Um 7.oo Uhr bin ich wie immer losgefahren. Ausgangspunkt ist die Kirche am Marktplatz in Norttorf. Dort ist heute morgen schon Markt. Sehr schön übrigens. Alles aus eigenem Anbau von Bauern aus der Region, viel Bioland ist vertreten. Überhaupt scheint es hier ein bevorzugtes Anbaugebiet für Bioland und demeter zu sein. Ich decke mich mit meiner Tagesration Bananen ein. Eine kleine Bäckerei, keine blöde Kette, lädt mich zum Frühstück ein. Es gibt super Brötchen, bestimmt noch von Hand gemacht und anders schmeckend, als die Dinger, die man in den Ketten bekommt und nicht weiß, wieviel Brötchen überhaupt noch drin ist. Die Bäckersfrau spricht plattdütsch, ist super nett, schmiert mir sogar die Brötchen und es gibt einen prima Tee dazu. Dabei erzählt sie mir von ihrer Tochter, die gerade auf Rucksacktour durch Ostpreußen, genauer gesagt, durch Masuren ist. Ein bißchen Angst habe sie schon, dass ihr was passieren könne. Sie sei ja mal bei einer Reise beklaut worden, und zwar in Köln, am Hauptbahnhof. Das ist nichts Ungewöhnliches, erkläre ich ihr, am Bahnhof und im Innenstadtbereich in Köln lauern die Diebe überall. Aber hier in Schlewig habe ich bisher nur gute Erfahrung gemacht, Man kann sein Fahrrad unabgeschlossen und unbeobachtet stehen lassen. Ich hoffe es bleibt so.
Ich packe meine Sachen und weiter gehts. Der Weg führt gleich wieder in ein schönes Waldgebiet hinein. Natur pur. Dort geht es ca. 7 km Richtung Bordesholm. Unglaublich viele Schnecken kriechen über den Radweg. Ich muß aufpassen, sie nicht zu überfahren. Einmal passiert es doch und es tut mir wirklich im Herzen weh. Ich kann so was nicht gut vertragen. In Bordesholm will ich eigentlich zum Eiszeitmuseum, muß aber feststellen, dass es nicht mehr vor Ort ist. Später hab ich mir sagen lassen, dass es jetzt in Lützenberg ausgelagert wurde.
Meine 4 Buchstaben machen mir heute wieder große Beschwer. Da kann man wohl nix dran ändern. Ich fahre durch eine Chaussee, rechts und links neben mir steht der Sanddorn in Blüte, Holunder, Schafgarbe sowie immer noch wilde Kamille. Sogar Klee, weißer und riter, blüht noch. Auh Königskerzen geben sich die Ehre und der Duft von allem betört meine Sinne. Die Felder sind mittlerweile alle abgemäht. Der Meisstengel stehen noch, abder die Kolben sind eingebracht. Die Bauern pflügen und düngen die Felder, ein emsiges Hin- und Her. Der typische Dünge-Land-Geruch hüllt mich ein. Auf einem feld sitzen unglaublich viele weiße Tauben, hab ich so noch nie gesehen. Sie sehen wunderschön aus. Die Krähen hocken ebenfalls zu Schaaren auf den Feldern und ihr Krächzen erinnert mich wehmütig an den Herbst, der Einzug halten will, obwohl Sommer noch nicht richtig zu sehen war. Das stimmt auch überein, wenn ich meinen Blick auf Bäume und Büsche richte, denn da kündigen sich schon die Blüten der Hagebutten, die ich liebe, an.
Im Dörfchen Bissee angekommen, bin ich sehr überrascht von den parachtvollen, hübschen und malerischen Häusern, alles sauber, klein und fein, wie immer, wie aus einer anderen Welt. Aber es gibt eine Besonderheit. Denn in jedem Vorgarten stehen Skulpturen und Kunstwerke, die mich sehr beeindrucken. Wer ein Herz für Kunst hat, hat auch ein Herz für den Menschen und das leben an sich, denn Kunst erzählt ja von nichts anderem und will es ausdrücken, was oft nicht auszusprechen ist.
In Bissee soll nun eigentlich ein Weg abzweigen, der rustikal, einsam und verlassen durch den Wald auf Schotterwegen zu einem alten Gutshaus führen soll. An der beschriebenen Stelle finde ich aber nichts. Dafür stehen dort zwei Skulpturen, die sich als kämpfende Krieger darstellen. Sonst steht da nur ein Schild "Privatweg". Daher kehre ich um und fahre Richtung Groß Buchwald. Schöner Weg, viel Maisfelder, immer wieder Scharen von Vögeln, die sich anscheinend schon auf den Flug Richtung Süden vorbereiten. Es ist hügelig hier in der holsteinischen Schweiz, daher bin ich nach weiteren 4 km ganz schön aus der Puste, denn mittlerweile brennt die Sonne wieder heftig, was am Morgen noch nicht abzusehen war. Nun, was soll ich sagen, in Buchwald angekommen, muß ich erkennen, dass es mal wieder die falsche Richtung war, denn hier zweigt auch kein Weg Richtung Gut Bothkamp ab. Einen Bauern nach dem Weg fragend erfahre ich, dass ich wieder zurück nach Bissee muß. Ehrlich, noch bin ich ja gut drauf und daher jauchze ich und rufe juchhu, dann mal los. Also wieder hoch. Dort nachfragend sagt mir ein Bauer, doch, das ist der richtige Weg, wo das Schild "Privatweg" steht. Sie müssen an den kämpfenden Kriegern vorbei. Ich fasse es nicht! Wieso schreiben die denn Privatweg dran. Wer soll das denn wissen? Ich schaue die Krieger an und sag ihnen, o.k., ihr seid ein zeichen für mich, ich kämpfe auch,jetzt hier, um den richtigen Weg zu finden. Muß ich im Alltag ja auch immer wieder kämpfen, um alles und für alles. heiße schließlich ja auch Erika, was im Nordischen von Erik stammt und nichts anderes wie "Kämpfer" heißt.
Nun denn, der Routenplaner hat nicht zu viel versprochen. Was da als rustikaler Weg beschrieben wurde, ist fahrtechnisch eine Katasthrope, jedenfalls mit meinem Drahtesel, aber landschaftlich mal wieder ein Zauber. Ich schlingere mit meinem Drahtesel, mehr als dass ich fahre über Steine, Löcher im Boden, Hubbel und denke, das ist jetzt eher was für ein Crossrad oder Bike. Der Weg zieht sich, plötzlich treffe ich auf eine sandige Stelle, merke es zu spät, rutsche weg und liege samt Rucksack halb im Graben. Ich muß lachen, ehrlich, juchhu, es macht mit trotz allem Spaß. Linker Hand sehe ich den Bothkamper See liegen, fahre holpernd und stolpernd weiter und komme endlich nach ca. 3 km an dem Guthaus an. Jetzt kommt aber der absolute Knaller, ein Oberhammer. Der weiterführende, noch schmalere Weg ist vom Forstamt gesperrt. Ich bin total fertig. Ich stehe in dieser absoluten Wildnis entfernt von jeglicher Zivilisation und Menschen mit meinem Rad und komme nicht weiter. Was für ein Spaß! Tja, wat willste machen, Röschen, denke ich, da mußte wieder um. Gesagt, getan, dieselbe Knaller-Strecke wieder um, diesmal bergauf. Oben angekommen, schaut mich der Typ vom Gehöft nun doch etwas merkwürdig an, denn das ist jetzt das dritte Mal, dass ich an ihm vorbeiziehe. Ich zeige den Kriegern meine Faust und sage innerlich, ha, ich geb nicht auf.
Anscheinend will das Schicksal mich nun versöhnen, denn aus der entgegengesetzten perspektive entdecke ich ein versteckt liegendes, wunderschönes Antik-Cafe. Ich kehre ein und falle total erledigt auf einen Stuhl, starre vor mich hin und höre plötzlich Musik. Ja, ist es denn wahr, denke ich. Die spielen doch tatsächlich Jack Johnson. Sofort richte ich mich wieder auf, lausche der Musik und fange an, mich zu entspannen. Bei der Gelegenheit beschließe ich, nun auch was zu essen, was auch gut ist, was sich aber erst später heraustellen wird. Nach 1 Stunde Rast muß ich dann leider einen anderen Weg nach Preetz suchen, gelange dabei auf der normal befahrenen Landstraße, was absolut tragisch ist. Die Steigungen, die Lkws, die hier vorbeirasen, der Staub, die Hitze fordern von mir das letzte.
Mittlerweile weiß ich wirklich nicht mehr, wie ich meinen Hintern noch auf dem Sattel halten soll, mehr stehend bewege ich mich weiter for. In diesem Moment muß ich daran denken, dass mal jemand, ich glaube Böll hieß der, zum Jan Ulrich während der Tour de france gesagt hat:" Quäl dich, du Sau"!, Röschen, denke ich, das gilt jetzt auch für dich. Kannst eh nix anderes machen, hier ist ja niemand auf weiter Flur.
Endlich kommt das erste Schild Preetz und ich falle um, 17 km noch. Ich glaub, ich hab einen Sonnenstich. Und da ist mir klar, dass es wenigstens gut war, vorher was gegessen zu haben, denn sonst wär nix mehr gegangen. Die Zunge klebt, Wasser ist nicht mehr viel da, ich muß haushalten. Hört sich an, als wenn ich in der Wüste war, aber so ähnlich hab ich das empfunden. Nach geschlagenen 6 km kommt ein Schild Richtung Barmissen, rechts ab. Ich bin so was von erleichtert von dieser Straße wegzukommen, dass kann sich niemand vorstellen. So finde ich auch meine ursprüngliche Route wieder. Es geht noch 1o km hügelig, bergauf, bergrunter, und ich kämpfe mich weiter durch. Unterwegs bitte ich eine Frau, mir meine Wasserfalsche aufzufüllen und bald habe ich es geschafft und erreiche Preetz, die Schusterstadt. Hier blühte im 18. und 19. Jahrhundert das Schusterhandwerk, eine Skulptur, die ich später entdecke und ein Heimatmuseum erinnern daran.
Ich wanke mehr recht als schlecht in die Touristeninformation, um dort zu erfahren, dass es kein Zimmer mehr gibt. Juchhu, das wars dann wohl. Was tun, sprach Zeus mal wieder. Ich rufe noch weiter einen Gasthof an, die sich zwar sehr bemühen, mir aber leider nicht helfen können.
Also fahre ich zum Kirchplatz. Dort liegt ein Altenheim und mir kommt die Idee, einfach dort mal nachzufragen. Eine Frau im Rollstuhl meint, ja klar, da ist doch unten noch ein Gästezimmer frei. Ich schöpfe Hoffnung, aber der Wärter des Heimes zeigt sich gnadenlos. Hätte ich mich ja früher drum kümmern können, meint er. Ich ruf ihm hinterher, sie sind aber hartherzig, wenn das mal nicht auf sie zurückkommt und mache kehrt.
Dann fahre ich zum Amt für Diakonie. Die werden sich doch wohl christlich nächstenliebend erbarmen, denke ich. Ich staune nicht schlecht, die Tür ist offen, aber niemand ist da. Alles steht offen rum, Computer, Drucker, Faß-Gerät, Kücheneinrichtungsgegenstände, aber niemand zu sehen. Nach einer halben Stunde geb ich auf, denn die zeit läuft mir davon.
Es ist 18.oo Uhr. Ich fahre zurück zur Kirche und lasse mich auf die Stufen fallen, bin ratlos. Während ich so vor mich hinträume und ich mich schon in Gedanken in der Kirche oder auf der Straße nächtigen sehe, kommt eine Frau aus der Kirche. Na sagt sie zu mir, sie sehen aber fertig aus. Jau, sag ich, bin ich auch und erkläre ihr meine Not. Gehen sie mal zu meinem Mann ins Internetcafe, sagt sie. Mach ich auch gleich, da schaun wir uns nochmal alle Möglichkeiten an, aber außer einer Jugendherberge 15 km entfernt gelegen, geht gar nix. Dat schaff ich heut nicht mehr, sag ich ihm. Die Frau kommt wieder und gibt mir eine Nummer von einer Frau, die früher einmal Gäste aufgenommen hat. Ich rufe gleich an und hätte sie am liebsten küssen können. Und was soll ich sagen, die Frau am andren Ende sagt mir, sie habe zwar alles vermietet, aber sie sei selber Radlerin und könne mich verstehen, daher biete sie mir ein ausgedientes Kinderzimmer im keller an. Ich greife nach diesem Strohhalm und fahre sofort hin. Es ist sogar nur um die Ecke, der Wahnsinn. Sie sind ein Engel, sag ich ihr zur Begrüßung, ein richtiger Engel und darang glaube ich Moment zutiefst. So kann es gehen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Das Zimmer ist klasse, das Haus liegt am See, einfach nur schön, nur schön. Sie heißt Sabine, wir verstehen uns auf Anhieb. Ich nehme eine Dusche, bin wieder relativ fit und gehe noch einmal in die Stadt hinein. Ein Weinchen muß jetzt her. Aber wo? Zwei Ftauen kommen mir entgegen. Ich frage sie einfach, wo man am besten hingeht und da sagen sie mir, ich solle am besten gleich mitkommen. Und nach 5 Minuten befinde ich mich in einem schönen Biergarten, kühl, zwischen einer netten Gruppe von leuten, die mich freundlich in ihrer Mitte aufnehmen. Wer sagt eigentlich, dass die Schleswiger wortkarg seien. Kann ich nicht bestätigen. Ein Fahrradhändler gesellt sich zu mir, es entwickelt sich ein interessantes Gespräch und was soll ich sagen, ich entscheide in diesem Moment, am nächsten Tag noch zu bleiben, wie Sabine mir schon angeboten hat. Das Städtchen gefällt mir nämlich außerordentlich und außerdem lädt mich der freundliche Fahrradhändler am nächsten Tag zu einem fest ein. Nach zwei Weinchen begebe ich mich in mein Zuhause. Wie schnell man sich Zuhause fühlt! Gute Nacht, sage ich zu Sabine, die mich noch zum Frühstück am nächsten Morgen einlädt, falle in mein Bett und lese noch zwei Seiten in meinem Buch und dann bin ich im