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17. Februar 2021 3 17 /02 /Februar /2021 13:46

Da ich die letzten Tage immer mal wieder in einem Buch von Arno Gruen gelesen habe, möchte ich heute meine geneigten Leser auf diesen von mir geschätzten Psychoanalytiker, der leider am 20. Oktober 2015 im Alter von 92 Jahren verstorben ist, aufmerksam machen.  Für mich war er einer der wichtigsten Menschen, die unserer Welt etwas zu sagen hatte. Leider wurde er von den Medien, nach meiner Beobachtung, kaum beachtet. Selber war er kein Mensch, der sich aufgedrängt hat. Er betrieb seine Wissenschaft, schrieb seine Bücher, darin sagte er alles, was er zu sagen hatte zum menschlichen Sein in der Gesellschaft. 

Arno Gruen ist für mich also nicht irgendwer. Er ist der Autor von Büchern wie "Der Verrat am Selbst", "Der Wahnsinn der Normalität" oder "Der Verlust des Mitgefühls". Es sind diese Bücher, die ich immer wieder gelesen habe und lesen werde und deren Gedankenwelt mich seit Jahren beschäftigen. 

Wenn man versucht, diesen Arzt, Wissenschaftler und Schriftsteller mit ganz wenigen Worten zu charakterisieren, so verfällt man auf die Aussage, dass Arno Gruen im Wesentlichen zwei verschiedene Existenzweisen des Menschen sieht. Die erste steht im Zeichen der Macht, ist von Beherrschung und Kontrolle, von Abstraktion, von Stärke, von Erfolg im Wettbewerb geprägt. Die zweite Existenzweise basiert auf Liebe, auf Mitgefühl, auf Zärtlichkeit und auf dem Begriff einer Autonomie, der nichts mit der Behauptung der eigenen Wichtigkeit und Unverletzlichkeit zu tun hat, sondern der eine nicht entfremdete Harmonie mit dem eigenen Selbst zum Ausdruck bringt. Diesem Selbst sind Erfahrungen der Schwäche, der Hilflosigkeit, der Angst und des Schmerzes nicht fremd und verhasst, sondern als unvermeidliche Bestandteile des menschlichen Lebens wohl vertraut. Überflüssig zu sagen, dass Arno Gruen ein unermüdlicher Verfechter der zuletzt genannten Orientierung ist. 

Arno Gruen ging es nie um Gefühlsduselei. Und man glaubt es ihm einfach, diesem Menschen, der als kleiner Junge mit seiner Familie aus dem Hitler-Staat in die USA geflüchtet ist. Wenn man ihn an einem Rednerpult oder in einem Video zuschaut, kann man erkennen, dass er in jedem Augenblick den Ernst und die Sorgfalt eines Wissenschaftlers ausstrahlt. Der auf jegliche Show-Elemente verzichtet, der nicht einmal zur Auflockerung ein Witzchen einstreut. Das ist man nicht gewöhnt. Es handelte sich um einen Redenden oder Gesprächspartner, der sich keinerlei Sorgen um seinen "Marktwert" zu machen schien. Er wirkt glaubwürdig, die sachliche, fast demütige Form seines Auftritts korrespondiert vollkommen mit den Inhalten, die er teilweise schon seit Jahrzehnten zu vermitteln sucht. Man bemerkt mit einer Mischung aus Erstaunen und Dankbarkeit, dass in einem akademischen Umfeld plötzlich wieder Begriffe wie Liebe und Einfühlungsvermögen eine bedeutsame Rolle spielen. Welche angeblichen kritischen Geister in Deutschland haben es nach den 60er Jahren noch gewagt, sich in einer solchen Art und Weise zu äußern? 

Arno Gruen ist jedoch kein Ideologe, der da vorliest, keiner, der Realitäten setzen will. Sondern jemand, dem es in seinem ganzen Leben darum zu tun war, der menschlichen Wirklichkeit nachzuspüren. Sein Ausgangspunkt ist das Individuum, das er nicht vollständig von den Zwängen und Eigengesetzlichkeiten des Systems bestimmt sieht und dessen Wollen ein sehr persönliches Geheimnis sein soll. Die größte Gefahr für den Einzelnen sieht Arno Gruen in verzerrten und reduzierten Realitätsbegriffen, die nicht selten manipulativ und wie eine Waffe eingesetzt werden  - zum Beispiel von Erziehern. Wenn angepasste Menschen gern von freier Entscheidung oder von Eigeninitiative reden, sieht Arno Gruen häufig nur Gehorsamsakte, mit denen eine allgegenwärtige Angst beschwichtigt werden soll. Die Angst davor, den Leistungserwartungen nicht zu genügen, die Angst vor dem Versagen. Um Ängsten und Gefühlen der Schwäche aus dem Weg zu gehen, findet häufig eine Identifikation mit der Welt der Macht statt. Man halluziniert eine Teilhabe an der Macht und sucht Linderung seiner Leiden ausgerechnet bei denen, die einen überhaupt erst zum Leiden brachten. Stattdessen empfiehlt Arno Gruen der eigenen menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit zu vertrauen und davon ausgehend immer wieder neue Lebenserfahrungen zu machen. 

Arno Gruen war eng mit Henry Miller befreundet und wurde nach eigener Aussage stark von diesem beeinflusst. Von Miller stammt das Zitat: "Arno Gruen ist der erste Psychologe, der von Nietzsche geschätzt worden wäre". Dieses Urteil erscheint zunächst überraschend: Nietzsche hatte doch einerseits eine ausgeprägte Abneigung gegen Schwäche, und andererseits nahm für ihn das Streben nach Machterweiterung fast den Rang eines Naturgesetzes ein. Berührungspunkte der beiden sehe ich jedoch in der Hochschätzung von Individuum, Authentizität und Lebendigkeit. 

Es fällt leicht Arnos Gruens Gedanken zu folgen in seinen Büchern oder in seinen Gesprächen. Doch immer mal wieder drängte sich mir die Frage auf, ob der ganze Betrieb der Welt von seinen Thesen Kenntnis nimmt. Wohl nur Wenige, wenn man sich darauf bezieht, wie wenig er von der Medienwelt beachtet wurde. Doch ist es jetzt fast 6 Jahre nach seinem Tod immer möglich, sich mit diesen auseinanderzusetzen und seine Bücher zu lesen, und  Gesprächen, die man bei you tube oder anderen Medien findet, zu lauschen. Es lohnt sich. Jedesmal wenn ich in eines seiner Bücher schaue oder mir etwas anhöre, kommt mir der Gedanke, gibt es noch Hoffnung? 

 

Der Verrat am Selbst, Arno Gruen .... https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13514175.html

Der Wahnsinn der Normalität, Realismus als Krankheit, Arno Gruen  

Der Verlust des Mitgefühls, über die Politik der Gleichgültigkeit

 Das Lesen lohnt sich, sowie alle von ihm erschienenen Bücher. 

https://de.wikipedia.org/wiki/Arno_Gruen

https://www.deutschlandfunkkultur.de/nachruf-auf-arno-gruen-vordenker-einer-politik-des.1013.de.html?dram:article_id=334815

https://www.deutschlandfunkkultur.de/zum-tod-von-arno-gruen-warum-sind-wir-so-gerne-gehorsam.970.de.html?dram:article_id=304094

 

 

 

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