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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 18:05
Gestern erzählte mir jemand, dass man im fortgeschrittenen Alter zu sehr mit der Vergangenheit beschäftigt ist. Warum? Ist das eigentlich normal, je älter man wird, um so weniger zählt das Heute, neue Erfahrungen kommen kaum hinzu! Irgendwie scheint Stillstand vorzuherrschen. Wenn man als alter Mensch, durch körperliche Gebrechen an die Wohnung gefesselt ist, zählen diese Erinnerungen an die Vergangenheit wohl noch mehr. Unsere alte Großtante hat immer gesagt, Röschen, je älter du wirst, um so wichtiger wird es, sich an die schönen Dinge des Lebens, das man geführt hat, zu erinnern. Daher unternehme viel, damit du im Alter etwas hast, an dass du dich hängen kannst, Bilder, die du abbrufen kannst.
 
Ja, es stimmt schon, denn manchmal erinnere ich mich jetzt auch schon an vieles, was zurückliegt und bewältigt wurde. NAtürlich habe ich aber auch noch viel vor, so die Gesundheit es zuläßt.
 
So saß ich gestern mal wieder an meinem Schreibtisch und sortierte mein vergangenes Leben, wohl auch, weil ich nun bald fort bin. Irgendwie will ich alles geordnet hinterlassen. Dabei fielen mir auch meine Tagebücher in die Hände und ich blieb an einem Tagebuchauszug aus dem Jahre 1994 hängen.
 
1994, da waren meine Kinder 11 und 9 Jahre alt. Wir fuhren damals immer in den Schwarzwald auf einen Bauernhof in Urlaub. Bei einem dieser Urlaube wurde auch ein damaliger Traum von mir wahr. Wir fuhren nach Dornach zum Goetheanum!
 
Nun, ich war zu dieser Zeit sehr mit der Anthroposophie beschäftigt. Die Kinder besuchten einen Waldorfkindergarten, später dann einige Jahre die Waldorfschule und ich arbeitete in vielen Gremien mit und beschäftigte mich mit Zielen und Inhalten der Anthroposophie. Eine Zeit mit positiven und negativen Erfahrungen.
 
In dieser Zeit begeisterte ich mich besonders für die antrhoposophisch orientierte Bauweise und Architektur. Daher auch mein Traum, einmal im Leben das Goetheanum zu sehen.
 
Schon allein die Fahrt dorthin, vorbei an alten Ruinen und Burgen im Umkreis von Birstal ist ein Erlebnis. Man fährt vorbei an vielen Kalkfelsen, durchzogen von Hohlräumen und Schründen der Verwitterung, wobei die äußere Einwirkung der Eiszeit viele Gletschermühlen und Höhlen entstehen ließen.
 
Das Goetheanum selber liegt in einem sogenannten "Bergsturzgebiet". Ich muß sagen, dieser erste Anblick des Baus selber hat damals alle meine Vorstellungen und Projektionen übertroffen. Der Architekt Ranzensberger, der maßgeblich am Bau und der Landschaftsgestaltung des Umfeldes beteiligt war, legte großen Wert darauf, dass sich das erste einmalige Erblicken des Baus zu einem Erlebnis gestaltete.
 
Das Goetheanum wurde 1925-1928 nach einem Modell Rudolf Steiners erbaut. Dort haben bis heute die Freie Hochschule für Geisteswissenschaften und die Allgemeine Antroposophische Gesellschaft ihren Sitz. Rudolf Steiner hatte eigentlich den Plan dieses Bauwerk in München zu errichten, mit der Zielsetzung, einen Ort zu schaffen mit einer großen Bühne und vielen Nebenräumen, wo die Arbeit an den Mysteriendramen fruchtbar gestaltet werden konnte. Das wurde aber damals nicht genehmigt. So liegt also bis zum heutigen Tage der Hauptsitz der antroposophischen Bewegung in der Schweiz.
 
Für Steiner war klar, dass die Gestaltung des Bauwerks bis in das kleinste Detail hinein, dem entsprechen mußte, was im "Inneren" stattfinden sollte. Er sprach damals in diesem Zusammenhang von dem Beispiel einer "Nußschale", die in ihrer Form dem inneren Kern angepaßt werden sollte.
 
Dem antroposophischen Wirken lag eine Polarität vor, eine Doppelheit, die man in etwa so beschreiben kann:
übersinnlich-sinnlich,
Geber-Empfänger,
Redhner-Publikum.
 
Praktisch zeigte sich das dann in der Doppelkuppel des ersten Baus in Dornach aus. Über der Bühne sah man eine kleine Kuppel, über dem Zuschauerraum die große, genau dazwischen war das Rednerpult.
 
Nun denn, die Grundsteinlegung erfolgte 1913. Steiner zog im darauffolgenden Frühjahr nach Dornach. Schon im April 1914 wurde das Richtfest gefeiert. Der Zuschauerraum umfaßte Platz für ca. 1ooo Personen. Die Baukosten betrugen damals über 7. Mio. Schweizer Franken, überwiegend durch Spenden gedeckt. Große Teile des Bauwerks wurden in Holz geschnitzt, Pfeiler mit Sockeln, Kapitäle, Türen und Fensterbögen und ganze Teile der Außen- und Innenwände. Viele Arbeiter verschiedenster Berufe verließen damals ihre Heimat, um an diesem Werk mitzuarbeiten. Im Laufe des 1. Weltkrieges arbeiteten dort Angehörige von 17 Nationen zusammen in friedlicher Gemeinschaft, während im nahen Elsaß die Kanonen Tag und Nacht donnerten.
 
Am 31.Dezember 1922 in einer Sylvesternacht wurde das Goetheanum durch Brandstiftung ein Raub der Flammen. Man begann wieder von vorne.
 
Das zweite Goetheanum wächst dann zwar wieder in der Gestalt des ersten an ihre Grundform hinein, besteht aber nun aus Beton. 11o.ooom3 umbauten Raumes umfaßten die sichtbare Hülle des niedergebrannten Holzbaus.
 
Im Inneren entsteht die Wandelhalle, deren Bau von den Architekten, nach Steiners Tod, betreut wurde. Weiter entstehen kleinere Räume, u.a. der "englische Saal" mit Platz für ca. 2oo Zuhörern.
 
Sämtliche Fenster sind mit Glasradierungstechniken ausgestaltet worden. Die damaligen Künstler gravierten die Motive bei durchscheinendem Licht in das ca. 2 cm dicke farbige Glas. Ein besonderes Werkzeug, das Karborundum, das maschinell betrieben wurde, war extra dafür angefertigt worden.
 
Alle Motive der Fenster sind flächig aus dem Glas herausgearbeitet worden. Die Technik nannte man Schrägschlifftechnik.So wurde die Loslösung des Motivs vom Glas in noch stärkerem Maße möglich. Der Schatten löst sich auf, das Bild wird von Licht in den Raum getragen, das Motiv selber wird Licht. Einfach beeindruckend. Wer einmal in diesem Raum verweilt und sich der Stimmung, die durch die unterschiedlichen Lichteinflüsse zustandekommt, hingibt, wird wie verzaubert sein.
 
So sieht man ein großes rotes Fenster mit verschiedenen Engelgestalten, dazwischen den "Christus". Ein Spruch bezeichnet dieses Fenster:"Hier stehen wir umflutet von Licht, von Angesicht zu Angesicht, einem Blick begegnend, der uns auf das Tiefste berührt!"
 
Im großen Saal dann die mehrfarbigen Fenster, grün, blau, rot, orange, türkis, die das Suchen alles Geistigen hinter der Natur verstärken soll. Der große Saal hat Platz für ca. 1ooo Zuhörer und Zuschauer und ist der größte Veranstaltungsraum. Hier finden bis zum heutigen Tage Theateraufführungen, Vorträge, Eurythmie und Konzerte statt.
 
Das Goetheanum bei Nacht, von innen erleuchtet, erstrahlt in seiner Wärme der Farben nach außen und erreicht einfach das Herz des Menschen, ja, und kann einfach nur verzaubern.
 
Die Innenräume sind ausgestattet mit vielen Holzplastiken, damals jedenfalls und ich erinnere mich besonders an eine Christusstatue, zu deren Füßen Rudolf Steiner am 3o. März 1925 entschlafen ist.
 
Ich könnte noch vieles, vieles mehr erzählen, von Farben, Ausstattung und Beschaffenheit des äußeren und inneren Bauwerks, aber es würde den Rahmen sprengen.
 
Ich kann nur jedem empfehlen, der einmal in die Nähe reist, dieses wunderbare Bauwerk zu besichtigen. Es gibt keines seinesgleichen. Und natürlich gibt es in der Umgebung viele andere schöne Bauwerke zu sehen. Bei einem Spaziergang kann man die alte Schreinerei entdecken. Viele wunderschöne Häuser in anthroposophisch gestalteten Architektur. MAn findet Versuchsgärten der biologisch-dynamischen Landwirtschaftsmethode, ebenfalls das Antrhoposophische verlagshaus,dass dort ihren Sitz hat und das ebenfalls zu besichtigen ist.
 
Im Großen und Ganzen hat man das Gefühl, in eine andere Welt einzutauchen und wenn ich mich jetzt, in diesem Moment erinnere, war das für mich damals auch sehr wichtig. Ich war zu dieser Zeit schon etwas auf der Flucht vor der Realität und auf der Suche. Und die ANthroposophie mit allem, was sie zu bieten hat, kam mir damals sehr entgegen. Heute möchte ich diese Zeit nicht missen.
 
Nun denn, jetzt habe ich ein bißchen geschwelgt in der Vergangenheit. Aber ich glaube, ich möchte gerne noch einmal hin. Ist es nicht so, dass man irgendwann gerne einmal wieder an die Orte zurückkehren möchte, die einem besonders ans Herz gewachsen sind und die man mit einer Zeit verbindet, in denen man die größten Entwicklungsschritte seines Lebens getan hat.
 
Schaun wir mal. Und nun lege ich mein Tagebuch zur Seite und hoffe, der eine oder andere hat Freude und Interesse an diesen meinen Erinnerungen!
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