Die Praxis des Zen, Meditation und Laufen scheinen gegeneinander widersprüchlich zu sein! Meditation ist nichts anderes als still werden, sitzen, den Geist zur Ruhe kommen lassen, die Gedanken an sich vorüberfliegen lassen, leer werden.
Laufen dagegen ist Bewegung, schauen, achtsam sein, zu beobachten, was einem entgegenkommt, zu sehen, was am Wegesrand blüht, den Wind zu spüren, den Regen im Gesicht, die Sonne wärmend zu empfangen.
Und obwohl diese zwei Praktiken scheinbar so gegensätzlich sind, verbindet sie doch zwei Dinge miteinander. Während man bei Meditieren die Augen zu hat, nichts von der Außenwelt wahrnimmt, sich nur darauf konzentriert still zu werden, und den "Unrat" der Gedanken und Gefühle, die einen ständig bedrängen und uns voll machen, loszulassen, nimmt man beim Laufen, wie oben beschrieben, doch auch auf.
Und doch hat beides die gleiche Wirkung, wie ich heute Morgen bei meinem Lauftraining wieder einmal festgestellt habe. Du schaust zwar alles was sich im Kopf bewegt, die Flut von Bildern und Gedanken, auch die im Herzen, werden ausgelüftet, herausgetrieben. Du läufst, läufst und läßt alles an dir vorüberziehen! Man soll aus einem Herzen keine Mördergrube machen, entweder man spricht die Urteile aus oder man sorgt dafür, dass sie sich gar nicht erst einnisten in Kopf und Herz. Und dazu kann Laufen ein gutes Training sein, und vom Effekt des Traininings auf den Körper auch unter bewegungstechnischen Aspekten und Herz-Kreislauf-Funktion brauche ich ja gar nicht hinzuweisen. Das ist allemal bekannt.
Jedenfalls seit ein paar Tagen hab ich wieder angefangen mit dem Laufen, nachdem ich einige Wochen aus verschiedenen Gründen pausiert habe, es manchmal aber auch nicht geschafft hatte, dem inneren Schweinehund zu widerstehen.
Eingetaucht in all das, was ich oben zum Thema Auslüften, Loslassen der Gedanken und Gefühle beschrieben habe, drehte ich so meine Runden durch unseren Grüngürtel und da saß "Er" plötzlich. Der Penner, verwahrlost, seine Flaschen neben sich und schaute desillusioniert und leer in den Morgen. Ich kann es im Nachhinein nicht erklären, was passierte, jedenfalls, normalerweise hab ich so meine Gedankenflut beim Anblick eines solchen Menschen. Projektionen, warum, wieso, weshalb, Mitleid, oder kein Mitleid, Widerwillen oder einen Hauch von "müßte man nicht helfen"!. Irgendwie war das alles nicht da, für einen kleinen Moment, ich lief an ihm vorbei, wir schauten uns an, ich nahm die Hände, faltete sie vor meiner Brust und verbeugte mich ganz kurz, das wars schon. Ich lief weiter und bei der nächsten Runde, als ich an ihm vorbei kam, strahlte er mich an! Sein Lächeln gab mir einen Stich ins Herz.
Ich lief weiter, ohne irgendwie weiter drauf einzugehen, doch dann kam mir der Gedanke, den ich nicht loslassen wollte, denn er war schön. Ich dachte nämlich, genauso müßte es gehen im Alltag mit Miteinander, frei zu sein, leer zu sein von angefärbten Projektionen einem Menschen gegenüber, ihn einfach nur anschaun und wissen, stelle dich nicht über ihn, erweise ihm deinen ganzen Respekt, egal, wie er auftritt, wie er sich gibt, denn weiß ich etwas von ihm! Nein! Nichts, wir wissen nichts vom anderen! Und es zählt nur, dass er ein Mensch ist mit seiner Geschichte, die ihn in diesem einen Moment, wo man ihm begegnet, zu dem macht, wie er sich gibt.
Mir hat sie gut gefallen, diese kleine Erfahrung beim Laufen am heutigen Morgen und ich werde versuchen im Alltag wieder mehr drauf zu achten. Laufen, Zen und Meditation haben doch sehr viel miteinander gemeinsam! Einfach mal ausprobieren! Man sieht plötzlich wieder mit anderen Augen!