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Ich schreibe einfach gern:)

Abfahrt Fehmarn!

Am Morgen werde ich schon um 05.00 Uhr wach, weil der Wind ums Haus heult. Oh je, Sturm ist angesagt. Es ist ein einzigartiges Aufheulen in der Luft und ich lausche dem eine Weile und frage mich, was er wohl erzählt, der Sturm. Autos sind auch schon unterwegs in der Frühe und halten mit ihrem Lärm dagegen. Nein, es gefällt mir hier nicht auf dieser Insel. Um 06.00 Uhr packe ich meine Sachen, spring noch mal unter die Dusche und weiter gehts. In der Bäckerei das übliche Morgenfrühstück, Brötchen und Tee. Um mich herum sitzen vereinzelt Männer, um  ihren ersten Kaffee und ihre Morgenzigarette zu rauchen. War wohl zuhause nicht gemütlich! Ich schau sie mir an und denke, ein bißchen ramponiert sehen die alle aus, verlebt und ein bißchen schaut Traurigkeit aus ihren Gesichtern. Schnell weg hier.
 
Ich radele auf der Hauptstraße zur 10 km entfernten Fehmarnsund-Brücke. Zwischendurch bekomme ich ein bißchen Panik, einmal der Sturm und dann die vorbeibrausenden LKW, in deren Sog ich jedes Mal hineingerate und aufpassen muß, dass ich nicht ins Schlingern gerate und von der Straße abkomme. Es gibt nur einen Seitenstreifen und ich überlege für einen Moment, ob ich hier überhaupt fahren darf. Nach einigen Kilometern kommt dann plötzlich ein Stück Radweg, also ist das wohl doch o.k., der endet aber merkwürdigerweise plötzlich wieder. Also das mit den Radwegen ist echt beschissen hier auf der Insel. So komme ich also an der Brücke an. Direkt an der Brücke fängt hinter einer Leitplanke der Radweg an, aber ohne Durchgang von der Straße. So muß ich erst meine Packtaschen abmontieren, um das Fahrrad drüber zu heben. Juchhu, bloß nicht einfach, aber fluchen lohnt nicht, was solls. Dann kämpfe ich mich über die Brücke, ohne Wehmut, Fehmarn hinter mich zu lassen. Der Sturm braust mir heftig entgegen, ich hab ein bißchen Angst über das Geländer hinweggeweht zu werden.
 
Da ich mir vorgenommen habe, nach Lensahn zu fahren geht mein Weg wieder zurück nach Heiligenhafen, das ich gegen 10.30 Uhr erreiche. Hier meine Espresso-Pause. Auf einer Bank sitzt eine Frau und ich kann meinen Blick nicht von ihr wenden. Schwer einzuschätzen, wie alt sie ist, aber sie sieht ziemlich grotesk aus. Dickes Wangenrouge, wie zwei rote Flecken unter ihren Augen, grell geschminkte rote Lippen, ich würde mal sagen, sie sah aus, wie eine abgehalfterte Bordsteinschwalbe. Mir tut sie sehr leid, wie sie da so sitzt und vor sich hinstarrt. Ich setze mich ins Cafe und da steht sie auf und kommt auf mich zu. Haste ne Zigarette, fragt sie mich? Ja klar, antworte ich ihr und will ihr eine geben. Als sie sieht, dass ich die Zigaretten heraushole, meint sie, oder auch zwei? Ne klar, antworte ich ihr und geb ihr drei. Dann läßt sie sich Feuer geben und kommt sehr nah an mich heran. Die Bedienung im Lokal schaut schon ein bißchen merkwürdig. Na und, sag ich in ihre Richtung, lass sie doch. Dann verschwindet sie.
 
Ich trinke den Kaffee aus und mache mich auf Richtung Oldenburg i.H., unterwegs leichter Nieselregen, der aber immer wieder aufhört. Na ja, denk ich, muß ja auch mal sein. Der Wind wird aber auch wieder heftiger und als ich Oldenburg erreiche fängt es an, aus allen Wolken zu schütten. Juchhu, was für ein Spaß. Das erste Mal, dass ich Regenhose, Cape und Regenmütze brauche. Die Mütze muß ich mit einer Haarklammer befestigen, weil sie mir der Wind immer vom Kopf weht. Jetzt sind es noch 15 km bis Lensahl und ich fahre durch ein einsames Waldgebiet. Jau, jetzt beginnt der Kampf gegen Sturm und Regen. Ehrlich gesagt, mir macht es nicht mal was aus, im Gegenteil, es spornt mich regelrecht an. Es ist still im Regen, alles hat sich zurückgezogen. Nur ich radele durch den klatschenden Regen. Ich hab das Gefühl, die ganze Schöpfung spricht in diesem Moment von längst Vergangenem, was sie erlebt und gesehen hat.
 
Ich kämpfe die Steigungen hinauf und singe dabei meinen Lieblingspsalm:
 
Das Tal des Weinens durchschreitend, macht er es zur Quelle, es wächst während des Weges seine Kraft, bis er zum Zion kommt, für mich ist ein Tag in deinen Höfen, mehr wert als tausend Tage sonstwo, lieber stehen an der Schwelle deines Hauses, als wohnen in den Palästen der Mächtigen.
 
Genau so ist es, die Kraft wächst, wenn man standhält in schweren Momenten. Beim Fahrradfahren wächst die Kraft auch gerade. Man kann dem Leiden nicht ausweichen, sondern man muß kämpfen.
 
So singend erreiche ich Lensahl, wo ich auch ohne Umstände ein Zimmer finde.
 
Jetzt kommt die Überraschung des Tages, denn mein Fahrradhändler hat sich angesagt, er hat heute seinen freien Nachmittag und er hat sich auf den Weg gemacht, um mich abzuholen und mir noch ganz viele schöne Orte im Umland zu zeigen. Ich freue mich riesig.
 
Zuerst einmal fahren wir mit seinem schönen Auto durch Kasseedorf durch einen dichten Tannenwald, was ich so hier noch nicht gesehen habe bei meiner Fahrt. Dann geht es weiter nach Eutin, denn diese kleine Stadt müßte ich unbedingt gesehen haben, sagt er. Und sie ist wirklich absolut schön, mit all den nett restaurierten Fachwerkhäusern und dem schönen Schloß, das direkt am See liegt. Am Ufer steht eine Skulptur, die mich sehr anspricht. Sie nennt sich "Die Schauende"! Es berührt mich deswegen, weil ich gerade das Gefühl habe, auf diesem Urlaub eine Schauende gewesen zu sein, auf die Natur, den Menschen, denen ich begegnet bin und auf alles, was passiert ist, ohne dass ich etwas dazu getan habe. Der Mensch an sich hat das Schauen verlernt, gerade auch das Schauen auf die Schöpfung und wie sollen wir sie bewahren, wenn sie uns fremd geworden ist. Danach gibt es "Prummekuchen" im Stadtcafe.
 
Dann fahren wir zur Bräutigamseiche. Übrigens der einzige Baum in Deutschland, wo die Post Briefe zustellt. Die Legende sagt, dass sich hier zwei Liebende, denen verboten war zu heiraten, sich hier getroffen haben unter dieser Eiche. Und erst nach langem Kampf haben sie die Einwilligung zur Hochzeit bekommen und haben sich dann unter dieser Eiche trauen lassen. So soll der Baum Glück bringen für Singles, die einen Partner suchen. Man schreibt hierher und derjenige, der den Brief findet, kann ihn an sich nehmen und ihn beantworten. Es wird gesagt, dadurch sind schon mindestens 100 Ehen geschlossen worden.
 
Ein 50 m hoher Turm wird auch besucht, von dort habe ich einen herrlichen Ausblick auf die ganze Umgebung, sogar die Schiffswerft in Kiel kann man am Horizont sehen. Ich hab sogar meine Höhenangst überwunden.
 
Danach fahren wir zum höchsten Punkt Schleswig-Holsteins, dem Bungsberg. In meinem Outdoorführer steht, dass er 168 m hoch ist, vor Ort steht ein Schild mit 166 m, weiter ein Schild mit 164 m, was ist nun wahr? Na ja auf die paar Meter kommt es ja auch nicht an. Heute steht an dieser Stelle ein Fernsehturm. In Zeiten des Krieges war dort ein wichtiger strategischer Punkt.
 
Wir fahren auch noch nach Bad Malente, der Kurstadt überhaupt. Unzähliche Kurkliniken liegen hier vor Ort, und so mancher wird hier seinen Kurschatten gefunden haben. Malente liegt übrigens ebenfalls an einem See und von dort aus kann man wunderschöne Fahrten mit dem Dampfer über die sogenannte Fünf-Seen-Platte Schleswig Holsteins machen. Uf, jetzt bin ich aber geschafft und kann nichts mehr aufnehmen.
 
Da wir Hunger haben, fährt mich mein Fahrradhändler noch zu einem ungewöhnlichen Restaurant. Dazu gibt es eine Vorgeschichte. Und zwar gab es in Lensahl einen Menschen, dessen Traum Amerika war. Da er aber selbst nie dorthin fahren konnte, dachte er sich, hole ich mir Amerika eben nach Lensahl. Und so entstand hier das "Chrome-Restaurant - Original American Dinner- ". Er baute hier also ein kurioses amerikanisches Plastik-Restaurant hin. Es sind zwei aneinandergestellte Container, total verchromt und überall blitz und blinkt es, amerikanisch eben. Wat kostet Energie schon! Innenausstattung alles Kunststoff und Plastik, rote Kunststoffledersitze und auch hier blinkt und blitzt es alles metallic. Wenn man reinkommt, wird man nach amerikanischer Art vom Kellner an seinen Tisch geführt. Das hat schon was. Essen eben auch typisch amerikanisch, Burger, Sparribbs und American-Pizza und dazu amerikanisches Bier. Ich bestelle einen Edel-Hamburger, nicht zu vergleichen mit den gummiartigen Massen von McDonalds und er hat super lecker geschmeckt. Ich glaub, ich hab vor zehn Jahren meinen letzten Hamburger gegessen. Auch das Bier schmeckt herrlich nach dem langen Tag.
 
Das anregende Gespräch läßt die Zeit wie im Fluge verstreichen und es wird mal wieder Zeit Abschied zu nehmen. Wir sagen uns Auf Wiedersehen und ich denke, ja, es ist bestimmt der Anfang einer hoffentlich noch lange währenden Freundschaft.
 
In meinem Quartier schreibe ich noch ein bißchen Tagebuch, als plötzlich ein mir bekanntes Summen und Surren meinen Kopf erreicht. Shit denke ich, ne Mücke. Aber die krieg ich schon noch vor dem Zu-Bett-gehen. Da sie mich nicht in Ruhe läßt, stehe ich genervt auf und versuche sie zu erschlagen. Ich nehme meinen Outdoorführer als Waffe und los geht es. Mücken merken, wenn man sie schlachten will. Die sind echt intelligent. Aber ich krieg sie, Ruhe ist trotz allem nicht, denn ich sehe vor Grausen, dass in meinem Zimmer ungefähr 30 Mücken an den Wänden sitzen und sich schon freuen, mich zu verspiesen. Das ist ja der reinste Horror, denke ich. Und nun fange ich an, eine nach dem anderen zu erschlagen. Mein Outdoorführer sieht ziemlich mitgenommen aus. Eine wahre Mordlust steigt in mir hoch. Peng, patsch, noch eine. Es ist der reinste Spießrutenlauf. Es wird ein arbeitsreicher Abend. Um 24. Uhr geb ich auf, weil ich vor lauter Mücken an der Wand nicht mehr sehe, welche lebt und welche schon tot ist. Ob Mücken eigentlich auferstehen, denn manchmal hab ich das Gefühl, die Toten sind auch wieder weg. Erschöpft leg ich mich ins Bett, um aber jede Stunde wieder von dem Gesurre aufzuwachen und erneut schlaftrunken auf Jagdt zu gehen. Super Nacht war das. Trotzallem ist mein Körper morgens von Quaddeln übersäht, ich glaub in diesem Zimmer war ein Mückennest. Ob ich das wohl vom Preis abziehen kann, wegen seelischer und körperlicher Grausamkeit?
 
Ehrlich das war die sogenannte "Nacht der langen Messer" und am Morgen fühle ich mich dementsprechend wie zerschlagen.
 
Na ja, man muß alles mal erlebt haben, oder?

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