Overblog
Edit post Folge diesem Blog Administration + Create my blog
10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 20:12

Morgen Abend kommt um 20.15 Uhr im WDR eine Sendung zum Thema Heimat und Heimweh mit dem Titel "Vertriebene an Rhein, Ruhr und Weser". Ich bin heute beim Bügeln darauf aufmerksam geworden. Der kurze Hinweis hat mich dann die ganze Zeit beschäftigt und ich habe darüber nachgedacht, was für mich eigentlich Heimat bedeutet.
 
Heimat verbinde ich mit bestimmten Erlebnissen, Gerüchen, den guten Erinnerungen und natürlich Familie und Freunde, die man möglicherweise zurückgelassen hat.
 
Meine Eltern waren Vertriebene. Mein Vater kam aus Insterburg, Ostpreußen. Seine Mutter musste mit vier Kindern vor den Russen flüchten und ist schließlich in Duisburg gelandet, nach vielen Zwischenstationen. Meine Mutter kam aus Belgrad, Pommern. Auch ihre Mutter ist mit fünf Kindern allein geflohen und kam dann ebenfalls nach vielen Zwischenstationen, nachdem sie eine längere Zeit in St.Peter-Ording gelebt hatten, ebenfalls nach Duisburg.
 
Hier bin ich also geboren und aufgewachsen. Es war kein schöner Ort. Ich bin im legendären „Duisburger Gleisdreieck“ aufgewachsen und habe bis zu meinem 13. Lebensjahr dort gewohnt. Es war eine Wellblechhüttensiedlung, sie lag genau zwischen drei Gleisen, auf denen die Züge vorbeiratterten.

Das ist z.B. eine solch schöne Erinnerung. Ich habe oft nach den Zügen geschaut und schon damals hatte ich immer den Wunsch in einen der Züge zu steigen und einfach irgendwohin zu fahren. Denn das Leben in der Familie und in der Siedlung war kein Zuckerschlecken. Tag für Tag Gewalt und Armut. Immer mit Angst in die Schule, wurde man wieder gehänselt wegen seiner Herkunft? Meine Eltern hatten oft kein Geld und schickten mich dann zum Einkaufen. Ich habe noch genau die Blicke der anderen in Erinnerung, wenn sie mich anstarrten, weil ich „anschreiben“ lassen musste. Ja, das gab es damals noch. Kleine Läden, wo man auf Kredit kaufen konnte. In der Siedlung lebten damals die „kleinen Brüder Jesu“ .Sie führten dort ein freiwilliges Leben in Armut und standen mit Rat und Hilfe den Menschen dort zur Seite. Sie waren ein wirklicher Lichtblick. Dazu kamen die schweren traumatischen Erlebnisse im eigenen Elternhaus. Nein, ich kann nicht sagen, dass ich mich irgendwie an diesen Ort zurücksehne. Heute ist der Ort allerdings nicht mehr zu erkennen. Man hat einen wunderschönen Park dort angelegt.
 
Meine Eltern hörte ich oft von ihrer Heimat erzählen, meinen Vater von Insterburg, von der wunderbaren Landschaft, der Natur, einer Kindheit, die man noch draußen verbracht hat. Auch meine Mutter hat immer wieder von der Schönheit ihres Geburtsortes erzählt. Irgendwie sind sie immer Fremde geblieben.
 
Bis vor einigen Jahren konnte ich mit dem Begriff „Heimat“ für mich selber gar nichts anfangen. Ich bin dann mit 12 Jahren nach Köln gekommen und da ist das Leben für mich ein klein wenig besser geworden. Mein Vater bekam eine Hausmeisterstelle am Theodor-Heuß-Ring. In der Wohnung im Souterrain hatte ich dann endlich ein eigenes Zimmer, wenn man auch durch einen Heizungskeller musste und ich habe immer noch die Geräusche in den Ohren, wenn man über die vergitterten Tritte gehen musste. Als ich mit 17 Jahren von zu Hause wegging, bezog ich eine eigene kleine Wohnung in Longerich. Dann mit meinem Mann zogen wir in eine Wohnung in Höhenberg, später in eine Wohngemeinschaft in die Eifel. Aber auch da blieben wir nicht lange. Bis wir dann nach Köln-Nippes kamen. Hier lebe ich nun die letzten 25 Jahre. Nun, das Leben ist gelebt worden, Kinder groß gezogen, Freunde gewonnen, in der Gemeinde eingegliedert und viele netten Nachbarn.
 
Seit drei oder vier Jahren habe ich jetzt erst das Gefühl, eine Heimat zu haben. Jede Strasse, jeder Ort hat hier für mich eine Geschichte. Ich gehe an den Häusern vorbei, wo die Freunde gewohnt haben. Ich gehe durch die Strassen, wo ich schon mit den Kindern tagtäglich meine Spaziergänge gemacht habe. Und manchmal, wenn ich so durch die Strassen gehe, kommen Erinnerungen einfach angeflogen. Dann zieht Wehmut durch mein Herz, manchmal erscheint ein Bild vor meinen Augen von dem, was vergangen ist. Manchmal sind es banale Alltäglichkeiten. An einer Strasse erinnere ich mich, wie mein Sohn genau an dieser Stelle einen heftigen Tobsuchtsanfall hatte, der genau vor dem Haus mit der verrosteten Haustür stattgefunden hat. Oder als ihm das Eis aus der Hand fiel, genau an der Ecke, wo der Bordstein noch immer denselben Riss hat. Und da ist die Kneipe gegenüber vom Fahrradladen und es steht immer noch dieselbe Frau hinter der Theke, wie damals, als ein Gast tobend von der Polizei abgeholt wurde. Wenn ich hier in Nippes durch die Strassen gehe, empfinde ich die Schönheit des Lebens. Es macht mich froh morgens über den Nippesser Markt zu gehen. Ich treffe immer Jemanden den ich schon so lange kenne und dessen Leben mir bekannt ist. Man hat die Entwicklungen seines Lebens verfolgt. Es ist schön, im Sommer in einem der vielen Cafes auf der Strasse zu sitzen und zu spüren, hier bin ich zuhause. Auch wenn sich Nippes sehr verändert hat, gibt es mir doch das Gefühl, dass hier meine Heimat ist. Ja Köln, ist meine Heimat geworden.
 
Natürlich bin ich auch immer mal wieder in Duisburg gewesen. Ich wollte mich mit der Vergangenheit konfrontieren. Ist schon merkwürdig, dass man als Kind alles in einer anderen Dimension sieht. Aber die Gerüche sind sofort wieder lebendig. Ich finde es schön, dass Duisburg nicht mehr die von den Zechen verrußte Stadt ist, dass es jetzt viel Grün gibt und dass der Hafen wunderschön ausgebaut ist. Auch kann man jetzt  vom Schwanentor an spazieren gehen und es sich gut gehen lassen. Auch liebe ich das Wilhelm-Lehmbruck Museum.
Ich werde bestimmt auch mal eine Fahrt in die Heimat meiner Eltern unternehmen, einfach um zu sehen, wo die Wurzeln unserer Familie sind.
 
Heute ist es ja eigentlich aufgrund der Globalisierung auch schon normal, dass man mit seiner Familie nicht mehr an einem Ort bleibt. Ich kenne Familien, die mit ihren kleinen Kindern wegen des Berufes nach Norwegen und Schweden gegangen sind. Man kann oft nicht mehr frei entscheiden, wo man wirklich leben will.
 

Ich kann die Menschen sehr gut verstehen, die ihre Heimat verloren haben und ich fühle ihre Sehnsucht nach dem Ort ihres Aufwachsens und den Menschen, die sie damit verbinden. Grundsätzlich aber glaube ich, dass Heimat überall für mich da sein kann, wo ich von Menschen umgeben bin, die mich annehmen und die bereit sind, mit mir ein Stück Weg zu gehen.
 
Ich bin gespannt, was die Sendung zu berichten hat.

Diesen Post teilen
Repost0

Kommentare