Ich schreibe einfach gern:)
Das Frühstück am Morgen versöhnt mich mit der Mücken-Nacht. Ich sitze im Metzgerladen hinter der Theke und es ist wahrlich reichhaltig, kann ich gar nicht alles essen, zwei Eier, wer ist schon zwei Eier am Morgen. Abschied und los geht es. Meine Fahrt führt mich über Schönwalde nach Neustadt, denn ich hab kurzer Hand beschlossen, doch noch einmal an die Ostseeküste zu fahren und ich muß sagen, ich hab es nicht bereut. Schon als ich den Berg herunterfahre und an den Hafen komme bietet sich mir nach einiger Zeit ein wunderbarer Blick auf die Ostsee mit herrlich strahlender Sonne und ich kann mich nicht wehren, als ein Schrei aus meinem Munde erklingt, so schön ist das. Juchhu!
Der Weg führt direkt an der Küste entlang, an vielen kleinen touristischen Orten, wie Timmendorfer Strand, die natürlich alle sehr touristisch sind, aber es ist in Ordnung. Mein Blick bleibt nur an der Ostsee haften, auf denen ich manchmal kleine Segelboote dahinschippern sehe, manchmal auch einen einzelnen Surfer. Dann sehe ich eine alte Holzbrücke und denke, mensch, war das nicht die Brücke, auf der ich damals als Kind spazieren gegangen war und unter mir die Fische beobachtet hatte, was mir merkwürdigerweise immer im Kopf und im Herzen geblieben ist.
Da mir das Stimmengewirr von außen zu viel wird, setze ich meinen I-Pod dazu auf und untermale mir den schönen Blick mit Musik von Coldplay und Leonhardt Cohen. Ich bin wirklich verträumt an diesem Morgen. Meine Fahrt geht bis Niendorf, Travermünde und von dort dann wieder ins Inland zurück Richtung Lübeck. Die Sonne wechselt sich unterwegs mit schwarzen Wolken ab und es ist zu schön zu sehen, wie die Landschaft sich unterschiedlich in Hell und Dunkel verwandelt. Auch das letzte Stück vor Lübeck fahre ich ca. 10 km lang durch einen absolut einsamen Wald, bis ich dann die Lübecker Stadtgrenze erreiche.
Mein Tacho zeigt 70 km an, mal wieder ein paar kleine Irrungen und Wirrungen dazwischen gewesen. Ich muß mit dem Shuttle-Bus durch einen Tunnel, da man als Radfahrer dort nicht fahren darf. Dann noch mal 5 km und ich bin im Zentrum und auch ein wenig geschafft. Das erste Hotel hinter der Burgmauer ist meines, witzigerweise nennt es sich "Schwarzwaldhotel" und ich bekomme auch ein Zimmer zu einem annehmbaren Preis, der für Lübeck in Ordnung ist. Ich lass mich erst mal aufs Bett fallen und fühle mich sehr wohl in dem Zimmerchen. Lübeck, du hast mich jetzt eineinhalb Tage. Heute mache ich erstmal einen kleinen Stadtrundgang, trinke am Abend in einer kleinen Jazz-Bar mit netten Leuten und kleinen Smal-Talks meine zwei Pinot-Grigio und bin glücklich.
Am Morgen bleibe ich den ersten Tag einmal bis 08.00 Uhr im Bett. Mein Körper meldet sich ein bißchen, aber vielleicht ist es ja auch ein bißchen Wehmut, denn Lübeck ist ja mit einer meiner letzten Etappen. Es bleiben noch Mölln und Lauenburg. Ich war schneller als eingeplant, trotz zweitätgier Pause in Preetz und in Kiel. Außerdem rufen mich die Sorgen um zuhause und ich denke, es ist ganz gut, noch zwei drei Tage in Köln wieder zu mir zu finden.
Aber jetzt folgt erstmal Frühstück und dann mache ich mich mit Stadtplan bewaffnet auf. Zuerst natürlich das Günther-Grass-Haus. Unterwegs entdecke ich noch einmal ein kleines Kleinod, ansolut nett, nämlich wirklich noch eine "alte Drogerie" im alten Stil, sozusagen eher ein Gemischtwarenladen. Ich gehe rein und werde überfallen von Düften nach Veilchenwasser, Tosca und Speickseife. Klammerlieseln, Kämme, Haarklammern, Türvorleger, Badelatschen, alles quer durcheinander. Vor dem Laden ein großes Werbeschild" 4711 eau de cologne", ich schmunzele. Auch einen der schönen "Wandelgänge" entdecke ich nochmal, die mir Betrachter schon beim ersten Mal hingebungsvoll gezeigt hat, und ich bin wiedermal verzückt. Es sind kleine Hausdurchgänge, sehr schmal, man darf nicht groß sein, die in kleine ebenso schmale Hinterhöfe führen, die unglaublich liebevoll, gleich einer Oase in hektischer Umgebung, gestaltet sind. Einfach traumhaft! Eine schöne Wohnkultur, man spürt, dass die Menschen hier gerne leben.
Aber jetzt ab ins Grass-Haus, das vom Freundeskreis "Günther Grass - Forum für Literatur und Bildende Kunst - gegründet wird. Grass hat im oberen Stockwerk sein Sekretariat und ist wohl auch zu Zeiten hier anwesend. Das Forum selbst hat sich dem Thema "Vielfachbegabungen" von Künstlern gewidmet, darunter eben auch Günther Grass. Auch eine Sonderausstellung Goethes hat es schon gegeben. Ich bin wirklich beeindruckt von der Kreativität Grass, dessen Vielseitigkeit bisher an mir vorbeigegangen ist. Natürlich kannte ich seine Zeichnungen, aber nicht die ausdrucksstarken Bildhauereien in Form von Skulpturen und seine Aquarellmalereien.
Sehr interessant noch einmal die Diskussionen zu verfolgen, die im letzten Jahr durch das Geständnis von Grass zu seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS entstanden sind und der damit verbundene Aufschrei in der Presse und die hämischen Stellungnahmen einiger Kollegen. Ich muß sagen, ich selber hatte nie ein Problem damit, denn wer Grass-Bücher gelesen hat, wird wohl kaum verneinen können, dass sie immmer auch von den Tagen erzählten, da er noch glühender Verehrer der Nazis gewesen war.
Die Frage, warum sich ein Mensch so spät in die Jahre gekommen, darauf besinnt, sich zu outen, ist mir nie gekommen. Mir wird immer klarer, je älter man wird, um so mehr möchte man sein Leben in Ordnung bringen und geklärt wissen. Es ist für mich nie eine Frage des "Wanns" gewesen sondern es geht doch um das "überhaupt"! Die Häme gegenüber einem Menschen, der sich schriftstellerisch, künstlerrisch und politisch einen großen Namen gemacht hat, fand ich damals sehr entwürdigend und war für mich wieder mal ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, des Menschen an sich. Du kannst Einsichten haben, dich bekehren, ein gutes Leben führen, aber sobald man einen schwarzen Flecken findet, wird der Stein geworfen. Aber wie heißt es so schön:"Wer frei ist von Sünde, der werfe den ersten Stein..."! Meine Devise ist immer, soll jeder doch vor seiner eigenen Haustüre kehren, auf seine eigenen Leichen schauen und nicht die der anderen suchen. Einem Menschen, der mit 17 Jahren nicht durchschaut hat, was ist, der ebenso wie andere der Verblendung zum Opfer gefallen ist, der verdrängt hat, dafür dann zu verurteilen, ja was soll man dazu noch sagen. Der Mensch greift zur Verdrängung, wo der Schmerz und die Scham über das Gelebte oder Erlebte zu groß ist.
Wie sagte Nietzsche einst:" Das habe ich getan, sagt mein Gedächtnis. Das kann ich nicht getan haben, sagt mein Stolz"! Wobei wir zum Thema kommen könnten, warum Stolz in der kath. Kirche einer der sieben Todsünden ist. Wer sich selbst nicht kennt und seine eigenen Defizite nicht anschauen will, kann sich nicht bekehren, wird immer Verurteiler bleiben, so ist das nun einmal. Nur der, der seine eigenen Schatten sieht, kann versöhnlich und urteilsfrei mit anderen umgehen.
Grass hat übrigens sehr gut auf die ihm entgegengebrachte Häme reagiert, in dem er es in seinem lyrischen Band "Der dumme August" auf- und verarbeitet hat. Wer die Wahrheit über dich selbst sagt, bleibt am Ende der Dumme in den Augen der anderen.
So, jetzt gab es erstmal einen Espresso, bevor ich ins Buddenbrooks-Haus ging. Ich muß in diesem Moment gestehen, mit Schamesröte als Buchhändlerin, dass ich den Roman "Die Buddenbrooks" bis heute nicht gelesen habe, aber das werde ich jetzt sofort zuhause nachholen.
Von der Geschichte der Familie Mann bin ich mal wieder absolut beeindruckt, die ich am Anfang der Ausstellung biographisch verfolgen kann. Der Vater Hanseate, die Mutter Brasilianerin hat das Leben der beiden Brüder mit zwei verschiedenen Welten beeinflußt und sie geprägt. In der ersten Etage dann auch die Ausstellung, die sich auf den Roman "Der Untertan" bezieht.. Diejenigen, die es gelesen haben werden wahrscheinlich genau so wie ich fasziniert gewesen sein über die Entwicklung eines Menschen in den Zeiten des Deutschen Kaiserreichs. Dieser Untertanen-Geist, der in so vielen Menschen lebt und webt, und der ja dann im späteren Nationalsozialismus dazu geführt hat, dass es so weit kommen konnte. Der Mensch, der von Kindesbeinen an dazu dressiert wird, absolut gehorsam, zu glauben und zu fressen, was man ihm vorsetzt. Nach außen hin eine immer härter werdende Stärke zeigt, im tiefen Inneren aber selber verletzlich sein, einer der nach oben strebt, aber nach unten hin ausschlägt. Da erscheinen einem z.B. die Geschwister-Scholl wie Diamanten in einer solchen Welt, die unter Gefahr ihres eigenen Lebens, sich aufgelehnt und den Mund nicht gehalten habe. Noch vor kurzem habe ich den autobiographischen Film gesehen, der mich sehr beeindruckt hat.
Die Ausstellung zeigt im übrigen auch den hervorragenden Film von Wolfgang Staudte "Der Untertan", den er 1951 für die DEFA machte. Der Film war dann damals Anlaß für einen Widerstreit zwischen Ost und West. Im Osten wurde er gefeiert, im Westen wurde er Opfer der Filmzensur. Staudte ging es in dem Film gerade auch um den psychologischen Ursprung des Faschismus. Klasse Film! So kann man sich in der Ausstellung intensivst gerade auch mit dem zeitlosen Thema nach dem Verhältnis zwischen Individium und Institution, Bürger und Staat, auseinandersetzen. Gerade jetzt so wichtig, wo immer deutlicher wird, dass die Demoktratie bröckelt und wir nicht wissen, wohin es führen wird.
So, jetzt erstmal den Magen beschäftigen, denn der knurrt jetzt erheblich. Danach nehme ich noch an einer Führung des Lübecker-Rathauses teil, die sehr interessant und informativ gehalten wird. Heute noch hat der Bürgermeister und die Bürgerschaft dort noch ihren Versammlungsort. Das Gebäude an sich ist schon sehr majestätisch, wie es da so auf einem Arkadendurchgang aus Kreuzrippengewölbe ruht, unter denen in früheren Zeiten Goldschmiede ihre Bunden hatten und wo die Ratswaage stand. Man sieht Bilder im Haus, die Szenen der Stadtgründung zeigen, die Ausstattung schwankt zwischen Spätbarock und Rokoko. Ein Besuch des Rathauses lohnt sich allein schon wegen der beeindruckenden Tür, die in den Rechtssaal führt, denn sie hat zwei Ein- oder Ausgänge, wie man es nimmt. Ging man aufrechten Hauptes hinein und wurde freigesprochen, kam man auch aufrechten Hauptes wieder hinaus. War man schuldig gesprochen, mußte man sich gebückt durch den anderen, niedrigeren Teil der Türe davonschleichen.
Insgesamt ist Lübeck für mich ein Gesamtkunstwerk, liebevoll restauriert, vor allem auch das Holstentor, aber das hab ich glaube ich, an anderer Stelle schon geschrieben. Das Geld fließt im übrigen auch aus großen Stiftungen, sonst wäre das nicht möglich. Lübeck gehörte zu früheren Zeit zu den fünf bedeutentsten Hanse-Städten Europas. Zu recht ist es Weltkulturerbe.
Ach ja, natürlich war ich auch im Marzipanmuseum, hm, lecker, lecker, die Geruchs- und Geschmackssinne kamen voll auf ihre Kosten. Und, ob ihr es glauben wollt oder nicht, am Abend war ich dann noch im Kino, denn ich fand das Filmhaus einfach so schön, nette Leute, nette Athmosphäre, so dass ich mir das als Cineast nicht entgehen lassen konnte.
Das wars dann aber auch. In der Hotelbar gab es noch zwei Bierchen und dann fiel ich ins Bett. Am anderen Morgen hieß es, Abschied nehmen von Lübeck!