Ich schreibe einfach gern:)
Ich bin froh diesen unwirtlichen Ort zu verlassen. Schon um 7.00 Uhr mache ich mich auf den Weg. Frühstück muß warten. Hat ja auch noch nichts auf. An einer Bäckerei, wo ich könnte, steht eine ellenlange Schlange von Touristen. Bin ich verrückt, dass ich mich für ein Brötchen anstelle, da tue ich lieber erst mal was. Direkt hinter Hohwacht beginnt ein wunderschönes Naturschutzgebiet und die Fahrt hierdurch versöhnt mich absolut mit dem Gestern. Es ist einfach bilderbuchhaft, traumhaft. Rechts und links kleine Seen, in denen sich allerlei Gefieder tummelt, noch alles in Schweigen getaucht. Ich fahre über eine kleine alte Holzbrücke, was ich sehr romantisch empfinde. Vor mir liegt die Ostsee in der Morgensonne, die ganz vorsichtig ihre Strahlen durch die Wolken schickt. Morgenstille, leichter Reif überall, der seine Perlen auf den Gräsern wie glasklare Diamanten funkeln läßt. Ein frischer Wind nicht unangenehm, berührt mich ganz sanft und streicht über mein Gesicht. Es würde mich natürlich interessieren, was da alles so an Wasservögeln schwimmt. Karde und Lambertz wüssten es wohl. Ihre Laute sind noch ganz zart und verhalten, so als wollen sie niemanden wecken.
Warum denke ich gerade jetzt in diesem Moment der Schönheit auch daran, dass jetzt genau in diesem Augenblick Menschen verhungern, Frauen und Kinder geschlagen werden, wieder andere gefoltert werden, Männer in den Krieg ziehen müssen, für den es sich nicht lohnt, Millionen von Menschen versklavt an das Geld, andere ausbeutend und die Schöpfung nicht achtent. Aber so ist das wohl, jeder Moment der Schönhet hat als Gegengewicht die Trauer, das Häßliche, das Schockierende.
Der Weg führt einige Kilometer so weiter. Mir wird bewußt, welcher Zauber ein Morgen haben kann, wenn man noch nicht weiß, was er bringen wird. Im Alltag sind wir Pragmatiker, wissen immer, was zu tun ist, sehen die lange Reihe der Aufgaben vor uns liegen, aber wir erkennen kaum das Geheimnis, das zwischen allem webt, in den Begegnungen mit den Menschen, im Schauen auf das Unerwartete. Mit jedem Morgen beginnt das Leben neu, aber wir vergessen es oft.
Ich fahre weiter bis Weißenhäuser Strand, leider an der Landstraße entlang, denn hinter der Ostsee beginnt ein Truppenübungsplatz der Bundeswehr, direkt in einem Waldgebiet. An einer Stelle erschrecke ich heftig, als ich plötzlich einen "Grünen" herauslaufen sehe und in der Ferne höre ich sogar Schießgeräusche. Ehrlich, das gefiel mir gar nicht, ein bißchen unheimlich und bizarr, angesichts des Zaubers am Morgen. Üben für den Ernstfall, wie auch immer, alle Gewalt die von Menschen ausgeübt wird bringt den Tod, für was nur?
Fahre weiter über Oldenburg i.H., was ich eigentlich umgehen wollte, aber der Weg über Wandelwitz ist gesperrt. Einige Zeit hinter Oldenburg gesellt sich ein alleinstehender Herr, Pensionär, wie sich später herausstellt, zu mir und wir fahren gemeinsam ein Stück bis nach Heiligenhafen. Bei jeder Steigung, die wir nehmen müssen, lacht er mir hinterher:"manoman, junge Frau (ich grinse, das kenne ich doch von Kölle), sie haben aber einen Tritt"! Na, es hilft doch nichts, sag ich ihm, es langsam angehen zu lassen, dadurch verlängern wir ja nur das Leiden und grinse zurück. Recht haben sie, sagt er. In Heiligenhafen will er mich zu einem Fischbrötchen einladen. Nee, sag ich, das geht jetzt mal gar nicht auf nüchternem Magen. Ich muß erstmal was frühstücken. Es ist 10.3´0 Uhr und außer ein paar Nüssen, ist mein Magen leer. So verabschiede ich mich von ihm und mache eine Frühstückspause in einem netten Cafe auf dem Marktplatz von Heiligenhafen.
Ich schaue mich um und versuche zu entdecken, ob es irgendetwas gibt, was ich wieder erkenne, als ich als Kind hier einmal mit meinen Eltern Urlaub gemacht habe. Aber die Dinge und die Zeiten ändern sich nun mal und ich stelle fest, dass die Perspektive als Kind eine völlig andere ist. Ich war immer dem Irrtum erlegen, man möge mir es verzeihen, das Heiligenhafen an der Ostsee liegt, was aber so nicht richtig ist, denn Heiligenhafen lag einstmals an einer Bucht. Deren Außenkante schob sich aber immer weiter ins Meer, bis die Bucht eines Tages geschlossen war. So entstand eine Landzunge, die man Nehrung nennt, die sich immer weiter schob und heute unweit des Hafens im Meer verläuft. Hier kann man dann den wunderschönen langen Strand finden. Im Hafen kann man einige Fischerboote, wirklich noch uralte Boote, bestaunen. Auch Segelboote von Freizeitkapitänen liegen hier vor Anker. Der Marktplatz ist übrigens nett restauriert mit kleinen Läden und Lokalen, die zum verweilen einladen. Dazu hab ich natürlich keine Lust, da ich fahrsüchtig bin. Ich schwinge mich aufs Rad und weiter gehts.
Ein kleines Stück des Weges führt wieder an der See entlang und am Rand eines kleinen Waldes stehen Wohnmobile, wohl über Nacht dort zum Ruhen. An einem komme ich vorbei und sehe das Kennzeichen "K". "Ne Kölner", rufe ich laut und sofort guckt der Mann aus seiner Tür heraus und ruft lachend:"Biste etwa en kölsches Mädche"? Ja sicher dat, erwidere ich, winke und fahre weiter. Gegen 11.30 Uhr erreiche ich Großenbrode und sehe die Fehmarnsund-Brücke vor mir liegen. Sie verbindet seit 1963 Fehmarn und das Festland.
Bevor man als Radler auf die Brücke kommt, muß man durch einen Zaun mit Gittertür, nur dieser sehr schmale Weg führt über die Brücke. Ein schönes Bild, denke ich bei mir. Nicht immer ist der breite Weg es, der zum Heil führt. Dann geht es recht steil hinauf. Ich kämpfe mal wieder.Die entgegenkommenden Bergabfahrer bleiben stehen und lassen die Bergrauffahrer vorbei. Die haben Vorfahrt, meinen sie lachend.
Auf der anderen Seite angekommen, was keine große weitere Mühe war, denn es war kaum Wind, finde ich sofort Hinweisschilder Richtung Burg. Dort will ich hin, weil meine Nachbarin meinte, da müßte ich unbedingt übernachten, weil es so ein nettes Städtchen ist, der größte Ort auf Fehmarn übrigens. Die Radwege sind teilweise vom Unwetter vom vorherigen Wochenende gesperrt, Felder liegen überschwemmt neben mir. So muß ich die Hauptstraße nehmen, was mich ein bißchen nervt. Ich hatte mir das alles anders hier vorgestellt. Da sieht man mal wieder, was Vorstellungen mit einem machen. Auch bin ich insgesamt etwas enttäuscht von Fehmarn, aber das liegt wohl daran, dass ich bisher immer nur auf den Nordseeinseln war.
Die Insel Fehmarn nennt man übrigens auch "Sonneninsel". Angeblich soll sie mit Ausnahme der Insel Rügen und dem Breisgaugebiet die meisten Sonnenntage haben. Wers glaubt! Aber an diesem Tage scheint sie ja auch tatsächlich. Ich fahre noch ca. 5 km, bis ich Burg erreicht habe. Dort trifft mich im wahrsten Sinne des Wortes der Schlag. Um Gottes willen, was geht denn hier, denke ich.
Menschenmassen ohne Ende, durch die Geschäfte taumelnd, immer irgendetwas berührend, ohne geht es wohl nicht, mindestens Eis oder Brötchen in den Händen haltend. Touristen mit Totenkopft-shirts, Männer mit kurzen Hosen und Söckchen in den Sandalen und Frauen merkwürdig aufgebretzelt. Und das soll jetzt schön sein! Na warte, Frau Nachbarin. Aber vielleicht bin ich ganz einfach menschenscheu geworden nach den vielen Einsamkeiten in der Natur. Ich gehe erstmal wieder auf Zimmersuche. Aber auch hier, wie schon in Hohwacht sind längst nicht alle so freundlich und entgegenkommend wie im Inneren von Schleswig-Holstein. Mit Ach und Krach finde ich ein Zimmerchen, so muß man es wirklich nennen, denn ich kann vom Bett aus direkt auf die Toilette springen, und teuer ist es auch noch. Nun denn, jedenfalls liegt es nicht im Keller.
Am Abend fahre ich noch zum Fischereihafen, trinke mir in einer Kneipe ein Bierchen, Warsteiner, rede ein bißchen mit den Fischern und schaue trotz allem erfüllt der untergehenden Sonne, die wie am Morgen nun über der See ihre letzten Strahlen wirft. Die Bausünden der vergangenen Jahren anhand von drei weiß aufleuchtenden Hochhäusern kann man getrost bei diesem Anblick vergessen.
Danach fahre ich nach Burg zurück und da ich immer noch nicht müde bin, gehe ich in eine Bar, wo ich noch einen Absacker trinken will. Dabei beobachte ich das Geschehen um mich herum, alles Ehepaare, schön länger verheiratet. Merkwürdig, bei manchen kann man die Wände, die sie gegeneinander aufgebaut haben, deutlich spüren. Jeder sitzt hinter seinen Mauern, für den anderen nicht mehr wirklich erreichbar. Manche sind in Sprachlosigkeit versunken. Ich meine, es ist schön miteinander schweigend zu sitzen und zu wissen, der eine ist beim anderen, aber Schweigen aus Sprachlosigkeit ist wohl grausam. Neben mir das Päärchen spreche ich an und erfahre, dass sie aus Gummersbach kommen und ihr Urlaub morgen zu Ende ist. Ich bin ein bißchen ihre Rettung an diesem Abend. Nach dem zweiten Cocktail verabschiede ich mich, suche mein Quartier auf, dass ich wegen der Dunkelheit fast nicht mehr gefunden habe und falle ins Bett. Paul Ingendaay mit seinem Buch "Warum Du mich verlassen hast" verhilft mir den Tag hinter mich zu lassen und die Müdigkeit überfällt mich schnell. Aber morgen früh, fahre ich weiter, das geht hier gar nicht länger. Ich will nicht sagen, unbedingt ein negativer Ort, aber keiner für mich!