Ebenso werde ich die Menschen, das Land Ladakh vermissen, wenn wir uns hoffentlich am Freitag, was noch nicht klar ist, da das israelische Ehepaar, mit dem wir uns zusammengetan haben, heute erkrankt ist, verlassen werden. Es ist nicht so einfach, hier wieder wegzukommen. Vorlaeufigkeit ist angesagt. Schaun wir mal! 11 Tage waren wir nun hier an diesem ruhigen, spirituellen Ort. Tage wunderbarer Ruhe und des Eintauchens in eine andere Kultur, in diese karge Landschaft und in den Kontakt mit warmherzigen, offenen und einfachen Menschen.
Fuer mich war es noch ein Paradies, obwohl dieses Paradies Ladakh laengst der Vergessenheit angehoert. Leider ist nach dem Oeffnen der Grenzen fuer den Tourismus im Jahre 1974, der Stationierung der indischen Armee, da Ladakh ein wichtiger strategischer Punkt ist, nachdem China Tibet besetzt hat und immer wieder Unruhen auch in Pakistan aufflammen und der Verwestlichung, den Wirtschaftsinteressen und der Profitgier einzelner dieses Paradies mehr und mehr verloren gegangen. Aber ein kleines bisschen hab ich noch eine Ahnung davon bekommen, wie das Leben sich hier einmal gestaltet hatte.
Am deutlichsten spuerbar war es, wenn ich nach 3, 4 Stunden Fahrt durch die Geroellwueste Himmalaja in die kleinen entlegenen Bergdoerfern kam, eine Aneinanderreihung von 2o, 3o kleinen Lehmhuetten. Kam man zur Tuer herein, unten die Raume fuer das Vieh, das in den hoeher gelegenen Gebieten die Haupteinnahmequelle der Ladakhis ist, im ersten Stock dann die grosse Kueche, in dem das gesamte Leben der Menschen stattfindet, kochen, waschen, essen, Geselligkeit, der grosse Herd, um den man sich im Winter versammelt, um sich Geschichten zu erzaehlen oder einfach zu singen, jedenfalls habe ich es so erzaehlt bekommen. Und die Winter sind lang in Ladakh, ganze acht Monate, zum Teil immer noch ohne Strom, fliessend warmem Wasser, ohne Fernseher, Radio, Computer etc. Und trotzdem, nie habe ich so lebendige, natuerliche, lachende Gesichter gesehen, wie hier. Und es ist kein aufgesetztes Lachen, es kommt von innen. Die Menschen sind zufrieden, noch, jedenfalls in den abgelegenen Bergdoerfern.
Jedesmal war ich innerlich ergriffen, wenn ich 5o km von jeglicher Zivilisation entfernt, einen Trupp Bauarbeiter in der Steinwueste sah, uebrigens unglaubliche viele Frauen, tief verhuellt, so dass man gerade noch Augen und Mund erkennen konnte, um sich vor dem staendigen Staub und der sengenden Sonne zu schuetzen, die schwere Steine schleppten, schlugen oder einfach die Sandstrasse versuchten zu vefestigen. Und gerade diese Frauen waren es, die trotz dieser unglaublich schweren Arbeit mir lachend entgegenkamen, winkten ein Dschuley riefen, die eine Froehlichkeit in sich trugen, die kaum zu glauben war. Fuer gerade mal 1oo Rupien am Tag, wenn sie Glueck hatten, verrichten sie diese Arbeit, um mitzuhelfen, ihre Familien zu ernaehren. Und wenn ich sie da manchmal am Wegesrand, mitten in der Hitze, der verbrennenden Sonne einfach so liegen sah, hatten sie meinen groessten Respekt und ich musste an so manche Noergler in meiner Heimat denken, wo das Jammern auf hohem Niveau manchmal einfach ekelhaft ist. Ich empfehle jedem dieser Noergler, sich einmal nach Indien zu begeben, damit er wieder auf den Tepich kommt und zu schaetzen weiss, was er hat. Ich glaube, vielen ist die Dankbarkeit fuer das, was man hat, verloren gegangen. Das macht unzufrieden. Ich hoffe, das wird jetzt nicht falsch verstanden. Das Lebensmotto der Ladakhis ist:"Warum soll man ungluecklich sein!"
Aber ich erzaehlte von dem letzten Paradies das verlorengegangen ist. Man muss sich vorstellen, dass Ladakh, wie ich schrieb, erst im Jahre 1974 fuer Touristen und den Westen erschlossen wurde. Die Hauptstadt Leh war durch die ploetzliche Uberflutung von Touristen, die einer regelrechten Invasion gleichkam, am meisten von den Veraenderungen betroffen. In den letzten 3o Jahren ist Leh um das Doppelte an Einwohnern angewachsen. Kletterer und Bergwanderer, Menschen auf der Suche nach Spiritualitaet zieht es hierhin. Und auch ich wollte mich natuerlich davon ueberzeugen, von der so anderen Welt, von den Kloestern, dem buddhistischen Weltbild, aus dem heraus die Menschen hier leben. Ladakh wird ja auch das "kleine Tibet" genannt. Die absolut phantastischen und beeindruckenden kloesterlichen Monastryen des tibetischen Buddhismuss, eingemeisselt, eingebaut in die Berge hinein, muss man einfach gesehen haben. Erst vor ein paar Tagen durften wir ganz unverdient in Likki an einer buddhistischen Gebetszeremonie teilnehmen, anwesend mindetens 3o bis 4o Kinder, immer noch wird jeweils ein Kind einer ladakhischen Familie in einem Kloster untergebracht und ca. 1oo Moenchen in ihren Trachten, mit ihren imposanten, in diesem Falle die Geldmuetzen, die Zeichen fuer den tibetischen Buddhismus sind. Das Einsetzen der Hornblaeser, der Trommeln und der Floeten liess mich eine Gaensehaut bekommen. Waehrend ich einen Blick in den Raum warf, lud michuns ein Moench ein, doch einzutreten, was wir zaghaft annahmen. Aber es befanden sich schon Touristen im Raum, die wie wild drauflos fotografierten, was in mir einen inneren Widerstand hervorrief. Niemals ware ich auf die Idee gekommen, wahrend der Zeremonie Fotos zu machen, aber wahrscheinlich ist es meine eigene Scheu, mein Respekt oder vielleicht auch Demut ich weiss es nicht genau, vor einem, jedenfalls fuer mich, Moment der Heiligkeit. Nun, die Moenche hatten damit allerdings kein Problem, jedenfalls liessen sie es sich nicht anmerken. Sie rezitierten munter drauflos, die Kinder hatten anscheinend keine Lust, sie erzaehlten und scherzten zwischendurch, auch die Moenche waren teilweise abwesend, erzaehlten ebenfalls oder lachten uns einfach an und vergassen das Rezitieren. Der tibetische Buddhismus ist sehr freilassend, es gibt keinen Moralismus, keinen Zwang, das gefaellt mir. Am Ende der Zeremonie servierte die Kinder Tee und mein Toechterchen meinte, jetzt biste dran Mutter, jetzt musste Buttertee trinken. Und mir schwanden schon die Sinne im voraus und der Magen drehte sich beim blossen Gedanken, ob dieser Projektion. Wie wuerde ich den bloss loswerden, ohne zu beleidigen. Aber erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Als die dampfende Tasse mit dem heissen Tee vor mir steht, entpuppt sich der vermeintliche Buttertee als einfacher Tshai und dazu gibt es ein Stueck suessen tibetischen Brotes, dass wir reihum weitergeben und die Zeremonie erinnert mich doch stark an unsere katholische Eucharistiefeier, emeinschaftsmahl eben! Uebrigens danach habe ich dann auch Fotos gemacht, draussen. LLustig war, meine Tochter meinte dann, haste schon mal ueberlegt Mutter, wuerde jemals jemand von katholischen Moenchen so gerne Fotos machen? Womit ich ihr recht geben musste!
Nun denn, ich bin schon wieder abgeschweift. Ich war beim verlorengegangenen Paradies! Ladakh war bis zum Jahre 1974 ein Gebiet, eine Region, in dem die Menschen sich selber versorgten, mit allem, was sie zum Leben brauchten. Alles wurde verwertet. Es gab keinen Abfall. Man stellte alles selber her, Kleidung, Nahrung, die Felder wurden bestellt, was einzelne Familien nicht alleine schafften, wurde mit Hilfe der Nachbarn bewaeltigt. Man stand fuereinander ein, man hatte Respekt voreinander, es gab keinen Streit oder Zwietracht, keinen Neid und keine Eifersucht. Es gab auch keinen Besitzanspruch an einen Menschen. Es gab Ehen, in denen die Frau mehrere Maenner hatten und Ehen, in denen Maenner mehrere Frauen hatten. Man kannte keinen Betrug, jedenfalls, wenn jemand aussereheliche Kontakte hatte, hatte man die Meinung: So was passiert halt und es wurde eher jemand schieg angesehen, der sich darueber aufregte. Familie wurde gross geschrieben, jung und alt lebten miteinander. Die Jungen brauchten sich nicht zu schaemen, wenn sie den Alten gegenueber zaertlich waren in der Oefentlichkeit, von klein auf lernten die Kinder den Respekt vor den Alten und vor jedem Menschen, der sich auf das Zusammenleben auswirkte.
Fuer mich entstand natuerlich schon die Frage beim Zuhoeren, dieser mir erzaehlten alten Lebensweise und Tradition, war das wirklich immer so und wann beginnt dann eigentlich die Freiheit des einzelnen, wenn es keine Entscheidung fuer das Gute oder das Boese gibt, wenn es keine Versuchungen gibt.
In einem Film, den ich hier sah, Learning from Ladakh, erzaehlen Tibeter von ihrem Leben vor dem Einzug des westlichen Konsums und der Macht des Geldes, von ihrem zufriedenen Zusammenleben, von der Anspruchslosigkeit und dem Phaenomen, dass sie nichts vermisst hatten. Das Land ist trotz der 35oo m Hoehe fruchtbar, Gerstenfelder ueberziehen weite Teile der geroellwueste, auch Weizen gibt es hin/ und wieder, alles was man an Gemuese kennt, gibt es auch hier und natuerlich die Aepfel und Aprikosenernten. Der Ladakher ernaehrte sich gesund, bewegte sich und hatte kaum Krankheiten und wenn, wurden diese im Zusammenhang mit dem geistigen betrachtet. Man brauchte kaum einen Arzt. Die Menschen waren weit bis ueber das 8o. Lebensjahr hinaus aktiv.
Geburt und Tod waren natuerliche Vorgaenge, alles war ein Zusamenspiel des Fliessens, wie ein Fluss, man trauerte, aber auch nicht so sehr, weil alles selbstverstaendlich war.
Die Ladakher, jedenfalls die alten betrauern das verlorengegangene Paradies, den Einzug des Geldes und des Konsums, der Medien und der Gier, die auch nun die jungen Leute befallen hat. Es wird alles andere. Es werden kaum noch Haueser gebaut, in denen fuer Grossfamilien Platz ist, Nachbarschaftshilfe geht verloren, ploetzlich regiert das Geld und es werden mittlerweile viele Initiativen gegruendet, um Erhalt der Traditionen und der ladakhischen Kultur zu erhalten. Auch Umweltschaeden entstehen immer mehr durch die Verwestlichung, seitdem Autos und Technik Einzug gehalten haben, Abgase, Muell im trinkwasser usw.usw. Seit einigen Jahren gibt es ein Plastiktuetenverbot, um dem Herr zu werden. Ladakh versucht sich wieder unabhaengig vom Westen zu machen, in dem es wirtschaftliche Unabhaengigkeit foerdert. Bei einem Tag der ladakhischen Frauen erfahre ich, dass biodynamische Kleinbetriebe vermehrt unterstuetzt werden, Solarenergie und eigene Landwirtschaft gefoerdert werden.
Man sieht also, der vermeintliche Fortschritt kann Heil oder Segen sein, man muss ihn wohl nur richtig zu nutzen wissen, das ist immer wieder die herausforderung, aber wo Profitgier und Macht das leben beherrscht, werden auch die letzten Paradiese verloren gehen. Und es braucht wohl, bis der Mensch erkennt.
Ich habe jedenfalls in Ladakh angefangen, Indien zu lieben. Was mir anfangs fremd und erschreckend vorkam, beginne ich langsam zu verstehen, obwohl es noch ein weiter weg ist und ich kann den Freund von Joe v. Loeben nicht verstehen, den ich hier in Leh getroffen habe, die Welt ist klein, sag ich doch immer, der seit 13 Monaten durch IndienPakistan reist und nur von negativen Erfahrungen durchdrungen ist. Da frag ich mich, warum reist man solange durch ein Land, wenn man eine so negative Sichtweise ueber einland hat, in dem Menschen, miruns jedenfalls bisher, nur freundlich und hilfsbereit entgegengetreten sind.
Man darf Indien nicht als Tourist in dem Sinne bereisen, in dem man einfach neugierig schauen will, wie es denn so in einem Dritte/Welt/Land zugeht, man muss lernen, Indien zu begreifen, aus seiner politischen und religioesen Geschichte heraus, erst dann, beginnt man zu begreifen und kann nur grossen Respekt davor haben, wie ein Land versucht, das Leben fuer jeden einzelnen menschenwuerdiger zu gestalten.
Ich freue mich, wenn es jemandem interessiert, denn von der Situation der region ladakh koennen wir viel lernen und fuer alle, die es interessiert, empfehle ich den Film: Learning from Ladakh.