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7. Januar 2025 2 07 /01 /Januar /2025 11:46
Das Buch von Gabriele von Arnim, welches ich heute empfehlen möchte, ist schwere Kost. Zuvor hatte ich noch nie etwas von ihren Werken gelesen. Das Buch *Das Leben ist ein vorübergehender Zustand* wurde in meinem Literaturkreis empfohlen, also war es für mich ein Muß. Wahrscheinlich hätte ich von mir aus nicht zu diesem Buch gegriffen, weil es eine biografische Erzählung ist, die auch ein wenig Angst machen kann. Angst genau vor dem, was in von Arnims Leben eingetreten ist.  Aber schon nach einigen Seiten hat es mich gefangen genommen.
 
Gabriele von Arnim beschreibt ihre Lebenssituation in der sie sich 10 Jahre befand, nachdem ihr Mann mit einem Schlaganfall ins Krankenhaus eingeliefert wird. Genau an dem Tag, an dem sie ihm am Abend klar machen wollte, dass ihre Beziehung am Ende sei und sie sich trennen möchte. Aber dann kam der Anruf. Er liege im Krankenhaus.
 
Ein Schlaganfall. Der Erste, gefolgt von einem zweiten, Lungenentzündungen, Thrombosen und schwerem Dekubitus innerhalb der 10 Jahre, in dem sie ihn zuhause gepflegt und betreut hat.
Ihr Mann, Martin Schulze,  war Journalist und zeitweise auch Chefredakteur bei der ARD. Ein unabhängiger, freiheitsliebender und sportlicher  Mensch, der es liebte von Menschen umgeben zu sein, sehr sprachgewandt sich mit vielen Themen auseinandersetzte und dafür auch große Anerkennung bekam.
 
Sie verließ ihn nicht. Sie bleibt bei ihm und wurde in dieser Zeit selbst schwer krank. Die Situationen  in diesen 10 Jahren beschreiben alles Menschliche, daß in einem vorgeht, wenn man plötzlich gefangen ist von der Sorge, dem Leiden und der Not des Partners. Sie nimmt kein Blatt vor dem Mund und ist absolut ehrlich, dass sie an ihre Grenzen kam, dass sie Wut auf den Leidenden empfand, aber dass aus all dem Schweren im Umgang mit ihm, der Sorge und den ständigen Herausforderungen aus immer wieder neuen eintretenden krankheitsbedingten Einbrüchen, wieder eine Liebe daraus zueinander ganz neu begann.
 
Aber sie beschreibt nicht nur die Erfahrungen im Umgang mit ihrem kranken Mann, sondern auch die Begebenheiten die ihr und ihrem Mann widerfuhren im Freundes- und Bekanntenkreis.
Denn wie sagt es ein afrikanisches Sprichwort, auf dass sie sich in Ihrer Erzählung beruft:
 
"Es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind zu erziehen"
 
Denn ihr wird klar, dass es auch ein ganzes Dorf braucht, eine Umgebung, eine Großfamilie, die einfach da ist und einen nicht im Stich läßt.
 
Und diese Erfahrungen mit Freunden und Bekannten sind sehr unterschiedlich. So erzählt sie z.B. an einer Stelle, als ihr Mann sich immerhin noch im Rollstuhl bewegen konnte, wie ein Freund zum runden Geburtstag einlädt und sie ihn fragt, wie denn die Gegebenheiten beschaffen wären, mit dem Rollstuhl in seine Wohnung zu kommen und er darauf antwortet:" Wir haben Dich eingeladen" Ein Freund.
 
Andere sagen, wir wollten ihn ja besuchen, aber wollten auch nicht aufdringlich sein. Oder sie redeten sich heraus mit er will doch sicher nicht so gesehen werden, sondern in unserer Erinnerung so bleiben, wie er war, ein eloquenter Gesprächspartner, amüsant und wissensvermittelt, dem man gerne zuhörte. Aber das war er nicht mehr.
 
Doch es gibt auch gute Erfahrungen. Von Arnim organisiert fast 20 Menschen die kamen um ihrem Mann vorzulesen, aus Büchern und Zeitungen und ihm damit das Geschenk machten, dass er auch weiterhin mit der Welt verbunden war. Andererseits war es auch sehr schwer mit anzusehen, wie er gerne hätte über das Gehörte reden, diskutieren, sich austauschen wollte, aber es nicht mehr ging.
 
Und da waren auch Freunde, Bekannte, die kamen um ihr bei der Wache zu helfen, damit sie mal eine Runde spazieren gehen konnte oder einfach in ein Cafe, um auch mal wieder zu sich zu kommen, denn ihr Leben bestand ja nur noch aus Sorge, Mitleiden und Organisieren des Tagesablaufes und wieder und wieder erneutem begleiten in Krankenhäuser und Rehabilitationszentren. Natürlich hatte sie auch eine Pflegerin für die schweren körperlichen Arbeiten. Aber insgesamt blieb sie in diesen 10 Jahren ans Haus gefesselt und musste auch sehen, worin sie sich Trost und manchmal auch ein  wenig Ablenkung schaffte. Sie bezog sie aus ihren Büchern, die sie las, sei es von Arno Gruen (den ich ebenfalls liebe), Rachel Cusk oder Davod Grossman, dem israelischen Schriftsteller, der ein Buch über die Trauer des Verlustes seines Sohnes im Krieg geschrieben hatte, dass ich auch vor einigen Jahren gelesen habe.
 
Manchmal waren es auch einfach nur ganz kleine Dinge, die ihr wieder Luft zum Atmen gaben, ein Glas Wein am Abend, ein Blick aus dem Fenster. Das war für sie manchmal entscheidend um wieder Kraft zu gewinnen.
 
Übrigens hat Gabriele von Arnim das Buch nicht während der Krankheit ihres Mannes geschrieben, sondern erst Jahre nach seinem Tod, weil eine Freundin ihr dazu geraten hatte. Hilfe dazu gaben ihr ihre vielen Tagebucheintragungen, die sie im Laufe der Jahre gemacht hatte.
 
Auch  über das Leben nach seinem Tod, berichtet sie in ihrem Buch. Wie sie sehr langsam wieder zurück ins Leben fand, in ihr eigenes Leben. Es gibt einen Satz von Rilke, der sagt:
 
"Die Toten sterben in uns hinein."
 
Was für sie nichts anderes hieß, sie hat ihn mitgenommen in ihr Leben ohne ihn. Er war nicht tot, weg. Ich kannte diesen Satz von Rilke nicht, aber er zeigte mir, dass es so ist, denn wenn ich auf mein eigenes Leben und den Menschen, die mir schon genommen wurden, zurückblicke  kann ich das bestätigen, sie sind immer noch da, in mir, durch die Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse oder einfach an Gespräche die wir geführt haben oder manchmal auch einfach nur durch mein Reden mit ihnen in meinem Gedanken, wenn ich sie frage, was würdest du dazu sagen oder da hätten wir zwei aber wieder tüchtig abgelacht. Ja so ist es. Die Toten sterben in uns hinein.
 
Ich kann das Lesen des Büchleins von Herzen empfehlen, denn es erzählt nicht nur vom Leid und der Schwere eines Einbruchs im Leben eines Menschen, der seinen Partner oder einen guten Freund an eine schwere Krankheit verliert und für ihn da sein möchte, sondern auch von Liebe, Hoffnung, Würde und Freundschaft.
 
Und es zeigt uns auch was wichtig ist im Leben, Mitgefühl und Achtsamkeit auf und mit den Menschen zu haben, die mit uns leben. Unsere Welt ist eher geprägt davon, dass Menschen, die krank sind oder anders schwach, nicht gesehen werden wollen und die irgendwo leben, wo man sie am besten nicht sehen muss.
 
Unsere Welt ist eine Leistungsgesellschaft, in der Kranke und andere Bedürftige keinen Platz haben, Jeder hat sicher schon einmal erfahren, dass genau dann, wenn er einen Freund brauchte, dieser nicht da war oder man vielleicht selber nicht da war, als ein Anderer uns brauchte.
 
Jedes Leben hat eine Geschichte zu erzählen. Wir sollten alle unsere Geschichten erzählen, vielleicht gerade auch deswegen, damit wir besser verstanden werden und wir sollten alle Geschichten über das Leben Anderer lesen, damit wir das Leben besser verstehen können! Geschichten zu erzählen heißt auch, zu leben!
 
Zitat Arno Gruen aus ihrem Buch:
Ein Mensch, der den Weg nicht findet zu seinen eigenen Gefühlen, zu einem Selbst, wird nicht autonom, sondern angepaßt leben. Wird sich der Gesellschaft unterwerfen, ihre Regeln übernehmen, sich selbst entfremdet bleiben. Was weder ihm noch der Gesellschaft gut tut. Denn jene Menschen, die Leid, Schmerz, Gefühle abgespaltet haben in sich, die keine Lebendigkeit fühlen, leben in der *Fixierung auf die Pose*. Sie brauchen Macht, Ruhm, Geld, Zerstörung, um ihre eigene innere Leere zu füllen*
(Ich liebe Arno Gruen)
 
Gabriele von Arnim
Das Leben ist ein vorübergehender Zustand
Rowohl-Verlag
14,00 Euro
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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22. November 2024 5 22 /11 /November /2024 11:43
Für den Roman *Der Freund* bekam Sigrid Nunez den National Book Award. Es ist nicht ihr erstes Buch. Nunez schreibt seit den 70er Jahren. Der Freund ist ihr 7.tes Buch. Was es über sie zu sagen gibt kann man bei wikipedia nachlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Sigrid_Nunez.
 
Das Buch ist mir beim Stöbern in meiner Buchhandlung des Vertrauens in die Hand gefallen. Der Titel hatte mich angezogen und der auf dem Cover des Buches sitzende große Hund eine Harlekin-Dogge. Und nach kurzem Einblick gehörte das Buch mir, denn es ging um Freundschaft. Freundschaft der Protagonistin nicht nur zu einem Mann, der, Schrifsteller wie sie war und den sie verloren hat. Er hatte im fortgeschrittenen Alter den Freitod gewählt. Unangekündigt. Es gab keinen Abschiedsbrief.
 
Sie bekam die Nachricht von seiner dritten Ehefrau. Eine Welt stürzt für sie ein. Ihren Freund lernte sie schon als Collegestudentin kennen, er war ihr Dozent. Seit diesem Tag begann ihre zutiefst innige Freundschaft. Das Buch läßt offen, ob er auch zugleich ihre große Liebe war, der Eine oder Andere sagte ihr es nach. Vermutlich war es so, war mein Resumee beim Lesen. Nun ist er gegangen, ohne sich zu verabschieden. Was übrig blieb war ein Meer von Tränen. Sie weinte tagelang zurückgezogen in ihrer Wohnung. Sie weinte sich sprichwörtlich blind, sah nur noch verschwommen.
 
Man kann weinen, bis man nichts mehr sieht. Habe ich selber erfahren. Nicht nur beim Verlust geliebter Menschen, sondern auch nach erlittenen Traumata. Die Protagonistin arbeitete u.a.  mit Frauen aus Kambodscha, Kriegsflüchtlinge mit schweren Traumatas. Einige von ihnen verloren ihr Augenlicht ob des vielen Weinens. Medizinisch gesehen war mit ihren Augen alles in Ordnung. Aber schwere Traumata können eine solche Begleiterscheinung hervorrufen. Auch das war mir selber bekannt aus jungen Jahren. Was ich nicht wußte war, dass Wissenschaftler in Untersuchungen festgestellt haben, dass die chemische Substanz von Tränen eine andere war, wenn sie geweint werden wegen seelischem Kummer oder wenn sie geweint werden, um das Auge zu benetzen,  weil sie gereizt sind. Aber eines ist sicher, Weinen zu können ist wichtig. Man fühlt sich besser, wenn man sich ausgeweint hat. Es gehört zum Loslassenprozeß.
 
Doch zurück. Ich schrieb, dass es nicht nur um die Freundschaft zu ihrem Schriftstellerfreund ging, sondern auch um die Freundschaft, die sich langsam entwickelte, zum Hund ihres Freundes, einer Harlekin-Dogge. Denn dieser,  war sein letzter Wunsch,  sollte zu ihr kommen. Sie sollte sich um ihn kümmern. Er hatte ihn selbst überraschend gefunden, ausgesetzt wohl, schon betagt. Wer, so sagte er einmal seiner dritten Ehefrau, wenn nicht sie, soll sich um diesen Hund kümmern.
 
Das kam überraschend für sie. Sie lebte klein, bescheiden. Ihre Wohnung nicht groß. Sie hatte immer Katzen gehabt. Und nun dieser Hund. Ein Riese. In ihrer knapp 45 qm großen Wohnung. Zudem verbot der Vermieter Hundehaltung. Doch es gab da ein Gesetz, auf das sie aufmerksam gemacht wurde. Hält ein Mieter einen Hund drei Monate lang in seiner Wohnung und wird seitens des Vermieters nichts dagegen unternommen, ist das Gewohnheitsrecht entscheidend. Zudem weiter, wird der Hund als Assistentbegleitung für psychisch oder körperlich leidende Menschen eingesetzt, kann das Haltungsverbot des Hundes in einer Wohnung umgangen werden. Auch darum bemüht sich unsere Protagonistin.
 
Und so zieht die Erzählung den Leser hinein in diese wunderbar beginnende Freundschaft zu dieser Harlekin-Dogge, genannt Apollo, der wohl nicht nur wegen des Verlustes ihres Freundes, sondern auch aus seiner Vergangenheit zur Depression neigt. Es beginnt eine Nähe zwischen den Beiden, die einen oft zum Lachen bringt, wenn er sich es z.B. gemütlich auf ihrem Bett breit macht. Denn die Luftmatratze die sie daneben gelegt hat, verschmäht er. Und tatsächlich gewöhnt sie sich dran. Die Beiden werden auch Trost füreinander.
 
Täglich spaziert sie mehrere Male mit ihm durch die Strassen und wird bewundert. Apollo ist eine Attraktion geworden in ihrem Umfeld. Manche haben auch Angst vor ihm. Wer kann es ihnen verdenken. Ein so großes Tier.
 
In meiner Erinnerung stieg das Bild meiner Ausbildungsjahre als Rechtsanwaltsfachangestellte
in mir auf. Mein damaliger Chef, alt und betagt, brachte Tag für Tag seine große Deutsche Dogge mit ins Büro und ich fürchtete mich, obwohl selber Hundeliebhaberin, anfangs sehr vor ihm. Wenn mein Chef mich zum Diktat ins Büro rief, lag er neben mir und beobachtete mich genau. Aber ich begann ihn zu lieben als der Chef verlangte, dass ich ihn zum Gassigehen ausführen sollte.
 
Und sie, unsere Protagonistin begann ihn ebenfalls zu lieben. Wenn sie las, las sie laut, ihm vor, Bei Rilke lächelte er meinte sie und schlief irgendwann ein. Knausgaard nahm er sich vor, zerkaute ihn, hörte dann aber ebenfalls hingebungsvoll zu.
 
Wir erfahren viel über die Eigenarten menschlicher Freundschaftsverhältnisse zu ihren geliebten Hunden.Die schöne Geschichte über die Hundefreundschat Hachiko zu seinem Herrchen wird auch erwähnt. Aber Hachiko war nicht der Rekordhalter in der Treue zu seinem Herrchen, da gibt es noch eine andere Geschichte, die hier erwähnt wird. 
 
Es wird ja auch gesagt, dass Menschen ihren Hunden oft ähnlich sehen. Vielleicht ist das ein bisserl übertrieben, doch wenn ich an meinen Wuschelhund damals in jungen Jahren denke, hatte ich doch den gleichen Wuschelkopf. Ein Lächeln in meinem Gesicht bei der Erinnerung.
 
Richtig gelacht hab ich als sie erzählt, wie sie eimmal einer fremden Frau lauschte, die im aufgeregten  Gespräch mit ihrem Mops war. Sie sagte zu ihm: "Vermutlich ist es mal wieder meine Schuld, oder?" Woraufhin, sie beschwört es, der Hund die Augewn verdrehte.
 
Diese Vorstellung ist so herrlich. Ich habe das Bild tagelang nicht aus meinem Kopf bekommen. Ich bleib dabei, ein Hund ist der beste und treuste Freund den man sich wünschen kann. Und das beweißt auch dieses kleine Büchlein von Nunez.
 
Es ist ein wunderbares Buch über Liebe, Freundschaft, Trauer und Trauerarbeit , Erinnerung und Vergessen. Oft auch mit viel Humor. Gerade Humor brauchen wir Menschen doch auch in schweren Lebenslagen. Wenn ein Mensch wirklichen Humor in sich trägt, so ist das schon eine große Vertrauensbasis für eine wie auch immer beginnende Beziehung. 
 
Aber und das will ich jetzt gar nicht so weit ausholen auch ein sich Hineinvertiefen über das Wesen des Schreibens, der Literatur , denn das war ja für Beide, ihrer und ihres verstorbenen Freundes die ganze Welt. Das Schreiben, Lesen und Unterrichten,. Viele kleine Ausflüge in die literarische Welt beschreibt Nunez in ihrem Büchlein.
 
Schreiben ist für mich oft auch ein Loslassen der Dinge, wie jetzt eben auch diese kleine Empfehlung für das Büchlein von Sigrid Nunez - Der Freund -
 
"Im Buch wird gesagt: Statt über das zu schreiben, was ihr wißt, schreibt über das, was ihr seht. Geh davon aus, dass du nicht viel wissen wirst, ausser du lernst zu sehen" So ist es!
 
Und eines noch: Wie sehr ein Mensch einem Freund war, weiß man erst, wenn man ihn verloren hat!
 
 
 
Sigrid Nunez
Der Freund
Aufbau Verlag, Berlin 2020
220 Seiten
20,00 Euro
 
 
 
 
 
 
 
 
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9. Mai 2024 4 09 /05 /Mai /2024 13:32
Jean-Philippe Toussaint´s Buch - Das Schachbrett - ist ein Lesevergnüpgen für Literaturliebhaber doch sogleich auch eins, das man gern liest, wenn man schachbegeistert ist und sich immer freut, Schach nicht nur zu spielen, sondern auch von Anderen zu lesen, wie sie zum Schachspiel gekommen sind und wie das Spiel sie auf ihrem Lebensweg begleitet hat,
 
All das erfährt man in seinem Buch. Toussaint  erinnert sich an seine Jugend, seine Ängste und Zweifel welchen Weg er wohl beruflich gehen wird und seinen Werdegang als Schriftsteller, auf den er erfolgreich zurückblicken kann und eben auch an den Beginn seiner Schachleidenschaft.
 
Seine Erzählungen beginnen im Jahre 2020 als der Lockdown begann. Er läßt sich aber nicht zum Thema Corona verleiten, groß darüber zu philosophieren oder seine Gedanken dazu mitzuteilen. Ihm wird aber in dieser Zeit bewußt wie fast alle Menschen in dieser Zeit Karriere als private medizinische Berater machen wollen. Auch in seiner Familie halten seine Gäste ellenlange medizinische Erwägungen, Statistiken der aktuellen Entwicklungen der Pandamie,  analysieren und mit eigenen persönlichen Kommentaren und epidemiologischen Betrachtungen bestücken. Er denkt Corona nicht.
 
Er hat einzig die Erkenntnis, dass diese Zeit den Menschen die Möglichkeit gibt die Zukunft auf eine neue Weise zu betrachten. Es sei Jedem selber überlassen ob er diese Zukunft als Gefahr  erlebt oder ob er die Möglichkeit sieht, einen Vorteil daraus zu ziehen, eine Veränderung für sich selber und für das gesamte gesellschaftliche Miteinander.
 
Er  sieht seinen Vorteil darin, sich in seiner Brüsseler Wohnung zurückzuziehen um drei Projekten nachzugehen. Diese sind das Projekt einer Übersetzung der Schachnovelle von Stefan Zweig, was ihm nicht leicht fällt, wegen seiner vorhandenen Deutschkenntnisse. Das zweite Projekt ist ein Essay über das Schreiben an sich und als drittes Projekt der Beginn dieses Buches.
 
Wir lesen in 64 Kapiteln wie die Felder auf dem Schachbrett wunderbare Andekdoten aus seinem Leben immer auch in Verbindung mit dem königlichen Spiel. Gefallen hat mir seine Aussage, dass die Literatur das sicherste Mittel ist, um den Verletzungen der Realität aus dem Weg zu gehen. Bücher lassen einen immer die reale Gegenwart vergessen machen und schaffen Freiraum.
 
Er verweist auf das Schachmatt, dass vom persischen *chāh māt* abstammt und bedeutet * der König ist tot* den er auf seinen Vater auch anwendet, mit dem er als Jugendlicher Stunden am Schachbrett verbracht hat. Stets hat er verloren. Sie eröffneten ihr Spiel beide immer mit dem Königsbauern und der andere antwortete mit e5. Sein schachliches Können als Jugendlicher war noch nicht sehr weit fortgeschritten. Später als er sich intensiver mit der Schachtheorie beschäftigt hatte endete sein letztes Spiel mit seinem Vater fast in einem Sieg. Aber ab da wollte sein Vater nie mehr gegen ihn antreten. Er konnte nicht gegen seinen Sohn verlieren. Und Toussaint mutmasst, dass sein Vater das Schachspiel eigentlich gar nicht liebte, sondern er liebte es zu gewinnen. 
 
Ich glaube, das kommt oft vor, vor allen Dingen bei Hobbyspielern.
 
Sein empfohlenes Standardwerk ist für ihn * Mein System* von Nimzowitsch, in dem dieser das Konzept entwickelt, das den Rahmen des Schachs im strengen Sinne überschreitet und eine Dimension poetischer Utopie entwickelt. Obwohl das Werk in weiten Teilen sehr technisch ankommt habe dieses Buch eine unübersehbare literarische Dimension und man muss kein Großmeister sein,um der spekulativen Finesse von Konzepten etwas abzugewinnen. Auch auf Nabokovs *König Dame Bube verweist er in seinem Buch, dass er immer mal wieder gelesen habe.
 
Er erzählt wie er 2 x dabei war, als Kasparow und Karpow gegeneinander antraten. 1986 flog er eigens nach London um einmal eine Partie einer Schachweltmeisterschaft mit zu erleben. Er erinnert sich an den Auftritt Kasparow in den Räumen des Park Laine Hotels in seinem dunkelgrauen Anzug und Krawatte, breitschultrig, untersetzt und zum Kampf entschlossen stieg er wie ein wildes Tier oder wie ein Jahrmarktsringer auf die Bühne. Er spürte förmlich die agressiven Wellen die von seinem Körper und seinem dunklen Blick ausgingen, als würden sie sich vor ihm in giftigen todbringenden Dämpfen materialisieren und er konnte sich vorstellen, was es bedeutet, einem solchen Individium am Schachbrett gegenüber zu sitzen.
 
Einige Jahre später, genauer 1990, war er wieder dabei als die Beiden in einem ihrer letzten Kämpfe sich gegenüberstanden. Er bezeichnet dieses Match als eines der letzten Schachfeuer ihres über fünf Jahre andauernden legendären Duells.
 
Super spannend ist auch sein Erzählen wie er für einen Film, den er drehte, den Großmeister Jussopow engagierte, der damals im Schachclub Bayern München spielte und der auf seine Anfrage bezüglich des Films nur knapp mit einem *Njet* antwortete, aber dann später doch zusagte. Lustig wie Jussopow dann aber erfuhr, das er selber, Toussaint die Rolle seines Gegners, dem Großmeister Lanskoronskis, in diesem Film übernehmen werde. An seinem Gesicht konnte er ablesen, dass ihm das gar nicht gefiel, gegen ihn, Toussant zu verlieren und wenn auch nur im Film. Jussopow zählte zu dieser Zeit zu den fünf besten Schachspielern der Welt. Auf  Jussopows perpelxes Gesicht konnte er nur antworten. Tut mir leid, ich kann nichts dafür, es steht so im Drehbuch. Herrlich.
 
 Allerdings durfte Jussopow sich eine Partie aussuchen, die im Film gespielt werden sollte. Und dass er, Toussaint, mit schwarz spielen solle. Und Jussopow wählte die beste Partie seines Lebens, die berühmte Unsterbliche. Es war die Partie, die er 1991 in Brüssel gegen Iwantschuk gewonnen hatte. Darüber kann man hören im Schachgeflüster-Podcast: https://www.schachgefluester.de/tigersprung/
 
Übrigens hat Toussaint später in Belin tatscächlich gegen Jussopow eine Blitzpartie gespielt, die remis ausging. Darauf war er natürlich sehr stolz.
 
Eine Anekdote, genauso spannend erzählt, wie die mit Jussopow war seine Begegnung und Freundschaft mit dem französischen Schachgenie Gilles Andrue, den er in der Bibliothek des Centre Pompidou, wo sich tagtäglich Schachspieler trafen, kennenlernte. Ich verrate aber nichts, ihr sollt es ja lesen. Nur soviel, für den der es nicht weiß,  Gilles Andruet wurde später von der Glücksspielmafia ermordet.
 
Intressant fand ich Toussaints Bemerkung über das Schachspiel im Film. Er sagt aus, dass die Schachpartien, die man im Film zu sehen bekommt, in aller Regel unglaubwürdig seien. Die Stellungen auf dem Schachbrett entstammen zumeist entweder der Fantasie oder sie sind schlicht weg einfach absurd. Was der Laie natürlich nicht sehen könnte.
 
Toissaint sagt am Ende des Buches, dass dieses die Dimension eines *kairos* bekommen sollte, was bedeutet ein günstiger Moment. Der Begriff kairos war mir nicht fremd. Kannte es aus meiner langjährigen Beschäftigung mit Glaubensfragen in der katholischen Kirche. Mir hat dieser Ausdruck immer gefallen, da ich oft im Leben wenn Entscheidungen anstanden, auf genau diesen günstigen Moment, dem Kairos, wartete.
 
Dieser günstige Moment war für Toussaint die Covid-19-Pandemie, ohne die er dieses Buch wohl niemals geschrieben hätte. Er woltle weiterhin das Sichtbarwerden des Alters zur Sprache bringen, das ihn selber wie ein aufsteigender Nebel zu umhüllen begann und er wollte dass dieses Buch von ebenso vielen Spieleröffnungen wie Endspielen handelte. Er wollte in diesem Buch von seiner Kindheit, seiner Jugend und Adoleszens, von seinem Verhältnis zum Schach erzählen, von Anbeginn an. Und das in 64 Kapiteln wie die 64 Felder auf dem Schachbrett.
 
Ich finde das ist ihm wunderbar gelungen. Mich hat es Seite um Seite in den Bann gezogen und es ist sicherlich nicht das letzte Mal, dass ich es gelesen habe.
 
Biographien, die ich gerne lese, sind wunderbare Möglichkeiten immer wieder auch auf eigene Erinnerungen zurückzugreifen, sie zu vergleichen mit denen der Schreibenden, wie man selber mit möglichen gleichen Lebensverhältnissen umgegangen ist, was die Schreibenden gelernt haben und wie man sich selber weiter entwickelt hat im Laufe des eigenen Lebens. In diesem Falle war es für mich besonders spannend, weil es eben auch den Bezug zum Schachspiel vorweist, mit dem ich selber erst im fortgeschrittenen Alter begonnen habe und dass mir bis zum heutigen Tage noch immer viel Freude bereitet. Ich hoffe, das wird sich nicht ändern.
 
Viel Vergnügen beim Lesen dieses schönen Buches!
jean-Philippe-Toussaint
Das Schachbrett
Frankfurter Verlagsanstalt
ISBN 9783627003180
Gebunden, 256 Seiten, 24,00 EUR
 
 
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28. März 2024 4 28 /03 /März /2024 19:02
Warum ich gerade heute ins Kino gegangen bin kann ich gar nicht sagen. Es war eigentlich nicht geplant. Nach einigen Aufgaben die ich bis in den frühen Nachmittag zu erledigen hatte, stand mir Zeit zur Verfügung die jetzt mir gehörte. Das Aprilwetter lud nicht wirklich zu längeren Spaziergängen ein. Es regnete, obwohl die Sonne schien, kein Schirm war bei mir und dennoch wollte ich nicht nach Hause. Noch nicht. Kino fiel mir da einfach so spontan ein. Welcher Film sollte es sein?
 
One Life kam mir der Gedanke, davon hatte ich gehört. Schnell schaute ich ins smartphone wo er hier in Köln lief. Filmpalast wurde angezeigt. Nach kurzer Abwägung, wegen des Wetters, es regnete immer noch, entschloß ich mich von Nippes bis zum Rudolfplatz zu laufen, wo sich das besagte Kino befand.
 
Anthony Hopkins spielt den ehemaligen Bankbeamten Nicholas Winton, der mittlerweile Pensionär ist und seinen wohlverdienten Ruhestand genießen könnte. Aber er wird geplagt. Von seinem Erinnerungen. Nicht nur von der Aktentasche, die in seinem Schreibtisch liegt und viele historische Dokumente und Fotos beinhaltet, sondern auch von den Bildern, die ihn immer wieder überfallen. Es schmerzt ihn immer noch, dass es nicht genug war, was ihm damals, zur Zeit der Besatzung Hitlerdeutschlands der Tscheslowakei, möglich war. Es hätte mehr sein müssen. Erinnert auch an Oskar Schindler der nach dem Ende des Krieges ebensolche Gedanken hatte.
 
Wer war Nicholas Winton? Das erzählt der Film in Rückblenden des alten Sir Nicholas Winton an den jungen Winton, gespielt von Johnny Flynn.
 
Es war das Jahr 1938, kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges. England, Frankreich und Italien wollen diese Gefahr bannen und ließen die Tscheslowakai das Sudetenland an Deutschland abtreten. Sie hofften Hitler dadurch vom Krieg abhalten zu können.
 
Durch diese Abtretung flohen viele Menschen nach Prag und mussten unter unsagbar entsetzlichen Bedingungen leben.
 
Der junge Winton reiste zu dieser Zeit nach Prag und erlebte dort die Situation. Von da an vergaß er was er eigentlich war. Ein Banker, der wieder nach Hause fahren sollte um seinem Beruf und seinem Leben nachzugehen.
 
Seine Aufgabe war es jetzt hier einzugreifen. Er musste die jüdischen Kinder retten. Diese vielen tausende Kinder, die in den Flüchtlingslagern lebten. Er musste sie nach England bringen, wo sie in Sicherheit leben konnten und später zu ihren Eltern zurückkehren könnten. So dachte er jedenfalls.  Er begann einen fast unmöglichen Kampf gegen alle Widernisse, fehlendes Geld, fehlende Pflegeeltern, immer wieder Kämpfe mit der Bürokratie, die die fehlenden Visa nicht ausstellen wollten. Er tat das natürlich nicht allein, sondern mit der Unterstützung eines Teams, dem auch seine Mutter gespielt von Helen Bonham Carter,  angehörte.
 
Mehr möchte ich nicht erzählen. Ihr sollt den Film ja anschauen. Unbedingt. Denn es gibt nicht genug Filme, Biographien von Zeitzeugen und Dokumentationen die in den Vordergrund der Medien rücken, jedenfalls denke ich das oft, die einen immer und immer wieder die Vergangenheit vor Augen führen und damit auch den Blick auf das Heute öffnen, wo es viel zu wenig Menschen gibt, die genau wie Winton es damals tat, heute das Richtige tun.
 
Ich habe viel weinen müssen beim Schauen. nicht nur wegen dem Schrecken der Zeit, auch wegen der Freude über diesen Menschen, den es gab und der zeigte, wie Mitgefühl wirklich geht. Der Gedanke beschlich mich, wer meint, er sei in Ordnung so wie er ist wird unschwer erkennen, dass Umkehr und Bekehrung, wenn man diese Worte gebrauchen möchte, auch für ihn gelten.
 
Denn das schafft dieser Film ganz sicher. Als er zu Ende war und ich aus dem Kino auf die belebte Strasse trat, brauchte ich lange, um wieder in die Realität zu finden. Mir ging der Ausspruch ecco homo - siehe der Mensch - einfach nicht aus dem Kopf.
 
Sie da der Mensch! Ja nicht nur Winton sondern auch die Anderen, von denen wir wissen, damals und heute, auf sie trifft dieser Ausspruch zu. Siehe da der Mensch!
 
Daher war es genau richtig, heute, kurz vor Ostern diesen Film anzuschauen. Für mich jedenfalls.
 
Als ich mit der Strassenbahn über den Rhein nach Mülheim nach Hause fuhr schien die Sonne wolkenverhangen. Aber sie war kräftig hinter den Wolken, dass konnte ich sehen.  Die Wolken schebten schwer und vielschichtig. Sie muteten wir ein riesiges schneebedecktes Gebirge an mit dem strahlenden Licht der Sonne. Es war wie ein kleines Ostern.
 
Haben Sie den Himmel gesehen fragte ich die mir gegenüber sitzende etwas mürrisch dreinblickende alte Dame? Nein antwortete sie. Da haben Sie was verpaßt, entgegnete ich ihr. Es ist nicht mehr lang bis Ostern. Schöne Ostern wünschte ich ihr und stieg aus.
 
One Life nehmt Euch Zeit für diesen Film. Unbedingt!
 
 
https://www.youtube.com/watch?v=6ethollg-PI
 
https://de.wikipedia.org/wiki/Nicholas_Winton
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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6. März 2024 3 06 /03 /März /2024 19:43
Ein Film, der den Zuschauer erstarren läßt. Das Blut gefriert einem in den Adern, wenn man dieser Familie, der Familie Höß, in ihrem vermeintlichen Familienidyll zuschaut. Vermeintlich daher, weil man sofort bemerkt, das ist kein Idyll, das ist Funktionieren einer Familie, so wie die Nazis sich das von ihren Vorzeigefamilien gewünscht haben. Diese Familie zeigt kein Idyll, sondern Gleichgültigkeit innerhalb der Familie, obwohl alles da ist, was zu einer Familie gehört. Finanzielle Sicherheit, gute Versorgung, gute Ausbildung und ein gutes Zuhause, in dem man sich wohlfühlen könnte.
 
Ja könnte, wenn nicht da direkt hinter den Mauern das größte Verbrechen der Menschheit geschieht. Tag für Tag.
 
Die Gleichgültigkeit des Ehepaars Höß  ist es, die einen erschauern läßt. Sie Hedwig, gespielt von Sandra Hüller, hat keine mütterliche Wärme. Sie ist eine kalte Frau. Und Höß selber, der, wie man aus verschiedenen Biografien und historischen Untersuchungen weiß, trägt den Judenhaß schon lange in sich, ebenfalls.  Aber der Film zeigt diesen Haß nicht einmal. Er zeigt einen kalten von Gleichgültigkeit geprägten Mann, der seine Aufgabe zu erfüllen hat.Damit ist er beschäftigt.  Da sind keine Menschen, die er in die Gaskammern schickt, sondern das sind Ladungen, die effizient verbrannt werden, auskühlen müssen und dann neu verladen werden muß.
 
Ist es nur Gleichgültigkeit gepaart mit Verdrängung? Nein, das Gefühl hatte ich nicht beim Zuschauen. Die haben nichts verdrängt, es war ihnen schlichtweg egal.Was einem egal ist, braucht auch nicht verdrängt zu werden.  In diesem Zusammenhang fällt einem Hannah Arends Aussage von der Banalität des Bösen ein.
 
Der Film zeigt nicht das Geschehen in den Lagern. Man weiß es ja. Die erste Szene des Films ist eine langes währendes Grau auf der Leinwand und im Hintergrund ein Wummern und Stampfen, die die Bilder von der Grausamkeit im Kopf entstehen lassen. Irgendwo las ich einmal, dass dies zum Schrecklichen gehörte bei den nazis, das Stampfen ihrer Stiefel und das Gebrüll. Eine Zeit stampfender Stiefel und lautem Schreien. Der Gedanke daran jagt mir einen Schauern über den Körper.
 
Dieses Grau, dieses Wummern dann wieder die Blumen, die Farbenpracht die sie hervorbringen, diese Gegensätze. Beides Nebeneinander. Beides ist da, das Grauen und die Schönheit.
 
 Wie kann das gehen, fragt man sich immer wieder. Wie ist das möglich. Denn es ist ja möglich. Es war ja nicht nur dort in Ausschwitz so im Familienanwesen der Familie Höß, es war auch überall in Deutschland zwischen den Menschen sichtbar. Da wurden die Juden abgeholt, deportiert, andere wieder wegen ihres Widerstandes oder ihrer anderweitigen politischen Gesinnung und die, die nicht betroffen waren, lebten weiter, die einen in Angst und Schrecken, die anderen in genau der selben Gleichtültigkeit wie die Ausführenden der Gräueltaten. Wenige hatten den Mut etwas dagegenzusetzen. Es gab sie auch, die nicht erkaltet waren, die hinsahen und helfen wollten. Waren es Wenige? Auf jeden Fall zu Wenige.
 
Wir haben es hier doch schön sagt Hedwig nachdem  Rudolf ihr mitteilte, dass er nach Oranjenburg versetzt werde. Sie bleibe hier an diesem Ort mit den Kindern und warte bis er zurückkehre.
 
Ein einziger Moment im Film läßt einen aus dem Grusel der sichtbaren Gleichgültigkeit dieser Beiden Hösses so etwas wie Erleichterung fühlen. Da war die Mutter von Hedwig, die die Familie der Tochter besuchte. Voller Stolz zeigt sie der Mutter das Anwesen, was sie geschaffen hat aus dem Haus und dem Garten. Sie werde die Königin von Auschwitz genannt, erzählt sie der Mutter. Die Mutter freute sich mit ihrer Tochter. Sie habe es geschafft, sagt sie.
 
Aber dann, in der Nacht lag sie wach in ihrem Bett, hörte das Wummern und Stampfen, ging zum Fenster und sah das Feuer und den Rauch aus den Schornsteinen. Wie versteiernt steht sie da. Sie legt sich hin, aber am anderen Morgen war sie weg. Einfach gegangen. Ein Zettel lag da, den ihre Tochter fand, als sie sie zum Frühstück rief. Was drauf stand? Man weiß es nicht, denn Hedwig schmiß ihn in den Kamin.
 
Da sind sie wieder die Gegensätze. die Mutter, die das nicht ertragen hat, damit nicht leben konnte in dieser Nähe, die Gewißheit, die jetzt sah, was geschah. Und Hedwig, die Tochter, der auch das egal war.
 
Für mich war es ein erleichternder Moment, diese Mutter zu sehen und wie ihre Reaktion war. Es war ein Zeichen von Hoffnung, dass man darauf vertrauen kann, dass es immer wieder Menschen gibt, die noch nicht erkaltet und gleichgültig sind. Und das einem dabei hilft, diesen Satz aus dem eigenen Kopf zu bekommen, der sagt, man wünsche sich nicht auf dieser Welt zu sein.
 
Und mit dem Schweigen, den dieser Film schon von der ersten Szene der grauen Leinwand in mir auslöste ging ich auch hinaus nach dem Film und spazierte den Weg vom Kino nach Hause zu Fuß. Es war gut allein zu sein und still sein zu können.
 
Wenn es einen Film gibt, den man ganz sicher auf jeden Fall sehen muss, dann ist es dieser Film.
 
Auch wenn dieser Film eines nicht aufklärt oder gar der Frage nachgeht, was macht einen Menschen zu einem, der gleichgültig gegenüber dem Verbrechen ist, dass er selber ausübt. Doch das wäre sicherlich zuviel gewesen. Dieser Film wollte diese Banalität des Bösen zeigen.
 
Die Frage warum ist aber da und es gibt viele Antworten. Ich verweise immer gern auf Arno Gruen, der in seinem Buch * Der Verlust des Mitgefühls* sicher eine gute Antwort darauf hat. Doch gibt es viele Antworten. 
 
Denn die Frage nach dem Mitgefühl des Menschen ist die Frage nach seinem Menschsein!
 
 
 
 
 
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26. Februar 2024 1 26 /02 /Februar /2024 11:04
Dieses Buch macht einfach nur Vergnügen es zu lesen. Keinerlei große Probleme der Welt werden gewälzt, über die nachgedacht werden muss. Außer vielleicht über die Weltfremdheit. Genauer gesagt über den Oblivismus.
 
Denn darum geht es in dieser wunderbaren Geschichte die Johanna Seebauer mit einer unglaublich phantasievollen Sprache erzählt. Ihre Beschreibungen von Personen und Örtlichkeiten haben einen Sog der einen hineinzieht ins Geschehen.
 
Nincshof ein kleines fiktives Dorf am Ende von Österreich. Im Burgenland nahe der ungarischen Grenze. Die Legende besagt, dass es dieses Dort für die Welt lange Zeit nicht gegeben hat. Es war versteckt im hohen Schilf und ihre Häuser standen auf Stelzen auf dem dahinfliessenden Wasser. Erst im 2o. ten Jahrhundert wurde es an das große weite Weltgeschehen gegen den Willen aller Nincsdörfler angeschlossen.  Eine Legende oder Wahrheit? Man wird es erfahren.
 
Die Menschen im Dorfe Nincshof sind aussergewöhnlich, schräg oder skurril, je nachdem wie man es betrachten möchte. Geheiratet wird selten, doch auch wenn, die Männer tragen ausnahmslos alle die Nachnamen ihrer Frauen. Ihr Liebesleben ist sehr freizügig. Kirchlichen Institutionen stehen sie mehr als skeptisch gegenüber und was Wahrheit ist, stellen sie zumeist in Frage. Was ist schon Wahrheit? Es gibt doch viele Wahrheiten.
 
Die Menschen leben so für sich dahin. Der Bürgermeister, der eigentlich gar kein Bürgermeister sein will, aber es trotzdem ist, weil es niemand Anderes werden will.
 
Es ist Sommer und die Luft ist heiß und stickig. Nur die Grillen mit ihrem Gesang durchdringen bisweilen die Schwere der Luft.
 
Erna Rohdiebel beschließt eines Tages in der Nacht in den Swimmingpool ihrer Nachbarn zu steigen. Ein Abenteuer für die fast 80jährige Erna. Und damit begintn die abenteuerliche Geschichte im Dorfe Nincshof.
 
Der Bürgermeister, der eigentlich kein Bürgermeister sein will hat die Nase voll von der Welt. Es reicht ihm. Wieso kann sein kleines Dorf nicht ruhig, still und friedlich ihr ganz eigenes Leben führen? Alles muss man mitmachen, was von ganz oben kommt. Sogar eine Städepartnerschaft muss man haben, wie jetzt jedes kleinste Örtchen sie hat. Nincsdorf also auch. Mit einer belgischen Stadt direkt an der See. In Abständen muss er mit einer Gefolgsschaft dieses Städchen besuchen. Zumeist bleibt er allein, denn Niemand will das. Aber er muss. Und das bekommt ihm jedes Mal nicht. Der Verzehr von Muschelgerichten liegt ihm in den Därmen und macht den Aufenthalt fast unerträglich.
 
Als er wieder einmal von einer Reise zurückkommt, sitzen drei Männer, er, der Bürgermeister, also der ältere, ein junger Mann, vielleicht gerade 20 Jahre alt und ein noch Älterer, den man Sepp-Sepp nennt, und der mindestens schon 200 Jahre alt sein soll abends, es ist schon dunkel, in aller Heimlichkeit am Einser-Kanal.  Auch die Beiden, also der Jüngere und der noch Ältere,  haben die Nase gestrichen voll von der Bevormundung von ganz Oben und dem ständigen wir müssen uns weiterentwickeln, sonst gibt es keinen Fortschritt.
 
So beschließen die Drei sich zu erwehren. Der Jüngere macht sie mit dem Oblivismus bekannt. Weltabgewandtheit. Der Philosophie des Vergessens. Der ältere, also der Bürgermeister und der noch Ältere, also der Sepp-Sepp, sind ganz begeistert von dieser Philosophie. So beschließen sie einen Plan, wie sie Nincsdorf für die Welt da draussen vergessen machen können.
 
Sie lassen sich verrückte Sachen einfallen. Das Abmontieren der Ortsschilder, eine Flut von Jauche neben den Radwegen durch und um das Dorf herum, auf denen am Wochenende die Radler aus der Umgebung und der Großstadt Wien ihre Touren absolvieren und die ganz schnell angewidert fernbleiben. In der örtlichen Bibliothek reißen sie alle Berichte und Fotos des Dorfes aus den historischen Büchern heraus und auch im Internet findet man ganz plötzlich nichts mehr über Nincsdorf.
 
Das muss auch Isa Bachgasser, eine bekannte Filmemacherin von Dokumentationen und ihr italienischer Mann Silvano erfahren. Beide hatten sich entschlossen aus dem Großstadtgewühle von Wien in ein kleines Dorf zu ziehen und haben sich genau dieses Nincshof ausgesucht. Denn bevor alles verschwunden war im Internet, konnte man noch Vieles erfahren über das Dorf.
 
Beide, Isa und Silvano wollen dort einen Neuanfang ihres Lebens starten. Silvano war nach langer Krankheit endlich wieder genesen und hatte jetzt endlich den Mut sich dem zu widmen, von dem er schon träumte, als er noch in Peru einige Jahre lebte und den Zappatisten bei ihrem Freiheitskampf geholfen hat. Dort in Peru begegnete er dem, was ihn dann auch später, als er wieder Zuhause war, nicht loslassen konnte. Es waren die Irrziegen. Eine seltene Ziegenart, die es kaum noch auf der Welt zu finden gab.
 
Von einem italienischen Züchter kaufte er mehrere dieser Irrziegen und wollte dort, in Nincsdorf, einfach nur noch Ziegenwirt sein. Und seine Frau die Isa? Sie war des Filmemachens müde. Wollte sich endlich mal ausruhen.
 
Aber eines Tages joggte sie durch und um das Dorf herum und fand versteckt im Schilf ein Schild * Freiheit für Nincsdorf* in Gedenken an Martha E. Sie stutzte. Was es wohl damit auf sich hatte.
 
Und so geschah es, dass diese beiden Zugezogenen den Oblivisten , die sich Tag für Tag bei Erna Rohdiebel, die jetzt auch dazu gehörte,  trafen um die weiteren Pläne für die Aktion *Nincshof - soll vergessen werden, trafen, einen Strich durch die Rechnung machten.
 
Wie es wohl ausgeht das Ganze. Darauf laßt Euch ein. Denn mehr verrate ich nicht, ausser dass es einfach nur Spaß macht dieses Buch zu lesen. Immer wieder habe ich herzhaft lachen müssen ob der verrückten Beschreibungen des Geschehens und der phantasievollen Wortgewalt mit der Johanna Seebauer ihre Geschichte erzählt und man gar nicht anders kann, als allen Personen in diesem Buch mehr als sympathisch gegenüberzustehen, nein man liebt sie geradezu.
 
 
Und ja, seufz...so eine Weltabgewandtheit gefällt mir doch auch sehr. Denn wie soll man sich all dieser Verrücktheiten, dem Schrecklichen und Unmöglichen erwehren, wenn nicht, dass man einfach mal verschwindet, entweder hinter der eigenen Tür in seiner kleinen Höhle zuhause oder irgendwo hin in ein kleines Dorf, das verschwiegen irgendwo in der Eifel oder sonstwo liegt und das einem ebenfalls dazu verhelfen kann, einfach mal die Welt da draussen in sich drin zu vergessen und sich selber auch vergessen sein lassen will. Denn in so einem kleinen Dorf, jedenfalls bei mir in der Eifel, steht die Welt tatsächlich noch ein wenig still. Hier dringt der Lärm der Welt noch nicht bis in alle Winkel hinein. Hier ist die Wirklichkeit des Alltags noch überschaubar.
 
Also es ist schon eine kleine Einladung auch, die Welt einfach mal draussen zu lassen!
 
Viel Vergnügen
 
Johanna Seebauer
Nincsho
DuMont Verlag
367 Seiten
23 Euro
ISBN 978-3-832-16820-9
 
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16. Februar 2024 5 16 /02 /Februar /2024 12:34
Caroline Wahl hat einen wunderbaren Roman geschrieben, den ich jetzt zu Ende gelesen habe, der allerdings kein leichtes Thema beinhaltet. Dennoch erscheint nicht einen Moment lang beim Lesen das Gefühl von Schwermut ob der Geschichte. Im Gegenteil, sie schreibt den Roman in einer bemerkenswerten Leichtigkeit, die es einem leicht fallen läßt, die Schwere zu ertragen.
 
Zwei Schwestern, Tilda und Ida, leben mit einer Mutter die Alkoholikerin ist. Hinzu kommt die finanzielle Armut, mit denen die Geschwister und ihrer Mutter leben müssen.
 
Die Mutter hat seltene Momente, in denen sie versucht sich aus ihrer Sucht zu lösen, um wieder in eine Normalität zu gelangen. Leider halten diese Momente immer nur kurz an. Dann verfällt sie wieder ihrer Sucht und verwandelt sich in ein Monster, dem es schwer ist, zu entkommen. Vor allen Dingen die kleine Ida, noch in der Grundschule, ist die Leidtragende, denn sie hat noch keine Methode entwickelt, sich den Angriffen, auch verbunden mit körperlicher Gewalt, ihrer Mutter zu erwehren.
 
Die große Schwester Tilda versucht so gut wie möglich für die kleine Ida zu sorgen, sie zu beschützen. Eine schwere Aufgabe für Tilda, die vor ihrem Abiturabschluß steht und danach Mathematik studieren möchte.
 
Tilda geht zur Schule und arbeitet nebenher in einem Supermarkt an der Kasse, um den Lebensunterhalt der dreiköpfigen Familie zu verdienen, denn die Mutter fällt immer wieder aus.
 
Sie verbindet diese Arbeit an der Kasse mit einem Spiel, in dem sie niemals die Kunden vor ihr anschaut, sondern nur zählt, was sie abkassiert:
 
*Hafermilch, Mandelmilch, Cashewnüsse, tiefgefrorene Himbeeren, Hummus, Kölln Haferflocken, Bananen, Dinkelnudeln, Avocados. 30,72 Euro Levis-Shirt ratet sie, schaut dann endlich hoch und als sie den Schriftzug Levis-Shirt sieht, ist das ziemlich cool und vielleicht sogar der Höhepunkt ihres Tages. Es ist zwar eine jüngere Frau, aber das T-Shirt richtig erraten zu habenempfindet sie stark.*
 
Tilda ist eine junge Frrau die es sich zur Aufgabe gemacht hat, in ihrem Alltag mit der kleinen Schwester und der kranken Mutter, die Kontrolle zu behalten. Durch viele Wiederholungen, die es ihr selber leicht machen, die schwere Aufgabe zu bewältigen, versucht sie ein Gleichgewicht zu schaffen, um nicht selber abzustürzen.
 
So gehört das tägliche Schwimmen am Abend, zu dem gelegentlich auch die kleine Schwester Ida mitkommt,  dazu. Vor allen Dingen im  Regen macht es den beiden besonders Spaß. Tilda schwimmt genau 22 Bahnen. Immer. Und die kleine Ida liebt es zu tauchen. Auch Tilda läßt sich immer auf den Grund hinab um das Treiben da über ihr zu beobachten. Wenn sie fertig ist mit ihrem Programm setzt sie sich auf die Bank zu Ursula, einer älteren Rentnerin, um noch ein wenig mit ihr zu plauschen.
 
Dort im Schwimmbad begegnet sie auch Viktor, dem Bruder von Ivan, mit dem sie und ihre Freundin Marlene oft abgehangen haben. Ivan, seine Schwester und seine Eltern leben nicht mehr. Sie sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Viktor ist zurückgekommen aus Hamburg, wo er als freiberuflicher Programmierer arbeitet, um den Haushalt seiner Familie aufzulösen. Die Trauerarbeit ist schwer und auch er scheint mit dem täglichen Schwimmen den Kopf frei bekommen zu wollen, wie auch Tilda.
 
Es beginnt ganz zart etwas zwischen ihnen, aber noch lange weiß man nicht, wie das ausgehen wird zwischen ihnen. Es ist aber, wie auch der Vorschlag ihres späteren Dozenten an der Uni, der ihr vorschlägt sich für eine Promotionsstelle in Berlin zu bewerben, ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft. Ein Neuanfang? Herauszukommen aus dem Kreislauf  des schweren Alltags. 
 
Aber wie soll das gehen fragt sie sich immer wieder? Sie kann doch ihre kleine Schwester Ida nicht bei der Mutter allein lassen. Sie muss sie stärken, damit sie sich selber schützen kann, wie sie sich selber ebenfalls als kleines Kind und heranwachsende Jugendliche zu schützen gewußt hat.
 
Wunderbare Dialoge zwischen ihr und ihrer Schwester Ida zeigen, wie die Beiden miteinander umgehen. Wenn man sie liest, befällt einen das Gefühl man stehe selber als dritte Person neben den Beiden.
 
Das Schwimmen und das Lesen, denn das ist das Andere, was sie versucht der Schwester beizubringen, würden ihr helfen. Da ist sie ganz sicher. Denn es hat auch ihr geholfen über ie Dunkelheit in ihrem Leben. 
 
So besorgt sie Ida einen Leseausweis für die örtliche Bibliothek. Ida, die zwar auch schon eine eigene Strategie entwickelt hat, sie, die künsterlisch sehr kreativ ist und viel mit Malen verarbeitet, greift das Lesen auf. Fürs tägliche Schwimmen braucht sie noch etwas Zeit.
 
Mehr möchte ich nicht verraten. Der Roman über die beiden Geschwisterkinder zeigt, wie wichtig es ist, Verantwortung zu übernehmen. Gerade dann wenn es schwere Lebenssituationen zu bewältigen gibt. Gerade das Übernehmen von Verantwortung kann dann heranwachsenden Jugendlichen dabei helfen zu stabilen Persönlichkeiten zu werden. Und es zeigt auch wie wichtig es ist, sich Dingen zu widmen, die einem dabei helfen können, schwere Traumata zu verarbeiten. In diesem Falle sind es das Schwimmen, das Lesen und die künsterlische Aktivität der kleinen Ida.
 
Ich bin da ganz bei den Beiden gewesen. Auch selber habe ich die Erfahrung schon von Kind an gemacht, dass das Lesen, also das Verschwinden in andere Welten, helfen kann, Hoffnung gibt. Es hat mir immer Mut gemacht, zu sehen, wie die Protagonisten in Büchern es geschafft haben, Schweres auszuhalten und die Hoffnung zu behalten und ich oft gedacht habe, wenn man das aushalten und bewältigen kann, dann kannst du das auch, was dir selber widerfährt.
 
Und am Ende zeigt es auch, wie wichtig es ist in unserer Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen, wo es nötig ist. Denn das ist sicher eines der größten Probleme in unserer Zeit, dass die Menschen verlernt haben Verantwortung zu übernehmen und oft versuchen, auf Institutionen zu verweisen. Aber Menschen brauchen Menschen!
 
Ein großartiger Roman, der wie ich finde, auch für Jugendliche eine gute Leseempfehlung ist.
 
 
Caroline Wahl
22 Bahnen
Dumont Verlag
ISBN: 9783832168032
22 Euro
 
 
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16. Januar 2024 2 16 /01 /Januar /2024 11:37
Der Norweger Jon Fosse bekam 2023 den Literaturnobelpreis. Davon las man. Gelesen hatte ich bisher noch nie etwas von ihm. Alles zu Fosse kann hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Jon_Fosse
nachgelesen werden.
 
Daß er jedoch religiös geprägt sein muss erschließt sich nach einiger Zeit beim Lesen seines Romans.
 
Ein Leuchten so heißt seine Erzählung, der flott gelesen werden kann, weil er gerade mal 80 Seiten zählt. Schnell gelesen aber dafür nehmen die Zeilen, diese Geschichte,  einen noch für lange Zeit gefangen.
 
Ein wunderbare Einladung zum Sinnieren, so schreibt der Norddeutsche Rundfunk.
 
Das trifft es absolut, denn die Geschichte die erzählt wird ist offen für viele Möglichkeiten ihrer Deutung. Denn darüber denkt und denkt man nach. Was erlebt dieser Mann in der Geschichte tatsächlich? Was will uns Fosse mit dieser Geschichte sagen?
 
Ist es eine Phantasierei des Protagonisten oder ist es eine Realität, ein Erleben?
 
Der Mann über den er schreibt befindet sich in einer Lebenssituation von Langeweile. Irgendwie geht es wohl nicht weiter. An dem Gefühl von Langeweile kommt der Mensch zumeist an, wenn entweder alles getan wurde und man keinen neuen Aufgaben oder Wege findet, um das Leben fortzusetzen oder wenn man möglicherweise einfach genug hat von all dem was bisher gewesen ist, ein gewisser Überdruß sich einschleicht.
 
Mit diesem Lebensgefühl der Langeweile, die ihn gefesselt hat, setzt er sich in sein Auto und fährt einfach drauflos. Er richtet sich nach dem Strassenverlauf. Mal biegt er links, mal rechts ab weiter und weiter, bis es am Ende nicht mehr weitergeht und er an einem Waldweg ankommt, wo sich sein Auto festsetzt. Kein Vor- und kein Zurück mehr. Nur noch Wald. Norwegens Wälder sind tief und schwarz.
 
Er ist ratlos. Weiß nicht, wie es weitergehen soll. Waren da nicht vorher irgendwo Häuser? Sollte er zu Fuß zurückgehen um eines dieser Häuser zu suchen und um Hilfe zu bitten? Er versinkt ins Grübeln.
 
Ihm ist kalt. Es beginnt zu schneien und die Dunkelheit der Nacht ist nicht mehr fern. Er stellt die Heizung an. Wie geht es weiter?  Er verspürt Angst. Was ist, wenn es hier für ihn nicht mehr weitergeht? Wird man ihn suchen, ihn finden? Er ist ein einsamer Mann, lebt allein. Wer soll da wohl an ihn denken, ihn suchen und finden.  Noch mehr Angst.
 
Nach einigen Seiten des Lesens dieser Geschichte dachte ich, dass es Realität ist, was der Mann erlebt. Und hatte schon ein Urteil parat, schon ein wenig dumm was er da getan hat und auch weiter tun wird. Nämlich die Wärme des Autos verlassen und in den tiefen Wald gehen. Was will er denn da?  Bei Einbruch der Dunkelheit. In den tiefen Wald. Wo das Unglück, dass ihn ereilte, aus Langeweile, seinen weiteren Verlauf nehmen wird. Absolut unsinnig.
 
Aber nach einiger Zeit sieht er etwas. Ein Leuchten. Mitten in der schwarzen Dunkelheit des Waldes und der Nacht. Er sieht es und rätselt. Ein Mensch? Oder einfach nur ein Licht dessen Konturen denen eines Menschen ähnelt? Er geht auf diese Erscheinung zu.
 
Er wird noch zwei wichtige Erscheinungen treffen. Seine Eltern mitten in diesem Wald. Zwischen dem Licht, dem Leuchten der Erscheinung und seinen Eltern wird es eine Kommunikation geben, eine stille jedoch überwiegend. Mehr verrate ich nicht.
 
Wie schon geschrieben, es gibt viele Möglichkeiten der Deutung dieser Erzählung. Sie läßt einen nicht mehr los, unglaublich wie sie einen gefangen nimmt.
 
Für mich war es ganz klar, was sie mir erzählte. Die Geschichte von Sterben eines Mannes, eines Menschen.
 
Angekommen an seinem Ende des Lebens kurz vor dem Tod. Denn ich erinnerte mich selber an das Damals, als bei dem schweren Autounfall, in dem ich verwickelt war, meine zwei Freunde sofort starben und ich selber in tiefe Bewusstlosigkeit fiel, dass ich auch ein *Leuchten, ein Licht sah und auch meine Mutter*, ja ich erinnere mich, dass ich nach ihr rief. Ob laut oder nur in meinen Gedanken, das kann ich nicht mehr sagen.
 
Und ich erinnere mich an all die letzten Tage meiner mir nahestenden Menschen, an deren Bett ich saß, deren Hand ich hielt, bei ihnen war, sie begleitete auf ihren letzten Lebensminuten, auf dem letzten Weg. Und beobachtete wie sich da in ihrem Geiste, in ihrem Kopf, etwas abspielte. Wie sie sahen, auf welchem Weg sie sich befanden und was dort geschah. Nur hin- und wieder ein Seufzen, manchmal sogar nochmal ein Wort oder ein Augenöffnen, welch all das mir zeigte, sie erlebten da Etwas auf ihrem letzten Weg hinüber.
 
Das hat mich getröstet und schenkt mir Zuversicht und Hoffnung, wenn ich einmal selber an dieser Stelle mich befinde des Hinübergehens. Dass da etwas zu sehen ist, mich in meiner Angst, die ja immer wieder aufkeimt, beruhigt und mir sagt, alles ist gut und mich das Licht, dass mich so wärmt wie nichts mich jemals in dieser Welt gewärmt hat, mitnimmt, hinüber. Wohin? Ich weiß es nicht. Aber alles wird gut sein.
 
Aber wie gesagt, das ist das Bild für mich ganz persönlich, dass ich aus dieser Geschichte herausgelesen habe.
 
Es kann auch eine ganz andere, einfachere haben. Ein Bild für das Leben selbst. Vom Leben, in dem man irgendwann nicht mehr weiter weiß und darauf wartet, dass Irgendwas passiert, einem wieder auf die richtige Bahn lenkt.
 
Oder ein Bild vom Leben eines Menschen der das Leben überdrüssig geworden ist. Dass all das was er getan hat, was war und ist und noch kommen sollte, ihn ganz einfach nur noch langweilt und er vielleicht sogar Todessehnsucht bekommt.
 
Sicher gibt es noch viele andere Möglichkeiten der Deutung. Macht Euch Eure eigenen.
 
Ich selber bin überaus gespannt, was mir die Menschen, mit denen ich in meinem Literaturkreis das Buch gemeinsam gelesen habe, von ihrem Erleben beim Lesen dieses Buches erzählen werden. Darauf bin ich schon genauso gespannt, wie ich war beim Lesen des Buches.
 
Jon Fosse
Ein Leuchten
80 Seiten
Rowohlt Verlag
ISBN: 978-3-498-00399-9
22 Euro
 
 
 
 
 
 
 
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1. Januar 2024 1 01 /01 /Januar /2024 10:46

 

 

Unter meinem Gabentich lagen viele Bücher, auch das neue Buch von Bernhard Schlink, wohl den meisten Lesern bekannt durch seinen Roman *Der Vorleser*, das im übrigen auch eine sehr schöne Literaturverfilmung geworden ist. Über Schlink brauch ich nicht viel zu erzählen, das kann man alles hier https://de.wikipedia.org/wiki/Bernhard_Schlink nachlesen.

Das späte Leben ist ein Buch über das Sterben. Der Tod und die Liebe, beides wohl die Themen, denen wir in der Literatur am häufigsten begegnen. Nicht alle, die ich gelesen habe,  berührten mich so  wie dieses Buch von ihm.

Wenn man über den Tod nachdenkt und über ihn schreibt, ist es doch auch so, dass man nicht umhin kommt, über das Leben nachzudenken. Das Leben das man hatte und dass was einem vielleicht davon noch übrig bleibt. Gerade wenn man älter und älter wird und man nicht weiß, wieviel Zeit einem noch bleibt.

Grundsätzlich ist es ja so, dass man es eigentlich nie weiß, egal wie alt man ist, doch in jungen Jahren voller Lebensplanungen und Aktivitäten mag man darüber nicht nachdenken, jedenfalls Wenige tun das, we ich im Laufe meines Lebens in Gesprächen erfahren durfte.  Für mich selber, wie ich schon öfter erwähnt habe, ist das Nachdenken über den Tod nichts Neues jetzt im Älterwerden, da ich selber schon früh mit der Bedrohung des Todes Berühung hatte, sei es das eigene Leben oder eben auch dem Verlieren von geliebten Menschen, die ich begleiten durfte.

Der 76 jährige Martin Brehm ist so ein Mensch der trotz seines Alters noch voll im Leben steht. Er hat eine über 30 Jahre jüngere Ehefrau, Ulla, die Malerin ist,  mit der er einen kleinen Sohn,  David, der kurz vor der Einschulung steht, hat, die er Beide über alle Maßen liebt. Und da war auch seine Arbeit als Universitätsprofessor für Rechtsgeschichte, die jetzt hinter ihm liegt und seine Tätigkeiten in diesem Bereich nicht aufgehört haben, nachdem er emeretiert ist. Er ist immer noch für Vorträge ein gefragter Mann.

Doch dann ganz plötzlich tritt das ein, wovor sich der eine oder andere vielleicht immer mal fürchtet. Martin bekommt bei einer Routineuntersuchung von seinem Arzt die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Lebenserwartung vielleicht 12 Wochen. Sein Hausarzt ist keiner, der ihm falsche Hoffnungen macht. Unheilbar, der Krankheitsverlauf langsam voranschreitend mit einem schließlichen Ende, deren letzte Wochen schmerzhaft sein werden.

Martin scheint gefasst zu sein. 76jährig scheint er alt genug zu sein, um dem Tod zu begegnen. Dieses Gefasstsein schwankt aber immer wieder. Sein Alltag, die Wochen, die ihm verbleiben, wird geprägt sein einerseits von dem wie wird das Sterben sein und wie wird das Leben seiner Beiden, die ihn verlieren werden, weitergehen. Er kann sich nicht vorstellen, einfach nicht mehr da zu sein um sie zu begleiten.

Manch einer wird sich fragen, wieso kann man drüber nachdenken, wie das Leben ohne ihn selber weitergeht, doch mir sind solche Gedanken auch nicht fremd. Denn des öfteren stell ich es mir auch vor, das alles weitergeht, ohne mich, dass ich nicht mehr dabei sein kann und Vieles noch miterleben darf. Diesen Schmerz loszulassen, der schon da ist, obwohl man ja noch lebt, ist eine riesige Aufgabe. Loslassen.

Martin überlegt lange, wie er seiner Frau und seinem Sohn, vor allem ihm, erzählen kann, was mit ihm geschehen wird, dass er und wie er sterben wird. Wie sagt man seinen Kindern, dass man nicht mehr lange zu leben hat. Aber er findet einen Weg.

Er findet auch einen Weg wie er diese letzten Wochen seines Lebens verbringen möchte. Nicht in Rührseligem - was ich schon immer noch mal tun wollte - , sondern einfach weiter den Alltag leben, mit all den kleinen Dingen, die er erfordert und die ihm in seinen Lebensjahren bisher nicht nahe waren, die er einfach so nebenbei noch erledigt hatte. Jetzt ist das alles anders. Es wird intensiver, die kleinsten Dinge werden ihm, dem immer müde werdenden Mann, groß  sein. Er wird seinen Sohn jeden Morgen zum Kindergarten bringen, einkaufen, kochen, den Garten bearbeiten und ein paar kleine Wünsche äußern, die er zusammen mit ihm und seiner Frau noch tun möchte. Nichts großes, ein Picknick, eine Fahrt mit dem Riesenrad und am Ende ein Aufenthalt am Meer. 

Und er wird einen Brief an seinen Sohn schreiben. Seine Frau riet ihm dazu, etwas dem Sohn noch mitzugeben, damit er sich im Größerwerden an ihn erinnern kann.  Aufgrund eines Filmes den sie mal sah, dachte sie an ein Video, dass er filmen sollte, um dem Sohn etwas zu sagen. Er entscheidet sich aber für einen Brief, in dem er alle Fragen, denen er sich selber stellt über das Leben, den Tod und die Liebe, was ist Gerechtigkeit und wieviel Wahrheit verträgt das Leben.

Er bereut auch nicht, hätte er doch früher schon intensiver mit weniger Arbeit und mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge verbracht. Alle würden ja heute von der Work-Life-Balance reden. Alles Quatsch sagt er sich.

Er sagt vielmehr:

"Arbeit ist ein Teil des Lebens. Mal gehört unsere ganze Kraft ihr, mal der Familie, mal stehen Chor oder Orchester und mal der Wahlkampf an erster Stelle. Es gibt keine Balance. Wir tanzen im Leben immer auf vielen Hochzeiten." So schreibt er seinem Sohn in seinem Brief.

So ist es ja auch. Die Dinge, die wir tun, erfordern immer unterschiedliche Kräfte und Zeiten. Man kann etwas mit Gewichtigkeitnicht  nur halb tun, um damit das Andere ebenfalls halb tun zu können.

Eines Abends, als er mit seinem Sohn zusammensaß, der nun wußte, dass der Vater sterben wird und er plötzlich weinen musste, sagt Martin ihm:

"David, David...und wenn ich sterbe und in den Himmel gehe, kommst du mit bis an die Tür, wir verabschieden uns, wie wir uns am Kindergarten verabschieden, und ich gehe rein, und wenn du viele, viele Jahre auch reingehst, begrüße ich dich. Es ist eine Tür wie keine andere, du siehst sie nur, wenn sie für dich aufgemacht wird und du reingehst. Wir verabschieden uns du bleibst zurück, ich gehe um die Ecke und finde die Tür."

Ein schönes Bild fand ich!

Das Büchlein umfaßt knappe 24o Seiten, doch in ihm ist eine Fülle großer Fragen und Erkenntnisse zu finden, die den Leser unaufdringlich diese seinem eigenen Leben stellt. 

" Der Tod ist nicht gerecht. Aber was ist schon gerecht - nicht Gott, nicht die Liebe, nicht die Arbeit, nichts, wovon ich Dir geschrieben habe. Ausser der Gerechtigkeit, die wir Menschen in die Welt bringen. Vielleicht ist immerhin der selbstgewählte Tod gerecht. Aber das Leben dessen, der den Tod wählt, hat darum auch nicht seine Erfüllung gefunden. Etwas Besseres als den Tod finden wir überall, so heißt es im Märchen der Gebrüder Grimm von den Bremer Stadtmusikanten."

Mit diesen Worten endet der Brief an seinen Sohn!

12 Wochen sollten es vielleicht noch sein. Begleiten werden wir Martin genau 1o Wochen, die mich und sicher auch jeden Leser bewegen werden, ohne von Sentimentalität oder Rührseligkeit gefangen zu werden. Denn nichts ist realistischer als der Tod und nicht anders kann diesem entgegengetreten werden.

Eine gute Lesezeit wünsche ich allen bei diesem Büchlein!

bernhard Schlink

Das späte Leben

Diogenes-Verlag

ISBN: 13-978-3257072716

26,00 Euro

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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15. September 2023 5 15 /09 /September /2023 08:28

Was ich mir nie vorwerfen konnte ist, dass ich zu den Menschen gehöre, die sich einschleimen oder den Mund halten wenns drauf ankommt.  Von Menschen, die sich so verhalten, halte ich mich fern, weil ich diese nicht zum Freund haben möchte. Ist so.

Mein Nichtmehrmann sagte mir einmal, Roeslein, Roeslein, manchmal haben die Menschen Angst vor Dir. Also nicht falsch verstehen, nicht, weil ich möglicherweise in Taten gewalttätig wäre. Das nun nicht. Aber wenn ein Mensch den Mund nicht halten kann, wenns angebracht ist, kann das auch schon mal gewaltättig wirken. Das habe ich immer in Kauf genommen. Da mache ich auch vor Obrigkeiten, selbst wenns der Papst oder ein Kardinal ist, nicht halt. Alles schon erlebt. Selbst der Schule wurde ich deswegen einmal verwiesen.

Daher hatte ich auch nie viele Freunde, eine lange Zeit in Kindheit und Jugend so gut wie keine, was aber an anderen Gründen lag. Erst später kamen eine Handvoll dazu. Leider sind zwei Drittel von ihnen schon verstorben.

Ideelen Gemeinschaften denen ich mich zugewandt hatte, weil mein Leben vor allen Dingen immer auf der Suche nach Wahrheiten des menschlichen Seins war, habe ich nach langer Zeit der Erfahrung verlassen, als ich begann die Verlogenheit zu erkennen, was dann meinerseits auch gesagt und nicht gern gehört wurde.

Aber meistens war es richtig, wenn ich den Mund nicht gehalten habe. Wenn einmal das Gegenteil der Fall war, hat es mir keinen Abbruch getan, mich zu entschuldigen. Ein Fehler, na und. Alle machen Fehler. Meistens wurde Vergebung auch angenommen. Das hat mich reicher gemacht. Sich selbst treu bleiben ist eine Maxime meines Lebens. Versuchen kann man alles, wenn man scheitert, muss man sich das eingestehen.

Gestern erlebte ich etwas, was meinem zuvor Erzähltem zu einem Beweis erklärt.

Ein Paket wollte auf den Weg gebracht werden. Also machte ich mich auf. Meinem Ziel nahe gekommen, sah ich schon von weitem, dass sich die Schlange von Menschen vor der Post schon bis um die Ecke des Eingangsbereich zeigte. Oha! Da war Geduld gefragt. Eine halbe Stunde wird das wohl sicherlich dauern, sagte ich mir. Egal, die Sonne schien und Warten fällt mir leicht, denn Langeweile oder Ungeduld kenne ich da nicht. Es gibt ja immer was zu sehen. Um mich herum. Die Menschen anschauen, wie sie aussehen, wie sie gekleidet sind, was sie reden, wie ihre Gesichter in die Welt schauen. Da ist es egal, wo ich warte, an der Kasse im Supermarkt, am Bahngleis, wenn ich auf den Zug warte oder bei anderen Gelegenheiten, so wie eben an diesem Tag beim Warten an der Post.

Viele Menschen können sich über diese Tugend nicht erfreuen, also der Tugend des Wartenkönnens. Erlebe ich immer wieder. Sie scheinen immer ein wenig gehetzt zu sein. Keine Zeit, keine Zeit. Obwohl sich doch gewundert werden kann, wieviel Zeit der Mensch mit unnützen Dingen verbringt. Stundenlang im Internet herumhängen, sich in Chatrroms aufhalten oder am Smarthphone oder vor dem Fernseher. Ist mir ja grundsätzlich auch total wurscht, womit Menschen ihre Zeit verbringen. Es wundert mich dann eben nur, wenn sie mal eine kleine Zeit mit Warten verbringen müssen, wie ungehalten sie dann werden können.

So ein Menschen ist mir gestern begegnet. In der Schlange beim Warten an der Post. Ein großer schwerer Typ. Vielleicht Anfang 4o. Gekleidet im Jogginanzugoutfit. Bisserl schlampig, ich meine Jogginganzüge könenn auch schon schnittig ausschauen. Der aber nicht. Hab den schon die ganze Zeit angeschaut, weil mir das auffiel und mir Gedanken darüber gemacht, warum ein Mensch in einem solchen Aufzug durch die Welt maschiert.

Unangenehm wurde es aber, als er begann eine junge Frau die sich an allen vorbeischlich um dann an den Schalter zu gelangen, der als nächstes frei wurde. Ich hatte diese junge Frau schon vorher beobachtet. Sie war schon mal am Schalter, hatte wohl etwas vergessen auf ihr Postgut zu schreiben und wurde gebeten, das noch nachzuholen. Als sie das erledigt hatte, wollte sie natürlich nicht wieder ganz von vorn beginnen Also sich an die hinterste Stelle der Reihe anstellen Was ja auch verständlich ist.

Der Schlampenmann hatte das wohl nicht mitbekommen. Ich weiß es aber nicht. Jedenfalls begann er sie aufs Übelste zu beschimpfen. Die Leuts vor und hinter mir hörten sich, wie ich, das Procedere eine ganze Weile an. Der Typ war so renitent, mir bangte, dass er sie möglicherweise vielleicht sogar angreifen wollte. Sie am Arm schnappen und gewalttätig wegzerren wollte. Ein Riesenkerl. Hat man ja alles schon erlebt, also wie Menschen aus welchem Grund auch immer

plötzlich gewalttätig werden, also körperlich.

Vorausgeschickt noch mal, selber war ich die Ruhe selbst. Ein Beobachter nur. Aber dann kam der Moment wo ich mir dachte, Roeschen, Roeschen du musst eingreifen. Dazu soll es nun nicht kommen. Also zu einem körperlichen Angriff.

Also drehte ich mich provokativ zu dem Schlampenmann um und sagte ihm: "Bleib mal ruhig, reg Dich mal nicht auf, man ist schneller tot als man denkt."

Sofort trat Ruhe ein. Das hatte gewirkt. Selbst bei ihm. Er sagte nichts mehr, aber rein gar nichts mehr. Selber hatte ich mir gar nicht überlegt, was ich sagen wollte, also, als ich mich zu ihm umdrehte. Das purzelte einfach so aus mir heraus. So als wenn es eine Instanz in mir geben würde, die genau weiß, was gesagt werden soll, damit es Wirkung zeigt.

Und was kann schon mehr Wirkung zeigen, als wenn ein Mensch darauf hingewiesen wird, wie schnell sein Leben zu Ende sein könnte. Denn wir alle leben in der Haltung, der Tod trifft immer die Anderen und uns wird schon nix passieren. Der größte Irrtum des Menschen. Denn vielleicht hat es der ein oder andere meiner geneigten Leser selber schon erfahren im Umkreis seiner sozialen Beziehungen bei Freunden, in der Familie oder bei Arbeitskollegen, dass das sehr oft passiert. Dass der Tod einen Menschen ganz plötzlich und unerwartet trifft. Dessen muss der Mensch sich immer bewußt sein und es nicht verdrängen.

Dieses Wissen allein, dass sich immer bewußt gemacht werden sollte, verhilft zu einem guten Leben, einem achtsamen, respektvollen und reichen Leben, auf das dann am Ende gern zurückgeblickt werden kann.

Daher sag ich es jetzt auch noch einmal:" Man ist schneller tot als man denkt."

Ich flüstere das jetzt ganz leise. Der hinter mir stehende Mensch neigte sich mir zu und sagte:" Das haben sie gut gemacht. Recht haben sie."

Jo, war meine Antwort und schaute wieder nach vorn, denn es waren nur noch 3 Leute vor mir, bis mein Paket auf die Reise gehen konnte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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