Ich schreibe einfach gern:)
Montagmorgen, Abfahrtstag. Die liebe Frau von Betrachter fährt mich mit dem Auto nach Klausdorf, damit ich nicht erst durch ganz Kiel muß. Das ist einfach sehr nett und liebenswürdig und ich bin sehr dankbar. Das Auto hält, Fahrrad abgesetzt, Rucksack umgeschnallt und dann endgültig Abschied. Ich schaue ihr etwas wehmütig hinterher und fühle mich ein bißchen wie ausgesetzt. Aber so ist es nun einmal, einatmen, ausatmen, festhalten und loslassen, ein immer wiederkehrender Kreislauf.
Dazu fühle ich mich an diesem Morgen körperlich ein bißchen schwer, der Blutdruck scheint im Keller zu sein, die Beine wollen nicht so recht die ersten Steigungen angehen, alles liegt lahm. Manchmal muß man sich halt überwinden. Sogleich fahre ich wieder durch einsame Waldgegenden. Ein leichter Nebel liegt in der Luft, Reif liegt auf den Feldern, alles ist so zart und unberührt. Der Nebelschleier erinnert mich daran, dass ich manchmal im Leben die Dinge auch wie hinter einem Schleier sehe, es nicht klar erkennen kann, was passiert. Betrachter hat mir eine Karte mitgegeben und danach kann ich mir die schönsten Wege raussuchen.
Es geht über Dobesdorf Richtung Selenter See, den ich von meinem Weg aus unten sehr verträumt liegen sehe. Das Wasser plätschert ruhig vor sich hin, überall sind kleine Stege, die zum baden einladen. In Giekau kehre ich in einen Gasthof ein, der zwar die Türen geöffnet hat, aber noch nicht wirklich offen ist. 10.3o Uhr und mir fehlt ein Espresso. Der Wirt schaut erstaunt und meint, eigentlich, wie gesagt, ist noch nicht geöffnet. Ich lächele ihn an und frage, ob er nicht ausnahmsweise doch einen Espresso für mich machen kann. Ich bin schon weit gefahren. Er griemelt ein bißchen und sagt, o.k., aber es dauert ein Weilchen, denn die Maschine ist noch nicht angeschmissen. Ist egal, sag ich. Ich gehe raus auf die Terrasse, wo ich einen schönen Blick auf den See habe und werfe den Rucksack von mir. Unterwegs hat er mir heute zu schaffen gemacht, denn ich habe blöderweise meine ganzen Bücher in ihn hineingepackt, anstatt in die Packtaschen. Nun, Literatur kann zuweilen nicht nur schwere Kost sein, sondern sie ist auch schwer zu tragen.
Endlich kommt der Espresso und ich frage den gemütlichen Wirt, ob er nicht auch ein belegtes Brötchen für mich hat. Hat er natürlich nicht, wie gesagt, ist ja noch nicht offen. Na ja, ich kann ja mal schauen, was in der Küche ist, sagt er dann aber doch und lacht mich an. Er könnte es sich nicht verzeihen, mich auf meinen weiteren Wegen hungrig radeln zu lassen. Und nach einer Weile kommt er mit einer richtigen Brotzeit, großer Teller mit frischem Brot und geräuchertem Schinken, auf den ich mich sofort stürze. Nach getaner Arbeit schmeckts sowieso am besten! So, dann geht es wieder weiter.
Als ich von Giekau Richtung Todendorf fahre, meine ich schon Ostseeluft zu riechen und die Luft schein feuchter zu werden, aber von der Ostsee ist natürlich noch nichts zu sehen. Obwohl ich schon so nah an der Küste bin, fahre ich erstmal nach Lütjenburg, um mir nun doch noch das Eiszeitmuseum anzuschauen. Und der Besuch hat sich auf jeden Fall gelohnt. Es ist doch unvorstellbar, dass vor 20.000 Jahren, was für eine Zeitspanne, wenn wir unsere paar Jährchen zählen, eine dicke Eisschicht (wie ich lesen darf, sagen Experten, dass diese Schicht ca. 1 km dick war) den Norden Europas bedeckt hat und somit auch Schleswig-Holstein. Das Museum hat es gut geschafft, diese Epoche interessant darzustellen. Ich bekomme tiefe Einblicke wie Mensch und Tier zu dieser Zeit zusammengelebt haben. Am meisten hat mich der Abdruck eines ca. 12.000 Jahre alten Mammutskelettes.
So, nachdem ich nun was für den Kopf getan habe, nun wieder was für die Beine. Lütjenburg wird durchquert, übrigens ebenfalls ein reizendes Städtchen. Von da an geht es nun hinauf zur Ostsee und ich fahre ein gutes Stück den Ostseeküstenweg entlang.
Ich kannte ja bisher nur die Nordseegegend und bin sehr überrascht von der still vor mir liegenden Ostsee. Das Klima ist milder und die See ist nicht zu vergleichen mit den rauhen Wellen der Nordsee. Ich brauche keine Stunde mehr, bis ich im Nordseebad Hohwacht ankomme. Ein typisches Ostseebad, geeignet für Familien mit Kindern und Rentnern. Alles wie geleckt, adrett und quadratisch. Fahre erstmal an den Strand hinunter, wo reges Getummel ist, die Strandkörbe belagert, rechts von mir ein kleiner Hafen für Segel- und Motorboote der Gäste. An der Fischbude hol ich mir ein Bier und versuche aus den Leuten eine Übernachtungsmöglichkeit herauszubekommen. Aber hier ist der Norddeutsche eher kühler und einsilbiger, wie im Inland. Jedenfalls bekomme ich nur einzelne Wörter zugeworfen, wie: "Schwer", "Hochsaison", "alles belegt". Nun denn, denke ich, dann man tau und ran an die Suche.
An einer Straße entdecke ich ein Schild:"Zimmer frei"! Ich halte, schelle und eine ältere Frau steht mir gegenüber. Nö, sagt sie, für eine Nacht mache sie das nicht. Ich sag ihr, ich mache auch alles selber, Betten auf- und abziehen, aber sie hat kein Erbarmen. An der nächsten Ecke frage ich die Vermieterin von Ferienwohnungen, aber auch sie hat nix in peto, aber am Ende der Straße wohne eine ältere Frau, die vermietet manchmal was, sagt sie. Ich mache mich sofort auf den Weg, klingele und bin erschrocken von der Frau. Sie steht mit nackten Beinen vor mir, die ganz blau angelaufen sind. Im Mund hat sie kaum Zähne. Auf meine Frage hin, ob sie ein Zimmer frei habe, antwortet sie mir, sie hätte eine Garage, die wird manchmal von Gästen angemietet. O.k. sag ich, mir ist alles recht, wenn es nur ein Bett hat. Sie geht mit mir die Treppe hinter ihrem Haus runter zur Garage und schließt die Tür auf. Ich muß sagen, ich bin doch ein wenig schockiert, es müffelt und ist ziemlich düster. Ich hab aber wenig Lust noch weiter zu suchen und sag ihr:"Paßt schon"! Dann nimmt sie mich mit in ihre Wohnung, die ziemlich verwahrlost ist und gibt mir aus dem Schrank frische Bettwäsche, was man so frisch nennt. Sie sei ja schon alt, sagt sie, und schaffe das alles nicht mehr so. Ihr Mann sei an Krebs verstorben, vor zwei Jahren.
Also ehrlich, ich bin zwar freundlich, aber ich ermuntere sie auch nicht, mehr zu erzählen. Ich schnappe mir die Bettwäsche, beziehe das Bett und springe unter die Dusche. Dann bloß raus aus dem Loch und ab an den Strand, obwohl es zwischenzeitlich angefangen hat, ein bißchen zu regnen. Trotz allem mache ich einen herrlichen Spaziergang, sammle wunderschöne Steine und Muscheln und kehre zur Fischbude zurück, wo ich mir eine Portion Calamares zum Mittagessen gönne. Dazu ein echtes Holstenbier.
Das Dorf will auch noch erkundet werden, aber schnell entdecke ich, dass es nichts Sehenswertes gibt, außer einer Ferienanlage nach der anderen und was sich so "Hotel" nennt, was zwei Fenster und ne Tür hat. Ich finde trotzdem noch ein einigermaßen nettes Plätzchen, wo mich die jetzt wieder hervorscheinende Sonne findet und bestelle ein Glas Pinot-Grigio. Es ist 21.00 Uhr und ich denke, Zeit zum schlafen Röschen.
Also zurück zu meiner Garage, die nun noch unwirtlicher erscheint. Glauben Sie an negative Energien an bestimmten Orten? Also, wenn es irgendwo negative Energien gibt, dann hier. Ich leg mich ins Bett und sofort überfällt mich Herzrasen, ein wenig Atemnot, es ist, als wenn ein zehn Zentner schwerer Sack auf mir liegt. Ein bißchen Panik kommt bei mir auf. Ehrlich bisher hab ich noch nie Angst gehabt, aber hier unten in dem Loch, so alleine, fühle ich mich richtig schlecht. Irgendwann mache ich dann doch das Licht aus. Gerade in diesem Moment fühle ich mich ein bißchen wie der Protagonist in Murakamis "Mister Aufziehvogel", der sich immer in einen tiefen Brunnenschacht setzte, um sich zu entdecken und an seine Grenzen zu stoßen, aber schließlich hat der das freiwillig getan, ich ja nur notgedrungen. Irgendwann beruhige ich mich und denke, was passiert, das passiert, du kannst es eh nicht ändern und bin dann auch bald eingeschlafen.
Am nächsten Morgen geht es ja weiter!