Unter meinem Gabentich lagen viele Bücher, auch das neue Buch von Bernhard Schlink, wohl den meisten Lesern bekannt durch seinen Roman *Der Vorleser*, das im übrigen auch eine sehr schöne Literaturverfilmung geworden ist. Über Schlink brauch ich nicht viel zu erzählen, das kann man alles hier https://de.wikipedia.org/wiki/Bernhard_Schlink nachlesen.
Das späte Leben ist ein Buch über das Sterben. Der Tod und die Liebe, beides wohl die Themen, denen wir in der Literatur am häufigsten begegnen. Nicht alle, die ich gelesen habe, berührten mich so wie dieses Buch von ihm.
Wenn man über den Tod nachdenkt und über ihn schreibt, ist es doch auch so, dass man nicht umhin kommt, über das Leben nachzudenken. Das Leben das man hatte und dass was einem vielleicht davon noch übrig bleibt. Gerade wenn man älter und älter wird und man nicht weiß, wieviel Zeit einem noch bleibt.
Grundsätzlich ist es ja so, dass man es eigentlich nie weiß, egal wie alt man ist, doch in jungen Jahren voller Lebensplanungen und Aktivitäten mag man darüber nicht nachdenken, jedenfalls Wenige tun das, we ich im Laufe meines Lebens in Gesprächen erfahren durfte. Für mich selber, wie ich schon öfter erwähnt habe, ist das Nachdenken über den Tod nichts Neues jetzt im Älterwerden, da ich selber schon früh mit der Bedrohung des Todes Berühung hatte, sei es das eigene Leben oder eben auch dem Verlieren von geliebten Menschen, die ich begleiten durfte.
Der 76 jährige Martin Brehm ist so ein Mensch der trotz seines Alters noch voll im Leben steht. Er hat eine über 30 Jahre jüngere Ehefrau, Ulla, die Malerin ist, mit der er einen kleinen Sohn, David, der kurz vor der Einschulung steht, hat, die er Beide über alle Maßen liebt. Und da war auch seine Arbeit als Universitätsprofessor für Rechtsgeschichte, die jetzt hinter ihm liegt und seine Tätigkeiten in diesem Bereich nicht aufgehört haben, nachdem er emeretiert ist. Er ist immer noch für Vorträge ein gefragter Mann.
Doch dann ganz plötzlich tritt das ein, wovor sich der eine oder andere vielleicht immer mal fürchtet. Martin bekommt bei einer Routineuntersuchung von seinem Arzt die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Lebenserwartung vielleicht 12 Wochen. Sein Hausarzt ist keiner, der ihm falsche Hoffnungen macht. Unheilbar, der Krankheitsverlauf langsam voranschreitend mit einem schließlichen Ende, deren letzte Wochen schmerzhaft sein werden.
Martin scheint gefasst zu sein. 76jährig scheint er alt genug zu sein, um dem Tod zu begegnen. Dieses Gefasstsein schwankt aber immer wieder. Sein Alltag, die Wochen, die ihm verbleiben, wird geprägt sein einerseits von dem wie wird das Sterben sein und wie wird das Leben seiner Beiden, die ihn verlieren werden, weitergehen. Er kann sich nicht vorstellen, einfach nicht mehr da zu sein um sie zu begleiten.
Manch einer wird sich fragen, wieso kann man drüber nachdenken, wie das Leben ohne ihn selber weitergeht, doch mir sind solche Gedanken auch nicht fremd. Denn des öfteren stell ich es mir auch vor, das alles weitergeht, ohne mich, dass ich nicht mehr dabei sein kann und Vieles noch miterleben darf. Diesen Schmerz loszulassen, der schon da ist, obwohl man ja noch lebt, ist eine riesige Aufgabe. Loslassen.
Martin überlegt lange, wie er seiner Frau und seinem Sohn, vor allem ihm, erzählen kann, was mit ihm geschehen wird, dass er und wie er sterben wird. Wie sagt man seinen Kindern, dass man nicht mehr lange zu leben hat. Aber er findet einen Weg.
Er findet auch einen Weg wie er diese letzten Wochen seines Lebens verbringen möchte. Nicht in Rührseligem - was ich schon immer noch mal tun wollte - , sondern einfach weiter den Alltag leben, mit all den kleinen Dingen, die er erfordert und die ihm in seinen Lebensjahren bisher nicht nahe waren, die er einfach so nebenbei noch erledigt hatte. Jetzt ist das alles anders. Es wird intensiver, die kleinsten Dinge werden ihm, dem immer müde werdenden Mann, groß sein. Er wird seinen Sohn jeden Morgen zum Kindergarten bringen, einkaufen, kochen, den Garten bearbeiten und ein paar kleine Wünsche äußern, die er zusammen mit ihm und seiner Frau noch tun möchte. Nichts großes, ein Picknick, eine Fahrt mit dem Riesenrad und am Ende ein Aufenthalt am Meer.
Und er wird einen Brief an seinen Sohn schreiben. Seine Frau riet ihm dazu, etwas dem Sohn noch mitzugeben, damit er sich im Größerwerden an ihn erinnern kann. Aufgrund eines Filmes den sie mal sah, dachte sie an ein Video, dass er filmen sollte, um dem Sohn etwas zu sagen. Er entscheidet sich aber für einen Brief, in dem er alle Fragen, denen er sich selber stellt über das Leben, den Tod und die Liebe, was ist Gerechtigkeit und wieviel Wahrheit verträgt das Leben.
Er bereut auch nicht, hätte er doch früher schon intensiver mit weniger Arbeit und mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge verbracht. Alle würden ja heute von der Work-Life-Balance reden. Alles Quatsch sagt er sich.
Er sagt vielmehr:
"Arbeit ist ein Teil des Lebens. Mal gehört unsere ganze Kraft ihr, mal der Familie, mal stehen Chor oder Orchester und mal der Wahlkampf an erster Stelle. Es gibt keine Balance. Wir tanzen im Leben immer auf vielen Hochzeiten." So schreibt er seinem Sohn in seinem Brief.
So ist es ja auch. Die Dinge, die wir tun, erfordern immer unterschiedliche Kräfte und Zeiten. Man kann etwas mit Gewichtigkeitnicht nur halb tun, um damit das Andere ebenfalls halb tun zu können.
Eines Abends, als er mit seinem Sohn zusammensaß, der nun wußte, dass der Vater sterben wird und er plötzlich weinen musste, sagt Martin ihm:
"David, David...und wenn ich sterbe und in den Himmel gehe, kommst du mit bis an die Tür, wir verabschieden uns, wie wir uns am Kindergarten verabschieden, und ich gehe rein, und wenn du viele, viele Jahre auch reingehst, begrüße ich dich. Es ist eine Tür wie keine andere, du siehst sie nur, wenn sie für dich aufgemacht wird und du reingehst. Wir verabschieden uns du bleibst zurück, ich gehe um die Ecke und finde die Tür."
Ein schönes Bild fand ich!
Das Büchlein umfaßt knappe 24o Seiten, doch in ihm ist eine Fülle großer Fragen und Erkenntnisse zu finden, die den Leser unaufdringlich diese seinem eigenen Leben stellt.
" Der Tod ist nicht gerecht. Aber was ist schon gerecht - nicht Gott, nicht die Liebe, nicht die Arbeit, nichts, wovon ich Dir geschrieben habe. Ausser der Gerechtigkeit, die wir Menschen in die Welt bringen. Vielleicht ist immerhin der selbstgewählte Tod gerecht. Aber das Leben dessen, der den Tod wählt, hat darum auch nicht seine Erfüllung gefunden. Etwas Besseres als den Tod finden wir überall, so heißt es im Märchen der Gebrüder Grimm von den Bremer Stadtmusikanten."
Mit diesen Worten endet der Brief an seinen Sohn!
12 Wochen sollten es vielleicht noch sein. Begleiten werden wir Martin genau 1o Wochen, die mich und sicher auch jeden Leser bewegen werden, ohne von Sentimentalität oder Rührseligkeit gefangen zu werden. Denn nichts ist realistischer als der Tod und nicht anders kann diesem entgegengetreten werden.
Eine gute Lesezeit wünsche ich allen bei diesem Büchlein!
bernhard Schlink
Das späte Leben
Diogenes-Verlag
ISBN: 13-978-3257072716
26,00 Euro
Was ich mir nie vorwerfen konnte ist, dass ich zu den Menschen gehöre, die sich einschleimen oder den Mund halten wenns drauf ankommt. Von Menschen, die sich so verhalten, halte ich mich fern, weil ich diese nicht zum Freund haben möchte. Ist so.
Mein Nichtmehrmann sagte mir einmal, Roeslein, Roeslein, manchmal haben die Menschen Angst vor Dir. Also nicht falsch verstehen, nicht, weil ich möglicherweise in Taten gewalttätig wäre. Das nun nicht. Aber wenn ein Mensch den Mund nicht halten kann, wenns angebracht ist, kann das auch schon mal gewaltättig wirken. Das habe ich immer in Kauf genommen. Da mache ich auch vor Obrigkeiten, selbst wenns der Papst oder ein Kardinal ist, nicht halt. Alles schon erlebt. Selbst der Schule wurde ich deswegen einmal verwiesen.
Daher hatte ich auch nie viele Freunde, eine lange Zeit in Kindheit und Jugend so gut wie keine, was aber an anderen Gründen lag. Erst später kamen eine Handvoll dazu. Leider sind zwei Drittel von ihnen schon verstorben.
Ideelen Gemeinschaften denen ich mich zugewandt hatte, weil mein Leben vor allen Dingen immer auf der Suche nach Wahrheiten des menschlichen Seins war, habe ich nach langer Zeit der Erfahrung verlassen, als ich begann die Verlogenheit zu erkennen, was dann meinerseits auch gesagt und nicht gern gehört wurde.
Aber meistens war es richtig, wenn ich den Mund nicht gehalten habe. Wenn einmal das Gegenteil der Fall war, hat es mir keinen Abbruch getan, mich zu entschuldigen. Ein Fehler, na und. Alle machen Fehler. Meistens wurde Vergebung auch angenommen. Das hat mich reicher gemacht. Sich selbst treu bleiben ist eine Maxime meines Lebens. Versuchen kann man alles, wenn man scheitert, muss man sich das eingestehen.
Gestern erlebte ich etwas, was meinem zuvor Erzähltem zu einem Beweis erklärt.
Ein Paket wollte auf den Weg gebracht werden. Also machte ich mich auf. Meinem Ziel nahe gekommen, sah ich schon von weitem, dass sich die Schlange von Menschen vor der Post schon bis um die Ecke des Eingangsbereich zeigte. Oha! Da war Geduld gefragt. Eine halbe Stunde wird das wohl sicherlich dauern, sagte ich mir. Egal, die Sonne schien und Warten fällt mir leicht, denn Langeweile oder Ungeduld kenne ich da nicht. Es gibt ja immer was zu sehen. Um mich herum. Die Menschen anschauen, wie sie aussehen, wie sie gekleidet sind, was sie reden, wie ihre Gesichter in die Welt schauen. Da ist es egal, wo ich warte, an der Kasse im Supermarkt, am Bahngleis, wenn ich auf den Zug warte oder bei anderen Gelegenheiten, so wie eben an diesem Tag beim Warten an der Post.
Viele Menschen können sich über diese Tugend nicht erfreuen, also der Tugend des Wartenkönnens. Erlebe ich immer wieder. Sie scheinen immer ein wenig gehetzt zu sein. Keine Zeit, keine Zeit. Obwohl sich doch gewundert werden kann, wieviel Zeit der Mensch mit unnützen Dingen verbringt. Stundenlang im Internet herumhängen, sich in Chatrroms aufhalten oder am Smarthphone oder vor dem Fernseher. Ist mir ja grundsätzlich auch total wurscht, womit Menschen ihre Zeit verbringen. Es wundert mich dann eben nur, wenn sie mal eine kleine Zeit mit Warten verbringen müssen, wie ungehalten sie dann werden können.
So ein Menschen ist mir gestern begegnet. In der Schlange beim Warten an der Post. Ein großer schwerer Typ. Vielleicht Anfang 4o. Gekleidet im Jogginanzugoutfit. Bisserl schlampig, ich meine Jogginganzüge könenn auch schon schnittig ausschauen. Der aber nicht. Hab den schon die ganze Zeit angeschaut, weil mir das auffiel und mir Gedanken darüber gemacht, warum ein Mensch in einem solchen Aufzug durch die Welt maschiert.
Unangenehm wurde es aber, als er begann eine junge Frau die sich an allen vorbeischlich um dann an den Schalter zu gelangen, der als nächstes frei wurde. Ich hatte diese junge Frau schon vorher beobachtet. Sie war schon mal am Schalter, hatte wohl etwas vergessen auf ihr Postgut zu schreiben und wurde gebeten, das noch nachzuholen. Als sie das erledigt hatte, wollte sie natürlich nicht wieder ganz von vorn beginnen Also sich an die hinterste Stelle der Reihe anstellen Was ja auch verständlich ist.
Der Schlampenmann hatte das wohl nicht mitbekommen. Ich weiß es aber nicht. Jedenfalls begann er sie aufs Übelste zu beschimpfen. Die Leuts vor und hinter mir hörten sich, wie ich, das Procedere eine ganze Weile an. Der Typ war so renitent, mir bangte, dass er sie möglicherweise vielleicht sogar angreifen wollte. Sie am Arm schnappen und gewalttätig wegzerren wollte. Ein Riesenkerl. Hat man ja alles schon erlebt, also wie Menschen aus welchem Grund auch immer
plötzlich gewalttätig werden, also körperlich.
Vorausgeschickt noch mal, selber war ich die Ruhe selbst. Ein Beobachter nur. Aber dann kam der Moment wo ich mir dachte, Roeschen, Roeschen du musst eingreifen. Dazu soll es nun nicht kommen. Also zu einem körperlichen Angriff.
Also drehte ich mich provokativ zu dem Schlampenmann um und sagte ihm: "Bleib mal ruhig, reg Dich mal nicht auf, man ist schneller tot als man denkt."
Sofort trat Ruhe ein. Das hatte gewirkt. Selbst bei ihm. Er sagte nichts mehr, aber rein gar nichts mehr. Selber hatte ich mir gar nicht überlegt, was ich sagen wollte, also, als ich mich zu ihm umdrehte. Das purzelte einfach so aus mir heraus. So als wenn es eine Instanz in mir geben würde, die genau weiß, was gesagt werden soll, damit es Wirkung zeigt.
Und was kann schon mehr Wirkung zeigen, als wenn ein Mensch darauf hingewiesen wird, wie schnell sein Leben zu Ende sein könnte. Denn wir alle leben in der Haltung, der Tod trifft immer die Anderen und uns wird schon nix passieren. Der größte Irrtum des Menschen. Denn vielleicht hat es der ein oder andere meiner geneigten Leser selber schon erfahren im Umkreis seiner sozialen Beziehungen bei Freunden, in der Familie oder bei Arbeitskollegen, dass das sehr oft passiert. Dass der Tod einen Menschen ganz plötzlich und unerwartet trifft. Dessen muss der Mensch sich immer bewußt sein und es nicht verdrängen.
Dieses Wissen allein, dass sich immer bewußt gemacht werden sollte, verhilft zu einem guten Leben, einem achtsamen, respektvollen und reichen Leben, auf das dann am Ende gern zurückgeblickt werden kann.
Daher sag ich es jetzt auch noch einmal:" Man ist schneller tot als man denkt."
Ich flüstere das jetzt ganz leise. Der hinter mir stehende Mensch neigte sich mir zu und sagte:" Das haben sie gut gemacht. Recht haben sie."
Jo, war meine Antwort und schaute wieder nach vorn, denn es waren nur noch 3 Leute vor mir, bis mein Paket auf die Reise gehen konnte.