Mönchsweg - Oder vom Glück unterwegs zu sein - Bremen - Zeven -
18.09.2017
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Durch Fernweh
Nun bin ich wieder in meiner kleinen Höhle. Die erste Nacht daheim. Stehe auf meinem Balkon, schaue was der nun begonnene Herbst in meinem kleinen Umfeld gemacht hat. Und alles erscheint mir gerade wie ein Traum, den ich durchlebt habe. Der Mönchsweg liegt hinter mir. 628 km zeigte mein Tachometer meines Fahrrades an, als ich in Oldenburg, nach 7 Etappen an mein Ziel gelangt war.
Eigentlich hatte ich ja vor, jeden Tag über jede einzelne Etappe einen kleinen Reisebericht zu schreiben. Während ich das Wörtchen *eigentlich* schreibe, wird mir bewußt, dass das Leben oft von dem kleinen Wort *eigentlich* beherrscht wird. Eigentlich wollte man, eigentlich sollte man...eigentlich hätte man...eigentlich kann man ja...Eigentlich, das bedeutet zumeist, das etwas nicht so ist, wie es hätte sein sollen oder wie man es gewollt hat.
Und so ist auch alles anders gekommen, als ich es in meinem Enthusiasmus mir habe vorgestellt oder verwirklicht sehen wollte. Auch das ist oft so, wenn du Dinge unbedingt willst, kann es passieren, dass mit dem Willen nichts zu bezwingen ist. Und so muss ich eingestehen, dass mein Experiment, möglichst als Pilger nur mit geliehener Gastfreundschaft auf diesem Weg auszukommen, zumindestens was die Übernachtungsmöglichkeiten betraf, gescheitert bin. Aber Scheitern bedeutet ja nun mal, wie Ortega de Gasset so schön einmal formuliert hat, nicht unbedingt dass man untergeht. Und so bin ich natürlich auch nicht untergegangen. Trotz allem war es für mich ein kleines Abenteuer, so wie ich es liebe. Einfach unterwegs sein, auf einem Weg, auf diesem Weg, auf dem Mönche im Mittelalter das Christentum in den Norden Deutschlands brachten.
Eigentlich begann es auch recht vielversprechend mit meinen Holzacher-Plan ohne Geld diesen Pilgerweg zu beschreiten. Am Vorabend nach meiner Ankunft in Bremen hatte ich den Abend noch mit lieben Menschen in einem netten Cafe, das mir schon von den Bremer Schachtreffen bekannt war, verbracht. Gemütlich war es, intensiv und warm mit den beiden. Ich hab sie so gern.
Die Stadt Bremen übrigens wurde das erste Mal im 8. Jahrhundert urkundlich mit dem Namen *Bremen* erwähnt. Der Name bedeutet *Am Rande* . Sie ist nahe einer Fischersiedlung auf einem Dünenzug erbaut worden und im Jahre 780 hat Karl der Große sie zum Bischhofssitz ernannt. Der St. Petri-Dom, der an diesem Morgen mein Ausgangspunkt für die erste Etappe sein sollte, wurde auf der höchsten Erhebung erbaut.
Und da seh ich ihn vor mir, stolz und mächtig, mitten auf dem Marktplatz. Seit 1972 steht er bereits unter Denkmalschutz. Bevor ich dort ankomme, halte ich an einer kleinen Bäckerei, ich bin noch ganz allein, denn es ist sehr früh. Stelle mein Rad an die Schaufensterscheibe des Ladens und trete ein, werde unglaublich nett begrüßt mit den Worten, ...so früh schon unterwegs.... Wohin geht denn die Reise. Ich erzähle von dem Pilgerweg und muss nicht nur an diesem Morgen erstaunt feststellen, dass die Menschen vor Ort so gut wie nix über diesen Pilgerweg wissen. Die beiden Bäckereiverkäuferinnen sind echt freundlich, meinen, das ist aber mutig, so ganz allein, als Frau, das würden sie sich nicht trauen und dann mit meinem Vorhaben. Jedenfalls, ich werde angenehm überrascht und bekomme von den beiden einen Kaffee, sowie zwei Brötchen als Wegzehrung und brauche nichts zu zahlen. Man, ist das schön, denke ich, bedanke mich herzlich, packe alles ein, fahre in den Bürgerpark Bremens und suche mir ein ruhiges Plätzchen und genieße still mein kleines geschenktes Frühstück.
Dann geht es endlich los, raus aus der Stadt, 15 km an der Wümme entlang. Kann mich nicht sattsehen an den weiten Wiesen, die sich meinem Auge bieten. Die reine Wohltat nach dem Getümmel des Stadtlebens. Bin einfach nur glücklich gerade. Es sind zumeist auf meinem Weg die kleinen Dinge, die mich aus der Fassung bringen. So wie in dem Moment, als eine Schar Enten wie vom Himmel gefallen sich in den Wümmekanal stürzen, platsch. Ein kleiner Moment, in dem ich absteige und ihnen zuschaue.
Ich möchte heute bis nach Zewen, das ist mein Vorhaben. Mal sehen.
Borgfeld, dem Kuhgraben entlang, der der Stadt Bremen als Transportweg diente, auf dem Torf in die Stadt gebracht wurde, ein kleiner 4,5 km langer Abstecher von der Hauptroute nach Lilienthal, wo einst ein Kloster stand. Auf dem alten Klostergelände hatte dann ein Astronom, namens Johann Hieronymus Schroeter eine große Sternwarte errichtet. In dieser Zeit (1745-1816) galt sie als größte Sternwarte Europas. Seine damaligen Aufzeichnugnen werden bis heute noch verwaltet und gepflegt. Mir gefällt dieser idyllisch anmutende Ort an der Wümme, ich bin halt ein hoffnungsloser Romantiker und könnte dort ewig verweilen, jedoch, wenn ich überall für Ewigkeiten verweilen würde, käme ich ja nie an mein Ziel und das liegt ja noch vor mir.
Es geht also weiter der Wümme entlang, die übrigens 118 km lang ist und zu den saubersten Flüssen Norddeutschlands gehört. Das gesamte Gebiet um die Wümme herum steht unter Naturschutz. In ihr finden sich Meerforelle, Flussneunauge und Meerneunauge. Ihre Quelle liegt in der Lüneburger Heide. Manchmal halte ich kurz an, suche mir einen Weg durch das mit hohem Schilf bewachsene Ufer und versuche einen Fisch zu erspähen, aber die Enten und Schwäne schaffen zuviel Unruhe. Ach, es ist alles so beschaulich hier. Allein, ich bin allein. Juchhu! Der Weg zieht sich weiter an süßwürzigem gerade gemähtem Heu vorbei. Wunderbar dieser Duft, ich würde ihn gerne mitnehmen. Aber auch Maisfelder ziehen sich entlang des Weges. Ein Maislabyrinth entdecke ich und überlege kurz, ob ich mich hineinbegeben soll. Entscheide mich aber dagegen, denke, ach es genügt schon, dass ich im Leben oft Irrwege gehe und Kraft aufwenden muß, wieder auf den richtigen Weg zurück zu gelangen. Es ist auch geschlossen. Zum Glück wohl.
Ein Stücken weiter des Weges komme ich an einen kleinen Vogelbeobachtungshochstand, den ich natürlich erklettere. Stelle es mir herrlich vor in den frühen Morgenstunden dort oben zu verweilen und den Vögeln bei ihrem Treiben zuzusehen. Dafür braucht es Geduld. Erinnere mich in diesem Moment an einen Freund meines Sohnes, der jetzt für ein Jahr auf eine unbewohnte Nordseeinsel geht um genau dies zu tun, Vögel beobachten. Dort gibt es kein Internet, keine anderen Ablenkungsmöglichkeiten, nur er und die wilde Nordseenatur. Ich glaube, das würde ich mir dann doch nicht zutrauen. Aber ich denke auch, wir Menschen wissen oft gar nicht, was unsere Möglichkeiten sind und dass wir am Ende doch recht widerstandsfähig sind, um den Unwägbarkeiten des Lebens, aber auch dem Alleinsein, etwas entgegen zu setzen. Schade finde ich es, dass dort oben auf dem Hochstand wohl an Tagen zuvor eine wilde Horde gewütet hat und die leeren Bierflaschen, die dort liegen geblieben sind, zeugen von einer wilden Nacht oder Abend. Gleichgültigkeit gibt es eben überall unter den Menschen, auch in der schönsten Beschaulichkeit der Natur. Das Steinersche Prinzip, dass Schönes nicht zerstört wird, hat wohl doch keine Gültigkeit mehr, vielleicht war es nur ein Wunschtraum Steiners, der mal vorkam, aber eben letzten Endes doch nicht immer und überall.
Vor lauter Turmbesteigung und Gedankenversunkenheit verfehle ich meinen Wegweiser in die richtige Richtung und muss einige Kilometer zurückfahren. Aber was solls, es duftet ja immer noch nach Heu und gelbblühenden Wegesblumen, deren Art ich in diesem Moment nicht herausfinde und der Himmel ist blau und die Sonne strahlt, die Freiheit ist ja da. Mir kommt es so vor, als wenn alles nur für mich da ist. Ab und an seh ich die Bauern mit ihren hochmodernen Treckern, die eine Vorrichtung haben, mit der die Heuballen in null komma nix mit blauen oder weißen Hüllen verpackt werden. Zack, zack geht das.
Freundlich sind sie alle, die Norddeutschen, wenn auch spröde. Aber ich mag das. Mir gefällt das *moin* das mir auf meinem Weg begegnet. Ich denke drüber nach, dass das *moin* einfach hier her gehört. Es würde gar nicht zu einem Menschen aus einer anderen Region passen, auch wenn sie es manchmal übernehmen. Und obwohl das *moin* recht spröde klingt, habe ich das Gefühl es ist weich und scheint hier in den Weiten der Felder geboren worden zu sein. Es lag da einfach auf dem Boden herum, das *moin*... und wurde aufgehoben. Ich weiß, das sind vielleicht merkwürdige Gedanken, aber manchmal denk ich halt solche Verrücktheiten, dass Wörter einen Geburtsort haben, der sie auszeichnet und dass diese Wörter nur dahin gehören.
Ich komme nun nach Fischerhude, einem kleinen Künstlerdorf nahe Worpswede. Den Stein zum begehrten Wohnort aller Maler und Künstler hatte Otto Modersohn und dessen Freund Fritz Overbeck gelegt, die Anfang des 19. Jahrhundert hier ihrer künstlerischen Arbeit nachgingen. Ihre Werke zeigen immer wieder die malerischen Kulissen der Landschaft, aber auch das ganz profane Alltagsleben der Menschen bei der Ernte oder einfach der Mütter mit ihren Kindern. Das Modersohn-Museum, das ich anfahre ist geschlossen, es ist ja Montag, Daran hab ich mal wieder nicht gedacht. Macht aber nix. Ich mache Rast bei der hübschen barocken Liebfrauenkirche. Auf dem Friedhof der Kirche ringum finde ich 39 barocke alte Grabsteine. Hergekommen sind die aus Wilstedt, als die Fischerhuder noch keine eigene Kirche nebst Friedhof hatten. Erst im Jahre 1859 wurden die ältesten Grabsteine zurückgeholt, deren Inschriften jedoch nicht mehr zu erkennen sind. Sitze eine Weile auf der kleinen Bank und laß meine Gedanken schweifen. Hier wimmelt es doch schon sehr von Möchtegern-Kunst-Tourismus. Vorranging sind es Frauen um die 50 mit ihren naturbelassenen, bestickten Schals und Wämschen, die man überall in den kleinen Boutiquen erstehen kann.
Also es reicht für mich und weiter gehts durch Quelkhorn, wo ich eine kleine Windmühle entdecke, die auf dem 29 m hohen Mühlberg, einem Gelände, das wohl, wie ich entdecke, dem Pazifal-Hof, gehört. Dort lebt eine Gemeinschaft von Menschen mit und ohne Behinderung. Solche Projekte müßte es überall geben, vor allen Dingen in den Großstädten, geht mir durch den Kopf, wo ich ja nun selbst einige Zeit im Alltag in der Pflege arbeite und mit so viel einsamen Elend konfrontiert werde, dass mich oft erschüttert. Und wie das wohl wäre, wenn es solche Lebens und Arbeitsgemeinschaften in den Städten gäbe, wieviel Einsamkeit und Isolierung durchbrochen werden könnte.
Es ist gut Mittag, als ich in Wilstedt ankomme, einem wohl uralten Örtchen, dass den Aufzeichnungen nach schon in der Steinzeit von Menschen besiedelt wurde. Es gibt ne urige alte Bäckerei hier mit kleinen Sitzmöglichkeiten davor. Da ich Kaffeedurst verspüre, mache ich hier eine Rast und setze mich zu einem Mann an den Tisch, der, wie ich später herausbekomme, schon recht alt ist, genauer gesagt 84 Jahre, aber überhaupt nicht so ausschaut. Ich muss auch mal auf ein Örtchen und frage die alte Frau in der Bäckerei ob ich mal dürfte. Sie begrüßt mich herzlich auf plattdütsch, von dem ich so gut wie nix verstehe, ausser dem Wort *Deern*, aber ich verstehe intuitiv, ich darf, mal benutzen und so, nachdem ich ihr erklärt habe, dass ich Pilgerin auf dem Mönchsweg bin. Da bekomme ich direkt ein Kaffeechen von ihr und mit dem setz ich mich zu dem alten Herrn.
Der alte Herr ist ganz das Gegenteil von *spröde* Er erzählt mir aus seinem Leben. Dass er mal starker Alkoholiker war, aber es geschafft hat. Hat viele Jahre als Pferdekutscher gearbeitet für Touristenfahrten und lebt seit Jahrzehnten allein hier in diesem Dorf, aber fühlt sich nie einsam. Irgendwie hält man hier zusammen. Dennoch so sagt er, scheint der Alkohol im Dorfleben ein größeres Problem zu sein. Man würde schnell reinrutschen bei den dauernden Feierlichkeiten, ohne dass man es merkt, so war es jedenfalls bei ihm gewesen. Ich kann mir das gut vorstellen, erlebte das oft auch auf den Eifeldörfern, dass viel gesoffen wird. Überhaupt, wenn ich manchmal so die Leuts von ihrem dauernden Bedürfnis nach Alkoholkonsum reden höre, denk ich mir schon meinen Teil. Nicht, dass ich mal Jemandem sein Bierchen nicht gönne, aber wenn es sich nur noch darum dreht, find ich das schon bedenkenswert. Aber es ist ja nicht mein Leben. Jedenfalls fand ich es ein nettes, aufrichtiges Gespräch mit dem alten Herrn, bedanke mich. Er wünscht mir viel Glück bei meiner Weiterfahrt.
Vorwerk, Stapel und dann gelang ich nach Nartum, wo ich mitten im Ort ein altes Backhaus finde, in dem heute noch bei Festlichkeiten gebacken wird. Die ganze Gegend drumherum ist bekannt für seine Vielzahl an Kräutern, die Gegend wird auch als Westeniederung bezeichnet. Weiter durchquere ich Nartum. Natürlich schau ich hier mal in der Strasse *Zum Röhrberg*. Hier im Haus Kreienhoop hat Walter Kempowski gelebt und gearbeitet. Hier entstanden auch seine Romane *Tadellöser & Wolf* und *Echolot*. Das Haus in dem Kempowski lebte, hatte er selbst entworfen. Heute werden dort noch Lesungen, Seminare und Tagungen abgehalten. Ich gestehe als Buchhändlerin, ich hab kein einziges Buch von ihm gelesen, werde das aber nun ganz sicherlich einmal nachholen.
Von Nartum nach Zeven sind es nun noch 21 km lt. Wegweiser, aber so ganz kann man denen nie trauen. Angeblich, so lautet es in meinem Führer, kann ich auf diesem Weg wohl ganz sicher ein für die Region typisches *Melkhus* finden, an dem ich mich mit Milchköstlichkeiten laben kann. Ich finde auch eins, es hat aber geschlossen. Pech gehabt. Die Milchtankstelle, die dann hier auf dem Weg zu finden ist, fahre ich gar nicht erst an.
Bockel, Gyhum, Elsdorf, Frankenbostel und Aspe sind meine letzten Stationen auf dem Weg. Ich kann es nur immer wiederholen. Die Wege sind einfach wunderbar. Ich bin allein. Sehe keinen Menschen, keinen anderen Radfahrer, vorbei an Maisfeldern, mit Heuballen bestellten Feldern, durch Wälder, kaum richtig befahrene Asphaltstrassen, das macht einfach nur Freude.
Gegen 15.30 Uhr erreiche ich das Städtchen Zeven, das mit seiner für manch kleine Örtchen so bekannten Fusgängerzonen-Einkaufsstrasse vor mir auftaucht, die immer alle etwas Kaltes an sich haben. Die Sonne lacht noch, also setze ich mich erstmal ins erstbeste Cafe um eine kleine Rast zu machen und zu schauen, was ist möglich nun für meine erste Übernachtung. Noch ahne ich nichts von dem Schrecken der mich dann später einholt, dass ich immense Schwierigkeiten damit haben werde. Setze mich zu einer Frau im Rollstuhl an den Tisch und beginne ein Gespräch mit ihr. Dass ich aus Bremen komme und den Mönchswegpilgerradweg befahre. Und dass ich nun eine Bleibe suche, ob sie nicht was wüßte, ich wäre auch mit einem Sofa zufrieden. Aber sie winkt direkt ab und meint, sie sei erst kürzlich wieder an ihren Heimatort zurückgekommen, habe sich ein Haus gekauft und in dem herrscht noch das größte Chaos, da kann sie Niemanden unterbringen. Ob sie denn nicht etwas wüßte, frag ich weiter. Aber es fällt ihr nix ein. Mittlerweile sind die anderen Gäste an den Nebenischen auch auf meine Fragen aufmerksam geworden, hab mich auch mal umgedreht und an sie gewandt, aber es kommen keine Hinweise, geschweige denn Angebote. Kann man nix machen, denk ich. Also muss ich halt selber was suchen. Hole mein kleines smarthphone hervor und google ein bisschen nach Unterkünften. Aber überall wo ich anrufe bekomme ich ein *belegt* zu hören. Auweia...Mittlerweile ist es 17.00 Uhr, die Sonne ist verschwunden und es beginnt langsam zu regnen. Was tun?
So ist das Leben, wenn man Niemanden kennt, der einem weiterhelfen könnte, muss man sich auf sich selber verlassen. Kreativität ist gefragt. Aber die größte Kreativität nutzt auch nix, wenn man sie nicht umsetzen kann. Der erste Weg ist erstmal in die Touristeninformation. Steht auch dran, dass sie eigentlich geöffnet haben. Da ist aber Niemand. Nebenan befindet sich das Bürgerbüro, geh ich also da hin, erzähle von meinem Begehr, aber die sind auch ratlos. Sei schwierig zur Zeit mit Unterkünften meinten sie, hätten sie von den Kollegen aus dem Touribüro mitbekommen. Mensch, was mach ich nun. Wissen die auch nicht. Weiterfahren? Jösses, es ist 17.00 Uhr und es regnet heftiger und ich hab schon 85 km abgestrampelt und bin doch auch ein wenig müde jetzt von den Eindrücken, der frischen Luft und dem Radeln.
Setze mich weiter ratlos auf eine Bank vor das Rathaus und überlege. Aber vom Überlegen allein kommt der Mensch im Leben auch nicht weiter. Ich entscheide mich, mich wieder zu bewegen, nehme mein Rad und fahre die Straßen rauf und runter. Komme an einer Pension bzw. Gästehaus vorbei, klingele, werde auch freundlich begrüßt, aber auch hier, alles belegt. Aber die Frau ist wirklich freundlich, gibt mir den Tipp bei einem Radlerlandgasthof nachzufragen, der direkt in der Nähe ist, da sei manchmal was frei. Ach was sagt sie dann, ich rufe da mal für sie an. Gesagt, getan. Und herjeh, ja, dort ist noch ein Plätzchen frei. Aber ich will jetzt gar nicht sagen, was es kostet. Für meine Verhältnisse ist es sündhaft teuer. Ein Budget für drei Übernachtungen, zumindestens so wie ich es mir für alle Fälle gedacht habe. Aber was tun, nehmen oder Bushaltestelle?. Ganz kurz kommt mir der Gedanke, vielleicht könnte ich ja mal bei der Polizei nachfragen. Zur Not können die mich ja in einer Gefängniszelle aufbewahren, wäre für mich jetzt auch in Ordnung. Immerhin gibt es im Örtchen sogar noch ein altes Gefängnis, in dem aber heute ein Kindergarten untergebracht ist. Achja, übrigens um es vorwegzunehmen, Pfarrbüros nebst den dazugehörigen Pfarrern hab ich natürlich auch versucht zu kontaktieren. Aber erwische heute mal einen Pfarrer, das ist genauso ein Glück wie ein Zimmer in Zeven zu finden. Das ist nicht mehr wie früher, wo das Pfarrhaus noch für Besucher offenstand. Das sind geschlossene Häuser wo du erst nach Anmeldung den Geistlichen zu Gesicht bekommst mit Wartezeiten natürlich. Gar nicht auszudenken, wenn du mal Seelennot haben solltest und einen Pfarrer brauchst. Da musste sehen, wie du klar kommst mit deiner Seelennot.
Jedenfalls ich nehm das Zimmer in dem Radlerlandgasthof. Das Zimmer ist in Ordnung natürlich, aber dennoch überteuert, vor allen Dingen, da es von einer Seite aus an einer befahrenen Strasse liegt. Aber was willste machen, solang es Leuts gibt, mich in diesem Moment eingeschlossen, die bezahlen, warum nicht, so denken sich die Besitzer des Hauses sicherlich. Ich frage die natürlich auch mal, wieso eigentlich bekommt man in diesem Ort so schlecht eine Übernachtungsmöglichkeit und bin überrascht von der Antwort. Damit hätte ich nun nicht gerechnet, aber wie es sich weiter auf meinem Weg herausstellt, ist das die Wirklichkeit. Es verhält sich so, dass heutzutage die Pensionen, Landgasthäuser, Gastwirtschaften, aber auch kleineren Hotels von Firmen für ihre Monteure gebucht werden, die die Woche über aus anderen Städten in die Orte kommen, um dort ihre Arbeit zu verrichten. Auch in diesem Haus seien alle Zimmer an Monteure vermietet und ich sei mit drei anderen Gästen die Ausnahme. Oha denke ich, da weiß ich ja nun, was mir blüht, falls ich weiterhin selber nach bezahlten Übernachtungsmöglichkeiten suchen muß.
Ich fall erstmal in die Dusche, Hunger verspür ich kaum nach diesem ersten Schock und dem Gedanken, dass mein Experiment an diesem Punkt wohl jetzt schon zum Scheitern verurteilt ist. Setze mich vor das Haus unter die Terrasse, in der sich mittlerweile auch drei Männer eingefunden habe, die ich begrüße und sie frage, ob sie auch Radler wären. Und natürlich sind es keine, sondern einige der untergebrachten Monteure. Kommen aus dem Osten erzählen sie mir und arbeiten bei einer der bekanntesten und besten Firmen für Schwertransportsicherung. Oha, so was hab ich ja noch nie gehört. Aber das liegt wohl auch daran, dass ich mich mit dem Autoverkehr und den dazugehörigen Geschehnissen nicht mehr so auskenne. Nun frage ich sie ein wenig aus, ja was macht man denn da so, was ist ihre Aufgabe. Und so erfahre ich, dass die Schwertransporter erstmal natürlich eine Anmeldung brauchen bei der örtlichen Polizei um kleinere Orte anzufahren oder zu durchqueren. Die Polizei arbeitet dann mit der Sicherheitsfirma zusammen. Der Termin wird angegeben, wann so ein Fahrzeug eine bestimtme Stelle, die gesichert werden muss, durchfahren wird. Die Monteure machen sich dann auf den Weg, oft auch um die Mitternachtszeit, wenn der übliche Tagesverkehr ruht und müssen dann die Durchfahrtsstelle sichern, also Schilder abbauen, Barrieren abmontieren und Sicherheitsbeleuchtungen für evtl. anderen Verkehr anbringen. Keine so eifnache Arbeit und vor allen Dingen auch nicht ungefährlich. In ihrer Firma ist noch nie Jemandem bei der Arbeit etwas passiert, erzählen sie, aber es habe auch schon tödliche Unfälle gegeben. Nach der Durchfahrt des Schwertransportes muß natürlich auch alles wieder in die richtige Ordnung gebracht werden. Fertig, das wars dann. Am Tag haben sie oft nur zwei, drei Aufträge, dann sind sie fertig. Aber sie brauchen natürlich auch einige Zeit für die Abfertigung. Gut verdienen würden sie dabei. Natürlich würden sie diese Arbeit nicht unbedingt bis zur Rente machen wollen, aber solange es geht.
So hab ich in aller Enttäuschung über die Beschwerlichkeit eine Unterkunft zu finden dann doch noch ein interessantes Gespräch gehabt und Dinge erfahren, die ich so nicht wußte. Das sind die Dinge, die ich bei solchen Unternehmungen liebe. Über Menschen aus dem Leben von Menschen zu erfahren.
Mich nicht mehr grämend über die teuer erworbene Übernachtungsmöglichkeit begebe ich mich auf mein Zimmer, laße den Tag mit den schönen Eindrücken an mir vorüber passieren und schlafe letzten Endes zufrieden ein. Am anderen Tag gehts weiter.