichts dagegen tun. Es endete wie immer, irgendwann, zur fortgeschrittener Stunde, schmiß sie ihn raus, die Wirtin.

Er zog seinen Mantel vom Hocker, den er zuvor achtlos darübergeworfen hatte und suchte das Weite. Die Helligkeit schmerzte in seinen Augen, er mußte blinzeln.  Mechanisch suchten seine Füße den Weg nach Hause, er fühlte sich nicht ihrer Herr. Wohin sollte er auch sonst gehen?

Er hätte jetzt weinen können, in diesem Moment, über sein Elend, das in ihm wohnte. Diese Gefühle von Schmerz, Zerrissenheit, Traurigkeit und Unlust. Nichts schien ihn mehr am Leben zu halten.  So in Gedanken versunken, trotte er die Straßen entlang. An der Ecke, ja, er wußte es noch genau, welche Ecke es war, da, wo der Friseur war, später erinnerte er sich daran, da stieß er mit ihr zusammen. Er blickte auf, für einen Moment, herausgerissen aus seinen ihn runterziehenden Gedanken, aus seiner Lethargie, seiner Schwere. Und er sah ihr Lächeln, für einen Moment. Ihr Strahlen auf dem Gesicht. Er kannte sie. Er sah sie öfters. Sie entschuldigte sich. Wofür, es gab doch nichts zu entschuldigen. Sie hatten beide nicht aufgepaßt. Waren  beide in ihren Gedanken woanders gewesen. Da passiert so was. Wenn sich einer nicht entschuldigen brauchte, dann sie. Er kannte sie, obwohl er sie natürlich nicht kannte. Aber sie begegnete ihm oft, über den Tag. Manchmal morgens. Wahrscheinlich auf dem Weg zur Arbeit. Manchmal aber auch spät abends. Sie war wohl viel unterwegs, sie konnte sich noch amüsieren, hatte wohl noch Freude am Leben. Freude, die ihm verloren gegangen war. Aber er sah es ihr an, an ihrem Lächeln. Wenn er auch sonst nichts mehr wahrnahm, aber diees Lächeln, das erreichte ihn. Noch! Wie lange noch.

Später, als er Zuhause auf seinem Sofa saß, die dritte Flasche war geleert, seine Augen glasig, ziellos herumwanderten, war er plötzlich sicher. Ja, jetzt wußte er es. Sie war es, auf die er wartete. Tag für Tag. Nur, um dieses Lächeln zu sehen, für einen Moment. Ob sie wohl wußte, dass dieses Lächeln ihn sein Leben rettete? Ob er es ihr mal sagen sollte? Ob er sich das wagte. Er nahm es sich vor, beim nächsten Mal. Wenn er wieder scheinbar ziellos durch die Straße wanderte, aber jetzt wußte, dass er sie suchte. Vielleicht war es auch gar nicht sie selbst. Nur dieses Lächeln. Ein kleines Lächeln, dass er aufsog, wie ein Ertrinkender. Er würde gern in ihren Armen ertrinken. Wenigstens das, wäre ein schöner Tod.

Ein Lächeln nur, kann vieles verändern im Leben.

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8. Januar 2009 4 08 /01 /Januar /2009 11:42
Er war jetzt 95 Jahre alt. Lebte noch allein. Er konnte sich helfen. Nur mit dem Kochen... das ging nicht mehr so. Er vergaß manchmal den Herd abzuschalten. Hatte einfach nicht mehr die Geduld, zu schnipseln, schälen, seine Hände zitterten dabei.

Aber er lebte sein Leben noch gut, allein, in der Wohnung, voller Erinnerungen, mit ihr, seiner geliebten Frau. 6o Jahre wären es gewesen, wenn sie jetzt noch lebte. Aber sie hatte ihn allein gelassen. War verschwunden im Nebel des Vergessens und hat am Ende aufgegeben. Er fühlte sich einsam ohne sie. All das gemeinsame Erleben.

Aber er hatte noch sie. Die Tochter. Und ihren Mann. Sie kümmerten sich. Liebevoll. Jeden Tag fuhr er zu ihnen. Morgens stand er auf, tat das Nötigste in der Wohnung. Trank seinen Kaffee, las immer noch seine Regionalzeitung und dann machte er sich fertig.

Heute fiel es ihm nicht einfach. Das Zittern der Hände sonst, hatte seinen ganzen Körper ergriffen. Er fühlte sich schwach....Er könnte anrufen. Sie, die Tochter. Aber solange es ging... allein....dachte er....Es geht schon....es muß gehen..... Alles andere wäre Aufgabe....er wollte sich nicht aufgeben....

Er zog seinen Mantel an, setzte den Hut auf, den alten, schon etwas angegriffenen von den Spuren seines Lebens, durch den er ihn getragen hatte. Der Schal, die Handschuhe. Er drehte sich nochmal um, ging noch mal zum Herd. Er war aus. Dann zog er die Tür hinter sich zu und trat auf die Straße.

Die Wege waren vereist, er schlitterte ein wenig, suchte Halt, an der Wand, an einem Laternenpfahl. Er kam langsam voran, aber es ging.

Die Treppen....die Treppen, die machten ihm Angst. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, die Hand krampfhaft am Geländer..... menschen hasteten an ihm vorbei, einige berührten ihn, sanft oder hektisch, ihn nicht beachtend...merkten nicht, das er mehr Zeit brauchte....Sie dachten nicht daran, dass sie auch mal, später, wie er, tastend und ängstlich den Weg suchen mußten.... Hatte er daran gedacht, früher? Er konnte sich nicht erinnern. Es war wohl so....Man denkt nicht an Morgen.....

Die Gedanken beschäftigten ihn, während er behutsam Schritt für Schritt... Er hatte keine Erinnerung mehr, später, als er, das Hinabsteigen bewältigt hatte, die Bahn sah und ein wenig schneller auf sie zugehen wollte. Er hielt Rückschau.... sah sich schwankend der Bahn nähern. Sein Körper schwächelte im Moment der Geschwindigkeit....als er schneller sein wollte. Dann war alles schwarz...für eine lange Zeit..... er spürte nur noch Schmerz.. im ganzen Körper... konnte seinen Fuß nicht mehr bewegen.... ihm war kalt.... Aufstehn....er konnte nicht aufstehn......Er lag einfach da.....still, unbeweglich und lauschte, gezwungenermaßen, hörte die Stimmen... die Schritte, die an ihm vorbeiliefen.....ein Durcheinander von Stimmen...... er konnte nicht alles verstehen... nur den einen Satz, von etwas weiter her.... laut gerufen, zu ihm herüber.... Diesen Satz hatte er nicht vergessen.....jetzt, wo er sicher war..... in diesem Bett, weich, duftend und sauber....wie er dahingekommen war, er wußte es nicht mehr... es ging alles so schnell.....

Aber diesen Satz, den hörte er immer wieder......"Der ist doch besoffen!".......Und es liefen ihm tatsächlich Tränen über die Wangen....... "Sie weinen?", fragte die Schwester ihn....

"Ach, halb so wild....", antwortete er und schlief gleich darauf ein.....


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5. November 2008 3 05 /11 /November /2008 09:49

Ach, wer kennt sie nicht alle, diese Sprichwörter. Das ganze Leben verbringen wir oft damit. Man kann sie ernst nehmen, oder einfach drüber lächeln. Das Lächeln gefriert einem aber auch ab und zu, wenn man sieht, wie sie sich bewahrheiten. So in diesem Fall im weiten Bekanntenkreis.

Roland, keine Ahnung, war ein solcher Typ. Hochnäsig, hochmütig, von sich selbst überzeugt über die Maßen, sich selber nicht hinterfragend, klar, er hatte ne Menge Wissen, mußte er auch, denn er wollte immer alles kontrollieren, immer Recht haben, nie kleinbeigeben. Schien lange Zeit eine gute Strategie zu sein. Sein ganzes Leben hatte er sich daran festgehalten.

Es fing schon als kleiner Junge an, wobei nicht klar ist, was der Auslöser war. Vielleicht seine Mutter, die ihn ständig auf dem Präsentierteller herumzeigte und allen die Überzeugung vermittelte, Roland ist einfach klasse, er hat eine Klasse übersprungen, er ist stets überaus höflich, schon von klein auf, obwohl er noch gar nicht wußte, was das Wort Höflichkeit überhaupt bedeutete. Aber er hatte es kapiert, ist man höflich, versteckt er seine Negativgedanken hinter höflichen Floskeln, kommt man irgendwie weiter im Leben. Da hatte er in der Schule genug Erfahrung gemacht. Und so ging es dann auch immer steil bergauf in seinem Leben. Klassenbester, mit das beste Abitur, sofort Studienplatz und danach, man kommt auch hier gar nicht ins Grübeln, weil ja klar, er bekam einen Superjob in einer Werbeagentur. Und natürlich, auch hier ging es steil bergauf mit seiner Karriere.

Roland konnte also zufrieden sein mit seinem Lebenslauf! Was ihm fehlte, war die Dankbarkeit! Warum sollte er auch dankbar sein, wofür. Schließlich hatte er sich alles selbst erarbeitet, gut, ein bißchen hat es wohl geholfen, dass seine Mutter ihn von Anfang an protegiert hat. Na ja, manchmal, wenn er daran zurück dachte, war es ihm etwas peinlich. Aber da es ja Erfolg brachte, hatte er dieses Gefühl schnell unterdrückt.

Roland fand sich dann irgendwann selber klasse. Warum auch nicht, wenn ihm alles gelang. Bloß, er merkte seine Selbstüberschätzung nicht. Er merkte nicht, dass manches in seinem Leben doch nur ein glücklicher Zufall war. Gerade bei seinem Job, da hatte er vergessen, dass der Freund des Vaters und dessen Freund wiederum, ein Wörtchen eingelegt hatte für ihn, beim Chef der Agentur. Aber gut ist, warum drüber nachdenken. Schließlich hatte Roland Erfolg im Job, er war begabt, kreativ und hatte immer neue Ideen, die natürlich auch einschlugen.

Was Roland nicht merkte, trotz all seinem Erfolg, stand er ständig im Abseits. Es schien so, als wenn eine unsichtbare Wand ihn von seinen Mitmenschen trennte. Das war aber auch klar, denn wer ist schon gern mit einem Menschen zusammen, der immer alles besser weiß, der einen mit seinem intellektuellem Wissen so zutextet, das einem selber nichts mehr einfiel. Frauen! Ach ja Frauen, klar, die hatte er, aber merkwüdigerweise nie lange. Er konnte sich nicht vorstellen warum? Wieso auch, er spiegelte sich nie selber. Er war einfach, seiner Meinung nach, auch ein toller Partner, höflich, zuvorkommend, aufmerksam und charmant. Was er nicht merkte war, dass er nicht wirklich Nähe zuließ. Emotionen, Nähe anderer Menschen, prallten an ihm ab. Er gab die Schuldweisung den Frauen, dass sie nicht lange bei ihm blieben, es mit ihm nicht aushielten.

Wenn man Roland so beobachtete, wie er durch´s Leben schritt, immer ein Stückchen gerader gehend wie andere. Den Kopf immer ein wenig nach oben gerichtet, man konnte fast meinen, seine Nase will den Himmel berühren. Auch darüber hatte Robert sich nie Gedanken gemacht. Seine innere Haltung zeigte sich auch äußerlich.

Roland hatte noch nie was von Hochmut gehört. Er merkte gar nicht, dass er es war. Er nahm nicht wahr, dass er auf andere herabblickte, die es nicht so weit gebracht hatten, wie er. Wahrscheinlich, weil sie sich nicht so engagiert hatten. Es war ihm ein Greuel, wenn andere sich, seiner Meinung nach, durch Dummheit ausweisten, wenn ihnen die Argumente fehlten, weil sie über das Hintergrundwissen nicht verfügten.

Roland hatte eine Menge Schubladen, in die er die Menschen steckte, Faule, Charakterlose, Dumme, Ungepflegte, Gescheiterte, Irrende, usw.usw.. War ja auch einfach und paßte sich seinem eigenen Charakterbild und seiner eigenen Haltung an, bloß keine Nähe aufkommen zu lassen, sich bloß nicht mit dem Gegenüber zu beschäftigen, warum auch? Er fühlte sich einfach großartig und da brauchte er eigentlich Niemanden. Seine Anerkennung holte er sich über seine Arbeit und über den Erfolg bei Frauen, auch wenn diese nicht lange bei ihm blieben, aber das wiederum, das wußte er ja, lag nicht an ihm.

So kam es eines Tages ganz anderes, wie Roland jemals gedacht hatte. Eines Morgens fühlte er einen Schmerz in seiner linken Hüfte. Zuerst beobachtete er es nicht weiter. Aber als der Schmerz auch tagsüber immer wieder auftauchte, ging er zum Arzt. Es ging alles sehr schnell! Sofort Operation. Ein Tumor hatte sich in seinen Unterleib gefressen. Tumor! Er konnte das Wort kaum aussprechen! Tumor! Wieso er? Wie kann das passierern, wo er doch alles getan hat, Sport, Ernährung, Körperhygenie, gesunde Lebensweise halt. Er fiel in ein Loch, ein tiefes, hatte plötzlich keine Strategien mehr, wie er mit dem Scheitern seines Körpers umgehen sollte.

Qualvoll war der Weg für ihn durch wochenlange Therapien, einzig aufrecht hielt ihn der Gedanke, dass, wie die Ärzte sagten, es Erfolg  haben könnte und dass er bald wieder arbeiten könne. Und so kam es auch.

Angeschlagen zwar, aber wieder ganz der Alte, erschien Robert nach einem halben Jahr wieder in seinem Job. Wollte weitermachen, wie er aufgehört hat. War nur ein kleiner Zwischenfall, eine Betriebsstörung sozusagen. Er ging ans Tagewerk, aber irgendwie schienen ihm die Dinge nicht mehr so zu gelingen. Außerdem war da der neue, jüngere Kollege, der mit großem Tatendrang vorpreschte, der, was ihm schwer fiel, zuzugeben, unglaublich einfallsreich war und seine Ideen in einer Geschwindigkeit umsetzte, wovon Roland nur geträumt hätte.

Aber Roland ging stoisch seinen Weg weiter. Er verschanzte sich weiter hinter seinem Hochmut, den er selber gar nicht bemerke, und den auch die Krankheit nicht zerstört hatte. Im Gegenteil. Roland war der Meinung, dass seine vorerstige Genesung nur seiner inneren Stärke, seinem unerbittlichen Kampf zufolge, eingetreten war. Und darauf war er stolz, das ist ja mal klar.

So war es ein Schlag ins Gesicht, als sein Chef ihn eines Tages ganz unvermittelt ins Büro rief und ihm nahelegte, er möge sich doch um einen anderen Arbeitsplatz bemühen. Es ginge so nicht mehr mit ihm. Er sei zu langsam geworden, seine Ideen schlugen nicht ein, sie seien zu konservativ, nicht dem Geist der Zeit angepaßt. Roland wußte nicht, wovon er sprach, sein Chef. Wieso hatte er ihm nie etwas gesagt, vorher, meinte er, er sei doch jetzt schon längere Zeit wieder dabei. Er fiel aus allen Wolken, als sein Chef ihm offenbarte, dass das ja gar nicht möglich gewesen wäre, dass alle kleinen Hinweise, die man ihm gegeben hätte, an ihm abgeprallt seien, dass Worte keinen Empfang bei ihm gehabt hätten. Jeder in der Firma hätte doch seinen Hochmut und seine Arroganz gesehen, hinter der er sich versteckt habe.

Für dieses Geschehen, für beide Geschehen, die Krankheit und die angeratene Kündigung, Lebenssituationen, mit denen er nie gerechnet hatte, hatte Roland keine Stratetgie. Plötzlich fiel alles von ihm ab, und er sackte zusammen, wie ein Häufchen Elend. Er wurde mit einem Gefühl konfrontiert, dass er nie zuvor in seinem Leben kennengelernt hatte:" Schwäche!" Ja, er fühlte sich auf einmal so schwach, so hilflos, so ausgeliefert.

Nach einigen Tagen erschien Roland nicht mehr bei der Arbeit. Ein Strudel von Gefühlen hatte ihn erfaßt. Man nannte sowas Depression, sagte ihm sein Hausarzt. Als Robert in den Spiegel sah, morgens, nach dem Aufwachen, erkannte er sich nicht mehr. Seine Mutter, die ihn sein Leben lang protegiert hatte, wußte auch keinen Rat mehr, er hatte keine Stütze im inneren, wie im äußeren.

Eines Tages schlenderte er gedanken- und motivationslos durch die Stadt und kam an einem Fenster einer kleinen Buchhandlung vorbei. Er studierte flüchtig die Auslagen, sein Blick haftete jedoch an einem kleinen Büchlein mit dem Titel"Sprichwörter!". Darunter stand in goßen Buchstaben:" Hochmut kommt vor dem Fall!"

Roland wußte nicht warum, wieso, aber dieser Spruch traf ihn bis ins innerste Mark. Hochmut! Dieses Wort hatte er noch nie gehört. Er ging in den Laden, kaufte sich das Büchlein und verschwand damit nach Hause.

Beim Lesen des Büchleins stieß er auf einen Verweis einer Geschichte aus dem alten Testament. Hiob war der Protagonist. Eine Geschichte des Scheiterns eines Mannes, der alles im Leben gehabt hatte, wovon andere nur träumten.

Wie die Geschichte seines Lebens weiterging? Ich laß es mal offen! Es gibt viele Möglichkeiten!

Übrigens! Hochmut ist einer der sieben Todsünden!

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17. Oktober 2008 5 17 /10 /Oktober /2008 20:41

Rudi hatte mal wieder länger gearbeitet. Als er auf die Uhr schaute, war es schon nach 19.00 Uhr. Verdammt, er hatte vergessen ein kleines Geschenk für ihren gemeinsamen Hochzeitstag zu kaufen. Marita erwartet dass von ihm. Verdammt, was macht er jetzt? Er hetzte zum Bahnhof und kaufte dort einen großen Strauß Rosen, 20 an der Zahl. 20 Jahre waren sie nun verheiratet. Er war überzeugt davon, sie noch zu lieben! Er meinte es jedenfalls! Er packte eine große Glasvase dazu und darin versteckt einen Gutschein für ein gemeinsames Essen in ihrem Liebslingslokal.

Rudi packte alles ins Auto und fuhr durch die regennaßen Sraßen nach Hause. Mist! Der Scheibenwischer tat es mal wieder nicht richtig. Das Auto muß unbedingt in die Werkstatt! Aber ohne Auto kam er nicht zur Arbeit. Es dauerte viel zu lang mit der Bahn und überhaupt, wenn er zu spät kam, weil die Bahn mal wieder Verspätung hatte, bekam er Ärger mit seinem Chef. Das konnte er sich nicht leisten.

Rudi parkte das Auto mal wieder im Parkverbot. Was sonst auch! Es regte ihn jedes mal auf, dass die Stadt die Parkplatzsituation nicht änderte. Egal! Rudi fingerte nervös in seiner Tasche, um den Schlüssel herauszuholen. Endlich fand er ihn, schloß auf und hechtete die Treppe hinauf!

Als er die Tür öffnete, kam ihm ein angenehmer Duft gebratenen Fleisches entgegen. Ach, Marita hatte gekocht. Wie aufmerksam, wie immer! Er schämte sich wegen seiner Vergeßlichkeit. Er zog den Mantel aus,  warf ihn nachlässig auf den Stuhl neben der Garderobe, jaja, er wußte es, er war einfach zu nachlässig in manchen Dingen. Das gab wieder Ärger, bestimmt!

Er versuchte zu lächeln und ging in die Küche. Das war eine Überraschung! Der Tisch war wunderschön gedeckt! Er nahm alles zu Notiz, ihm fiel zuerst nicht auf, dass nur ein Gedeck auf dem Tisch stand. Was war das? "Marita!", rief er durch die Wohnung. Er ging auf den Tisch zu, da sah er auf seinem Teller ein kleines Briefchen, darauf eine Rose, rot, Marita liebte rote Rosen. Er merkte, wie er unruhig wurde, sein Herz pochte nervös, seine Hände zitterten, als er den Brief in die Hände nahm!

Schweigend und erschöpft ließ er sich auf den Stuhl fallen, seine Hände wurden feucht, als er den Briefumschlag öffnete. Er versuchte es noch einmal:" Marita?" Keine Antwort. Er legte den Brief wieder weg, stand auf und ging durch die Wohnung. Sie war tatsächlich nicht da! Was sollte das bedeuten?

Er ging zurück in die Küche, setzte sich wieder auf den Stuhl, nahm den Brief erneut in die Hand und begann nun ihn zu öffnen! Er zog den Brief heraus, aus dessen Umschlag ihm der Duft von Maritas Parfum entgegenschlug!

Als er die Zeilen las, die ihm durch seine tränenverschleierten Augen entgegen rollten, wann hatte er eigentlich das letzte Mal geweint, brach eine Welt für ihn zusammen:

"Lieber!

Es tut mir leid! Aber ich kann nicht mehr! Es ist unser Hochzeitstag! Ich weiß! Es ist gemein von mir und feige, es Dir an diesem Tage zu sagen! Aber ich konnte nicht anders, verzeih mir!

Ich bin fort! Für immer! Nein! Nicht, was Du denkst! Ich habe niemanden anderen, nie gehabt! Ich suche auch nach keinem Anderen! Ich bin es nur einfach leid! Nein, leiden, ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Ich kann es nicht mehr aushalten! Das Unglücklichsein überschattete mich jeden Tag und ich hatte nicht mehr die Kraft es auszugleichen!

Ich war es satt, hinter Dir hergezogen zu werden, wie ein Möbelstück, dass zu alt und nicht mehr ansehnlich ist.
Ich habe es nicht mehr ertragen, dass Du mich nicht anschaust, wenn Du mit mir redest! Ich konnte es nicht mehr aushalten, dass Du mir nichts mehr mitzuteilen hattest. Das Schweigen, während wir zusammen saßen, hat mich mehr und mehr erdrückt. Ich weiß, Du kannst nicht anders! Aber ich auch nicht.

Die letzten zwei Jahre wurden immer unerträglicher für mich. Die geöffnete Zahnpasta-Tube jeden Morgen, Deine Kleider, die Du überall herum verstreut hast liegen gelassen, so als wäre ich Deine Putzfrau, die Dir Großreine macht, Dein Desinteresse an meinem Interesse für das, was um mich herum passiert, Deine Arroganz, mit der Du jede Kritik, jedes Gespräch, hast im Sand verlaufen lassen, Deine stoische Haltung, all das und vieles mehr, ich könnte noch hundert Dinge aufzählen, Rudi, aber ich konnte es nicht mehr ertragen. Am schlimmsten war es, zu sehen, dass Du in Dir keine Freude am Leben trägst, dass Du die Dinge tust in Deinem Leben, als seien es Pflichten, die in Deinem Kalender abgehackt werden müssen, ohne Seele, ohne Gefühl.

Ja, das Furchtbarste war, keine Freude mehr in Dir, für Dich, für das Leben zu sehen. Ich konnte es nicht mehr aushalten, ständig an Dir abzuprallen, als wäre ich mit Höchstgeschwindigkeit gegen eine Mauer gefahren.

Verzeih! Rudi! Such mich nicht! Ich brauche Abstand! Verzeih! Vielleicht ist es auch so, dass mir die Liebe fehlt zum Annehmen, was ist und wie es ist. Es mag sein. Aber ich kann es einfach nicht ändern!

Deine Marita!

P.S. Die Kinder wissen Bescheid!


Rudi blieb reglos sitzen, die Tränen hatten aufgehört über sein Gesicht zu rollen, aber ein Schluchzen ergriff seinen Körper, tränenlos nun. Sein Kopf sank auf den Tisch, er wußte später nicht mehr, wie lange er so dagesessen hatte. Als er auf die Uhr schaute, war es 1.00 Uhr nachts! Er war um 20.00 Uhr nach Hause gekommen. Er schwankte ins Bett, leer und ausgepumpt und ließ sich in die Kissen fallen. Er schlief sofort ein, tief und traumlos.

Als er am anderen Morgen erwachte, ging er ins Bad, wusch sich, rasierte sich, putzte sich die Zähne und schloß sorgfältig die Zahnpastatube, ging in die Küche, machte sich einen Kaffee, den er hastig trank. Sein Körper war steif, fühlte sich hart an und schwer. Seine Schritte schleppten sich zur Garderobe, an der er seinen Mantel abnahm, ihn anzog und durch die Tür hinausging. Ein kalter Wind kam ihm entgegen, er zog den Kragen seines Mantels hoch und stieg in sein Auto.

Das Leben ging weiter, nur anders! Aber er wußte nicht wie!


 

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14. Oktober 2008 2 14 /10 /Oktober /2008 18:48

Erich ist tot! Vor zwei Wochen verstarb er an einem Herzleiden! Noch eine Woche zuvor, wäre er beinahe bei seiner Leidenschaft ums Leben gekommen. Er fuhr nämlich furchtbar gern Motorboot, in der letzten Zeit nur noch auf dem Rhein, das Alter, er konnte nicht mehr weitere Touren unternehmen.
 
Als Erich noch lebte, wurde viel über ihn geredet. Er sei egoistisch gewesen, habe nur an sich gedacht. Er hatte viele, viele Bekannte, nur einen Freund, aber den schon lange! Sie kannten sich seit Ende des Krieges. Hatten viel zusammen erlebt. Damals, als es kanpp war und man nicht wußte, wie den Tag überleben, haben sie zusammen auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Sie waren unzertrennlich, sogar ihre Frauen haben sie zusammen kennengelernt, waren in den ersten Tanzbars damals.

Dann gründeten sie Familie. Erich, mittlerweile selbständig, hatte einen kleinen Obstladen eröffnet, während sich Julius, sein Freund im kaufmännischen Bereich betätigte. Ihre Freundschaft hat bis zum Ende gehalten. Erich wußte, dass hinter seinem Rücken geredet wurde. Von wegen Egoismus, er sei ein bißchen durchgeknallt, übergeschnappt, vergnügungssüchtig und das mit seinem Sohn habe er auch nicht hinbekommen. Ja, er wußte es, sogar sein bester Freund hatte diese Einstellung. Hatte aber nie was gesagt. Überhaupt Gespräche wirklich tiefer persönlicher Art ließen sie außen vor. Erich war auch nicht der, der sich gerne reflektierte, er lebte einfach. Und bis ans Ende mit seiner Frau, 50 Jahre waren sie verheiratet. Er hatte vor 10 Jahren sein Geschäft aufgeben müssen. Sein Geschäft, der kleine Obstladen war sein Leben, danach kam nur noch die Leidenschaft, das Motorbootfahren. Und ja, natürlich, wann immer es ging und es seine Gesundheit erlaubte, fuhr er nach Italien. Italien, das war seine zweite Heimat. Hier machte er einen drauf. Mit seinem Boot den Lago Maggiore rauf und runter und abends in die Bars, was kostet Kaffee mit Kapelle. Erich war nach außen ein "Großkotz!" Wenn er irgendwo auftauchte, er zahlte alles. Alle nahmen das mit, alle waren immer da, wenn sie um seinen Tisch versammelt waren und er seine Späße machte, er war ein Charmeur ersten Grades und ein Clown in Gesellschaft, konnte einen ganzen Saal unterhalten, aber hinter seinem Rücken, na ja, das Übliche halt. Erich war eine fröhliche Natur, er lebte einfach sein Leben!
 
Jetzt ist Erich tot. Seine Frau gestützt auf ihren gemeinsam besten Freund, hatte alles gut vorbereitet. Der Pfarrer sollte eine Ansprache halten, über sein Leben. Das erste Mal erzählte sie, dass Erich dann doch ein wenig gelitten habe, unter dem, was hinter seinem Rücken getratscht wurde. Er hat es sich aber nie anmerken lassen.
 
Jetzt stiegen seiner Frau die Tränen in die Augen. Was wollten die denn alle? Kannten sie ihren Mann doch nie wirklich. Hatten sie doch nie gesehen, wie er wirklich war, tief in seinem Herzen! Wie er seinen Alltag gelebt hat. Klar, der Sohn, er ist aus der Bahn geraten. Aber sind Eltern immer verantwortlich? Nein, schluchzte sie in dem Gespräch! Erich hatte alles getan, vielleicht auch das Falsche. Er hatte nicht erkannt, dass man nicht alles mit Geld lösen kann! Er hatte eben seine Liebe durch Geld gezeigt. Aber er hatte es versucht, anders konnte er nicht. Eine andere Hilfe konnte er nicht geben. Schließlich hätte der Junge ja auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen können, sagte sie, jetzt, in dem Gespräch. Aber das wollte er wieder nicht.
 
Ja, haben sie denn gewußt, alle die, die hinter seinem Rücken redeten, wievielen Menschen, teilweise sogar denen, die er gar nicht gut kannte, er geholfen hatte? Wie er ihnen in Zeiten der Not beigestanden hat. Keiner wußte das.  Erich hat das immer leise und still gemacht. Und in seinem Laden, den sie gemeinsam über Jahre hinweg führten, wie weich er da immer war. Wenn da das alte Mütterchen kam, mit ihrem letzten Groschen, abgezählte Äpfel und ein bißchen Salat für das nächste Essen einkaufte, da hat er immer die Tüte genommen und gesagt:" Komm gute Frau, ich bin doch nicht kleinlich, was soll´s, du hast nicht viel Geld, ich weiß das, und dann hat er ihr die Tüte voll gemacht. Man brauchte nur piep zu sagen, schon war Erich da!
 
Aber wie gesagt, das wußte Niemand, nicht einmal die engsten Bekannten. Irgendwie stand er immer in einem anderen Licht. Aber niemals hat er sich davon beirren lassen. Er hat immer sein Leben gelebt, ganz einfach und die kleinen Dinge, geschahen still und leise.
 
Und am Tage der Beerdigung kam alles Unentdeckte heraus. All die Menschen, die ihn kannten als Ladenbesitzer, die bei ihm über die Jahre eingekauft hatten, die Nachbarn, alle waren sie da und jeder trug sein Scherflein an Erfahrung, die sie mit ihm gemacht hatten bei. Und am Ende kam heraus, stimmt, Erich war ein großer "Lebemann", ein leidenschaftlich geselliger Mensch, ein Exentriker, einer, der nicht nachfragte, der nicht groß hinschaute, weder bei sich selber noch bei anderen. Aber er war nicht der, für die ihn die Meisten gehalten haben, nämlich egoistisch. Es schien nur so nach außen!
 
Jetzt waren sie alle verwundert! Das hätten sie nicht geglaubt! In manchen Gesichtern leichte Scham, Betretenheit! So geht das mit den Urteilen!
 
Was heißt denn schon ein gutes Leben? Wer hat denn das Recht zu beurteilen, wer ein gutes Leben führt. Man muß wohl nicht immer "große Taten" verrichten. Selber Freude am Leben haben, sie weitergeben und im Kleinen Hilfsbereitschaft schenken, die aber für den Moment eine große Tat für den Hilfebedrüftigen war, auch das ist letztendlich groß, zwar sieht man es nicht, wie in Erich´s Fall, aber sie wirken ebenso nach und haben seine Umwelt verändert. Und die vielen, vielen Abende, an denen er den Menschen eine fröhliche Stunde beschwert hat. Auch das war eine Kunst!
 
Schön war´s auf der Beerdigung. Am Ende war alles gut! Sie war auch eine Überraschung für viele. Sie nahmen einen anderen Erich in ihrem Herzen mit nach Hause. Ich glaube, sie werden jetzt alle ein bißchen vorsichtiger umgehen, mit der Beurteilung anderer Menschen.
 
Und sie vermißten ihn schon jetzt! Aber da, wo er jetzt ist, wird er sicher genau so sein!

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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 19:59
Pauls Eltern hatten sich mit dreißig kennen gelernt. Er war Inhaber eines kleinen Juweliergeschäftes. Sie war freiberuflich Headhunter, mit großem Erfolg. Sie reiste dadurch viel und gern. Es war Liebe auf den ersten Blick. Dachten sie damals. Vielleicht war es doch nur ein Gefühl, dass es Liebe sein sollte. Sie zogen sehr schnell zusammen. Ihre Freunde hatten schon Familien. Sie wollten nicht. Das Leben im Überfluss, Reisen, die Villa im Grünen, das klasse Auto, Partys und gutes Essen war ihnen genug. Sie wollten sich nicht einschränken müssen. Die Jahre gingen dahin, bis sie plötzlich merkte, dass eine Zeitbombe tickte. Sie wurde nämlich 40.
 
Sie lebten nun schon 1o Jahre so miteinander. Plötzlich hatte alles einen faden Geschmack. Die Kinder der Freunde waren schon fast in der Pubertät. Die Familien um sie herum genossen ihr Familienglück. Depression überfiel sie. Er hatte wohl doch eine kleine außereheliche Liäson. Sie war ihm in den letzten Jahren zu depressiv geworden. Vielleicht war es ja doch noch nicht zu spät. Mit dem Kinderwunsch! Ja, sie wollte jetzt! Ein Kind soll kommen. Sie wollte das Gefühl haben Mutter zu werden. Nicht den anderen nachstehen müssen. Dieses Gefühl einer Schwangerschaft auskosten wollen. Sie merkte nicht, dass das nichts damit zu tun hatte, eine Familie zu gründen, sondern, dass das purer Egoismus war.
 
Zwei Jahre warteten die Beiden. Dann kam die Glücksbotschaft. Sie war schwanger. Sie war aus dem Häuschen. Er hatte plötzlich Angst. Wenn das bloß gut geht. Mit 42 Jahren! Die Schwangerschaft verlief komplikationslos! Ihn nervte es, dass sich alles darum drehte. Aber dann war es soweit. Paul erblickte das Licht der Welt. Er war nicht dabei, obwohl er sollte. Er hatte gekniffen! Hatte draußen gewartet. Sie war schon ziemlich enttäuscht! Aber als er den Jungen sah, war alles vergessen. Man sprach nicht mehr drüber.
 
Natürlich war Paul sofort der Held der Familie. Man schloss sofort eine Ausbildungsversicherung für ihn ab, zusätzlich einen Bausparvertrag, schließlich sollte Paul es ja auch mal gut haben. Die Ausbildung sollte gesichert sein. Das Zimmer in der Villa im Grünen hatte alles, was das Herz begehrt. Nur das Feinste.
Er war übrigens auch der erste Enkel von beiden Seiten. Die Großeltern überschütteten das Kind. Jeder legte ein Sparbuch an für Paul. Er sollte es mal richtig gut haben!
 
Paul war ein reines Wunderkind! Er lief früher, wie alle anderen, sprach schneller, wie alle anderen und war auch schneller sauber, wie alle anderen. Paul wurde zu jeder Gelegenheit vorgezeigt. Es hätte so schön sein können. Sie merkte schnell, dass Paul aber allein nicht genügte. Sie hatte sich vom Berufsleben zurückgezogen. Sie war auf ihn fixiert, wenn er abends nach Hause kam. Er musste jetzt allein sehen, wie der Lebensstandard erhalten blieb. Er fühlte sich überfordert. Unverstanden. Sie fühlte sich überfordert. Unverstanden. Da gab?s nur eins. Paul musste in den Kindergarten, so schnell wie möglich. Da Geld keine Rolle spielte, wurde ein Platz gefunden. Jetzt ging der Streit los, wer wann Paul abholte. Es kam zu gegenseitigen Vorwürfen. Paul dazwischen. So ging das bis zum Schuleintritt.
 
Sie ging mittlerweile wieder ihrer Tätigkeit als Headhunter nach. Paul blieb ein Wunderkind. Er lernte schneller lesen wie alle anderen, war im Sport eine Kanone, versprach ein Fußballtalent zu werden und konnte in der Grundschule ein Jahr überspringen. Sie waren stolz. Mittlerweile war er 9 Jahre. Er ist allein geblieben. Er hätte gerne einen Bruder gehabt, ne Schwester wäre auch nicht schlecht gewesen. Dann wäre er abends nicht immer so allein im Dunkeln gewesen. Denn abends im Bett kamen seine Ängste und Traurigkeiten. Er spürte, dass mit den Eltern was nicht stimmte. Sie stritten immer häufiger. Dafür war aber alles da. Paul brauchte nur ein Wort zu sagen und schwupp, stand das neue Fahrrad da. Er hatte als erster einen eigenen Computer in der Klasse. Paul brauchte eine Brille, ein bisschen wurde er gehänselt! Paul hatte eigentlich ein schönes Leben! Er durfte schon früh ins Kino, bekam alle Videos, die er sich wünschte und mit 11 Jahren hatte er sogar einen eigenen Fernseher. Was ihm fehlte? Er konnte kaum Freunde mitbringen. Seine Mutter war immer total entnervt, wenn sie durch den Garten tobten. Vater war sowieso nie da. Paul dachte, seine Eltern liebten ihn nicht. Daher strengte er sich noch mehr an in der Schule. Er war Klassenbester. Im Gymnasium durfte er schon wieder eine Klasse überspringen.Er hatte jetzt ein Laptop. Seine Eltern redeten schon vom Studieren!
 
Dann geriet er durcheinander! Seine Eltern nannten das Pubertät. Er verweigerte sich ihnen jetzt immer mehr. Die Leistungen fielen plötzlich ab. Die Freunde gefielen den Eltern nicht. So stahl sich Paul heimlich davon. In der Schule gab?s ne Clique, die kiffte. Er probierte es auch mal. Eigentlich fand er das nicht gut. Aber die Jungs waren nett. Er fühlte sich irgendwie zuhause bei ihnen. So war es klar, dass Paul auch anderes probierte als nur den Joint. Mittlerweile gefiel es Paul immer besser. Er vergaß die Kälte, die ihm zuhause entgegenkam. Paul merkte aber nicht, dass er immer aggressiver wurde. Er fing an, sein Zuhause zu hassen, all den Glanz, den materiellen Wohlstand. Er stritt sich immer mehr mit seinen Eltern. Es eskalierte und er haute ab. Das Abi schmiss er. Seine Eltern waren verzweifelt. Was hatten sie falsch gemacht? Sie hatten keinen Zugang mehr zu ihm. Mit Hilfe eines Psychologen kam Paul wieder auf die Beine. Abi wollte er trotzdem nicht mehr. Er spürte, dass seine Eltern enttäuscht waren. Es war ihm egal. Er machte eine Lehre als Kfz-Mechaniker. Es machte ihm Spaß! Er lernte ein Mädchen kennen. Sie waren ein Jahr zusammen, als sie schwanger wurde. Die Eltern des Mädchens waren gegen ihn. Er hätte keine Perspektive. Sie studierte Medizin. Sie sollte Ärztin werden. Ihre Eltern nahmen das Kind. Sie überließ sich dem Einfluss ihrer Eltern und verließ Paul. Er war wieder allein.
 
Paul schlug sich durchs Leben. Brachte seine Lehre zu ende. Arbeitete als Kfz-Mechaniker. Traf sich an Wochenenden mit Kumpels. Schaffte sich ein Motorrad an und fuhr durch die Welt. Aber es fehlte ihm etwas. Nach wiederholten Beziehungen, die scheiterten, entdeckte er, dass er beziehungsunfähig war. Paul wurde depressiv.
Er nahm Medikamente, aber es wurde nicht besser. Niemand merkte etwas. Paul wurde älter. Paul wurde 40 und hatte nichts erreicht. Keine Frau, keine Familie. Seine Freunde, Kumpels von damals hatten sich verstreut. Paul arbeitete weiter. Wußte aber nicht mehr, warum! Eines Morgens stand Paul am Bahnhof und wartete auf den Zug. Es war nur so ein Moment! Der Zug fuhr ein. Paul dachte, das lohnt doch sowieso alles nicht! Es war nur ein Moment! Eigentlich wollte er nicht. Eigentlich hatte er Angst. Und dann sprang er doch! Er war sofort tot. Paul wäre zwei Wochen später 41 Jahre alt geworden. Paul war ein Wunschkind!
 
Das ist eine wahre Geschichte!
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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 18:19

Die Nacht bricht herein. Es wird ruhiger im Haus. Die Musik über dir verklingt, du hörst noch ein paar Geräuschfetzen, hektisch und schrill, wohl aus einer Fernsehsendung, aber auch der wird endlich ausgeschaltet. Genug Berieselung. Genug Katastrophen, genug schlechte Nachrichten, genug der banalen, witzemachenden Entertainer der Volksbelustigungsszenerie.
 
Du genießt das plötzliche Still werden, nebenan, wohl die Küche, noch hier und da ein Klirren von Geschirr, abgeräumt, vom Tisch, an dem eben noch Gäste saßen. Ein Lachen, Gesprächsfetzen, wie der Abend war. Du hörst alles!
 
Du gehst ins Bad, die Kleider, die den Tag in sich tragen, abgelegt, mechanisch verrichtest du das eigene Abendritual. Über Dir scheint auch jemand da zu sein, du hörst die Schritte auf dem Holzparkett, sie, die Nachbarin, die von ihrem Dienst gekommen ist. Ein Wasserhahn wird angestellt, du hörst das Wasser rauschen, das Quitschen beim Einsteigen in die Wanne. Du hier, sie da oben, beide braucht ihr jetzt Ruhe!
 
Du löschst das Licht, Dunkelheit umgibt dich, aber du kennst jeden Schritt bis zu deinem Bett, weißt wo du lang mußt. Jedesmal, wenn du in dieser Dunkelheit durch die Wohnung gehst, ganz bewußt, ohne Licht, gefällt es dir und du denkst, genauso gehst durch die die Dunkelheiten des Lebens, machst die Augen zu, und vertraust, dass du die richtigen Schritte tust!
 
Du sinkst in deine Kissen, ein wenig erschöpft, der Körper dankt es dir. Du wirst ruhig, lauschst, schaust die Dunkelheit, die nach wenigen Sekunden gar nicht mehr so undurchsichtig ist. Die Augen gewöhnen sich schnell.
 
Jeder Muskel deines Körpers entspannt sich und Gedankenfetzen rasen in deinem Kopf, Bilder des Tages, Gesichter, Gespräche werden wieder lebendig, ein ganzes Durcheinander der Gefühle vom Tag meldet sich noch einmal, alle auf einmal, du mußt sie sortieren.
 
Draußen, am Efeu an der Häuserwand ist noch Leben, welches wohl? Eine Haustür geht auf, wer da wohl noch kommt oder geht? War sein Tag erfüllt? Wie geht er zu Bett, mit Trauer oder mit Freude?
 
Dann wird alles schwer, du hast das Gefühl, als lege sich die Nacht auf dich, umfängt dich, hüllt dich ein, will dich mitnehmen, in ein anderes Abenteuer, dass du nur im Schlaf erlebst, in deinen Träumen, wo das Unbewußte seinen Weg sucht, deine Sehnsucht, die du selber oft gar nicht kennst, zeigt dir Bilder, von dem, was du vielleicht noch erleben willst.
 
Es gibt einen Moment, wo du das Gefühl hast, du bist nicht in dir, aber auch nicht im Außen, in einem Schwebezustand, den du genießt, die sanfte Stille, die dich in Watte packt. Manchmal gibt es Momente, wo du dich selber siehst, von außen, da liegend, so ruhend, und vertrauend, dich übergebend.
 
Im Hinterhof brennt noch hier und da ein Licht in den Häusern, du siehst noch, obwohl du es gar nicht willst, wie sie mehr und mehr verlöschen.
 
Du stehst kurz davor, merkst, wie dein Leben im Schlaf entschwinden will und schreckst auf. Was war das? Wo kommen diese Stimmen her? Du hörst die Aggressivität im Ton, es scheinen zwei zu sein, eine männliche und eine weibliche.
 
Du hörst Vorwürfe! "Wo warst Du" "Was hab ich Dir gesagt" "Laß mich doch in Ruhe" wird entgegenet. "Nein, ich laß Dich nicht in Ruhe!" "Schrei nicht so", die Antwort. "Ich schreie, wann es mir paßt" "Du hast getrunken!" "Na und!"
 
Du willst das nicht hören, willst endlich schlafen, aber dein Herz fängt wild an zu klopfen, du wirst wieder lebendig.
 
Plötzlich hörst du einen Knall, etwas ist gefallen, ein Stuhl?, ein Sessel ? "Komm hoch", brüllt die Stimme, die männliche. "Steh auf!"
 
Sie weint! Sie schluchzt! Dein Herz scheint still zu stehen, du hälst den Atem an! Was tut er, der Mann! Was Hat er ihr angetan?
 
Dann hörst du sie weinen! "Hör auf mit dem Gejammer! Er schreit wieder, seine Wut schein außer Kontrolle zu geraten. Ihr Schreien geht in ein Wimmern über. Du siehst Blut! Deine Phantasie? oder Wirklichkeit?
 
Du nimmst deine Decke ziehst sie dir übers Gesicht, willst dich verstecken, fühlst die Schläge auf deinem eigenen Körper. Das darf nicht sein, denkst du! Wo ist er! Er, der so etwas tut. Du stehst auf, weil, du kannst so nicht einschlafen! Du gehst in die Küche, schaust aus dem Fenster, du frierst, es ist nicht kalt, es sind die Schläge, die sie ins Gesicht treffen. Du siehst ihre Hände, die sich schützend davor halten, aber er hört nicht auf. Du wirst immer unruhiger, läufst hin- und her! Was kannst du tun?
 
Es hört nicht auf. Du greifst zum Hörer des Telefons und rufst die Polizei. "Worum geht es?" die Antwort am anderen Ende. "Ja! worum geht es? "Es gibt Streit, irgendwo, in einem unserer Hinterhäuser", sagst du! "Na und", die Antwort, "was sollen wir da tun?" "Es wird jemand geschlagen, eine Frau, sagst du!" "Wo?" fragt der Mensch am anderen Ende? "Ich weiß es nicht", sagst du,"ich höre es nur."
 
"Aber wir können nichts machen, wenn wir nicht wissen wo", so die Antwort. "Aber es muß in einem der Häuser in unserem Hinterhof passieren!", sagst du!
 
Sie versprechen zu kommen, zu suchen, zu finden!
 
Du legst dich wieder ins Bett, es geht weiter, noch lange! Du fühlst dich verzweifelt, wegen ihr, wegen all dem, was du hörst und was passiert. Und du kannst nichts machen, du mußt einfach abwarten, dass es aufhört. Du mußt es einfach geschehen lassen, das Unfaßbare.
 
Du denkst, so ist das, einer, den du vielleicht kennst, der dir am Tag auf der Straße freundlich Guten Tag sagt, einen Witz reißt, er schlägt seine Frau! Wer mag es sein? Warum? Wieso kann es dazu kommen? Welche Gefühle sind so verletzt, dass man nur noch um sich schlägt? Welche Gewalt tobt im Körper dieses Mannes?
 
Du gibst auf, das Grübeln hat keinen Zweck, du bist müde, sehr müde, aber nicht von deinem Tag, sondern von dem, was geschehen ist, in dieser Nacht.
 
Endlich, irgendwann bist du eingeschlafen. Als du am Morgen erwachst, ist der Schrecken immer noch da. Du stehst auf, gehst ans Fenster, siehst die Häuser im Hinterhof, schaust von Fenster zu Fenster, wo war es wohl gewesen? Wo kamen die Stimmen her. Es ist nicht einzuordnen gewesen, in der Nacht.
 
Du schaust versunken, und stellst Dir vor, sitzen sie jetzt beide am Frühstückstisch? So, als wäre nichts gewesen! Und wenn sie es nicht verdrängen können, was machen sie damit. Wie gehen sie in den Tag? Was führen sie für ein Leben? Wird man es ihr ansehen? Und Er? Wie kann er damit leben? Wie kann er seine Hände noch anschauen, die vielleicht auch zärtlich sein können? Was macht er mit seinen Händen am Tag? Tut es ihm leid? Vielleicht bereut er, vielleicht möchte er lieber seine Hände abhacken, als dass sie es nochmal tun.
 
Und Sie? Kann sie ihm verzeihen. Wie lange noch, wird sie den Schlag in ihrem Gesicht spüren? Was hat der Schmerz in ihr ausgelöst? Wohin mit ihm?
 
Schluß aus, denkst du! Das geht nicht, du mußt dein Leben leben, aber du wirst jedem, dem du begegnest an diesem Morgen in deiner Straße, wenn du aus der Haustüre gehst, ins Gesicht schauen und auf die Hände. Aber du wirst dich hüten, zu denken, der oder der war es bestimmt! Denn es könnte jeder sein!
 
Mit diesem Gedanken gehst du in deinen Tag! Ja, es könnte jeder sein. Sogar der, dem du gleich ein Buch verkaufst oder den du beim Bäcker triffst, oder der Zeitung lesend neben dir in der Bahn sitzt.
 
So ist das Leben! So ist der Mensch!
Es geht alles weiter, so als wäre nichts gewesen.
 
Sagt man nicht "Der Lauscher an der Wand, hört seine eigene Schand!"
 
Aber es war nicht deine Schand! Und du wolltest sie nicht hören!

 

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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 17:19
Alles wurde plötzlich anders! Der Chef hatte gewechselt. Die guten alten Zeiten waren vorbei. Wehmütig waren die Erinnerungen, die Martin hatte, als er zurückblickte. Schöne Jahre waren es. 25 Jahre hatte er bei der Firma gearbeitet, einer kleinen chemischen Fabrik, die Klebstoffe herstellte. 25 Jahre mit Kollegen, die ebenfalls, wie er, niemals gewechselt hatten, es sei denn, aus Altersgründen, beruflicher Veränderung oder Standortwechsel. 25 Jahre ein gutes Miteinander, eine ausgewogene Bezahlung und ein objektives und gerechtes Handeln ihres Chefs, der nun leider verstorben war.
 
Seitdem hatte sich alles verändert! Ein amerikanischer Konzern übernahm die kleine Fabrik, ein Mann aus den eigenen Reihen eingesetzt. Gut, Martin hatte sich ein bißchen erhofft, er könne die leitende Position übernehmen. Da war er enttäuscht worden. Sicher hätte sie ihm sein Chef übergeben, wenn er noch gelebt hätte und sich zurückgezogen hätte. Das weiß er, dass hat dieser ihm immer wieder angedeutet.
 
Nun denn, er will nicht klagen, eine leitende Position bedeutete ihm weniger als das gute Miteinander mit den Kollegen, die immer eine produktive Arbeit beinhaltete. Das war jetzt anders.
 
Ein Jahr liegt nun seit dem Tod des ehemaligen Chefes zurück. Zwei seiner besten Kollegen sind gegangen! Oder gegangen worden, wie man so schön sagt. Er versuchte sich an die leisen Veränderungen zurückzuerinnern, die sich heimlich eingeschlichen haben, damals.
 
Der Neue war nicht mehr objektiv. Er hatte nicht die Gabe, persönliche Sympathien außen vor zu lassen. Da hatte doch der gute alte Chef ein anderes Händchen. Er hatte alles im Auge, konnte zwischen den Zeilen lesen und war niemals auf eine persönliche Meinungsverschiedenheit zweier Kollegen eingegangen. Er hat es zwar gesehen, aber auf seine Art, in dem er konstruktiv nach Lösungsmöglichkeiten suchte, ohne das Thema anzusprechen, ohne sich auf eine Seite der beiden Kollegen zu schlagen, die Konflikte gelöst, so dass letztendlich beide Parteien das Ergebnis annehmen konnte und keiner sich benachteiligt fühlte. Ja, er war ein außergewöhnlicher Mensch.
 
Martin erinnerte sich an ein Gespräch, in dem der Chef ihm mal ganz klar sagte, sicher, er habe auch Symapthien zu dem einen oder anderen, das wäre ja normal, aber gerade deswegen würde er den persönlichen Kontakt zu demjenigen möglichst umgehen, um keinen Neid oder Eifersucht aufkommen zu lassen. Ja, er hatte sein Geschäft beherrscht. Beruf ist Beruf und Privates muß man außen vor lassen!
 
Und trotzdem, er zeigte Herz immer wieder. Martin erinnerte sich noch sehr genau an die schwierige finanzielle Situation, in die einer seiner Kollegen einmal gekommen ist. Es war Gesprächsthema in der kleinen Fabrik. Jeder wußte es! Und da hat der Chef eingegriffen, ganz unproblematisch, aber klar und deutlich. Hat dem Kollegen auch finanziell ausgeholfen. Warum das keinen Neid erregte? Weil er, der Chef, das immer tat, wenn es die Möglichkeiten finanzieller Art zuließen. Er war nicht geizig. Verbuchte den Gewinn nicht nur allein auf sein Konto. Er ließ die Mitarbeiter, wenn möglich, daran teilhaben, ohne dass ihm selber dabei etwas abging. Das brachte ihm Respekt! Das schätzten die Mitarbeiter und konnten ohne Neid die eine oder andere Hilfe, die einem Kollegen entgegengebracht wurde, annehmen.
 
Sobald es die finanziellen Möglichkeiten zuließen, gab es für jeden Mitarbeiter ein Weihnachtsgeld, für alle gleich. Und das war schon sehr ungewöhnlich zu der Zeit! Von außen wurde das mit Staunen beobachtet. Martin erinnerte sich auch noch genau an das Jahr, als die kleine Firma einen großen Auftrag hatte und ein beträchtlicher Gewinn erzielt wurde, da war der Chef nicht kleinlich. Völlig unerwartet fanden die Mitarbeiter vor ihrem Urlaubsantritt plötzlich eine kleine Summe in ihrer Lohntüte. Das war eine Überraschung.
 
Ach, was waren das schöne Jahre in der Firma. Die Mitarbeiter setzten sich für den Betrieb ein, als sei es ihr eigener. Krankheitsrate? Gleich Null! MAn kam mit dem Kopf unter dem Arm! Das sah auch der Chef, das honorierte er. Aber nie hat er es ausgenutzt. Wenn es einmal zu arg war, schickte er den betroffenen Mitarbeiter einfach nach Hause, ohne Ressentiments.
 
Und jetzt! Was ist aus der Firma geworden. Umsatzeinbußen in den letzten Monaten! Er spürte deutlich die weniger werdende Motivation der Mitarbeiter. Die Krankmeldungen waren erstaunlich. Nie zuvor hat es das gegeben. Das erste MAl gab es in diesem Jahr kein Weihnachtsgeld! Es gab Probleme bei den chemischen Zusammensetzungen der Klebstoffe und die Abnehmer reichten Beschwerden über Beschwerden ein.
 
Sicher, es gab auch in den vergangenen Jahren immer mal wieder eine Flaute. Das hat man durchgestanden, da hielten sie alle zusammen. Aber der neue, der teilte aus. Rief Konferenzen zusammen, in denen er jeden Verantwortlichen nur zusammenstauchte, keine konstruktiven Diskussionen mehr, kein Entgegenkommen, kein Appell an den Zusammenhalt. Früher, da konnte man einen Fehler eingestehen, weil man erfuhr, es ging weiter, jeder bekam eine neue Chance. Jetzt traute sich niemand mehr, die Verantwortung für einen Fehler zu übernehmen, weil er Angst um seinen Arbeitsplatz hatte. Zwei Kollegen wurden gegangen,. Zwei außerordentlich kompetente Kollegen, die über Jahre hinweg gute Arbeit geleistet hatten und die jetzt ein ALter überschritten hatten, das es ihnen erschwerte, jemals wieder eine neue Anstellung zu finden. Martin sah das Desaster, in denen die beiden sich befanden.
 
Martin sah das Desaster, in dem sich die kleine Fabrik nun befand, ein Jahr, nach der Übernahme des Neuen. Plötzlich gab es Tratsch und Klatsch. Der Neue hatte ein Techtelmechel mit der Kollegin. Es gab plötzlich Betriebsfeiern ganz anderer Art.
Was waren die Betriebsausflüge mit dem alten Chef immer schön. Der Chef suche jedes Jahr einen anderen schönen Ort aus, an dem sie gemeinsam mit einem gemieteten Bus hinfuhren, eine Wanderung unternahmen und am Abend dann ein Abschlußessen, bei dem die Gespräche über die Arbeit und die Problematiken, die vielleicht gerade anstanden, außen vor gelassen wurden. Jeder fühlte sich wohl! Und man spürte förmlich am nächsten Tag die Energie, mit denen die Mitarbeiter wieder ans Tageswerk gingen.
 
Und nun gab es sogar unterschiedliche Löhne für die gleiche Arbeit. Sollte natürlich niemand wissen, aber es schimmerte durch. Klatsch und Tratsch eben. Gab es früher nicht. Worüber auch? Alles war geordnet, gerecht und gleich verteilt! Jeder hat das akzeptiert. Kein Murren!
 
Schöne Jahre waren das. Und nun! Alles vorbei. Er spürte, auch ihm fiel es schwer, jeden Morgen, die Firma zu betreten. Er spürte die eisige Stimmung, wenn er die Tür zu seinem Büro öffnete. Er hörte die mißgelaunte Stimme des Chefs, er sah die Unzufriedenheit seiner Kollegen.
 
Nachdenklich schüttelte er den Kopf, wie konnte ein Mensch eine Firma in einem Jahr nur finanziell und menschlich so herunterwirtschaften? Es gab ein Wort, dass er jetzt immer öfters hörte."Mobbing"
Einer spielt den einen gegen den anderen aus. Traurig, wehmütig und irgendwie desillusioniert stand Martin auf, nahm seine Aktentasche und machte sich auf den Weg zur Arbeit. 5 Jahre noch, er hatte noch fünf Jahre durchzustehen. Niemals hätte er gedacht, das er so auf sein Ende blicken würde.
 
So ist es wohl. Er mußte es so annehmen. Er glaubte nicht mehr an eine positive Veränderung! Die Kälte ist eingezogen in ihrem kleinen Betrieb. Der Neue hatte die menschlichen Qualitäten nicht, ihm fehlte es an Distanz, Objektivität und Menschlichkeit. Wie sollte man das ändern können? Es war jetzt so, wie fast überall, in den Betrieben. Sie waren keine Ausnahme mehr. Damit mußte er leben! Die guten Jahre waren vorbei!
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