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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 18:13
Es regnet in Strömen, der Blick aus meinem Fenster sagt mir, komm bleib zuhause, in deiner Höhle. Aber an nur einem einzigen freien Tag in der Woche will ich immer so vieles. Ein bißchen Rückzug, aber auch das wißbegierige Schauen, was in unerer Stadt los ist. Seit einiger Zeit wußte ich schon von der Ausstellung im Museum Ludwig "Paula Modersohn-Becker"
 
Ich hatte bisher nur das eine oder andere Bild von ihr kennengelernt und schon immer war der Wunsch nach mehr von ihr in mir. So machte ich mich auf den Weg. Die Straßen wegen des schlechten Wetters leer und ruhig. Regen hat auch was! Umso größer war der Ansturm im Museum. 9,--? Eintritt, zwar einerseits viel, aber andererseits muß eine solche Ausstellung auch finanziert sein.
 
Paula Modersohn-Becker wurde am 8. Februar 1876 in Dresden-Friedrichstadt geboren. Damals feierte man "noch" das fünfjährige Bestehen des Deutschen Reiches. Die Industriealisierung hatte die Gesellschaft in ihrer Lebensform stark verändert. Erste Anzeichen von Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, wenn auch langsam, in Forschung und Politik, wurden sichtbar. Sigmund Freud revolutionierte das Denken der Menschen mit seiner Traumdeutung in bis dahin ungeahnte Dimensionen. Letztendlich Einstein, der mit seiner Relativitätstheorie dem Menschen eine andere Vorstellung von Raum und Zeit vermittelte. Das ist also der Hintergrund, in dem Paula Modersohn-Becker hineingeboren wurde. Sie selber war durch und durch Künstlerin, niht politisch aktiv. Sie lebte zurückgezogen in ihrer Welt der Malerei.
 
Ihre ersten zeichnerischen Versuche machte sie auf einer Englandreise zu Verwandten, um dort die Sprache zu erlernen und sich Fähigkeiten in der Haushaltsführung anzueignen.
 
Es folgte der Unterricht an einer privaten englischen Zeichenschule. Nach ihrer Rückkehr dann eine Ausbildung an einem Bremer Lehrerseminar. Als der Vater die Arbeit verlor, schwebte über ihr das Damoklesschwert, eine Gouvernantenstelle anzunehmen. Ihr starker Wille, ihre eigenen Träume zu verwirklichen, verhalf ihr letztendlich dazu, eine angemessene künstlerische Ausbildung zu absolvieren. Sie mußte, wie viele andere Künstlerinnen zu dieser Zeit, private Kunstschulen in Anspruch nehmen, denn so weit war die Gleichberechtigung noch nicht fortgeschritten.
 
Ein Satz, den sie einmal gesagt hat, ist mir beim Lesen ihrer Biographie ganz besonders haften geblieben:"Ich lebe ganz mit den Augen, sehe alles aufs Malerische an."
 
Wenn sie durch die Straßen ging, beobachtete sie die ihr entgegenkommenden Gesichter der Menschen. Sie versuchte das Wesentliche in ihnen zu entdecken.
 
Steht man nun in der Ausstellung vor ihren Bildern, schaut in die Gesichter der Portraits von Alten und Jungen, Männer und Frauen, fällt der Blick, bei mir jedenfalls war es so, sofort auf die Augen, große, ausdrucksstarke Blicke, mal nach innen, der Welt abgewandt, mal nach außen, oft skeptisch, ängstlich, traurig oder resigniert schauend. Nur in wenigen habe ich Freude, Heiterkeit und Leichtigkeit entdeckt. Auch ihre Selbstbildnisse zeichnen sich mit einem gewissen Schwermut aus, immer wieder fragende Blicke, aber auch eine starke seelische Kraft.
 
Die Grundlage ihrer Malerei, ihrer Form der Darstellung war das ständige Üben einer besonderen Form des Sehens. Für Paula war das Sehen nicht nur ein rein räumliches, auf Person oder Gegenstand, hell oder dunkel, bezogenes, sondern sie sprach von einem "sinnlichen Sehen", sie sprach eher von "Schauen". Und das ist wohl ein großer Unterschied. Denn ist es nicht so, ob ich eine Person ansehe oder sie anschaue, ist ein himmelweiter Unterschied. Ansehen bedeutet oft, kategorieren, Gestalt wahrnehmen, Farben erkennen, Größe festlegen usw.usw.. Das "Anschauen", "hineinschauen" in ein Gesicht eines Menschen, die Augen sich begegnen lassen, hat eine andere Qualität. Die Japaner sagen, in den Augen des Anderen erkennt man den Seelenzustand! Ein Gesicht "anschauen" bedeutet also auch, das Leben des Anderen erahnen, seine Haltung zum Leben erkennen können.
 
Diese Gabe war Paula Modersohn-Becker gegeben und man kann sie in all ihren Portraits erkennen. Die weichen, zarten und doch sehr ausdrucksstarken Farben verstärken ihre sensible und feinfühlige Ausdruckskraft.
 
In der Ausstellung sieht man u.a. auch einige ihrer Selbstbildnisse. Sie spiegelte sich gern, war sehr an dem Erforschen ihrer eigenen Persönlichkeit interessiert. Die Malerei war, so liest man in der Biographie, auch eine Art der Selbsterfahrung. So war sie auch eine der ersten Frauen, die es wagte, sich selber nackt darzustellen. Für die damalige Zeit eine Unerhörtheit. Die Kraft dazu hatte sie aus ihrem starken Selbstbewußtsein, ihrer inneren Sicherheit und ihrer unglaublichen Lebensenergie. Und so ist es wohl auch, je mehr der Mensch sich selbst erkennt, um so stärker wird er und kann aufrecht allem Geschehen gegenüber entgegentreten.
 
Zu Rainer Maria Rilke hat sie einmal gesagt, nachdem sie verheiratet war:"Und nun weiß ich gar nicht mehr, wie ich mich unterschreiben soll. Ich bin bicht Modersohn und ich bin nicht Paula Becker. Ich bin ich und hoffe, es immer mehr zu werden!"
 
Das hat mir gefallen. Das Ringen darum "Ich" zu sein, sich freizumachen von Verformungen und Verhaltensmustern, die aus der Kindheit resultieren, den Erwartungen anderer entsprechen zu wollen, scheint ein lebenslanges Unterfangen und Ringen zu sein. Aber ein Kampf, der sich lohnt. Denn nichts ist von größerer Bedeutung, als zu wissen, wer man ist.
 
Paula Modersohn-Becker lebte einen großen Teil ihres Lebens in Worpswrede, einem Künsterlort bei Bremen. Sie heiratete Otto Modersohn 1901, ihre Ehe dauerte ganze 6 Jahre. Am 2o. November 1907, wenige Wochen nach der Geburt ihrer Tochter Mathilde, verstarb sie an den Folgen einer Embolie. Ein kurzes, aber erfülltes Leben wohl. Sie ist auf dem Friedhof in Worbswrede beigesetzt.
 
Die Ausstellung der Bilder im Museum Ludwig bezieht sich auf ihre Schaffenszeit, in der sie sich mit den Bildern von Gesichtern alter ägyptischer Mumien beschäftigte, deren Einfachheit und Klarheit ihre eigene Arbeit sehr beeinflußte. Immer wieder zogen die teils 2ooo Jahre alten Gesichter sie in ihren Bann. Daraus entstand ihr ganz eigener Stil der Portraitmalerei, der wegweisend für eine ganze Epoche war.
 
Eine Ausstellung, die sich lohnt, finde ich. Ein Spaziergang vorbei an Gesichtern von Menschen, die ihr eigenes Leben erzählen!
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