Das Aufwachen im Häusle von Sabine ist herrlich, denn von oben dringt frischer Kaffeeduft in mein Zimmer und ich beeile mich, denn mein Magen knurrt schon wieder.
Sabine hat den Tisch fürstlich gedeckt, ich brauche mich nur zu setzen und lange mit großem Appetit zu. Ich schaue mich verstohlen ein wenig um und stelle fest, hier wird viel gelesen, so daß wir sogleich auf mein Lieblingsthema "Bücher" zu sprechen kommen. Aber schon bald erzählt mir Sabine, wie ihr Leben so verlaufen ist. Ihr Mann sei momentan in Hamburg, hütet die Wohnung des Sohnes, der dort Jugendpfarrer ist und mit seiner Familie verreist ist. Er hat bis zur Pensionierung als Lehrer gearbeitet, beide haben früh geheiratet. Sabine war Katholikin, ist aber dann zum Protestantismus übergelaufen, will sagen konvertiert. Sie hat sich in der katholischen Kirche nicht zuhause gefühlt, gerade zu einer Zeit, als Frauen in den Sechzigern frei und selbstbestimmt, z.B., was die Familienplanung anging, leben wollten. Sabine ist Sportlerin durch und durch, auch heute mit 64 Jahren betreibt sie unglaubliche sportliche Aktivitäten, wie sie mir erzählt. In dem morgendlichen Gespräch entsteht sehr schnell eine Nähe, über die ich mich sehr freue.
Das Wetter ist sonnig und sie lädt mich zum Nachmittag zum Schwimmen in den Stadtsee, den Postsee, ein.
Aber zuerst mache ich einen Rundgang durch die Stadt, trinke meinen obligatorischen Espresso und erfahre von der Cafebesitzerin das Preetz auch das "Tor zur Holsteinischen Schweiz" genannt wird. Der Ort wird übrigens von drei Seen umgeben. Das Preetz auch Schusterstadt genannt wird, hatte ich ja in meinem vorigen Bericht schon geschrieben. Insgesamt ist Preetz touristisch sehr erschlossen und erfreut sich großer Besucherzahl. Ich zahle, mache mich auf, um meinen am Vorabend kennengelernten Fahrradhändler zu besuchen, erfahre seine Gastfreundschaft in allen Facetten, denn er repariert kleinere Schäden an meinem Drahtesel in seiner Mittagspause, während ich in seinem Büro am Compi sitzen darf. Danach unternimmt er einen Rundgang um den Stadtsee mit mir und erzählt noch so dies und das vom Stadtleben. Dann trinken wir einen Eiscafe und ich erfahre sehr viel über sein Leben, seine Lebensphilosophie und seinen Alltag. Das Gespräch wird l sehr tief, denn es geht ums Loslassen, Älterwerden und die Liebe. Ich lerne ihn als einen Menschen kennen, der einfach zu gut für diese Welt ist und oft an die Falschen geraten ist. Seine Enttäuschungen sind groß. Auch hier wieder die Entdeckung mit wildfremden Menschen eine große Nähe zu erfahren, dass ich alsbald das Gefühl habe, ihn schon ewig zu kennen. Das ist einfach klasse.
Als seine Pause zu Ende ist, mache ich eine Fahrt zum nahegelegenen Kloster, dass heute sogar besichtigt werden kann, denn es ist nicht mehr ordensmäßig belebt. Die Bauten sind an Privatleute vermietet und es ist ein idyllisches Wohnambiente entstanden. Ja, hier könnte ich auch leben, gefällt mir sehr gut. Preetz liegt geographisch prima, man ist sehr schnell in freier Natur, in Kiel und in Hamburg, um kulturrell nichts zu verpassen. Und ja, natürlich ist man auch schnell an der Ostsee, aber da werd ich ja noch hinkommen.
Ich mache mich wieder auf den Weg zurück zur Sabine und wir machen uns zum See auf und ich werfe mich in die Fluten. Es ist herrlich erfrischend, ca. 18 Grad warm. Danach liege ich gemütlich im Garten und lese endlich in Joe v. Loebens Buch "Atempause". Darin hat er ja über seine Afrikareise geschrieben und von seinen Erfahrungen mit Gastfreundschaft. Im Moment mache ich in unserem Deutschland ähnliche Erfahrungen mit Gastfreundschaft, was man vielleicht selber so nicht mehr geglaubt hätte.
Am Abend gibt es ein Stadtfest in Preetz, und mein Fahrradhändler und ich machen uns um 18.3o Uhr auf den Weg. Dort treffen wir auch die netten Leute aus dem Biergarten vom Vorabend wieder und ich erfahre eine regelrechte Welle der Zuneigung und Anerkennung. Wir lachen viel und mein Fahrradhändler will mich dazu überreden, ein norddeutsches Nationalgericht zu essen. Aber bei dem Anblick regt sich in mir heftige Gegenwehr. Sauerfleisch, das ist Sülzfleisch in Aspik, dazu fettige Bratkartoffeln. Nö, das ist nichts für mich. Ich bleibe dann doch lieber bei gebackenen Champingnons in Aioli und danach Scampi-Spieße. Das zweite Glas Pino-Grigio tut sein übriges und die Stimmung wird ausgelassener.
Ich werd immer wieder mal in den Arm genommen, die Frau neben mir erzählt mir, wie sie so lebt, dass sie ein bißchen leidet unter ihrem Mann, der so "einkennig" und introvertiert ist und am liebsten zuhause sitzt und dass sie gerne mehr Freiheiten hätte. Daneben sitzt Karl, er hat Bauspeicheldrüsenkrebs und bekommt gerade die dritte Chemo. Schade, erzählt er mir, dass er das Leben erst jetzt entdeckt. Gegenüber sitzt Monika, die ihren Mann vor zwei Jahren verloren hat. Sie waren 44 Jahre verheiratet. Es dauert, sagt sie, bis man wieder auf die Beine kommt, nach einer so langen Zeit.
Die kleine Musikgruppe müht sich redlich, zur allgemeinen Stimmung beizutragen. Ich komme auf die Idee, dass sie mal was Kölsches spielen sollen. Aber außer "Verdamp lang her" von BAP kennen sie nix, aber das spielen sie, mit Ansage, auf Wunsch einer anwesenden Kölnerin. Et jeht janz unbeschreiblich ab, und einige singen sogar mit mir den Text mit.
Danach wird die Musik brasilianisch und ich hab Lust zu tanzen. Da die Männer, wie immer sich nicht trauen, schnappe ich mir Monika und ab gehts. Monika, die traurige, die eigentlich schon längst gehen wollte, legt jetzt richtig los. Ich muß schmunzeln. So klingt der Abend gemütlich aus und ich begleite meinen Fahrradhändler noch in die schönste Kneipe von Preetz, wo ich noch ein leckeres Bierchen bekomme und dann werde ich brav nach Hause gebracht. Da ich nicht sofort einschlafen kann, schalte ich noch meine "große Liebe" ein und träume ein bißchen vor mich hin.
Morgen heißt es Abschied nehmen von Preetz und den netten Leuten.