Vor ein paar Tagen hatte ich ein Gespräch, das sich um einen Mutter-Tochter-Konflikt drehte! Sie, die Tochter, hatte seit längerem den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen! Warum? Es waren einige Gründe dafür maßgeblich.
Sie, die Tochter wollte sich der Kontrolle der Mutter entziehen! Die Mutter hatte einen Plan vom Werdegang der Tochter, mit wem sie verkehren, welche Ausbildung sie wählen, welchen Freund sie haben sollte. An allem hatte sie was zu kritisieren. Das war schon immer so, sagte mir sie, die Tochter. Schon als Kind habe ich ihre Blicke gespürt, die mehr sagten, als jedes Wort!
Ich konnte das nicht mehr aushalten!
Die Tochter erzählte von unseligen Streitereien, in denen keiner nachgeben wollte, keiner bereit war, auf den anderen zuzugehen! Bis es soweit kam, dass sie sich aus dem Wege gingen, ohne dass ein weiterer größerer Vorfall sich ereignet hatte!
Jeder lebte so sein Leben. Ab und zu ein Anruf, in denen Belanglosigkeiten ausgetauscht wurden, das war es!
Jetzt ist ihre Mutter alt und krank geworden. Nichts furchtbar ernstes, aber so dieses und jenes Handicap. Sie ist nicht mehr so beweglich, klagt über ständige Schmerzen im Rücken. Wie so oft, scheint aber jetzt die Mutter eine Art Rückschau ihres Lebens zu halten. Sie scheint endlich gemerkt zu haben, was sie versäumt hat, was sie falsch gemacht hat.
Und nun erzählt mir die Tochter, dass sie, die Mutter ständig anrufe und sie bitte, doch mal zu Besuch zu kommen! "Bin ich verrückt!", sagte sie mir, die Tochter. "Immer ich!" Wer hat denn hier diese dauernden Streitereien und Nörgeleien immer angefangen? Wer hat mir ein Leben lang ein schlechtes Gewissen gemacht, dass ich nicht o.k. bin, so wie ich bin, dass immer alles falsch war, was ich auch angepackt habe?" "Nein", meint sie, ich bin nicht dran, jetzt muß sie zu "mir" kommen, war ihre Antwort.
So ging das Gespräch eine Weile hin- und her und ich kam zu der Antwort ihr gegenüber:" Immer muß einer einen Anfang machen! Wie soll die Beziehung ins Reine kommen, wenn sich beide auf den Standpunkt stellen, der "Andere" muß den Anfang machen! Ist es nicht so, wenn der, der sehr verletzt worden ist, diese Verletzungen erkannt hat, daran gearbeitet hat und dann in ein Selbstbewußtsein gekommen ist, viel stärker ist, als der, der verletzt hat?
Ich sagte ihr, sie, die Mutter, kann vielleicht nicht zu ihr kommen, weil sie ihr eigenes Schuldbewußtsein quält. Vielleicht hat sie einfach Angst vor dir! Ich kenne das auch aus meiner Geschichte, wenn die Mutter nicht in der Lage war, mir in die Augen zu schauen, denn wenn sie es getan hätte, hätte sie gesehen, was geschehen ist und die Angst, vor meinen Urteilen und meinem Verurteilen, wäre einfach zu groß gewesen.
Ist es nicht so, dass es eine viel größere Stärke ist, dem anderen entgegenzugehen, auch wenn man im Recht ist? Wie oft höre ich solche Sätze! Der Andere war ungerecht! Jetzt muß "er" sich entschuldigen. Uns so bleiben beide Parteien in ihrem Häuschen hinter ihrer Mauer und nichts passiert mehr.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die Streitigkeiten zwischen meinen Kindern. Da waren oft Tage, an denen sie nicht mehr ins Gespräch kamen. Ich habe mir die Zunge wund geredet bei den Beiden. Man, hab ich oft gesagt, einer von Euch muß den Anfang machen. Ein erster Schritt. Es geht doch nicht um das - wer hat Recht - sondern darum, wieder ins Gespräch zu kommen. Das Leben ist leichter und schöner, wenn alles geklärt ist. Manchmal folgt auch nie eine Entschuldigung, aber die Tatsache, dass jeder dem anderen im Herzen vergeben hat, die Sache als nicht so wichtig angesehen hat, hat dazu verholfen, dass wieder unvoreingenommen miteinander umgegangen wurde und dadurch auch wieder bereichernde Gemeinsamkeiten unternommen werden konnten.
Manchmal denke ich, wenn es um das Wörtchen "Liebe" geht, es geht darum, dass eigentlich jeder Mensch "geliebt werden will!" Aber geht es nicht darum zu "lieben", auch wenn der andere alles tut, was es einem schwer macht!
Jedenfalls scheint es mir eine Herzensangelegenheit zu sein, dem Anderen zu verzeihen. Der Kopf sagt nein, aber wenn das Herz noch über Regungen verfügt, dann kan man trotz aller Ungerechtigkeiten, die der andere einem angetan hat, auf ihn zugehen, dann siegt die Liebe! Liebe ist nicht nur ein Gefühl, sondern eine ganz klare Handlung, die sich gerade dann zeigt, wenn es eigentlich Situationen sind, wo der Kopf denkt, diese sind unüberwindlich.
Meine Kinder sagen heute oft, Mama, du hast Recht gehabt. Später haben sie diese Erfahrungen auch mit den Freunden gemacht. Ein Wort gab das andere, jeder fühlte sich im Recht und dann Schweigen im Haus. Jeder litt so vor sich hin. Dann erinnerten sie sich an meine Worte und haben es ausprobiert. Haben den Freund einfach angerufen, sich getroffen, ausgesprochen und im Nachhinein haben sie über die Mißverständnisse lachen können.
Es ist schwer, sich immer zu überwinden, ich weiß das, aber es bereichert das Leben ungemein.
Sie, die Tochter rief mich gestern an und erzählte mir, dass sie bei der Mutter war. Das Gespräch habe ihr einiges zu denken gegeben. Es war ein Anfang, ein kleiner Schritt! Man wird sehen. Ich hoffe für die Beiden! Eine Mutter hat man schnell verloren und dann bleibt im Raum das Unausgesprochene, Unversöhnte stehen. Muß das sein?
Das Leben könnte so einfach sein, wenn man über seinen eigenen Schatten springen könnte! Wohl einer der schwersten Übungen im Leben. ICh packe mich mal wieder an meine eigene Nase und schaue, wo ich mich verbarrikadiert habe, Mauern aufgebaut habe, zu denen der andere keine Tür findet!