Die letzten zwei Tage bin ich eigentlich nur noch geradelt. Am Donnerstagmorgen bin ich von Lübeck aus, direkt hinter dem Holstentor auf den Elbe-Lübeck-Kanal gefahren. Die vorherigen Warnungen, einen so einsamen und rustikalen Weg alleine mit dem Fahrrad zu unternehmen, habe ich wie üblich in den Wind geschlagen und das war auch gut soAber was tatsächlich stimmt, man fährt im Prinzip 65 km immer geradeaus, links der Elbe-Kanal, ab und zu fahren dort ein paar kleine Motorboote, die ich locker mit meinem Rad überholt habe, ein kleiner Winker hier und da, ein paar nette Worte zugerufen. Die Boote fahren immer bis zur nächsten Schleuse, um dann dort auf die Weiterfahrt zu warten. Rechts des Weges wechselnde Landschaftsbilder, mal dichter Wald, mal weite Felder und Wiesen, absolut, wie immer idyllisch, romantisch, einsam, still, meditativ. Der Kanal sucht sich in kleinen Verschlingungen seinen Weg durch die Natur und es ist wie immer unglaublich schön, mit diesem Blick auf den Fluß dort entlang zu fahren.
Das Wetter ist sonnig, ab und zu kleine schwarze Wolken am Himmel und man bekommt jedesmal ein anderes Stimmungsgefühl beim Blick auf den Fluß in diesen unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Am schönsten ist es, wenn die Sonne mit ihren Strahlen kleine Lichter auf das Wasser zaubert, manchmal dachte ich, wie tausend Sterne die blinkend vom Himmel ins Wasser gefallen sind. Das Schilfrohr am Rand verneigt sich vom Wind dazu getrieben vor der Schöpfung. Das Geräusch des Windes in den vielen Silberpappeln am Rand ist flüsternd und zärtlich. Wie gesagt, auf dem ganzen Weg sind mir vielleicht mal 5 Radfahrer an diesem Morgen entgegengekommen. Unterbrochen von einer kleinen Pause in einem Cafe abseits des Kanals in Giesau, bei der ich Eva aus Hamburg kennenlerne, weil ich mich an ihren Tisch setze und wir sofort, unglaublich mal wieder, in ein sehr persönliches Gespräch kommen und die mich beim Abschied herzlich in den Arm nimmt und noch sagt, man trifft sich immer zweimal im Leben, na dann schaun wir mal, sag ich zu ihr, fahre ich bis Lauenburg, einem kleinen Städtchen bestehend aus Unter- und Oberstadt an der Elbe.
Die Oberstadt, in der ich zuerst ankomme, entsetzt mich ein bißchen, völlig öde und trist, Hochhäuser, Schnellfahrstraße durch den Ort. Aber als ich dann die kopfsteingepflasterte, stark abfallende Straße hinunter in die Altstadt komme, bin ich schon verzückt. Wunderschöne alte Fachwerkäuschen säumen die Straße, mal wieder ein Bild, wie aus einer vergangenen Welt. Lauenburgr ist im zweiten Weltkrieg weitgehend von der Zerstörung verschont geblieben, daher ist alles noch so schön erhalten. In der Nähe Lauenburgs befindet sich übrigens die älteste Schleuse Deutschlands, die Palmschleuse, an der ich am anderen Tag noch vorbeikommen werde. Der einzige unten in der Stadt, direkt an der Elbe liegende Gasthof hat ein Zimmer frei und so ging alles reibungslos über die Bühne. Nach einer Erfrischung auf meinem Zimmer setze ich mich auf die Terrasse, die direkt an der Elbe liegt und einen wunderschönen Blick auf die davor und dahinterliegende Landschaft bietet. Was soll ich eigentlich immer anderes sagen, als traumhaft, zauberhaft, wunderschön. Ich genieße meinen Cafe, erzähle am Nachbartisch mit einem Mann, der mit seiner Mutter einen Tagesausflug aus Hamburg macht und der mir mitteilt, dass er in den nächsten Tagen seinen Hausstand auflöst und in ein 18 m langes Segelboot ziehen wird, um damit von Ort zu Ort zu segeln. Auch klasse, oder!
Am späten Nachmittag bekomme ich einen Anruf von meinem Bruder, dass es der Mama nicht so gut ginge und so wird mein Entschluß gefestigt, am nächsten Morgen aufzubrechen und nach Hause zu fahren. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass es sowieso nicht schlecht ist, weil ich mich noch um so vieles kümmern muß, Pflegeantrag, Patientenverfügung usw.usw. und es ja auch nicht schlecht ist, zuhause noch ein bißchen anzukommen, bevor der Arbeitsalltag einen wieder gefangen hält.
So fahre ich am Samstagmorgen o8.oo Uhr von Lauenburg los, allerdings hatte sich die am Vortag angekündigte Magen-Darm-Verstimmung manifestiert und ich fühlte mich ziemlich schlapp, der Schädel brummte und leichte Schweißausbrüche zeigten sich an meinem Körper. Nun, was solls, ich konnte es jetzt auch nicht ändern. Ändern hätte ich den Weg gekonnt, aber da ich unbedingt durch das vom Führer als wunderschöne bezeichnete 1o km lange Wäldchen fahren möchte, bevor ich wieder an der Elbe vorbeikomme, muß ich halt ein bißchen leiden. Denn Die Wege sind unglaublich rustikal mit großen Steigungen, manchmal stehe ich nur auf der Bremse und versuche das Rad zu halten, damit es mir auf dem steineübersääten Boden nicht wegrutscht.
Das Anfahren der Steigungen kostet mich enorme Kraft und so ungefähr mitten drin blockiert etwas meine Kette. Ach du sch... denke ich, jetzt stehste hier in der Pampa und das am letzten Tag. Nach langem Untersuchen finde ich das Übel, ein kleiner Baumzweig hat sich unter meinem Kettenschutz festgesetzt und blockierte das weitere Drehen. So war der Fehler gott sei dank schnell behoben und anscheinend hat der Gedanke, dass ich die nächsten 5 km hätte schiebend durch den Wald laufen müssen, meine Kräfte wieder mobilisiert und ich komme die letzten Kilometer gut voran. Immer wieder laufen Eichhörnchen über den Weg, Spechte klopfen an die Bäume und einmal sehe ich sogar ein Reh, ich glaube jedenfalls, dass es eins war. Also ihr könnt euch vorstellen, wie ruhig es war.
Zwischendurch mache ich Rast um eine Cola zu trinken, soll ja gegen Durchfall helfen. Die letzten Kilometer bis Hamburg überkommt mich doch ziemliche Wehmut, das jetzt alles hinter mich zu lassen. Die Tage sind wie im Flug vergangen, ich kann zurückschauen auf wunderbare Zeiten mit mir allein und noch schönere Tage mit lieben Menschen, die ich kennenlernen durfte und ich hoffe, dass diese Verbindungen auch über den Urlaub hinaus bestehen bleiben, jedenfalls ist das mein Wunsch. Die Reise mit dem Rad hat mich ja nicht nur ein Stück durch unser Deutschland geführt sondern es war auch eine Reise zu mir selber.
Unterwegs kommen Gedanken, Wünsche und Sehnsüchte endlich mal heraus, die im Alltag immer wieder unterdrückt werden, weil keine Zeit bleibt, es zu leben. Ich hab mich selber ein Stück mehr erkannt. Das Alleinsein empfand ich als absolute Bereicherung. Wer wirklich allein mit sich selber klar kommt, kann auch gut in Gemeinschaft leben, weil man lernt, mit sich selber zufrieden zu sein und keine Erwartungen an den anderen zu haben. Ich denke, mein Selbstbewußtsein ist auf diesem Weg ein großes Stück gewachsen, insofern war es auch eine gute Vorbereitung auf noch größere Touren, die ich auf jeden Fall in den nächsten Jahren unternehmen werde. Gerne würd ich auch andere Teile Deutschlands auf diesem Wege kennenlernen. Nichts lernt man so gut wie wenn man es praktisch tut. In Erwägung ziehe ich z.B. mal den ganzen Rhein rauf und runter zu fahren oder die Donau, das Weserbergland, ach es gibt ja so vieles zu entdecken in unserem schönen Lande. Ich muß sagen, ich war immer wieder erstaunt, wenn mir Menschen unterwegs den Respekt davor zollten, dass ich so allein unterwegs war.
Mir ist das eigentlich gar nicht so merkwürdig vorgekommen, ich hab das gar nicht als schwer oder riskant erlebt. Man setzt sich aufs Rad und fährt los, so einfach ist das. Man muß nur einen Anfang finden und der Entschluß dazu kam ja auch relativ spontan. Viele meinten auch, dass ist doch kein Urlaub, solche Mordsstrecken am Tag zurückzulegen, aber auch hier muß ich sagen, dass ich da ein Stück zu mir selber gefunden habe. Ich weiß, dass ich das im Alltag immer sehr vermisse. Ich hab mir selber gegenüber bestätigen können, ich bin ein absoluter Bewegungsfan, nur in der Bewegung kann ich meine Anspannungen, Sorgen und Nöte loslassen und mich befreien und einen klaren Kopf bekommen. Das muß nicht unbedingt das Fahrrad sein, ich könnte auch gut zu Fuß gehen. Hauptsache draußen in der Natur und Bewegung.
Mit all diesen Gedanken fahre ich in Hamburg gegen 13.3o Uhr ein. Großstadt! Lärm! Menschenmassen, schon allein deswegen, weil an diesem Tag ein Radturnier quer durch die Stadt geht. Ich komme mir vor, als wenn ich von einem anderen Stern in eine Welt gefallen wäre, die mir fremd geworden ist. So fahre ich mit dem Rad bis zum Hauptbahnhof und da mir unterwegs der Ständer abgebrochen ist, kann ich es nicht draußen stehen lassen, sondern muß es mit in die Reiseinformation hineinnehmen. Der Ordner schaut ein bißchen böse, aber ich erkläre ihm und er verspricht mir, auf mein Rad aufzupassen. Meine Idee war, nachzufragen, wann der nächste Zug am anderen Tag nach Köln fährt und dann noch eine Nacht in Hamburg zu bleiben. Als er aber dann sagt, der nächste Zug führe um 14.36 Uhr von Hamburg nach Köln entschließe ich mich spontan dazu, direkt zu fahren, so wie ich bin, nach der langen Tour am Morgen.
Da ich nicht reserviert hatte, kann man immer nur von einem auf den anderen Tag, meinte der Beamte, es könnte schwierig werden mit dem Rad, aber ich könnte es ja versuchen und wenn es nicht klappt, zurückkommen und das Ticket eintauschen für den morgigen Tag. So spurte ich auf das für mich bestimmte Gleis, warte noch eine halbe Stunde, bevor der Zug einfährt. Einige Reisende mit den Rädern stehen bei mir und es ist ein absolutes Chaos beim Einsteigen. Räder, die Reservierungen hatten, finden ihre Plätze nicht, Räder, die keine Reservierungen hatten, so wie meines, werden mit Hilfe von schon anwesenden Radfahrern über die anderen hinübergehoben und irgendwie untergebracht. Chaos perfekt, aber irgendwie cool. Als dann alles verstaut war, werfe ich meine Packtaschen zwischen die Räder und versuche mir einen Platz in dem Abteil zu sichern. Leider vergeblich, alles komplett ausgelastet. Im hinteren Teil sitzt eine Junggesellenabschiedsfeier-Truppe, die die letzten zwei Tage in Hamburg durchgemacht haben, da lass ich mich mit meinem Rucksack auf dem Boden nieder und lasse mich erstmalig an diesem Morgen fallen. Die Jungs sind echt nett, wie sich auf weiterer Fahrt herausstellt, sind alle schon verheiratet bis auf den zu verabschiedenen Junggesellen und nach einer Stunde bieten sie mir einen Platz an. So wird die Fahrt nach Hause sehr kurzweilig, denn wir lachen viel miteinander. Sie konnten es wohl auch nicht fassen, dass ich so lange allein unterwegs war. Übrigens kamen sie ganz aus meiner Eifelnähe, nämlich aus Mayen.
So komme ich gegen 19.oo Uhr im Kölner Hauptbahnhof an, leichter Nieselregen empfängt mich und ich fahre den gewohnten Weg nach Hause. In Nippes empfängt mich eine Menschenwanderung, denn es ist Nippes-Nacht, kulturrelles Musik- und Lesungsprogramm. Mein Mann ist nicht zuhause, ich falle unter die Dusche und beschließe mich mal in Nippes wieder einzufinden. Irgendwann finde ich Mann und Freund und wir haben erstaunlicherweise noch einen wunderschönen Abend im Rosenroter Stammlokal mit Musik aus den Siebzigern. Ich bin fit und kann noch hopsen und springen und ja, eigentlich ist es auch schön, wieder zuhause zu sein. Aber der Katzenjammer kommt ja bekanntlich erst am nächsten Morgen.
In diesem Sinne kann ich nur jedem empfehlen, macht es mal, setzt Euch aufs Rad oder geht zu Fuß, wie auch immer, lernt Deutschland mal aus einer ganz anderen Perspektive kennen. Ach ja, übrigens der ganze Urlaub, genau 16 Tage hat mich insgesamt 9oo,--? gekostet, wo kann man für so wenig Geld so viel erleben? Ich danke in diesem Zusammenhang all den lieben Menschen, die mich einfach und vorurteilsfrei aufgenommen haben, Sabine, Horst, Jens, Youssof, Ismael , Karim, Musa, Christiane und Joachim und mit denen ich schöne Stunden verbracht habe. Möge die Freude, die ihr mir gegeben habt auf Euch zurückfallen, ich hab Euch lieb!