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28. März 2024 4 28 /03 /März /2024 19:02
Warum ich gerade heute ins Kino gegangen bin kann ich gar nicht sagen. Es war eigentlich nicht geplant. Nach einigen Aufgaben die ich bis in den frühen Nachmittag zu erledigen hatte, stand mir Zeit zur Verfügung die jetzt mir gehörte. Das Aprilwetter lud nicht wirklich zu längeren Spaziergängen ein. Es regnete, obwohl die Sonne schien, kein Schirm war bei mir und dennoch wollte ich nicht nach Hause. Noch nicht. Kino fiel mir da einfach so spontan ein. Welcher Film sollte es sein?
 
One Life kam mir der Gedanke, davon hatte ich gehört. Schnell schaute ich ins smartphone wo er hier in Köln lief. Filmpalast wurde angezeigt. Nach kurzer Abwägung, wegen des Wetters, es regnete immer noch, entschloß ich mich von Nippes bis zum Rudolfplatz zu laufen, wo sich das besagte Kino befand.
 
Anthony Hopkins spielt den ehemaligen Bankbeamten Nicholas Winton, der mittlerweile Pensionär ist und seinen wohlverdienten Ruhestand genießen könnte. Aber er wird geplagt. Von seinem Erinnerungen. Nicht nur von der Aktentasche, die in seinem Schreibtisch liegt und viele historische Dokumente und Fotos beinhaltet, sondern auch von den Bildern, die ihn immer wieder überfallen. Es schmerzt ihn immer noch, dass es nicht genug war, was ihm damals, zur Zeit der Besatzung Hitlerdeutschlands der Tscheslowakei, möglich war. Es hätte mehr sein müssen. Erinnert auch an Oskar Schindler der nach dem Ende des Krieges ebensolche Gedanken hatte.
 
Wer war Nicholas Winton? Das erzählt der Film in Rückblenden des alten Sir Nicholas Winton an den jungen Winton, gespielt von Johnny Flynn.
 
Es war das Jahr 1938, kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges. England, Frankreich und Italien wollen diese Gefahr bannen und ließen die Tscheslowakai das Sudetenland an Deutschland abtreten. Sie hofften Hitler dadurch vom Krieg abhalten zu können.
 
Durch diese Abtretung flohen viele Menschen nach Prag und mussten unter unsagbar entsetzlichen Bedingungen leben.
 
Der junge Winton reiste zu dieser Zeit nach Prag und erlebte dort die Situation. Von da an vergaß er was er eigentlich war. Ein Banker, der wieder nach Hause fahren sollte um seinem Beruf und seinem Leben nachzugehen.
 
Seine Aufgabe war es jetzt hier einzugreifen. Er musste die jüdischen Kinder retten. Diese vielen tausende Kinder, die in den Flüchtlingslagern lebten. Er musste sie nach England bringen, wo sie in Sicherheit leben konnten und später zu ihren Eltern zurückkehren könnten. So dachte er jedenfalls.  Er begann einen fast unmöglichen Kampf gegen alle Widernisse, fehlendes Geld, fehlende Pflegeeltern, immer wieder Kämpfe mit der Bürokratie, die die fehlenden Visa nicht ausstellen wollten. Er tat das natürlich nicht allein, sondern mit der Unterstützung eines Teams, dem auch seine Mutter gespielt von Helen Bonham Carter,  angehörte.
 
Mehr möchte ich nicht erzählen. Ihr sollt den Film ja anschauen. Unbedingt. Denn es gibt nicht genug Filme, Biographien von Zeitzeugen und Dokumentationen die in den Vordergrund der Medien rücken, jedenfalls denke ich das oft, die einen immer und immer wieder die Vergangenheit vor Augen führen und damit auch den Blick auf das Heute öffnen, wo es viel zu wenig Menschen gibt, die genau wie Winton es damals tat, heute das Richtige tun.
 
Ich habe viel weinen müssen beim Schauen. nicht nur wegen dem Schrecken der Zeit, auch wegen der Freude über diesen Menschen, den es gab und der zeigte, wie Mitgefühl wirklich geht. Der Gedanke beschlich mich, wer meint, er sei in Ordnung so wie er ist wird unschwer erkennen, dass Umkehr und Bekehrung, wenn man diese Worte gebrauchen möchte, auch für ihn gelten.
 
Denn das schafft dieser Film ganz sicher. Als er zu Ende war und ich aus dem Kino auf die belebte Strasse trat, brauchte ich lange, um wieder in die Realität zu finden. Mir ging der Ausspruch ecco homo - siehe der Mensch - einfach nicht aus dem Kopf.
 
Sie da der Mensch! Ja nicht nur Winton sondern auch die Anderen, von denen wir wissen, damals und heute, auf sie trifft dieser Ausspruch zu. Siehe da der Mensch!
 
Daher war es genau richtig, heute, kurz vor Ostern diesen Film anzuschauen. Für mich jedenfalls.
 
Als ich mit der Strassenbahn über den Rhein nach Mülheim nach Hause fuhr schien die Sonne wolkenverhangen. Aber sie war kräftig hinter den Wolken, dass konnte ich sehen.  Die Wolken schebten schwer und vielschichtig. Sie muteten wir ein riesiges schneebedecktes Gebirge an mit dem strahlenden Licht der Sonne. Es war wie ein kleines Ostern.
 
Haben Sie den Himmel gesehen fragte ich die mir gegenüber sitzende etwas mürrisch dreinblickende alte Dame? Nein antwortete sie. Da haben Sie was verpaßt, entgegnete ich ihr. Es ist nicht mehr lang bis Ostern. Schöne Ostern wünschte ich ihr und stieg aus.
 
One Life nehmt Euch Zeit für diesen Film. Unbedingt!
 
 
https://www.youtube.com/watch?v=6ethollg-PI
 
https://de.wikipedia.org/wiki/Nicholas_Winton
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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6. März 2024 3 06 /03 /März /2024 19:43
Ein Film, der den Zuschauer erstarren läßt. Das Blut gefriert einem in den Adern, wenn man dieser Familie, der Familie Höß, in ihrem vermeintlichen Familienidyll zuschaut. Vermeintlich daher, weil man sofort bemerkt, das ist kein Idyll, das ist Funktionieren einer Familie, so wie die Nazis sich das von ihren Vorzeigefamilien gewünscht haben. Diese Familie zeigt kein Idyll, sondern Gleichgültigkeit innerhalb der Familie, obwohl alles da ist, was zu einer Familie gehört. Finanzielle Sicherheit, gute Versorgung, gute Ausbildung und ein gutes Zuhause, in dem man sich wohlfühlen könnte.
 
Ja könnte, wenn nicht da direkt hinter den Mauern das größte Verbrechen der Menschheit geschieht. Tag für Tag.
 
Die Gleichgültigkeit des Ehepaars Höß  ist es, die einen erschauern läßt. Sie Hedwig, gespielt von Sandra Hüller, hat keine mütterliche Wärme. Sie ist eine kalte Frau. Und Höß selber, der, wie man aus verschiedenen Biografien und historischen Untersuchungen weiß, trägt den Judenhaß schon lange in sich, ebenfalls.  Aber der Film zeigt diesen Haß nicht einmal. Er zeigt einen kalten von Gleichgültigkeit geprägten Mann, der seine Aufgabe zu erfüllen hat.Damit ist er beschäftigt.  Da sind keine Menschen, die er in die Gaskammern schickt, sondern das sind Ladungen, die effizient verbrannt werden, auskühlen müssen und dann neu verladen werden muß.
 
Ist es nur Gleichgültigkeit gepaart mit Verdrängung? Nein, das Gefühl hatte ich nicht beim Zuschauen. Die haben nichts verdrängt, es war ihnen schlichtweg egal.Was einem egal ist, braucht auch nicht verdrängt zu werden.  In diesem Zusammenhang fällt einem Hannah Arends Aussage von der Banalität des Bösen ein.
 
Der Film zeigt nicht das Geschehen in den Lagern. Man weiß es ja. Die erste Szene des Films ist eine langes währendes Grau auf der Leinwand und im Hintergrund ein Wummern und Stampfen, die die Bilder von der Grausamkeit im Kopf entstehen lassen. Irgendwo las ich einmal, dass dies zum Schrecklichen gehörte bei den nazis, das Stampfen ihrer Stiefel und das Gebrüll. Eine Zeit stampfender Stiefel und lautem Schreien. Der Gedanke daran jagt mir einen Schauern über den Körper.
 
Dieses Grau, dieses Wummern dann wieder die Blumen, die Farbenpracht die sie hervorbringen, diese Gegensätze. Beides Nebeneinander. Beides ist da, das Grauen und die Schönheit.
 
 Wie kann das gehen, fragt man sich immer wieder. Wie ist das möglich. Denn es ist ja möglich. Es war ja nicht nur dort in Ausschwitz so im Familienanwesen der Familie Höß, es war auch überall in Deutschland zwischen den Menschen sichtbar. Da wurden die Juden abgeholt, deportiert, andere wieder wegen ihres Widerstandes oder ihrer anderweitigen politischen Gesinnung und die, die nicht betroffen waren, lebten weiter, die einen in Angst und Schrecken, die anderen in genau der selben Gleichtültigkeit wie die Ausführenden der Gräueltaten. Wenige hatten den Mut etwas dagegenzusetzen. Es gab sie auch, die nicht erkaltet waren, die hinsahen und helfen wollten. Waren es Wenige? Auf jeden Fall zu Wenige.
 
Wir haben es hier doch schön sagt Hedwig nachdem  Rudolf ihr mitteilte, dass er nach Oranjenburg versetzt werde. Sie bleibe hier an diesem Ort mit den Kindern und warte bis er zurückkehre.
 
Ein einziger Moment im Film läßt einen aus dem Grusel der sichtbaren Gleichgültigkeit dieser Beiden Hösses so etwas wie Erleichterung fühlen. Da war die Mutter von Hedwig, die die Familie der Tochter besuchte. Voller Stolz zeigt sie der Mutter das Anwesen, was sie geschaffen hat aus dem Haus und dem Garten. Sie werde die Königin von Auschwitz genannt, erzählt sie der Mutter. Die Mutter freute sich mit ihrer Tochter. Sie habe es geschafft, sagt sie.
 
Aber dann, in der Nacht lag sie wach in ihrem Bett, hörte das Wummern und Stampfen, ging zum Fenster und sah das Feuer und den Rauch aus den Schornsteinen. Wie versteiernt steht sie da. Sie legt sich hin, aber am anderen Morgen war sie weg. Einfach gegangen. Ein Zettel lag da, den ihre Tochter fand, als sie sie zum Frühstück rief. Was drauf stand? Man weiß es nicht, denn Hedwig schmiß ihn in den Kamin.
 
Da sind sie wieder die Gegensätze. die Mutter, die das nicht ertragen hat, damit nicht leben konnte in dieser Nähe, die Gewißheit, die jetzt sah, was geschah. Und Hedwig, die Tochter, der auch das egal war.
 
Für mich war es ein erleichternder Moment, diese Mutter zu sehen und wie ihre Reaktion war. Es war ein Zeichen von Hoffnung, dass man darauf vertrauen kann, dass es immer wieder Menschen gibt, die noch nicht erkaltet und gleichgültig sind. Und das einem dabei hilft, diesen Satz aus dem eigenen Kopf zu bekommen, der sagt, man wünsche sich nicht auf dieser Welt zu sein.
 
Und mit dem Schweigen, den dieser Film schon von der ersten Szene der grauen Leinwand in mir auslöste ging ich auch hinaus nach dem Film und spazierte den Weg vom Kino nach Hause zu Fuß. Es war gut allein zu sein und still sein zu können.
 
Wenn es einen Film gibt, den man ganz sicher auf jeden Fall sehen muss, dann ist es dieser Film.
 
Auch wenn dieser Film eines nicht aufklärt oder gar der Frage nachgeht, was macht einen Menschen zu einem, der gleichgültig gegenüber dem Verbrechen ist, dass er selber ausübt. Doch das wäre sicherlich zuviel gewesen. Dieser Film wollte diese Banalität des Bösen zeigen.
 
Die Frage warum ist aber da und es gibt viele Antworten. Ich verweise immer gern auf Arno Gruen, der in seinem Buch * Der Verlust des Mitgefühls* sicher eine gute Antwort darauf hat. Doch gibt es viele Antworten. 
 
Denn die Frage nach dem Mitgefühl des Menschen ist die Frage nach seinem Menschsein!
 
 
 
 
 
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26. Februar 2024 1 26 /02 /Februar /2024 11:04
Dieses Buch macht einfach nur Vergnügen es zu lesen. Keinerlei große Probleme der Welt werden gewälzt, über die nachgedacht werden muss. Außer vielleicht über die Weltfremdheit. Genauer gesagt über den Oblivismus.
 
Denn darum geht es in dieser wunderbaren Geschichte die Johanna Seebauer mit einer unglaublich phantasievollen Sprache erzählt. Ihre Beschreibungen von Personen und Örtlichkeiten haben einen Sog der einen hineinzieht ins Geschehen.
 
Nincshof ein kleines fiktives Dorf am Ende von Österreich. Im Burgenland nahe der ungarischen Grenze. Die Legende besagt, dass es dieses Dort für die Welt lange Zeit nicht gegeben hat. Es war versteckt im hohen Schilf und ihre Häuser standen auf Stelzen auf dem dahinfliessenden Wasser. Erst im 2o. ten Jahrhundert wurde es an das große weite Weltgeschehen gegen den Willen aller Nincsdörfler angeschlossen.  Eine Legende oder Wahrheit? Man wird es erfahren.
 
Die Menschen im Dorfe Nincshof sind aussergewöhnlich, schräg oder skurril, je nachdem wie man es betrachten möchte. Geheiratet wird selten, doch auch wenn, die Männer tragen ausnahmslos alle die Nachnamen ihrer Frauen. Ihr Liebesleben ist sehr freizügig. Kirchlichen Institutionen stehen sie mehr als skeptisch gegenüber und was Wahrheit ist, stellen sie zumeist in Frage. Was ist schon Wahrheit? Es gibt doch viele Wahrheiten.
 
Die Menschen leben so für sich dahin. Der Bürgermeister, der eigentlich gar kein Bürgermeister sein will, aber es trotzdem ist, weil es niemand Anderes werden will.
 
Es ist Sommer und die Luft ist heiß und stickig. Nur die Grillen mit ihrem Gesang durchdringen bisweilen die Schwere der Luft.
 
Erna Rohdiebel beschließt eines Tages in der Nacht in den Swimmingpool ihrer Nachbarn zu steigen. Ein Abenteuer für die fast 80jährige Erna. Und damit begintn die abenteuerliche Geschichte im Dorfe Nincshof.
 
Der Bürgermeister, der eigentlich kein Bürgermeister sein will hat die Nase voll von der Welt. Es reicht ihm. Wieso kann sein kleines Dorf nicht ruhig, still und friedlich ihr ganz eigenes Leben führen? Alles muss man mitmachen, was von ganz oben kommt. Sogar eine Städepartnerschaft muss man haben, wie jetzt jedes kleinste Örtchen sie hat. Nincsdorf also auch. Mit einer belgischen Stadt direkt an der See. In Abständen muss er mit einer Gefolgsschaft dieses Städchen besuchen. Zumeist bleibt er allein, denn Niemand will das. Aber er muss. Und das bekommt ihm jedes Mal nicht. Der Verzehr von Muschelgerichten liegt ihm in den Därmen und macht den Aufenthalt fast unerträglich.
 
Als er wieder einmal von einer Reise zurückkommt, sitzen drei Männer, er, der Bürgermeister, also der ältere, ein junger Mann, vielleicht gerade 20 Jahre alt und ein noch Älterer, den man Sepp-Sepp nennt, und der mindestens schon 200 Jahre alt sein soll abends, es ist schon dunkel, in aller Heimlichkeit am Einser-Kanal.  Auch die Beiden, also der Jüngere und der noch Ältere,  haben die Nase gestrichen voll von der Bevormundung von ganz Oben und dem ständigen wir müssen uns weiterentwickeln, sonst gibt es keinen Fortschritt.
 
So beschließen die Drei sich zu erwehren. Der Jüngere macht sie mit dem Oblivismus bekannt. Weltabgewandtheit. Der Philosophie des Vergessens. Der ältere, also der Bürgermeister und der noch Ältere, also der Sepp-Sepp, sind ganz begeistert von dieser Philosophie. So beschließen sie einen Plan, wie sie Nincsdorf für die Welt da draussen vergessen machen können.
 
Sie lassen sich verrückte Sachen einfallen. Das Abmontieren der Ortsschilder, eine Flut von Jauche neben den Radwegen durch und um das Dorf herum, auf denen am Wochenende die Radler aus der Umgebung und der Großstadt Wien ihre Touren absolvieren und die ganz schnell angewidert fernbleiben. In der örtlichen Bibliothek reißen sie alle Berichte und Fotos des Dorfes aus den historischen Büchern heraus und auch im Internet findet man ganz plötzlich nichts mehr über Nincsdorf.
 
Das muss auch Isa Bachgasser, eine bekannte Filmemacherin von Dokumentationen und ihr italienischer Mann Silvano erfahren. Beide hatten sich entschlossen aus dem Großstadtgewühle von Wien in ein kleines Dorf zu ziehen und haben sich genau dieses Nincshof ausgesucht. Denn bevor alles verschwunden war im Internet, konnte man noch Vieles erfahren über das Dorf.
 
Beide, Isa und Silvano wollen dort einen Neuanfang ihres Lebens starten. Silvano war nach langer Krankheit endlich wieder genesen und hatte jetzt endlich den Mut sich dem zu widmen, von dem er schon träumte, als er noch in Peru einige Jahre lebte und den Zappatisten bei ihrem Freiheitskampf geholfen hat. Dort in Peru begegnete er dem, was ihn dann auch später, als er wieder Zuhause war, nicht loslassen konnte. Es waren die Irrziegen. Eine seltene Ziegenart, die es kaum noch auf der Welt zu finden gab.
 
Von einem italienischen Züchter kaufte er mehrere dieser Irrziegen und wollte dort, in Nincsdorf, einfach nur noch Ziegenwirt sein. Und seine Frau die Isa? Sie war des Filmemachens müde. Wollte sich endlich mal ausruhen.
 
Aber eines Tages joggte sie durch und um das Dorf herum und fand versteckt im Schilf ein Schild * Freiheit für Nincsdorf* in Gedenken an Martha E. Sie stutzte. Was es wohl damit auf sich hatte.
 
Und so geschah es, dass diese beiden Zugezogenen den Oblivisten , die sich Tag für Tag bei Erna Rohdiebel, die jetzt auch dazu gehörte,  trafen um die weiteren Pläne für die Aktion *Nincshof - soll vergessen werden, trafen, einen Strich durch die Rechnung machten.
 
Wie es wohl ausgeht das Ganze. Darauf laßt Euch ein. Denn mehr verrate ich nicht, ausser dass es einfach nur Spaß macht dieses Buch zu lesen. Immer wieder habe ich herzhaft lachen müssen ob der verrückten Beschreibungen des Geschehens und der phantasievollen Wortgewalt mit der Johanna Seebauer ihre Geschichte erzählt und man gar nicht anders kann, als allen Personen in diesem Buch mehr als sympathisch gegenüberzustehen, nein man liebt sie geradezu.
 
 
Und ja, seufz...so eine Weltabgewandtheit gefällt mir doch auch sehr. Denn wie soll man sich all dieser Verrücktheiten, dem Schrecklichen und Unmöglichen erwehren, wenn nicht, dass man einfach mal verschwindet, entweder hinter der eigenen Tür in seiner kleinen Höhle zuhause oder irgendwo hin in ein kleines Dorf, das verschwiegen irgendwo in der Eifel oder sonstwo liegt und das einem ebenfalls dazu verhelfen kann, einfach mal die Welt da draussen in sich drin zu vergessen und sich selber auch vergessen sein lassen will. Denn in so einem kleinen Dorf, jedenfalls bei mir in der Eifel, steht die Welt tatsächlich noch ein wenig still. Hier dringt der Lärm der Welt noch nicht bis in alle Winkel hinein. Hier ist die Wirklichkeit des Alltags noch überschaubar.
 
Also es ist schon eine kleine Einladung auch, die Welt einfach mal draussen zu lassen!
 
Viel Vergnügen
 
Johanna Seebauer
Nincsho
DuMont Verlag
367 Seiten
23 Euro
ISBN 978-3-832-16820-9
 
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16. Februar 2024 5 16 /02 /Februar /2024 12:34
Caroline Wahl hat einen wunderbaren Roman geschrieben, den ich jetzt zu Ende gelesen habe, der allerdings kein leichtes Thema beinhaltet. Dennoch erscheint nicht einen Moment lang beim Lesen das Gefühl von Schwermut ob der Geschichte. Im Gegenteil, sie schreibt den Roman in einer bemerkenswerten Leichtigkeit, die es einem leicht fallen läßt, die Schwere zu ertragen.
 
Zwei Schwestern, Tilda und Ida, leben mit einer Mutter die Alkoholikerin ist. Hinzu kommt die finanzielle Armut, mit denen die Geschwister und ihrer Mutter leben müssen.
 
Die Mutter hat seltene Momente, in denen sie versucht sich aus ihrer Sucht zu lösen, um wieder in eine Normalität zu gelangen. Leider halten diese Momente immer nur kurz an. Dann verfällt sie wieder ihrer Sucht und verwandelt sich in ein Monster, dem es schwer ist, zu entkommen. Vor allen Dingen die kleine Ida, noch in der Grundschule, ist die Leidtragende, denn sie hat noch keine Methode entwickelt, sich den Angriffen, auch verbunden mit körperlicher Gewalt, ihrer Mutter zu erwehren.
 
Die große Schwester Tilda versucht so gut wie möglich für die kleine Ida zu sorgen, sie zu beschützen. Eine schwere Aufgabe für Tilda, die vor ihrem Abiturabschluß steht und danach Mathematik studieren möchte.
 
Tilda geht zur Schule und arbeitet nebenher in einem Supermarkt an der Kasse, um den Lebensunterhalt der dreiköpfigen Familie zu verdienen, denn die Mutter fällt immer wieder aus.
 
Sie verbindet diese Arbeit an der Kasse mit einem Spiel, in dem sie niemals die Kunden vor ihr anschaut, sondern nur zählt, was sie abkassiert:
 
*Hafermilch, Mandelmilch, Cashewnüsse, tiefgefrorene Himbeeren, Hummus, Kölln Haferflocken, Bananen, Dinkelnudeln, Avocados. 30,72 Euro Levis-Shirt ratet sie, schaut dann endlich hoch und als sie den Schriftzug Levis-Shirt sieht, ist das ziemlich cool und vielleicht sogar der Höhepunkt ihres Tages. Es ist zwar eine jüngere Frau, aber das T-Shirt richtig erraten zu habenempfindet sie stark.*
 
Tilda ist eine junge Frrau die es sich zur Aufgabe gemacht hat, in ihrem Alltag mit der kleinen Schwester und der kranken Mutter, die Kontrolle zu behalten. Durch viele Wiederholungen, die es ihr selber leicht machen, die schwere Aufgabe zu bewältigen, versucht sie ein Gleichgewicht zu schaffen, um nicht selber abzustürzen.
 
So gehört das tägliche Schwimmen am Abend, zu dem gelegentlich auch die kleine Schwester Ida mitkommt,  dazu. Vor allen Dingen im  Regen macht es den beiden besonders Spaß. Tilda schwimmt genau 22 Bahnen. Immer. Und die kleine Ida liebt es zu tauchen. Auch Tilda läßt sich immer auf den Grund hinab um das Treiben da über ihr zu beobachten. Wenn sie fertig ist mit ihrem Programm setzt sie sich auf die Bank zu Ursula, einer älteren Rentnerin, um noch ein wenig mit ihr zu plauschen.
 
Dort im Schwimmbad begegnet sie auch Viktor, dem Bruder von Ivan, mit dem sie und ihre Freundin Marlene oft abgehangen haben. Ivan, seine Schwester und seine Eltern leben nicht mehr. Sie sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Viktor ist zurückgekommen aus Hamburg, wo er als freiberuflicher Programmierer arbeitet, um den Haushalt seiner Familie aufzulösen. Die Trauerarbeit ist schwer und auch er scheint mit dem täglichen Schwimmen den Kopf frei bekommen zu wollen, wie auch Tilda.
 
Es beginnt ganz zart etwas zwischen ihnen, aber noch lange weiß man nicht, wie das ausgehen wird zwischen ihnen. Es ist aber, wie auch der Vorschlag ihres späteren Dozenten an der Uni, der ihr vorschlägt sich für eine Promotionsstelle in Berlin zu bewerben, ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft. Ein Neuanfang? Herauszukommen aus dem Kreislauf  des schweren Alltags. 
 
Aber wie soll das gehen fragt sie sich immer wieder? Sie kann doch ihre kleine Schwester Ida nicht bei der Mutter allein lassen. Sie muss sie stärken, damit sie sich selber schützen kann, wie sie sich selber ebenfalls als kleines Kind und heranwachsende Jugendliche zu schützen gewußt hat.
 
Wunderbare Dialoge zwischen ihr und ihrer Schwester Ida zeigen, wie die Beiden miteinander umgehen. Wenn man sie liest, befällt einen das Gefühl man stehe selber als dritte Person neben den Beiden.
 
Das Schwimmen und das Lesen, denn das ist das Andere, was sie versucht der Schwester beizubringen, würden ihr helfen. Da ist sie ganz sicher. Denn es hat auch ihr geholfen über ie Dunkelheit in ihrem Leben. 
 
So besorgt sie Ida einen Leseausweis für die örtliche Bibliothek. Ida, die zwar auch schon eine eigene Strategie entwickelt hat, sie, die künsterlisch sehr kreativ ist und viel mit Malen verarbeitet, greift das Lesen auf. Fürs tägliche Schwimmen braucht sie noch etwas Zeit.
 
Mehr möchte ich nicht verraten. Der Roman über die beiden Geschwisterkinder zeigt, wie wichtig es ist, Verantwortung zu übernehmen. Gerade dann wenn es schwere Lebenssituationen zu bewältigen gibt. Gerade das Übernehmen von Verantwortung kann dann heranwachsenden Jugendlichen dabei helfen zu stabilen Persönlichkeiten zu werden. Und es zeigt auch wie wichtig es ist, sich Dingen zu widmen, die einem dabei helfen können, schwere Traumata zu verarbeiten. In diesem Falle sind es das Schwimmen, das Lesen und die künsterlische Aktivität der kleinen Ida.
 
Ich bin da ganz bei den Beiden gewesen. Auch selber habe ich die Erfahrung schon von Kind an gemacht, dass das Lesen, also das Verschwinden in andere Welten, helfen kann, Hoffnung gibt. Es hat mir immer Mut gemacht, zu sehen, wie die Protagonisten in Büchern es geschafft haben, Schweres auszuhalten und die Hoffnung zu behalten und ich oft gedacht habe, wenn man das aushalten und bewältigen kann, dann kannst du das auch, was dir selber widerfährt.
 
Und am Ende zeigt es auch, wie wichtig es ist in unserer Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen, wo es nötig ist. Denn das ist sicher eines der größten Probleme in unserer Zeit, dass die Menschen verlernt haben Verantwortung zu übernehmen und oft versuchen, auf Institutionen zu verweisen. Aber Menschen brauchen Menschen!
 
Ein großartiger Roman, der wie ich finde, auch für Jugendliche eine gute Leseempfehlung ist.
 
 
Caroline Wahl
22 Bahnen
Dumont Verlag
ISBN: 9783832168032
22 Euro
 
 
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16. Januar 2024 2 16 /01 /Januar /2024 11:37
Der Norweger Jon Fosse bekam 2023 den Literaturnobelpreis. Davon las man. Gelesen hatte ich bisher noch nie etwas von ihm. Alles zu Fosse kann hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Jon_Fosse
nachgelesen werden.
 
Daß er jedoch religiös geprägt sein muss erschließt sich nach einiger Zeit beim Lesen seines Romans.
 
Ein Leuchten so heißt seine Erzählung, der flott gelesen werden kann, weil er gerade mal 80 Seiten zählt. Schnell gelesen aber dafür nehmen die Zeilen, diese Geschichte,  einen noch für lange Zeit gefangen.
 
Ein wunderbare Einladung zum Sinnieren, so schreibt der Norddeutsche Rundfunk.
 
Das trifft es absolut, denn die Geschichte die erzählt wird ist offen für viele Möglichkeiten ihrer Deutung. Denn darüber denkt und denkt man nach. Was erlebt dieser Mann in der Geschichte tatsächlich? Was will uns Fosse mit dieser Geschichte sagen?
 
Ist es eine Phantasierei des Protagonisten oder ist es eine Realität, ein Erleben?
 
Der Mann über den er schreibt befindet sich in einer Lebenssituation von Langeweile. Irgendwie geht es wohl nicht weiter. An dem Gefühl von Langeweile kommt der Mensch zumeist an, wenn entweder alles getan wurde und man keinen neuen Aufgaben oder Wege findet, um das Leben fortzusetzen oder wenn man möglicherweise einfach genug hat von all dem was bisher gewesen ist, ein gewisser Überdruß sich einschleicht.
 
Mit diesem Lebensgefühl der Langeweile, die ihn gefesselt hat, setzt er sich in sein Auto und fährt einfach drauflos. Er richtet sich nach dem Strassenverlauf. Mal biegt er links, mal rechts ab weiter und weiter, bis es am Ende nicht mehr weitergeht und er an einem Waldweg ankommt, wo sich sein Auto festsetzt. Kein Vor- und kein Zurück mehr. Nur noch Wald. Norwegens Wälder sind tief und schwarz.
 
Er ist ratlos. Weiß nicht, wie es weitergehen soll. Waren da nicht vorher irgendwo Häuser? Sollte er zu Fuß zurückgehen um eines dieser Häuser zu suchen und um Hilfe zu bitten? Er versinkt ins Grübeln.
 
Ihm ist kalt. Es beginnt zu schneien und die Dunkelheit der Nacht ist nicht mehr fern. Er stellt die Heizung an. Wie geht es weiter?  Er verspürt Angst. Was ist, wenn es hier für ihn nicht mehr weitergeht? Wird man ihn suchen, ihn finden? Er ist ein einsamer Mann, lebt allein. Wer soll da wohl an ihn denken, ihn suchen und finden.  Noch mehr Angst.
 
Nach einigen Seiten des Lesens dieser Geschichte dachte ich, dass es Realität ist, was der Mann erlebt. Und hatte schon ein Urteil parat, schon ein wenig dumm was er da getan hat und auch weiter tun wird. Nämlich die Wärme des Autos verlassen und in den tiefen Wald gehen. Was will er denn da?  Bei Einbruch der Dunkelheit. In den tiefen Wald. Wo das Unglück, dass ihn ereilte, aus Langeweile, seinen weiteren Verlauf nehmen wird. Absolut unsinnig.
 
Aber nach einiger Zeit sieht er etwas. Ein Leuchten. Mitten in der schwarzen Dunkelheit des Waldes und der Nacht. Er sieht es und rätselt. Ein Mensch? Oder einfach nur ein Licht dessen Konturen denen eines Menschen ähnelt? Er geht auf diese Erscheinung zu.
 
Er wird noch zwei wichtige Erscheinungen treffen. Seine Eltern mitten in diesem Wald. Zwischen dem Licht, dem Leuchten der Erscheinung und seinen Eltern wird es eine Kommunikation geben, eine stille jedoch überwiegend. Mehr verrate ich nicht.
 
Wie schon geschrieben, es gibt viele Möglichkeiten der Deutung dieser Erzählung. Sie läßt einen nicht mehr los, unglaublich wie sie einen gefangen nimmt.
 
Für mich war es ganz klar, was sie mir erzählte. Die Geschichte von Sterben eines Mannes, eines Menschen.
 
Angekommen an seinem Ende des Lebens kurz vor dem Tod. Denn ich erinnerte mich selber an das Damals, als bei dem schweren Autounfall, in dem ich verwickelt war, meine zwei Freunde sofort starben und ich selber in tiefe Bewusstlosigkeit fiel, dass ich auch ein *Leuchten, ein Licht sah und auch meine Mutter*, ja ich erinnere mich, dass ich nach ihr rief. Ob laut oder nur in meinen Gedanken, das kann ich nicht mehr sagen.
 
Und ich erinnere mich an all die letzten Tage meiner mir nahestenden Menschen, an deren Bett ich saß, deren Hand ich hielt, bei ihnen war, sie begleitete auf ihren letzten Lebensminuten, auf dem letzten Weg. Und beobachtete wie sich da in ihrem Geiste, in ihrem Kopf, etwas abspielte. Wie sie sahen, auf welchem Weg sie sich befanden und was dort geschah. Nur hin- und wieder ein Seufzen, manchmal sogar nochmal ein Wort oder ein Augenöffnen, welch all das mir zeigte, sie erlebten da Etwas auf ihrem letzten Weg hinüber.
 
Das hat mich getröstet und schenkt mir Zuversicht und Hoffnung, wenn ich einmal selber an dieser Stelle mich befinde des Hinübergehens. Dass da etwas zu sehen ist, mich in meiner Angst, die ja immer wieder aufkeimt, beruhigt und mir sagt, alles ist gut und mich das Licht, dass mich so wärmt wie nichts mich jemals in dieser Welt gewärmt hat, mitnimmt, hinüber. Wohin? Ich weiß es nicht. Aber alles wird gut sein.
 
Aber wie gesagt, das ist das Bild für mich ganz persönlich, dass ich aus dieser Geschichte herausgelesen habe.
 
Es kann auch eine ganz andere, einfachere haben. Ein Bild für das Leben selbst. Vom Leben, in dem man irgendwann nicht mehr weiter weiß und darauf wartet, dass Irgendwas passiert, einem wieder auf die richtige Bahn lenkt.
 
Oder ein Bild vom Leben eines Menschen der das Leben überdrüssig geworden ist. Dass all das was er getan hat, was war und ist und noch kommen sollte, ihn ganz einfach nur noch langweilt und er vielleicht sogar Todessehnsucht bekommt.
 
Sicher gibt es noch viele andere Möglichkeiten der Deutung. Macht Euch Eure eigenen.
 
Ich selber bin überaus gespannt, was mir die Menschen, mit denen ich in meinem Literaturkreis das Buch gemeinsam gelesen habe, von ihrem Erleben beim Lesen dieses Buches erzählen werden. Darauf bin ich schon genauso gespannt, wie ich war beim Lesen des Buches.
 
Jon Fosse
Ein Leuchten
80 Seiten
Rowohlt Verlag
ISBN: 978-3-498-00399-9
22 Euro
 
 
 
 
 
 
 
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1. Januar 2024 1 01 /01 /Januar /2024 10:46

 

 

Unter meinem Gabentich lagen viele Bücher, auch das neue Buch von Bernhard Schlink, wohl den meisten Lesern bekannt durch seinen Roman *Der Vorleser*, das im übrigen auch eine sehr schöne Literaturverfilmung geworden ist. Über Schlink brauch ich nicht viel zu erzählen, das kann man alles hier https://de.wikipedia.org/wiki/Bernhard_Schlink nachlesen.

Das späte Leben ist ein Buch über das Sterben. Der Tod und die Liebe, beides wohl die Themen, denen wir in der Literatur am häufigsten begegnen. Nicht alle, die ich gelesen habe,  berührten mich so  wie dieses Buch von ihm.

Wenn man über den Tod nachdenkt und über ihn schreibt, ist es doch auch so, dass man nicht umhin kommt, über das Leben nachzudenken. Das Leben das man hatte und dass was einem vielleicht davon noch übrig bleibt. Gerade wenn man älter und älter wird und man nicht weiß, wieviel Zeit einem noch bleibt.

Grundsätzlich ist es ja so, dass man es eigentlich nie weiß, egal wie alt man ist, doch in jungen Jahren voller Lebensplanungen und Aktivitäten mag man darüber nicht nachdenken, jedenfalls Wenige tun das, we ich im Laufe meines Lebens in Gesprächen erfahren durfte.  Für mich selber, wie ich schon öfter erwähnt habe, ist das Nachdenken über den Tod nichts Neues jetzt im Älterwerden, da ich selber schon früh mit der Bedrohung des Todes Berühung hatte, sei es das eigene Leben oder eben auch dem Verlieren von geliebten Menschen, die ich begleiten durfte.

Der 76 jährige Martin Brehm ist so ein Mensch der trotz seines Alters noch voll im Leben steht. Er hat eine über 30 Jahre jüngere Ehefrau, Ulla, die Malerin ist,  mit der er einen kleinen Sohn,  David, der kurz vor der Einschulung steht, hat, die er Beide über alle Maßen liebt. Und da war auch seine Arbeit als Universitätsprofessor für Rechtsgeschichte, die jetzt hinter ihm liegt und seine Tätigkeiten in diesem Bereich nicht aufgehört haben, nachdem er emeretiert ist. Er ist immer noch für Vorträge ein gefragter Mann.

Doch dann ganz plötzlich tritt das ein, wovor sich der eine oder andere vielleicht immer mal fürchtet. Martin bekommt bei einer Routineuntersuchung von seinem Arzt die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Lebenserwartung vielleicht 12 Wochen. Sein Hausarzt ist keiner, der ihm falsche Hoffnungen macht. Unheilbar, der Krankheitsverlauf langsam voranschreitend mit einem schließlichen Ende, deren letzte Wochen schmerzhaft sein werden.

Martin scheint gefasst zu sein. 76jährig scheint er alt genug zu sein, um dem Tod zu begegnen. Dieses Gefasstsein schwankt aber immer wieder. Sein Alltag, die Wochen, die ihm verbleiben, wird geprägt sein einerseits von dem wie wird das Sterben sein und wie wird das Leben seiner Beiden, die ihn verlieren werden, weitergehen. Er kann sich nicht vorstellen, einfach nicht mehr da zu sein um sie zu begleiten.

Manch einer wird sich fragen, wieso kann man drüber nachdenken, wie das Leben ohne ihn selber weitergeht, doch mir sind solche Gedanken auch nicht fremd. Denn des öfteren stell ich es mir auch vor, das alles weitergeht, ohne mich, dass ich nicht mehr dabei sein kann und Vieles noch miterleben darf. Diesen Schmerz loszulassen, der schon da ist, obwohl man ja noch lebt, ist eine riesige Aufgabe. Loslassen.

Martin überlegt lange, wie er seiner Frau und seinem Sohn, vor allem ihm, erzählen kann, was mit ihm geschehen wird, dass er und wie er sterben wird. Wie sagt man seinen Kindern, dass man nicht mehr lange zu leben hat. Aber er findet einen Weg.

Er findet auch einen Weg wie er diese letzten Wochen seines Lebens verbringen möchte. Nicht in Rührseligem - was ich schon immer noch mal tun wollte - , sondern einfach weiter den Alltag leben, mit all den kleinen Dingen, die er erfordert und die ihm in seinen Lebensjahren bisher nicht nahe waren, die er einfach so nebenbei noch erledigt hatte. Jetzt ist das alles anders. Es wird intensiver, die kleinsten Dinge werden ihm, dem immer müde werdenden Mann, groß  sein. Er wird seinen Sohn jeden Morgen zum Kindergarten bringen, einkaufen, kochen, den Garten bearbeiten und ein paar kleine Wünsche äußern, die er zusammen mit ihm und seiner Frau noch tun möchte. Nichts großes, ein Picknick, eine Fahrt mit dem Riesenrad und am Ende ein Aufenthalt am Meer. 

Und er wird einen Brief an seinen Sohn schreiben. Seine Frau riet ihm dazu, etwas dem Sohn noch mitzugeben, damit er sich im Größerwerden an ihn erinnern kann.  Aufgrund eines Filmes den sie mal sah, dachte sie an ein Video, dass er filmen sollte, um dem Sohn etwas zu sagen. Er entscheidet sich aber für einen Brief, in dem er alle Fragen, denen er sich selber stellt über das Leben, den Tod und die Liebe, was ist Gerechtigkeit und wieviel Wahrheit verträgt das Leben.

Er bereut auch nicht, hätte er doch früher schon intensiver mit weniger Arbeit und mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge verbracht. Alle würden ja heute von der Work-Life-Balance reden. Alles Quatsch sagt er sich.

Er sagt vielmehr:

"Arbeit ist ein Teil des Lebens. Mal gehört unsere ganze Kraft ihr, mal der Familie, mal stehen Chor oder Orchester und mal der Wahlkampf an erster Stelle. Es gibt keine Balance. Wir tanzen im Leben immer auf vielen Hochzeiten." So schreibt er seinem Sohn in seinem Brief.

So ist es ja auch. Die Dinge, die wir tun, erfordern immer unterschiedliche Kräfte und Zeiten. Man kann etwas mit Gewichtigkeitnicht  nur halb tun, um damit das Andere ebenfalls halb tun zu können.

Eines Abends, als er mit seinem Sohn zusammensaß, der nun wußte, dass der Vater sterben wird und er plötzlich weinen musste, sagt Martin ihm:

"David, David...und wenn ich sterbe und in den Himmel gehe, kommst du mit bis an die Tür, wir verabschieden uns, wie wir uns am Kindergarten verabschieden, und ich gehe rein, und wenn du viele, viele Jahre auch reingehst, begrüße ich dich. Es ist eine Tür wie keine andere, du siehst sie nur, wenn sie für dich aufgemacht wird und du reingehst. Wir verabschieden uns du bleibst zurück, ich gehe um die Ecke und finde die Tür."

Ein schönes Bild fand ich!

Das Büchlein umfaßt knappe 24o Seiten, doch in ihm ist eine Fülle großer Fragen und Erkenntnisse zu finden, die den Leser unaufdringlich diese seinem eigenen Leben stellt. 

" Der Tod ist nicht gerecht. Aber was ist schon gerecht - nicht Gott, nicht die Liebe, nicht die Arbeit, nichts, wovon ich Dir geschrieben habe. Ausser der Gerechtigkeit, die wir Menschen in die Welt bringen. Vielleicht ist immerhin der selbstgewählte Tod gerecht. Aber das Leben dessen, der den Tod wählt, hat darum auch nicht seine Erfüllung gefunden. Etwas Besseres als den Tod finden wir überall, so heißt es im Märchen der Gebrüder Grimm von den Bremer Stadtmusikanten."

Mit diesen Worten endet der Brief an seinen Sohn!

12 Wochen sollten es vielleicht noch sein. Begleiten werden wir Martin genau 1o Wochen, die mich und sicher auch jeden Leser bewegen werden, ohne von Sentimentalität oder Rührseligkeit gefangen zu werden. Denn nichts ist realistischer als der Tod und nicht anders kann diesem entgegengetreten werden.

Eine gute Lesezeit wünsche ich allen bei diesem Büchlein!

bernhard Schlink

Das späte Leben

Diogenes-Verlag

ISBN: 13-978-3257072716

26,00 Euro

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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15. September 2023 5 15 /09 /September /2023 08:28

Was ich mir nie vorwerfen konnte ist, dass ich zu den Menschen gehöre, die sich einschleimen oder den Mund halten wenns drauf ankommt.  Von Menschen, die sich so verhalten, halte ich mich fern, weil ich diese nicht zum Freund haben möchte. Ist so.

Mein Nichtmehrmann sagte mir einmal, Roeslein, Roeslein, manchmal haben die Menschen Angst vor Dir. Also nicht falsch verstehen, nicht, weil ich möglicherweise in Taten gewalttätig wäre. Das nun nicht. Aber wenn ein Mensch den Mund nicht halten kann, wenns angebracht ist, kann das auch schon mal gewaltättig wirken. Das habe ich immer in Kauf genommen. Da mache ich auch vor Obrigkeiten, selbst wenns der Papst oder ein Kardinal ist, nicht halt. Alles schon erlebt. Selbst der Schule wurde ich deswegen einmal verwiesen.

Daher hatte ich auch nie viele Freunde, eine lange Zeit in Kindheit und Jugend so gut wie keine, was aber an anderen Gründen lag. Erst später kamen eine Handvoll dazu. Leider sind zwei Drittel von ihnen schon verstorben.

Ideelen Gemeinschaften denen ich mich zugewandt hatte, weil mein Leben vor allen Dingen immer auf der Suche nach Wahrheiten des menschlichen Seins war, habe ich nach langer Zeit der Erfahrung verlassen, als ich begann die Verlogenheit zu erkennen, was dann meinerseits auch gesagt und nicht gern gehört wurde.

Aber meistens war es richtig, wenn ich den Mund nicht gehalten habe. Wenn einmal das Gegenteil der Fall war, hat es mir keinen Abbruch getan, mich zu entschuldigen. Ein Fehler, na und. Alle machen Fehler. Meistens wurde Vergebung auch angenommen. Das hat mich reicher gemacht. Sich selbst treu bleiben ist eine Maxime meines Lebens. Versuchen kann man alles, wenn man scheitert, muss man sich das eingestehen.

Gestern erlebte ich etwas, was meinem zuvor Erzähltem zu einem Beweis erklärt.

Ein Paket wollte auf den Weg gebracht werden. Also machte ich mich auf. Meinem Ziel nahe gekommen, sah ich schon von weitem, dass sich die Schlange von Menschen vor der Post schon bis um die Ecke des Eingangsbereich zeigte. Oha! Da war Geduld gefragt. Eine halbe Stunde wird das wohl sicherlich dauern, sagte ich mir. Egal, die Sonne schien und Warten fällt mir leicht, denn Langeweile oder Ungeduld kenne ich da nicht. Es gibt ja immer was zu sehen. Um mich herum. Die Menschen anschauen, wie sie aussehen, wie sie gekleidet sind, was sie reden, wie ihre Gesichter in die Welt schauen. Da ist es egal, wo ich warte, an der Kasse im Supermarkt, am Bahngleis, wenn ich auf den Zug warte oder bei anderen Gelegenheiten, so wie eben an diesem Tag beim Warten an der Post.

Viele Menschen können sich über diese Tugend nicht erfreuen, also der Tugend des Wartenkönnens. Erlebe ich immer wieder. Sie scheinen immer ein wenig gehetzt zu sein. Keine Zeit, keine Zeit. Obwohl sich doch gewundert werden kann, wieviel Zeit der Mensch mit unnützen Dingen verbringt. Stundenlang im Internet herumhängen, sich in Chatrroms aufhalten oder am Smarthphone oder vor dem Fernseher. Ist mir ja grundsätzlich auch total wurscht, womit Menschen ihre Zeit verbringen. Es wundert mich dann eben nur, wenn sie mal eine kleine Zeit mit Warten verbringen müssen, wie ungehalten sie dann werden können.

So ein Menschen ist mir gestern begegnet. In der Schlange beim Warten an der Post. Ein großer schwerer Typ. Vielleicht Anfang 4o. Gekleidet im Jogginanzugoutfit. Bisserl schlampig, ich meine Jogginganzüge könenn auch schon schnittig ausschauen. Der aber nicht. Hab den schon die ganze Zeit angeschaut, weil mir das auffiel und mir Gedanken darüber gemacht, warum ein Mensch in einem solchen Aufzug durch die Welt maschiert.

Unangenehm wurde es aber, als er begann eine junge Frau die sich an allen vorbeischlich um dann an den Schalter zu gelangen, der als nächstes frei wurde. Ich hatte diese junge Frau schon vorher beobachtet. Sie war schon mal am Schalter, hatte wohl etwas vergessen auf ihr Postgut zu schreiben und wurde gebeten, das noch nachzuholen. Als sie das erledigt hatte, wollte sie natürlich nicht wieder ganz von vorn beginnen Also sich an die hinterste Stelle der Reihe anstellen Was ja auch verständlich ist.

Der Schlampenmann hatte das wohl nicht mitbekommen. Ich weiß es aber nicht. Jedenfalls begann er sie aufs Übelste zu beschimpfen. Die Leuts vor und hinter mir hörten sich, wie ich, das Procedere eine ganze Weile an. Der Typ war so renitent, mir bangte, dass er sie möglicherweise vielleicht sogar angreifen wollte. Sie am Arm schnappen und gewalttätig wegzerren wollte. Ein Riesenkerl. Hat man ja alles schon erlebt, also wie Menschen aus welchem Grund auch immer

plötzlich gewalttätig werden, also körperlich.

Vorausgeschickt noch mal, selber war ich die Ruhe selbst. Ein Beobachter nur. Aber dann kam der Moment wo ich mir dachte, Roeschen, Roeschen du musst eingreifen. Dazu soll es nun nicht kommen. Also zu einem körperlichen Angriff.

Also drehte ich mich provokativ zu dem Schlampenmann um und sagte ihm: "Bleib mal ruhig, reg Dich mal nicht auf, man ist schneller tot als man denkt."

Sofort trat Ruhe ein. Das hatte gewirkt. Selbst bei ihm. Er sagte nichts mehr, aber rein gar nichts mehr. Selber hatte ich mir gar nicht überlegt, was ich sagen wollte, also, als ich mich zu ihm umdrehte. Das purzelte einfach so aus mir heraus. So als wenn es eine Instanz in mir geben würde, die genau weiß, was gesagt werden soll, damit es Wirkung zeigt.

Und was kann schon mehr Wirkung zeigen, als wenn ein Mensch darauf hingewiesen wird, wie schnell sein Leben zu Ende sein könnte. Denn wir alle leben in der Haltung, der Tod trifft immer die Anderen und uns wird schon nix passieren. Der größte Irrtum des Menschen. Denn vielleicht hat es der ein oder andere meiner geneigten Leser selber schon erfahren im Umkreis seiner sozialen Beziehungen bei Freunden, in der Familie oder bei Arbeitskollegen, dass das sehr oft passiert. Dass der Tod einen Menschen ganz plötzlich und unerwartet trifft. Dessen muss der Mensch sich immer bewußt sein und es nicht verdrängen.

Dieses Wissen allein, dass sich immer bewußt gemacht werden sollte, verhilft zu einem guten Leben, einem achtsamen, respektvollen und reichen Leben, auf das dann am Ende gern zurückgeblickt werden kann.

Daher sag ich es jetzt auch noch einmal:" Man ist schneller tot als man denkt."

Ich flüstere das jetzt ganz leise. Der hinter mir stehende Mensch neigte sich mir zu und sagte:" Das haben sie gut gemacht. Recht haben sie."

Jo, war meine Antwort und schaute wieder nach vorn, denn es waren nur noch 3 Leute vor mir, bis mein Paket auf die Reise gehen konnte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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4. Juni 2023 7 04 /06 /Juni /2023 12:54
T.C. Boyle einer meiner US-amerikanischen Lieblingsautoren von so wunderbaren Büchern wie Wassermusik, Worlds End, Drop City  und vielen mehr, die ich alle gelesen habe, hat wieder ein kleines, für mich jedenfalls, Meisterwerk vollbracht. Seine Vita kann bei wiki nachgelesen werden, daher laß ich das hier aus.
 
Blue Sky, sein neuer Roman ist ein humoriges aber auch düsteres Werk einer Familiengeschichte in den USA.  Die Handlung spielt genauer gesagt in Florida und Kalifornien, den beiden Staaten im Südosten und im Westen der USA.
 
In all seinen Büchern geht es Boyle immer um die Veränderungen in unserer Welt hervorgerufen durch Umweltzerstörungen, Kriege und Ausbeutung, dem Sterben der Arten und die durch all dies hervorgerufenen Zukunftängste der Menschen.
 
Und so ist es auch wieder in seinem neuen Roman, der,  obwohl er auch zum Teil sehr komisch und humorig anmutet, kein Wohlfühlen auslöst. Also es ist kein Buch, dass einen nicht ohne aufgerüttelt, wenn man das nicht sowieso schon ist, und nachdenklich zurückläßt, wenn man es am Ende beiseite legt. Denn Boyle sagt uns nichts anderes, als dass der Mensch mit seiner Gier und seinem Fotschrittsgebahren diese Welt, in der wir noch leben, zerstört hat und all die Dinge, die wir jetzt betreiben, um die völlige Apokalypse aufzuhalten im Sande verlaufen wird.  Der Mensch hat sozusagen ausgeschissen, wenn ich das so nennen darf. Er kann sich noch  hinter Ungläubigkeit, Verschwörungstheorien oder einfach besserwisserisch hinter Möglichkeiten, die selbstverständlich für alles eine Lösung bieten verstecken, doch es wird nix nutzen. Wir die wir jetzt lesen,  werden das nicht mehr erleben, aber was wir jetzt schon sehen, reicht ja aus um zu verstehen und sich auszumalen. Man kann es auch zusammenfassend sagen...Die Natur schlägt zurrück.
 
Auch die Mitglieder der Familie von der Boyle erzählt, versucht auf ganz eigene Weise dem ganzen Dilemma noch etwas entgegen zu setzen und ihrem Leben noch einen Sinn zu geben.
 
Ottilie und Frank haben 2 Kinder, Cat und Cooper. Frank ist Arzt und Ottilie, die jetzt in Rente ist, hat bis zu dieser Rentenzeit bei ihrem Mann gearbeitet. Frank noch in seiner Arbeit aufgehend, sieht in seiner Praxis täglich die Auswirkungen der mehr und mehr zunehmenden Naturkatastrophen an den Krankheitsbildern der Patienten. Ottilie, die jetzt Zeit hat, möchte etwas ändern. Zum Beispiel auf Fleisch verzichten, was ihr schon von ihrem Sohn in seiner Pubertät immer wieder angeraten wird.
 
 Cooper, der Sohn hat schon früh erkannt, dass die Welt am Arsch ist und ist einerseits hoffnungslos, andererseits, schon in der Jugend als Bug Boy betitelt von seinen Mitschülern und Freunden, war er schon früh angezogen vom Insektenleben, sammelte, begutachtete und studierte sie. Er wird Wissenschaftler, spezialisiert auf Lepidopter, den Schmetterlingen. Zusammen mit seiner Freundin, die wiederum spezialisiert ist auf Zecken, unternehmen sie einen Ausflug. Sie, um die Zeckenpopulation weiter zu beobachten, er seine Schmetterlinge. Und ausgerechnet ihn trifft es, dass er von einer Zecke angefallen ist. Ob das gut ausgeht? Verrate natürlich nichts.
 
Cat die Tochter des Hauses verläßt Kalifornien, das mehr und mehr unter Hitzewellen leidet und Mißernten in Folge die Menschen einschränken, die Regale in den Supermärkten werden leerer und zieht nach Florida, wo Todd ihr zukünftiger Ehemann ein Haus direkt am Strand von der Tante geerbet hat.
 
Sie versuchen mit den dortigen Katastrophen wie Überflutungen, Termitenplagen und fortschreitender Unbewohnbarkeit der Standhäuser umzugehen. Todd jedoch ist viel unterwegs. Er ist Vertreter für Alkoholgetränke. Cat fühlt sich einsam in diesen Zeiten, ohne die Familie, keinen Job und sie versucht ihrem Leben einen Sinn zu geben. Sie will Influencerin werden, eine ganz besondere um diese innere Leere zu füllen.  Eines Tages steht sie vor einer Tierhandlung, die im Fenster eine Python ausgestellt hat. Sie ist fasziniert von der Schönheit der Schlange und entscheidet sich von jetzt auf gleich für den Kauf eines solchen Tiers. Genau das ist es, was sie zu einer besonderen Influencerin machen wird. Sie, die Schlange immer dabei, um ihren Körper gelegt, wird sie Tag für Tag tolle Bilder und Erkenntnisse über ein Schlangenleben posten. Sie malt sich schon die Follower aus. Eine Katasthrophe bahnt sich an. Wird nicht verraten.
 
Ottilie derweil, wie schon zuvor angemerkt, widmet sich ihrem neuen Hobby. Kochen ohne Fleisch um damit etwas im Kampf gegen die Umweltzerstörung entgegenzusetzen. Sie bestellt eine Brutmaschine für ihre eigene Grillenzucht, denn Grillen und andere Insekten sind jetzt der Ersatz für Fleisch, aber auch in Laboren gezüchtetes Fleisch steht immer mehr auf dem Speiseplan. Sie fühlt sich umweltbewußt, ein gutes Gefühl. Ob es anhält? oder ob all das noch irgendwas nutzt? Verrate nix.
 
So schreibt Boyle hier über eine ganz normale Familie, ganz normale Menschen, die allesamt versuchen gegen all das, was mehr und mehr passiert anzugehen, dem etwas entgegenzusetzen. Doch auch ihr eigenes kleines Leben wird von ganz eigenen Katastrophen heimgesucht. Und man kann nicht umhin, sich reinziehen zu lassen in diese kleinen Leben dieser Menschen mit ihren ganz unterschiedlichen Charakteren, das voller Absurditäten und Widersprüchlichkeiten ist.
 
Am Ende des Buches weiß man wenn man  hinausschaut in unsere Welt, es hat schon lange begonnen, aber wir wollten es nicht wissen und haben den Mahnern nicht vertraut und die Wenigen, die es taten und tun, können zwar ihre eigenen kleinen Gegenschritte praktizieren, doch es wird nichts nutzen. In diesem Jahr habe ich zwei Enkelkinder bekommen. Die Freude in unserer kleinen Familie ist riesig. Was wird diese Generation erwarten? So ist die Freude in mir doch auch die Sorge um all das, was die Zukunft meinen Kindern und Enkelkindern bringen wird. Denn meine Augen sind nicht blind und nichts ist mir scheißegal.
 
Wir klammern uns an die Hoffnung.
 
In einer Pressekonferenz sagte Boyle: " Wir werden überleben, aber wir können bereits die Verwüstungen sehen, die der Klimawandel unseren Gesellschaften gebracht hat“.Und wir können uns auf den Zusammenbruch unserer Gesellschaften freuen. Wir erleben einen Aufstieg des Faschismus in Amerika und Europa. Gangs werden herrschen. Die Hoffnung wird sterben.“
 
Viel Vergnügen!
 
T.C. Boyle
Blue Skies

Hanser Verlag

ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3446276895

28,00 Euro

 

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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25. April 2023 2 25 /04 /April /2023 14:56

Der schwedische Autor Mikael Niemi hat einen wundervollen Roman über das Erwachsenwerden in der Einöde des an der Grenze zu Finnland liegenden Dorfes Vittula geschrieben. Habe mich köstlich amüsiert. Und fast hätte der Ich-Erzähler des Buches die Geschichte gar nicht erzählen können, denn er wäre fast bei der Besteigung des 6515 m hoch gelegenen Thorong-La-Pass im Annapurnamassiv Nepal zu Tode gekommen. Nach langer Qual dort oben angekommen, glücklick, dass er es geschafft hat,  genießt er diese unfassbare Schönheit des Rundum.

Konnte das sehr gut nachempfinden, denn auch ich war schon auf einem solchen Pass, dem Taglang-La-Pass, allerdings nur in Höhe 5.360 m Höhe und weiß wie einem nicht nur der Schwindel der Höhe erreicht, sondern auch der Enthusiasmus angesichts der Aussicht. Und so küsst er im großen Aufschwall seiner Gefühle die dort angebracht Metallplatte mit den eingravierten tibetanischen Buchstaben. Alles in Ordnung also, doch von jetzt auf gleich frieren seine Lippen an der Metallplatte fest. Allein ist er dort oben. Es schien ihm, als wäre sein letztes Stündlein gekommen. Was soll er machen.

Auf Glück folgt Unheil, manchmal, andererseits umgekehrt auf Unheil gelegentlich auch Glück. In diesem seinem Fall hofft er auf eine rettende Idee, die ihm tatsächlich auch einfällt. Mit aller Kraft fischt er seinen Trinkbecher aus seinem Rucksack, pinkelt einen warmen Strahl hinein und giesst sich den warmen Urinstrahl über den Mund. Denn daran erinnerte er sich, so hat ihn seine Mutter als kleiner Bub mal von einem Brückengeländer losgeeist. Man kann auch sagen, er hat sich das Leben freigepinkelt. Schon allein diese Episode ist so was von herrlich und ich habe das Bild aus meinem Kopf beim nächtlichen Anfangslesen nicht aus dem Kopf bekommen und konnte nicht aufhören vor mich hin zu lachen. Ich begann das Buch schon jetzt zu lieben.

Die Sprache ist zum Teil sehr heftig, aber niemals abstossend. Und gerettet nun erzählt der Ich-Erzähler seine Geschichte auf 304 Seiten über das kleine Völkchen in Vittula, dem Erwachsenwerden mit all den Schwierigkeiten in der Pubertät  und vor allen Dingen über die Liebe zum Rock´n Roll und dessen Beeinflussung, die selbst die Jugend in den hintersten Orten dieser Welt erreicht hat.

Die Geschichte des Ortes mutet zum Teil etwas düster und finster an, doch macht es nie Unbehagen, sondern übt eher eine gewisse Faszination aus über diesen Ort, der so ganz anders ist als man sich Schönheit vorstellen kann. Denn gerade diese Düsterheit, diese Wildheit des Ortes, nimmt den Leser gefangen. Mich jedenfalls.

Das Buch erzählt von Menschen weitab vom Weltgeschehen, die noch in ihrer eigenen kleinen  zurechgemachten Welt leben, wo genau unterschieden wird was Männerarbeit und was Frauenarbeit ist. Wo man noch überlegen muss, ob eine Tasse spülen nun zur Sache des Mannes gehört oder ob es Weiberarbeit ist. Männer dürfen nicht *knapsu* (was weiblich bedeutet) wirken, auf gar keinen Fall. Männer fällen Holz, gehen auf Elchjagd, bearbeiten Baumstämme und verprügeln sich auf den dörflichen Tanzfesten. Knapsu sind die Mädchen und Frauen, sie müssen Gardinen aufhängen, mit dem Strickzeug am Ofen sitzen oder weben, Kühe melken oder Blumen gießen und andere Tätigkeiten des Haushalts verrichten.  Wilde animalische Triebe gehören zum Alltag und werden auch ausgelebt ohne zu hinterfragen. Eine gewaltige Bildsprache bedient sich Niemi in seiner Erzählung.

So hat mich z.B. die kleine Episode, die erzählt wird, total gefesselt. Er, der Ich-Erzähler hatte sich einmal in einem Heizungskeller eingesperrt aus Angst vor dem Hausmeister. 40 Tage hätte er dort verweilt, ohne zu essen und zu trinken. Hier hab ich ein wenig die Stirn in Falten gelegt, denn, ohne essen klar, aber ohne trinken? Na gut, habs einfach so stehen gelassen. Mir gefiel das Bild. Ich konnte mich hineindenken in ihn. Denn auch ich hatte in der Hausmeisterwohnung meiner Eltern abseits von den eigentlichen Wohnräumen ein kleines Zimmer hinter dem Heizungskeller. Und wenn es meinem Vater beliebte, weil ich scheinbar wieder etwas Falsches gesagt hatte, sperrte er mich dort ein. Natürlich bekam ich zu essen und zu trinken, aber manchmal dauerte der Stubenarrest. Und jedesmal hatte ich von mir selber den Eindruck, als wenn gerade diese Erlebnisse mich zutiefst verändert und entwickeln haben lassen. Da war ja nix, nur ich, meine Musik und meine Bücher und den Ausblick nach oben durchs vergitterte Fenster.

Und so beschreibt auch Niemi diese Einsamkeit als eine Veränderung seiner Selbst, er hatte den Eindruck, als er wieder herauskam, nun erwachsen geworden zu sein. Und es ist ja nicht nur die Einsamkeit dieser Zeit des Eingesperrtseins, sondern die Einsamkeit durchzieht ja die ganze Zeit des Erwachsenwerdens, gerade in der Pubertät, in denen so Vieles geschieht was man nicht begreift, was einen verunsichert und man sich fragt, wozu das alles, wer bin ich, woher komm ich, warum das alles und wie gehe ich meinen Weg.

Niemi erzählt auch über seine Freundschaft zu Niila, dem Jungen aus einem streng religiösen Elternhaus, in dem niemals gesprochen wurde. Eine Freundschaft zweier Jungen, die unterschiedlich gar nicht sein konnten, die aber durch diese Verbundenheit die Kraft fanden durch ihre Entwicklungsphasen zu gehen, ohne beschadet zu werden und die eine gemeinsame Liebe verband, nämlich die, zum Rock´n Roll.  Dieser Rock´n Roll beeinflusste sie in ihrem Denken und Fühlen von genau dem ersten Moment an, in dem sie das erste Gitarrensolo hörten und keinen anderen Wunsch mehr hegten, als selber einmal auf der Bühne zu stehen und mit Hüft- und Beinbewegungen und wie Elvis Presley einst die Herzen der Mädchen zu erobern. Der Virus Rock´n Roll erwischte sie beim Anhören einer Schallplatte, die sie durch die Tundra erreicht, von den Beatles, den Pilzköpfen, wie sie damals bezeichnet wurden. Musik von einem anderen Stern so dachten sie und gründeten dann eben genau eine solche Band.

Von den Erwachsenen wurde das jedoch, wie man sich denken kann, nicht gern gesehen. Die Erwachsenen im Dorf bezeichneten diese Musik als *knapsu*. Schon das Singen an sich galt für sie als unmännlich. Singen konnte man höchstens, wenn man betrunken war. Und ganz besonders *knapsu* war es, wenn man denn dann auch noch in englisch sang. Eine Sprache mit viel zu wenig Kauwiderstand für die harte finnische Aussprache und so nuschelig, dass eigentlich nur Mädchen in dieser Sprache eine gute Note bekommen konnten. Sie bezeichneten die englische Sprache als schneckenhaftes Rotwelsch, dass lallend und etwas feucht daher kam und von Schlamm tretenden Küstenbewohnern erfunden, die in ihrem ganzen Leben nie kämpfen musste, die weder gehungert noch gefroren hätten. Last but not least eine Sprache für faule Leute, Grasfresser, Kissenfurzer ohne eigene Kraft, so daß die Zunge wie eine abgeschnitte Vorhaut im Mund herumschlenkert.  Wunderbar diese schräge, z.t. schwarzhumorige, bunte Sprache, die Niemi in der Beschreibung nicht nur der Menschen, sondern auch der Begebenheiten, der Bräuche und Traditionen des Volkes verwendet.  Wir lesen von Prügelszenen, einer total aus den Fugen geratenen Hochzeitsfeier in der fingergehakelt wird und natürlich einem Saunawettbewerb. Und die Beerdigung der Oma mit ihren dazugehörigen Erbstreitigkeiten dem 70.ten Geburtstag von Opa Mattis, der den westeuropäischen Leuts mal zeigt, was Kampftrinken bedeutet.  Immer wieder hab ich das Buch kurz beiseite legen müssen, weil es mir einen Lacher nach dem anderen schenkte.

Wie auch immer, könnte noch Vieles hier wiedergeben, doch will ich ja nicht alles verraten, empfehle das Buch von Herzen. Ein Buch über das Erwachsenwerden junger Menschen, die selbst in den enferntesten Winkeln dieser Erde ihren Weg gehen voller Humor und dennoch auch Tiefe beinhaltet.

 

Mikael Niemi

Populärmusik aus Vittula

btb-Taschenbuch

ISBN: 978-3442-7311725

9,99 Euro

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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8. Februar 2023 3 08 /02 /Februar /2023 21:20

In dieser Buchvorstellung geht es mir darum,  einmal einen Autor ins Licht zu rücken, der nicht schon in Toplisten auftaucht, den ich aber unbedingt lesenswert empfinde.
 
Kennen ihr das Gefühl, auf einer Wiese oder am Wasser zu liegen, einfach in den Himmel zu schauen und die Wolken zu beobachten? Man kann sich total darin verlieren. Als Kind habe ich immer Figuren in die Wolkengebilde projiziert. Mache ich übrigens heute noch! Der meditative Charakter ist sehr groß. Prima philosophieren kann man dabei auch. Ist unser Leben nicht ähnlich wie der Wolkenhimmel? Mal klar, mit strahlend blauem Himmel, mal bewölkt, mal stürmisch, mal einfach durchgehend grau.  Also wer das alles kennt, für den ist folgendes Buch von Stephan Audeguy  empfehlenswert und lädt zum Träumen ein.
 
Stephane Audeguy wurde 1964 in Tours geboren und studierte in Paris Literaturwissenschaften. Beruflich unterrichtet er Literatur und Kinowissenschaften an einem Gymnasium in Paris, wo er auch lebt.
 
Das Buch „Herr der Wolken“ ist sein Debütroman und einfach klasse. Es fällt unter das Genre „historischer Wissenschaftsroman. Es haben sich ja schon viele Schriftsteller mit den Fragen nach Gott, der Seele und den letzten Dingen beschäftigt, aber die Frage nach der Naturwissenschaft blieb bisher immer ein bisschen hinten vor. Der Roman spielt in der zeit vom 19. Jahrhundert bis ins heutige 21.Jahrhundert hinein.
 
Zum Inhalt:
 
Ein gefeierter japanischer Modeschöpfer, Akira Kumo, der in Paris lebt, zieht sich aus dem Berufsleben zurück. Er möchte sich einen großen Traum erfüllen, nämlich seine Bibliothek zum Thema „Wolken“ ordnen und katalogisieren lassen. Hierfür stellt er eine Bibliothekarin, Virgin Latour, ein. Im Laufe ihrer Zusammenarbeit erzählt er der jungen Frau über die Herkunft der einzelnen Bände, die er gesammelt hat und über die Wissenschaftler, die sie geschrieben haben.
 
Da wäre z.B. der Quäker Luke Howard, der als erster den einzelnen Wolkentypen Namen gab, z.B. Circus, Cumulus, Stratus und Nimbus. Howard hatte in seiner Zeit umfangreichen Briefkontakt mit Goethe.
 
Dann den Maler Carmichael, der die Wolken tagelang beobachtete, malte und zeichnete und darüber schwermütig wurde. Die Sehnsucht nach dem, was sich hinter den Wolken verbirgt, wurde so groß in ihm, dass er sein Tagesgeschäft immer mehr vernachlässigte.
 
Dann der Weltreisende Abercrombie, nach dessen letzten Aufzeichnungen in der Wissenschaftswelt fieberhaft gesucht wird. Abercrombie erfährt Abenteuer in der Wildnis mit brutal niedergemetzelten Affen und wird dadurch von seinem eigentlichen Vorhaben abgelenkt. Auch lässt er sich auf Abenteuer mit Frauen aus den verschiedensten Ländern ein. Seine erotischen Eskapaden veranlassen ihn dazu, ich will nichts verraten, bestimmte Details der Frauen zu fotografieren.
 
Zum Schluss noch der Mathematiker und Meteorologe Lewis Fry Richardson. Sein Interesse war Wettervorhersagen mittels Differentialgleichungen genauer darzustellen.
 
Während Richardson und Howard tatsächlich gelebt haben, ist der Maler Carmichael und Abercrombie frei erfunden. Das hat aber keine weitere Bedeutung für die Abfolge des Romans.
 
Beim Schildern dieser Persönlichkeiten, die sich mit dem Thema Meteorologie beschäftigt haben, schildert Kumo auch seine persönliche Geschichte der jungen Bibliothekarin. Er ist nämlich traumatisiert, weil er 1945 an einem wolkenlosen Augusttag ein Überlebender der Bombe über Hiroshima war. Am Ende kommt er seiner schrecklichen Geschichte auf die Spur, die er sein Leben lang verdrängt hat. Natürlich hat mich das besonders beeindruckt zu sehen, über welchen Verdrängungsmechanismus der Mensch verfügt, sich ein Leben zurechtecht baut, in dem er meint, zu Hause zu sein. Leider ist es oft so, wie auch bei ihm, dass all die Verdrängungen wie eine tickende Bombe in der Seele liegt und darauf wartet zum Ausbruch zukommen. Bei vielen Menschen führt das ja bekanntlich dann manchmal zu Psychosen, Depressionen etc..
 
Das Buch hat verschiedene Erzählstränge, fügt sich aber insgesamt zusammen und ergibt ein einheitliches Bild. Es ist teils witzig, teil sachlich-nüchtern geschrieben. Für mich ist das Verschwimmen seiner Bilder ins Märchenhafte eines der schönsten Momente im Buch. Das Buch zählt über 200 Jahre Geschichte der Meteorologie auf und ich muss gestehen, ich hab sehr viel daraus gelernt, da ich mich vorher nie mit dem Thema beschäftigt hatte.
 
Kleine Leseprobe vom Anfang des Buches:
 
Gegen fünf Uhr abends sind alle Kinder traurig: Sie beginnen zu begreifen, dass es an der Zeit ist. Die Dämmerung naht. Sie werden wohl oder übel nach Hause müssen, brav sein und lügen. Eines Sonntags im Juni 2005 gegen fünf Uhr abends spricht ein japanischer Modeschöpfer namens Akira Kumo mit der Bibliothekarin, die er soeben eingestellt hat. Er sitzt in der Rue Lamarck im dritten Stock seines Stadtpalais, in der Privatbibliothek, die dem Himmel zugewandt ist: Dreißig Quadratmeter einer doppelt verglasten Fensterfront schlucken alle Geräusche der Stadt. Über der grauen Zeile der Dächer reihen sich die Wolken, immer gleich und immer sich wandelnd, gleichgültig gegenüber den Landschaften, auf die sie herabblicken?
 
Viel Freude beim Lesen, ich hoffe, ich habe  neugierig gemacht!

 

Stephan Audeguy

Herr der Wolken

Rowohlt-Verlag

9,99 Euro

ISBN: 978-3-688-11216-6

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