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3. Januar 2021 7 03 /01 /Januar /2021 14:17

Dieses Buch von Anne Weber, die 2020 den Buchpreis dafür erhielt, muss man gelesen haben. Ein Krimi, obwohl natürlich das Buch nicht unter das Genre *Krimi* fällt. Jedoch liest es sich so unglaublich spannend, dass es nicht aus der Hand gelegt werden kann. 

 
Ein Heldinnen-Epos, ist der Buchtitel. Darüber, was und wer für ein Held gehalten werden darf, kann sich bekanntlich gestritten werden. Da hat jeder eine eigene Vorstellung. Persönlich denke ich immer an Menschen, die ganz unscheinbar in ihrem Alltag ein solches Heldenleben führen, in dem sie sich für Andere einsetzen, ihnen zur Seite stehen und dennoch von der Öffentlichkeit unbeachtet sind. Wie viele solcher Helden und Heldinnen die in ihrem Lebensalltag ihre Arbeit machen es wohl geben mag.
 
Dieses Buch jedoch handelt nicht von einer fiktiven Person, sondern von einer großartigen Frau, die mit ihren jetzt 97 Lebensjahren sich noch bester Gesundheit erfreut . Keine andere als Anne Beaumanoir, Neurologin, klinische Neurophysiologin, Epileptologin, Judenretterin und Resistance-Kämpferin. Sie engagiert sich noch heute vor allen Dingen an Schulen gegen Rassismus, Nationalismus und religiösen Fanatismus, in dem Sie Vorträge hält und Seminare gibt. 
 
Ihr Leben erzählt Anne Weber als Epos, in Versen, eine gewaltige Prosa, die dennoch leicht und flüssig zu lesen ist. Ich empfand eine Leichtigkeit ob der geschriebenen Zeilen, die da unregelmäßig auf einer Buchseite erschienen, die die Erzählung niemals langatmig werden ließ. 
 
Anne Beaumanoir, geb. am 30. Oktober 1923,  wuchs in kleinen Verhältnissen in der Bretagne auf. Ihre Eltern waren Gastwirte, freiheitlich gesinnt. Sie hatte durch die Jugendherbergsbewegung Kontakt zu den Trotzkisten, schwärmte für den  Abenteurer und Schriftsteller Andre Malraux.
 
Im Buch heißt Anne Beaumanoir einfach nur Annette. Sie hält sich Zeit ihres Lebens für *Niemand* Denn als sie begann während des 2. Weltkrieges im Widerstand gegen das mörderische Regime der Deutschen zu kämpfen, wechselte sie ständig den Namen und ihr Aussehen. Schon als 13-jährige  war für Annette ein Dasein als sozialistische Aktivistin das zu erstrebende Lebensideal. Sie weiß einfach wo ihr Leben hingehört. So engagiert sie sich schon als der spanische Bürgerkrieg begann in einer Bewegung, die gegen Francos Diktatur kämpfte und eben später dann gegen Hilters Weltherrschaftsanspruch und seinen verbrecherischen Krieg. 
 
Hitler greift Frankreich an und Annette schließt sich der Resistance mit gerade mal 17  Jahren an. Ihr Leben von da an besteht aus Botengängen, überbringen von Materialien, finanziellen Unterstützungen, aber auch vom Transportieren gefährdeter Mitkämpfer an sichere Orte. Diese Arbeit trägt sie durch ganz Frankreich. Sie kennt jeden Ort. Die Arbeit in der Resistance-Bewegung verlangt ihr Gehorsam und Akzeptanz der vorgegebenen Regeln ab, an die sie sich zu halten hat. Einzelaktionen abweichender Form sind da nicht erwünscht. 
 
Und dennoch, als sie von den sich in Gefahr befindenden Menschen hört, die sich in einem Haus verstecken vor den Nazis, tut sie einfach, was sie meint tun zu müssen und kann 2 der jüdischen Kinder retten. Sie bringt sie in abenteuerlicher Reise von Paris aus zu ihren Eltern, die sich um sie kümmern werden und die es schaffen werden, die barbarische Zeit der Nazis zu übersehen. Dafür wird sie von ihren Genossen abgestraft und versetzt. 
 
Es grenzte sicher für manchen Widerständler an Wunder, dass sie dieses schreckliche Zeitgeschehen überstanden und zu überleben haben. Annette beweist in immer neuen auftretenden Widrigkeiten und Gefahrenlagen eine praktische Lebensintelligenz, vor allem aber hatte sie ein Gespür dafür, wem sie vertrauen konnte und wem nicht. Dennoch wird ihr das am Ende dann einmal nicht helfen, denn von einem , dem sie vertrauen musste und für dessen Sicherheit sie gar sorgen musste und ihre eigene damit aufs Spiel setzte, wird sie verraten. Aber das kommt erst später. 
 
Der Krieg ist vorbei. Anfang der 50er Jahre gründet Annette eine Familie, sie bekommt 2 Söhne und arbeitet als Neurophysiologin. So richtig findet sie sich jedoch in einen normalen Lebensalltag nicht hinein. Das abenteuerliche Leben des Widerstandes fehlt ihr. Auch wenn sie sich neben Familie und Beruf in der Parti communiste francais wieder mit Botengängen und Bespitzelungsdiensten engagiert.  Die in ihr bis dahin verwurzelte  kommunistische Gesinnung erscheint ihr durch ihre Erfahrungen und Beobachtungen plötzlich zweifelhaft.
Die Worte ihres Vaters kommen ihr in den Sinn: Bei den Kommunisten verhält es sich so, dass die eine Hälfte immer  damit beschäftigt ist, die andere zu bespitzeln. Genau das sieht sie. 
 
Als sie sich mit Rousseaus beschäftigt, schließt sie sich seiner Überzeugung an: *Nichts ist es Wert auf dieser Erde mit Menschenblut erkauft zu werden* und sie kehrt der kommunistischen Gesinnung den Rücken und will nicht mehr für sie arbeiten. 
 
Wir befinden uns im Jahr 1954. Frankreich reagiert auf das besetzte Algerien und deren Unabhängigkeitsbefürworter- und kämpfer mit Repression und Folter. Annette kann ihrem Gerechtigkeitssinn nicht widerstehen und beginnt sich mit den algerischen Unabhängigkeitskämpfern, der FLN, zu solidarisieren und für sie zu arbeiten. Wieder als Botengängerin, Überbringerin, vor allen Dingen um die finanziellen Mitteln des Kampfes zur Verfügung zu stellen. Sie wird von da an eine Terroristin gegen den eigenen Staat. 
 
Dieses Engagement ihrerseits wird ihr zum Verhängnis. Verraten und zu 10 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt, da auch nicht hilft, dass sie in der Zeit der Besatzung durch die Nazis zu den Widerstandskämpfern gehörte, Leben gerettet hat.
 
Sie ist mit ihrem dritten Kind schwanger, dass eine kleine Tochter sein wird, als sie ins Gefängnis geht. Hoffnung auf Begnadigung schwindet dahin und es hilft nur das eine: Flucht. Und dazu wird ihr verholfen. Nach Nordafrika, Algerien. Der Preis ist hoch. Ihre Kinder wird sie nicht mehr sehen, bzw. nur noch selten. . Auch wenn sie Hoffnung hat. Immer wieder. Dass Mann und Kinder nachkommen können. Aber ihrem Mann, der es versucht, wird die Ausreise verweigert. 
 
In Algerien arbeitet sie als Ärztin und kämpft weiter mit um die Unahängigkeit Algeriens. Die Kämpfe sind schwer, auch hier Folter, Ermordungen ausgeübt von den Partisanen und Annette hat wieder ihre Zweifel: Wenn das Gerechtigkeit sein soll! Dennoch folgt sie ihrer Lebensmaxime: Sie gehorcht dem Gebot des Ungehorsams. 
 
Dann  kommt sie, die Unabhängigkeit Algeriens und unter dem Präsidenten Ben Bella bekommt sie gar einen Posten im Kabinett des Gesundheitsministers. Zwei Jahre währt ihre Zeit und Arbeit, dann kommt der Militärputsch und wieder muss sie fliehen. 
 
Ein kleiner Einblick. Mehr will ich nicht verraten. Dazwischen gefüllt mit Abenteuer, Spannung dieses einzigartige Leben einer Frau, die alles getan hat, um sich selber nicht zu verraten. Die Mann und Kinder verlassen hat, die in Algerien gar mit einem anderen Mann, obwohl verheiratet, zusammenlebte, niemals aufgehört hat, um ihre Kinder zu kämpfen, die ihr aber, als sie sie dann endlich sehen kann, entfremdet sind. 
 
Ein Leben voller Kampf, Zweifel. Fluchten, Veränderungen und Selbstzweifel und das Anerkennen müssen, des sich *geirrt* zu haben, in seinen Idealen und  immer wieder neu Aufstehen und Weitermachen. Sicher ist es für Annette immer ein Trost gewesen, Menschenleben gerettet haben zu dürfen, auch wenn dadurch ihr eigenes ein großes Stück verloren gegangen ist. Das genau aber macht sie zu einer Heldin. 
 
Wenn ich vor etwas Respekt habe, dann vor Menschen wie Annette Beaumanoir, die sich zeitlebens einsetzten für Gerechtigkeit, Solidarität und Menschenwürde, für die, die keinen Anwalt haben, denen Niemand hilft. Und immer wieder kann sich der Mensch fragen, wie hätte ich in einer solchen Zeit gelebt und gehandelt. Hätte man den Mut gehabt, Ähnliches zu schaffen, Mut aufzubringen, das eigene Leben hintenanstellen, um Andere zu retten? 
 
Neulich las ich, dass die Deutschen meinten, 25% der Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus hätten Widerstand geleistet oder Leben jüdischer Mitbürger gerettet. Was für eine Täuschung. Es waren nur 1%. Traurig aber wahr. 
 
Anne Weber
Annette
Ein Heldinnen-Epos
Matthes & Seitz Berlin
22 Euro
 
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