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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 19:19
Um 7.oo Uhr bin ich wie immer losgefahren. Ausgangspunkt ist die Kirche am Marktplatz in Norttorf. Dort ist heute morgen schon Markt. Sehr schön übrigens. Alles aus eigenem Anbau von Bauern aus der Region, viel Bioland ist vertreten. Überhaupt scheint es hier ein bevorzugtes Anbaugebiet für Bioland und demeter zu sein. Ich decke mich mit meiner Tagesration Bananen ein. Eine kleine Bäckerei, keine blöde Kette, lädt mich zum Frühstück ein. Es gibt super Brötchen, bestimmt noch von Hand gemacht und anders schmeckend, als die Dinger, die man in den Ketten bekommt und nicht weiß, wieviel Brötchen überhaupt noch drin ist. Die Bäckersfrau spricht plattdütsch, ist super nett, schmiert mir sogar die Brötchen und es gibt einen prima Tee dazu. Dabei erzählt sie mir von ihrer Tochter, die gerade auf Rucksacktour durch Ostpreußen, genauer gesagt, durch Masuren ist. Ein bißchen Angst habe sie schon, dass ihr was passieren könne. Sie sei ja mal bei einer Reise beklaut worden, und zwar in Köln, am Hauptbahnhof. Das ist nichts Ungewöhnliches, erkläre ich ihr, am Bahnhof und im Innenstadtbereich in Köln lauern die Diebe überall. Aber hier in Schlewig habe ich bisher nur gute Erfahrung gemacht, Man kann sein Fahrrad unabgeschlossen und unbeobachtet stehen lassen. Ich hoffe es bleibt so.
 
Ich packe meine Sachen und weiter gehts. Der Weg führt gleich wieder in ein schönes Waldgebiet hinein. Natur pur. Dort geht es ca. 7 km Richtung Bordesholm. Unglaublich viele Schnecken kriechen über den Radweg. Ich muß aufpassen, sie nicht zu überfahren. Einmal passiert es doch und es tut mir wirklich im Herzen weh. Ich kann so was nicht gut vertragen. In Bordesholm will ich eigentlich zum Eiszeitmuseum, muß aber feststellen, dass es nicht mehr vor Ort ist. Später hab ich mir sagen lassen, dass es jetzt in Lützenberg ausgelagert wurde.
 
Meine 4 Buchstaben machen mir heute wieder große Beschwer. Da kann man wohl nix dran ändern. Ich fahre durch eine Chaussee, rechts und links neben mir steht der Sanddorn in Blüte, Holunder, Schafgarbe sowie immer noch wilde Kamille. Sogar Klee, weißer und riter, blüht noch. Auh Königskerzen geben sich die Ehre und der Duft von allem betört meine Sinne. Die Felder sind mittlerweile alle abgemäht. Der Meisstengel stehen noch, abder die Kolben sind eingebracht. Die Bauern pflügen und düngen die Felder, ein emsiges Hin- und Her. Der typische Dünge-Land-Geruch hüllt mich ein. Auf einem feld sitzen unglaublich viele weiße Tauben, hab ich so noch nie gesehen. Sie sehen wunderschön aus. Die Krähen hocken ebenfalls zu Schaaren auf den Feldern und ihr Krächzen erinnert mich wehmütig an den Herbst, der Einzug halten will, obwohl Sommer noch nicht richtig zu sehen war. Das stimmt auch überein, wenn ich meinen Blick auf Bäume und Büsche richte, denn da kündigen sich schon die Blüten der Hagebutten, die ich liebe, an.
 
Im Dörfchen Bissee angekommen, bin ich sehr überrascht von den parachtvollen, hübschen und malerischen Häusern, alles sauber, klein und fein, wie immer, wie aus einer anderen Welt. Aber es gibt eine Besonderheit. Denn in jedem Vorgarten stehen Skulpturen und Kunstwerke, die mich sehr beeindrucken. Wer ein Herz für Kunst hat, hat auch ein Herz für den Menschen und das leben an sich, denn Kunst erzählt ja von nichts anderem und will es ausdrücken, was oft nicht auszusprechen ist.
 
In Bissee soll nun eigentlich ein Weg abzweigen, der rustikal, einsam und verlassen durch den Wald auf Schotterwegen zu einem alten Gutshaus führen soll. An der beschriebenen Stelle finde ich aber nichts. Dafür stehen dort zwei Skulpturen, die sich als kämpfende Krieger darstellen. Sonst steht da nur ein Schild "Privatweg". Daher kehre ich um und fahre Richtung Groß Buchwald. Schöner Weg, viel Maisfelder, immer wieder Scharen von Vögeln, die sich anscheinend schon auf den Flug Richtung Süden vorbereiten. Es ist hügelig hier in der holsteinischen Schweiz, daher bin ich nach weiteren 4 km ganz schön aus der Puste, denn mittlerweile brennt die Sonne wieder heftig, was am Morgen noch nicht abzusehen war. Nun, was soll ich sagen, in Buchwald angekommen, muß ich erkennen, dass es mal wieder die falsche Richtung war, denn hier zweigt auch kein Weg Richtung Gut Bothkamp ab. Einen Bauern nach dem Weg fragend erfahre ich, dass ich wieder zurück nach Bissee muß. Ehrlich, noch bin ich ja gut drauf und daher jauchze ich und rufe juchhu, dann mal los. Also wieder hoch. Dort nachfragend sagt mir ein Bauer, doch, das ist der richtige Weg, wo das Schild "Privatweg" steht. Sie müssen an den kämpfenden Kriegern vorbei. Ich fasse es nicht! Wieso schreiben die denn Privatweg dran. Wer soll das denn wissen? Ich schaue die Krieger an und sag ihnen, o.k., ihr seid ein zeichen für mich, ich kämpfe auch,jetzt hier, um den richtigen Weg zu finden. Muß ich im Alltag ja auch immer wieder kämpfen, um alles und für alles. heiße schließlich ja auch Erika, was im Nordischen von Erik stammt und nichts anderes wie "Kämpfer" heißt.
 
Nun denn, der Routenplaner hat nicht zu viel versprochen. Was da als rustikaler Weg beschrieben wurde, ist fahrtechnisch eine Katasthrope, jedenfalls mit meinem Drahtesel, aber landschaftlich mal wieder ein Zauber. Ich schlingere mit meinem Drahtesel, mehr als dass ich fahre über Steine, Löcher im Boden, Hubbel und denke, das ist jetzt eher was für ein Crossrad oder Bike. Der Weg zieht sich, plötzlich treffe ich auf eine sandige Stelle, merke es zu spät, rutsche weg und liege samt Rucksack halb im Graben. Ich muß lachen, ehrlich, juchhu, es macht mit trotz allem Spaß. Linker Hand sehe ich den Bothkamper See liegen, fahre holpernd und stolpernd weiter und komme endlich nach ca. 3 km an dem Guthaus an. Jetzt kommt aber der absolute Knaller, ein Oberhammer. Der weiterführende, noch schmalere Weg ist vom Forstamt gesperrt. Ich bin total fertig. Ich stehe in dieser absoluten Wildnis entfernt von jeglicher Zivilisation und Menschen mit meinem Rad und komme nicht weiter. Was für ein Spaß! Tja, wat willste machen, Röschen, denke ich, da mußte wieder um. Gesagt, getan, dieselbe Knaller-Strecke wieder um, diesmal bergauf. Oben angekommen, schaut mich der Typ vom Gehöft nun doch etwas merkwürdig an, denn das ist jetzt das dritte Mal, dass ich an ihm vorbeiziehe. Ich zeige den Kriegern meine Faust und sage innerlich, ha, ich geb nicht auf.
 
Anscheinend will das Schicksal mich nun versöhnen, denn aus der entgegengesetzten perspektive entdecke ich ein versteckt liegendes, wunderschönes Antik-Cafe. Ich kehre ein und falle total erledigt auf einen Stuhl, starre vor mich hin und höre plötzlich Musik. Ja, ist es denn wahr, denke ich. Die spielen doch tatsächlich Jack Johnson. Sofort richte ich mich wieder auf, lausche der Musik und fange an, mich zu entspannen. Bei der Gelegenheit beschließe ich, nun auch was zu essen, was auch gut ist, was sich aber erst später heraustellen wird. Nach 1 Stunde Rast muß ich dann leider einen anderen Weg nach Preetz suchen, gelange dabei auf der normal befahrenen Landstraße, was absolut tragisch ist. Die Steigungen, die Lkws, die hier vorbeirasen, der Staub, die Hitze fordern von mir das letzte.
 
Mittlerweile weiß ich wirklich nicht mehr, wie ich meinen Hintern noch auf dem Sattel halten soll, mehr stehend bewege ich mich weiter for. In diesem Moment muß ich daran denken, dass mal jemand, ich glaube Böll hieß der, zum Jan Ulrich während der Tour de france gesagt hat:" Quäl dich, du Sau"!, Röschen, denke ich, das gilt jetzt auch für dich. Kannst eh nix anderes machen, hier ist ja niemand auf weiter Flur.
 
Endlich kommt das erste Schild Preetz und ich falle um, 17 km noch. Ich glaub, ich hab einen Sonnenstich. Und da ist mir klar, dass es wenigstens gut war, vorher was gegessen zu haben, denn sonst wär nix mehr gegangen. Die Zunge klebt, Wasser ist nicht mehr viel da, ich muß haushalten. Hört sich an, als wenn ich in der Wüste war, aber so ähnlich hab ich das empfunden. Nach geschlagenen 6 km kommt ein Schild Richtung Barmissen, rechts ab. Ich bin so was von erleichtert von dieser Straße wegzukommen, dass kann sich niemand vorstellen. So finde ich auch meine ursprüngliche Route wieder. Es geht noch 1o km hügelig, bergauf, bergrunter, und ich kämpfe mich weiter durch. Unterwegs bitte ich eine Frau, mir meine Wasserfalsche aufzufüllen und bald habe ich es geschafft und erreiche Preetz, die Schusterstadt. Hier blühte im 18. und 19. Jahrhundert das Schusterhandwerk, eine Skulptur, die ich später entdecke und ein Heimatmuseum erinnern daran.
 
Ich wanke mehr recht als schlecht in die Touristeninformation, um dort zu erfahren, dass es kein Zimmer mehr gibt. Juchhu, das wars dann wohl. Was tun, sprach Zeus mal wieder. Ich rufe noch weiter einen Gasthof an, die sich zwar sehr bemühen, mir aber leider nicht helfen können.
 
Also fahre ich zum Kirchplatz. Dort liegt ein Altenheim und mir kommt die Idee, einfach dort mal nachzufragen. Eine Frau im Rollstuhl meint, ja klar, da ist doch unten noch ein Gästezimmer frei. Ich schöpfe Hoffnung, aber der Wärter des Heimes zeigt sich gnadenlos. Hätte ich mich ja früher drum kümmern können, meint er. Ich ruf ihm hinterher, sie sind aber hartherzig, wenn das mal nicht auf sie zurückkommt und mache kehrt.
 
Dann fahre ich zum Amt für Diakonie. Die werden sich doch wohl christlich nächstenliebend erbarmen, denke ich. Ich staune nicht schlecht, die Tür ist offen, aber niemand ist da. Alles steht offen rum, Computer, Drucker, Faß-Gerät, Kücheneinrichtungsgegenstände, aber niemand zu sehen. Nach einer halben Stunde geb ich auf, denn die zeit läuft mir davon.
 
Es ist 18.oo Uhr. Ich fahre zurück zur Kirche und lasse mich auf die Stufen fallen, bin ratlos. Während ich so vor mich hinträume und ich mich schon in Gedanken in der Kirche oder auf der Straße nächtigen sehe, kommt eine Frau aus der Kirche. Na sagt sie zu mir, sie sehen aber fertig aus. Jau, sag ich, bin ich auch und erkläre ihr meine Not. Gehen sie mal zu meinem Mann ins Internetcafe, sagt sie. Mach ich auch gleich, da schaun wir uns nochmal alle Möglichkeiten an, aber außer einer Jugendherberge 15 km entfernt gelegen, geht gar nix. Dat schaff ich heut nicht mehr, sag ich ihm. Die Frau kommt wieder und gibt mir eine Nummer von einer Frau, die früher einmal Gäste aufgenommen hat. Ich rufe gleich an und hätte sie am liebsten küssen können. Und was soll ich sagen, die Frau am andren Ende sagt mir, sie habe zwar alles vermietet, aber sie sei selber Radlerin und könne mich verstehen, daher biete sie mir ein ausgedientes Kinderzimmer im keller an. Ich greife nach diesem Strohhalm und fahre sofort hin. Es ist sogar nur um die Ecke, der Wahnsinn. Sie sind ein Engel, sag ich ihr zur Begrüßung, ein richtiger Engel und darang glaube ich Moment zutiefst. So kann es gehen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
 
Das Zimmer ist klasse, das Haus liegt am See, einfach nur schön, nur schön. Sie heißt Sabine, wir verstehen uns auf Anhieb. Ich nehme eine Dusche, bin wieder relativ fit und gehe noch einmal in die Stadt hinein. Ein Weinchen muß jetzt her. Aber wo? Zwei Ftauen kommen mir entgegen. Ich frage sie einfach, wo man am besten hingeht und da sagen sie mir, ich solle am besten gleich mitkommen. Und nach 5 Minuten befinde ich mich in einem schönen Biergarten, kühl, zwischen einer netten Gruppe von leuten, die mich freundlich in ihrer Mitte aufnehmen. Wer sagt eigentlich, dass die Schleswiger wortkarg seien. Kann ich nicht bestätigen. Ein Fahrradhändler gesellt sich zu mir, es entwickelt sich ein interessantes Gespräch und was soll ich sagen, ich entscheide in diesem Moment, am nächsten Tag noch zu bleiben, wie Sabine mir schon angeboten hat. Das Städtchen gefällt mir nämlich außerordentlich und außerdem lädt mich der freundliche Fahrradhändler am nächsten Tag zu einem fest ein. Nach zwei Weinchen begebe ich mich in mein Zuhause. Wie schnell man sich Zuhause fühlt! Gute Nacht, sage ich zu Sabine, die mich noch zum Frühstück am nächsten Morgen einlädt, falle in mein Bett und lese noch zwei Seiten in meinem Buch und dann bin ich im
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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 19:19
Das Aufwachen im Häusle von Sabine ist herrlich, denn von oben dringt frischer Kaffeeduft in mein Zimmer und ich beeile mich, denn mein Magen knurrt schon wieder.
Sabine hat den Tisch fürstlich gedeckt, ich brauche mich nur zu setzen und lange mit großem Appetit zu. Ich schaue mich verstohlen ein wenig um und stelle fest, hier wird viel gelesen, so daß wir sogleich auf mein Lieblingsthema "Bücher" zu sprechen kommen. Aber schon bald erzählt mir Sabine, wie ihr Leben so verlaufen ist. Ihr Mann sei momentan in Hamburg, hütet die Wohnung des Sohnes, der dort Jugendpfarrer ist und mit seiner Familie verreist ist. Er hat bis zur Pensionierung als Lehrer gearbeitet, beide haben früh geheiratet. Sabine war Katholikin, ist aber dann zum Protestantismus übergelaufen, will sagen konvertiert. Sie hat sich in der katholischen Kirche nicht zuhause gefühlt, gerade zu einer Zeit, als Frauen in den Sechzigern frei und selbstbestimmt, z.B., was die Familienplanung anging, leben wollten. Sabine ist Sportlerin durch und durch, auch heute mit 64 Jahren betreibt sie unglaubliche sportliche Aktivitäten, wie sie mir erzählt. In dem morgendlichen Gespräch entsteht sehr schnell eine Nähe, über die ich mich sehr freue.
 
Das Wetter ist sonnig und sie lädt mich zum Nachmittag zum Schwimmen in den Stadtsee, den Postsee, ein.
 
Aber zuerst mache ich einen Rundgang durch die Stadt, trinke meinen obligatorischen Espresso und erfahre von der Cafebesitzerin das Preetz auch das "Tor zur Holsteinischen Schweiz" genannt wird. Der Ort wird übrigens von drei Seen umgeben. Das Preetz auch Schusterstadt genannt wird, hatte ich ja in meinem vorigen Bericht schon geschrieben. Insgesamt ist Preetz touristisch sehr erschlossen und erfreut sich großer Besucherzahl. Ich zahle, mache mich auf, um meinen am Vorabend kennengelernten Fahrradhändler zu besuchen, erfahre seine Gastfreundschaft in allen Facetten, denn er repariert kleinere Schäden an meinem Drahtesel in seiner Mittagspause, während ich in seinem Büro am Compi sitzen darf. Danach unternimmt er einen Rundgang um den Stadtsee mit mir und erzählt noch so dies und das vom Stadtleben. Dann trinken wir einen Eiscafe und ich erfahre sehr viel über sein Leben, seine Lebensphilosophie und seinen Alltag. Das Gespräch wird l sehr tief, denn es geht ums Loslassen, Älterwerden und die Liebe. Ich lerne ihn als einen Menschen kennen, der einfach zu gut für diese Welt ist und oft an die Falschen geraten ist. Seine Enttäuschungen sind groß. Auch hier wieder die Entdeckung mit wildfremden Menschen eine große Nähe zu erfahren, dass ich alsbald das Gefühl habe, ihn schon ewig zu kennen. Das ist einfach klasse.
 
Als seine Pause zu Ende ist, mache ich eine Fahrt zum nahegelegenen Kloster, dass heute sogar besichtigt werden kann, denn es ist nicht mehr ordensmäßig belebt. Die Bauten sind an Privatleute vermietet und es ist ein idyllisches Wohnambiente entstanden. Ja, hier könnte ich auch leben, gefällt mir sehr gut. Preetz liegt geographisch prima, man ist sehr schnell in freier Natur, in Kiel und in Hamburg, um kulturrell nichts zu verpassen. Und ja, natürlich ist man auch schnell an der Ostsee, aber da werd ich ja noch hinkommen.
 
Ich mache mich wieder auf den Weg zurück zur Sabine und wir machen uns zum See auf und ich werfe mich in die Fluten. Es ist herrlich erfrischend, ca. 18 Grad warm. Danach liege ich gemütlich im Garten und lese endlich in Joe v. Loebens Buch "Atempause". Darin hat er ja über seine Afrikareise geschrieben und von seinen Erfahrungen mit Gastfreundschaft. Im Moment mache ich in unserem Deutschland ähnliche Erfahrungen mit Gastfreundschaft, was man vielleicht selber so nicht mehr geglaubt hätte.
 
Am Abend gibt es ein Stadtfest in Preetz, und mein Fahrradhändler und ich machen uns um 18.3o Uhr auf den Weg. Dort treffen wir auch die netten Leute aus dem Biergarten vom Vorabend wieder und ich erfahre eine regelrechte Welle der Zuneigung und Anerkennung. Wir lachen viel und mein Fahrradhändler will mich dazu überreden, ein norddeutsches Nationalgericht zu essen. Aber bei dem Anblick regt sich in mir heftige Gegenwehr. Sauerfleisch, das ist Sülzfleisch in Aspik, dazu fettige Bratkartoffeln. Nö, das ist nichts für mich. Ich bleibe dann doch lieber bei gebackenen Champingnons in Aioli und danach Scampi-Spieße. Das zweite Glas Pino-Grigio tut sein übriges und die Stimmung wird ausgelassener.
 
Ich werd immer wieder mal in den Arm genommen, die Frau neben mir erzählt mir, wie sie so lebt, dass sie ein bißchen leidet unter ihrem Mann, der so "einkennig" und introvertiert ist und am liebsten zuhause sitzt und dass sie gerne mehr Freiheiten hätte. Daneben sitzt Karl, er hat Bauspeicheldrüsenkrebs und bekommt gerade die dritte Chemo. Schade, erzählt er mir, dass er das Leben erst jetzt entdeckt. Gegenüber sitzt Monika, die ihren Mann vor zwei Jahren verloren hat. Sie waren 44 Jahre verheiratet. Es dauert, sagt sie, bis man wieder auf die Beine kommt, nach einer so langen Zeit.
 
Die kleine Musikgruppe müht sich redlich, zur allgemeinen Stimmung beizutragen. Ich komme auf die Idee, dass sie mal was Kölsches spielen sollen. Aber außer "Verdamp lang her" von BAP kennen sie nix, aber das spielen sie, mit Ansage, auf Wunsch einer anwesenden Kölnerin. Et jeht janz unbeschreiblich ab, und einige singen sogar mit mir den Text mit.
 
Danach wird die Musik brasilianisch und ich hab Lust zu tanzen. Da die Männer, wie immer sich nicht trauen, schnappe ich mir Monika und ab gehts. Monika, die traurige, die eigentlich schon längst gehen wollte, legt jetzt richtig los. Ich muß schmunzeln. So klingt der Abend gemütlich aus und ich begleite meinen Fahrradhändler noch in die schönste Kneipe von Preetz, wo ich noch ein leckeres Bierchen bekomme und dann werde ich brav nach Hause gebracht. Da ich nicht sofort einschlafen kann, schalte ich noch meine "große Liebe" ein und träume ein bißchen vor mich hin.
 
Morgen heißt es Abschied nehmen von Preetz und den netten Leuten.
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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 19:18

So, der Morgen ist da, Abschied von Preetz. Ich sitze das letzte Mal mit Sabine am Frühstückstisch und genieße den schönen Blick in ihren Garten. Wir tauschen noch unsere Adressen aus und dann möchte ich die Unterkunft bezahlen. Und jetzt kommt eine unglaubliche Überraschung für mich, denn Sabine will nichts. Die Blümchen und das schöne Buch, dass ich ihr geschenkt habe, seien schon genug, meint sie, außerdem hat sie immer mal gerne Gäste und sie sei ja auch Radfahrerin und hat schon so manche Übernachtung für ümmesonst bekommen. Laß mal gut sein, sagt sie, nimmt mich in den Arm und drückt mich noch mal. Ich muß schon sagen, so was erlebt man nicht alle Tage, oder? Geld regiert eben doch nicht die Welt, ein letztes Mal ein Küsschen rechts und links, und dann bin ich weg.
 
Natürlich fahre ich auch noch mal bei meinem Fahrradhändler vorbei, der ein letztes Mal mein Rad checkt und auch wir versprechen uns, in Kontakt zu bleiben. Vielleicht kommt er ja mal nach Nippes, wer weiß! Auf jeden Fall habe ich einen neuen Fan für den KSTA-Blog gewonnen, bin gespannt, wann er sich ebenfalls auch anmeldet und den ersten Bericht aus Schleswig, Preetz, reinstellt. Wär doch klasse, oder?
 
Das Wetter ist mir heute nicht sehr gewogen und so beschließe ich den direkten Weg nach Kiel zu nehmen, wo ich mich mit Betrachter treffen will. Der 20 km lange Weg geht entlang der Haupt-Landstraße und ist nicht gerade verzaubernd. Der nun einsetzende Regen tut sein Bestes, mich in eine etwas melancholische Stimmung zu versetzen, denn ich lasse neue liebgewordene Menschen zurück. Der Regen läßt Fauna und Flora dampfen und der typische feuchte Waldgerucht steigt mir in die Nase. Trotzdem hole ich jetzt meinen I-Pod heraus, damit ich die Geräusche der vorbeibrausenden Lastwagen übertönen kann. Bei der Stimmung kommt mir "Seed" gerade recht und meine Laune ist trotz allem beschwingt und ich radele ein wenig zick und zack über den Radweg und so mancher Vorbeibrausender denkt wohl, ist sie betrunken, oder was!
 
Nach geschlagenen 2 Stunden bin ich in Kiel und fahre an den großen Pötten über die Brücke in den Innenstadtbereich. Ich hab jetzt nicht die Gänsehaut und das Brausen des Herzes in mir, als ich Kiel das erste Mal erblicke. Von den Häuserfronten her gesehen, auch nicht anders, wie jede andere Stadt. Und im Zentrum das ganze Procedere wie überall auch, überall hektische kauflustige Menschen und ich bin ein bißchen angenervt, weil ich mich durch die Massen mit meinem Rad vorbeischieben muß. Irgendwie passe ich nicht so recht hierhin.
 
Daher suche ich mir erst einmal ein nettes Cafe, um innerlich anzukommen und meinen Magen, der mal wieder knurrt, zu besänftigen. Das Cafe liegt übrigens in der Altstadt, wieso die in Kiel aber Altstadt heißt, vermag ich nicht so richtig zu durchblicken. Auch Betrachter findet später auf meine Frage diesbezüglich keine Antwort, und er weiß schon viel.
 
Jedenfalls greife ich endlich zum Handy und wähle seine Nummer. Ich bin nun doch ein wenig aufgeregt, jemanden zu treffen, den ich hier durch den Blog kennengelernt habe, auch wenn wir uns schon des öfteren geschrieben haben. Und dann noch seine Gastfreundschaft anzunehmen, also ich brauch schon ein wenig Mut. In einer Stunde ist er da, sagt er mir am Telefon und ich warte der Dinge, die da kommen. Ein Bild hatte ich ja schon einmal von ihm gesehen. Mein Sohn hatte mich zuhause ja noch gewarnt, Mutter, Mutter, ich bin nicht davon begeistert, dass du dich mit einem Blogger triffst. Wer weiß wer das ist, es laufen so viel Verrückte durchs Internet. Nachher zückt der ein Messer oder sonst was. Zur Sicherheit hat er mir ja sein Pfefferspray mitgegeben, man weiß ja nie, Mutter, steck das bloß ein.
 
Nach einer Weile kommt Herr Betrachter links von mir die Straße heraufgeradelt. Ich erkenne ihn sofort und lache über das ganze Gesicht. Auch er kommt freundlich und lächelnd auf mich zu, wir umarmen uns, freuen uns aneinander, der erste Bann ist gebrochen. Komm, lass uns noch einen Kaffee zusammen trinken, sage ich. Ja und dann macht er eine kleine Rundreise per Fahrrad mit mir durch Kiel, um mir das Wichtigste von Kiel zu zeigen. Ich muß sagen, viel ist es nicht. Es ist auch nicht viel, meint er, was es hier zu bestaunen gibt. Ich muß lächeln. Dafür ist es aber im Umland um so schöner, sagt er, aber dazu kommen wir dann noch.
 
Dann fahren wir in Richtung Ruesse, denn dort lebt seine Lebensgefährtin, bei der ich wohnen werde. Die gleiche Beklommenheit und etwas Unsicherheit befällt mich auch hier wieder. Wie wird es sein, wenn ich ihr gegenüberstehe. Zuerst einmal bin ich angenehm überrascht von der wirklich schönen Wohngegend, alles sehr nette kleine Häuschen mit Vorgarten, aber keineswegs spießig. Als ich vor ihrem Haus halt mache, habe ich sofort die Assoziation eines kleinen Hexenhäuschen, so wirkt es auf mich. Wir gehen durch den liebevoll angelegten Garten, in dem kleine Figuren und Skulpturen stehen und in dem noch manch anders zu entdecken ist. Und dann steht sie im Türrahmen, die liebe Frau, um mich zu empfangen. Ob sie wohl genau so aufgeregt war, wie ich? Ich spüre sofort eine Welle der Sympathie, die mir entgegenkommt und so können wir uns zur Begrüßung auch umarmen. Die Sympathie beruht auf Gegenseitigkeit. Das Eis ist gebrochen und das bestätigt sich in den nächsten Stunden. Ich bin gegen 14.3o Uhr angekommen und von da an sitzen wir zu Dritt bis in die Nacht hinein und erzählen und erzählen, vom Leben, von unseren Weltanschauungen und von allem, was uns berührt. Ich bin mal wieder begeistert, wie es möglich ist, dass ich das Gefühl habe, Menschen, die ich eben erst kennengelernt habe, schon ewig zu kennen. Es gibt keine Mauern, die uns umfangen und keine Reserven und dass ist zu schön. So bin ich aus tiefster Seele erfüllt und der Tag war mal wieder wunderschön, der von einem noch schöneren Tag abgelöst wird. Gibt es eigentliche noch Steigerungen?
 
Am nächsten Tag fahren wir nämlich alle nach Lübeck, der Stadt, in die ich mich sofort verliebt habe, da können auch die immer wieder aufkommenden Schauer, die Betrachter gar nicht schön findet, mir nichts anhaben. Betrachter kennt sich super gut aus und hatte schon im Vorfeld ein kleines Dossier für mich ausgearbeitet, damit ich Vorinformationen über Lübeck habe. Leider hab ich die nun doch bei ihm vergessen. Die Stadt ist so was von liebevoll gepflegt und die Häuser gut erhalten und restauriert. Wir gehen durch kleine verwinkelte Gassen, in denen sich manchmal rechts und links kleine Gassen auftun, die in noch kleinere, schmale Innenhöfe führen, die einen gemütlichen Charakter zeigen und davon sprechen, dass hier Menschen wohnen, die gerne beieinander sind. Also, ich werde auf meiner Rückreise auf jeden Fall hier nochmal zurückkehren, denn ich hab noch längst nicht alles gesehen, war weder im Thomas-Mann-Haus, noch im Günther-Grass-Haus. Dafür haben wir eine Führung im Holstentor gemacht, was absolut interessant war, weil ich hier in die Stadtgeschichte Lübecks eingeführt wurde. Es ist klasse gestaltet, so dass man auch mit Kindern dort gut hingehen kann, denn es gibt viel zu entdecken.
 
Unsere Stadttour wird immer wieder unterbrochen von kleinen Ruhepausen in Cafes und auch ein gutes Mittagessen lassen wir uns nicht nehmen. Nach siebenstündiger Tour erlahmen unsere Kräfte und wir treten die Heimfahrt an. Wir sind seelig, aber auch erfüllt. Es ist schön zu sehen, dass auch die Beiden von Lübeck immer noch begeistert sind. So sitzen und liegen wir nun relaxed im kleinen Hexenhäuschen herum und hatten Lust, uns einen schönen Filmabend zu machen, ohne Anspruch. Wir schauen alle vorhandenen Filme durch und entscheiden uns für einen alten Schwarz-Weiß-Film mit Hans Albers, mit dem Titel "Vor Sonnenuntergang", der mich noch am anderen Tag beschäftigt und immer wieder zum Gespräch animiert. Danach darf ich sogar noch ein bißchen bloggen am Compi der Tochter und dann gings ab in die Heia.
 
Da die Beiden mich überredet haben, obwohl dazu nicht viel nötig war, bleibe ich auch noch den folgenden Sonntag, an dem wir gemeinsam noch eine schöne Radtour um den Westensee machen. Das ist das schöne an Kiel, man ist auch hier nach einigen Minuten in freier Natur. Wenn ich mir vorstelle, wenn man in Köln ein bißchen raus will, muß man schon einiges fahren, um den hektischen Straßen zu entkommen und hier begegnet einem nach zehn Minuten schon kein Mensch mehr. Sehr schön. Unser Weg führt uns auch auf den "Tüttenberg" das Naherholungsgebiet von Kiel, der zum einen einen wunderschönen Ausblick auf die unter uns liegende Umgebung bietet mit dem See, aber es ist auch ein magischer Ort und es geht mir hier so, wie den Jüngern, als sie mit Jesus auf den Berg steigen. Laß uns Hütten bauen, denke ich. Ich will hier nicht mehr weg. Ich liege noch ein wenig im Gras und schaue in den sonnenklaren, wolkenlosen Himmel und träume von allem was ist und was noch unerfüllt ist. Dann geht es doch wieder weiter, übrigens natürlich mit kleinen Zwischenstops für Kaffee und Sahnetorte. Der Tag endet Zuhause im Hexenhäuschen mit einem guten Essen, dass die liebe Frau des Betrachters für uns gekocht hat.Danach liegen wir satt und zufrieden herum.
 
Nur ein erster Schatten in diesem Urlaub fällt über mich, als ich mit meiner Mutter telefoniere, denn es geht ihr sehr, sehr schlecht und Angst beschleicht mich, dass sie vielleicht nicht mehr wartet, bis ich nach Hause komme. Da kann ich kaum an mich halten und der ganze Schmerz bricht wieder aus mir heraus und ich weine und weine. Die liebe Frau hat so viel tröstende Worte für mich und hält mich im Arm, bringt mir eine Decke, damit es mir warm bleibt und ich fange mich wieder. Danach erzählt sie mir noch ein Märchen, nur für mich, von einer Maus die Fledermaus werden möchte. Das ist so zart und berührend, dass ich sehr glücklich bin und mich gehalten fühle bei Menschen, die ich so kurz kenne. Auch klopft sie meinen Körper aus, das kann sie prima, damit alle Anspannungen herauskommen. Ich muß es jetzt einfach mal so sagen:"Ich liebe sie, die Beiden"! Dann gehe ich auf mein Zimmer, packe meine Sachen zusammen, denn Morgen heißt es mal wieder Abschied nehmen. Loslassen.
 
Aber es heißt nur Auf Wiedersehen, ganz bestimmt!

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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 19:18

Montagmorgen, Abfahrtstag. Die liebe Frau von Betrachter fährt mich mit dem Auto nach Klausdorf, damit ich nicht erst durch ganz Kiel muß. Das ist einfach sehr nett und liebenswürdig und ich bin sehr dankbar. Das Auto hält, Fahrrad abgesetzt, Rucksack umgeschnallt und dann endgültig Abschied. Ich schaue ihr etwas wehmütig hinterher und fühle mich ein bißchen wie ausgesetzt. Aber so ist es nun einmal, einatmen, ausatmen, festhalten und loslassen, ein immer wiederkehrender Kreislauf.
 
Dazu fühle ich mich an diesem Morgen körperlich ein bißchen schwer, der Blutdruck scheint im Keller zu sein, die Beine wollen nicht so recht die ersten Steigungen angehen, alles liegt lahm. Manchmal muß man sich halt überwinden. Sogleich fahre ich wieder durch einsame Waldgegenden. Ein leichter Nebel liegt in der Luft, Reif liegt auf den Feldern, alles ist so zart und unberührt. Der Nebelschleier erinnert mich daran, dass ich manchmal im Leben die Dinge auch wie hinter einem Schleier sehe, es nicht klar erkennen kann, was passiert. Betrachter hat mir eine Karte mitgegeben und danach kann ich mir die schönsten Wege raussuchen.
 
Es geht über Dobesdorf Richtung Selenter See, den ich von meinem Weg aus unten sehr verträumt liegen sehe. Das Wasser plätschert ruhig vor sich hin, überall sind kleine Stege, die zum baden einladen. In Giekau kehre ich in einen Gasthof ein, der zwar die Türen geöffnet hat, aber noch nicht wirklich offen ist. 10.3o Uhr und mir fehlt ein Espresso. Der Wirt schaut erstaunt und meint, eigentlich, wie gesagt, ist noch nicht geöffnet. Ich lächele ihn an und frage, ob er nicht ausnahmsweise doch einen Espresso für mich machen kann. Ich bin schon weit gefahren. Er griemelt ein bißchen und sagt, o.k., aber es dauert ein Weilchen, denn die Maschine ist noch nicht angeschmissen. Ist egal, sag ich. Ich gehe raus auf die Terrasse, wo ich einen schönen Blick auf den See habe und werfe den Rucksack von mir. Unterwegs hat er mir heute zu schaffen gemacht, denn ich habe blöderweise meine ganzen Bücher in ihn hineingepackt, anstatt in die Packtaschen. Nun, Literatur kann zuweilen nicht nur schwere Kost sein, sondern sie ist auch schwer zu tragen.
 
Endlich kommt der Espresso und ich frage den gemütlichen Wirt, ob er nicht auch ein belegtes Brötchen für mich hat. Hat er natürlich nicht, wie gesagt, ist ja noch nicht offen. Na ja, ich kann ja mal schauen, was in der Küche ist, sagt er dann aber doch und lacht mich an. Er könnte es sich nicht verzeihen, mich auf meinen weiteren Wegen hungrig radeln zu lassen. Und nach einer Weile kommt er mit einer richtigen Brotzeit, großer Teller mit frischem Brot und geräuchertem Schinken, auf den ich mich sofort stürze. Nach getaner Arbeit schmeckts sowieso am besten! So, dann geht es wieder weiter.
 
Als ich von Giekau Richtung Todendorf fahre, meine ich schon Ostseeluft zu riechen und die Luft schein feuchter zu werden, aber von der Ostsee ist natürlich noch nichts zu sehen. Obwohl ich schon so nah an der Küste bin, fahre ich erstmal nach Lütjenburg, um mir nun doch noch das Eiszeitmuseum anzuschauen. Und der Besuch hat sich auf jeden Fall gelohnt. Es ist doch unvorstellbar, dass vor 20.000 Jahren, was für eine Zeitspanne, wenn wir unsere paar Jährchen zählen, eine dicke Eisschicht (wie ich lesen darf, sagen Experten, dass diese Schicht ca. 1 km dick war) den Norden Europas bedeckt hat und somit auch Schleswig-Holstein. Das Museum hat es gut geschafft, diese Epoche interessant darzustellen. Ich bekomme tiefe Einblicke wie Mensch und Tier zu dieser Zeit zusammengelebt haben. Am meisten hat mich der Abdruck eines ca. 12.000 Jahre alten Mammutskelettes.
 
So, nachdem ich nun was für den Kopf getan habe, nun wieder was für die Beine. Lütjenburg wird durchquert, übrigens ebenfalls ein reizendes Städtchen. Von da an geht es nun hinauf zur Ostsee und ich fahre ein gutes Stück den Ostseeküstenweg entlang.
 
Ich kannte ja bisher nur die Nordseegegend und bin sehr überrascht von der still vor mir liegenden Ostsee. Das Klima ist milder und die See ist nicht zu vergleichen mit den rauhen Wellen der Nordsee. Ich brauche keine Stunde mehr, bis ich im Nordseebad Hohwacht ankomme. Ein typisches Ostseebad, geeignet für Familien mit Kindern und Rentnern. Alles wie geleckt, adrett und quadratisch. Fahre erstmal an den Strand hinunter, wo reges Getummel ist, die Strandkörbe belagert, rechts von mir ein kleiner Hafen für Segel- und Motorboote der Gäste. An der Fischbude hol ich mir ein Bier und versuche aus den Leuten eine Übernachtungsmöglichkeit herauszubekommen. Aber hier ist der Norddeutsche eher kühler und einsilbiger, wie im Inland. Jedenfalls bekomme ich nur einzelne Wörter zugeworfen, wie: "Schwer", "Hochsaison", "alles belegt". Nun denn, denke ich, dann man tau und ran an die Suche.
 
An einer Straße entdecke ich ein Schild:"Zimmer frei"! Ich halte, schelle und eine ältere Frau steht mir gegenüber. Nö, sagt sie, für eine Nacht mache sie das nicht. Ich sag ihr, ich mache auch alles selber, Betten auf- und abziehen, aber sie hat kein Erbarmen. An der nächsten Ecke frage ich die Vermieterin von Ferienwohnungen, aber auch sie hat nix in peto, aber am Ende der Straße wohne eine ältere Frau, die vermietet manchmal was, sagt sie. Ich mache mich sofort auf den Weg, klingele und bin erschrocken von der Frau. Sie steht mit nackten Beinen vor mir, die ganz blau angelaufen sind. Im Mund hat sie kaum Zähne. Auf meine Frage hin, ob sie ein Zimmer frei habe, antwortet sie mir, sie hätte eine Garage, die wird manchmal von Gästen angemietet. O.k. sag ich, mir ist alles recht, wenn es nur ein Bett hat. Sie geht mit mir die Treppe hinter ihrem Haus runter zur Garage und schließt die Tür auf. Ich muß sagen, ich bin doch ein wenig schockiert, es müffelt und ist ziemlich düster. Ich hab aber wenig Lust noch weiter zu suchen und sag ihr:"Paßt schon"! Dann nimmt sie mich mit in ihre Wohnung, die ziemlich verwahrlost ist und gibt mir aus dem Schrank frische Bettwäsche, was man so frisch nennt. Sie sei ja schon alt, sagt sie, und schaffe das alles nicht mehr so. Ihr Mann sei an Krebs verstorben, vor zwei Jahren.
 
Also ehrlich, ich bin zwar freundlich, aber ich ermuntere sie auch nicht, mehr zu erzählen. Ich schnappe mir die Bettwäsche, beziehe das Bett und springe unter die Dusche. Dann bloß raus aus dem Loch und ab an den Strand, obwohl es zwischenzeitlich angefangen hat, ein bißchen zu regnen. Trotz allem mache ich einen herrlichen Spaziergang, sammle wunderschöne Steine und Muscheln und kehre zur Fischbude zurück, wo ich mir eine Portion Calamares zum Mittagessen gönne. Dazu ein echtes Holstenbier.
 
Das Dorf will auch noch erkundet werden, aber schnell entdecke ich, dass es nichts Sehenswertes gibt, außer einer Ferienanlage nach der anderen und was sich so "Hotel" nennt, was zwei Fenster und ne Tür hat. Ich finde trotzdem noch ein einigermaßen nettes Plätzchen, wo mich die jetzt wieder hervorscheinende Sonne findet und bestelle ein Glas Pinot-Grigio. Es ist 21.00 Uhr und ich denke, Zeit zum schlafen Röschen.
 
Also zurück zu meiner Garage, die nun noch unwirtlicher erscheint. Glauben Sie an negative Energien an bestimmten Orten? Also, wenn es irgendwo negative Energien gibt, dann hier. Ich leg mich ins Bett und sofort überfällt mich Herzrasen, ein wenig Atemnot, es ist, als wenn ein zehn Zentner schwerer Sack auf mir liegt. Ein bißchen Panik kommt bei mir auf. Ehrlich bisher hab ich noch nie Angst gehabt, aber hier unten in dem Loch, so alleine, fühle ich mich richtig schlecht. Irgendwann mache ich dann doch das Licht aus. Gerade in diesem Moment fühle ich mich ein bißchen wie der Protagonist in Murakamis "Mister Aufziehvogel", der sich immer in einen tiefen Brunnenschacht setzte, um sich zu entdecken und an seine Grenzen zu stoßen, aber schließlich hat der das freiwillig getan, ich ja nur notgedrungen. Irgendwann beruhige ich mich und denke, was passiert, das passiert, du kannst es eh nicht ändern und bin dann auch bald eingeschlafen.
 
Am nächsten Morgen geht es ja weiter!

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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 19:17

Ich bin froh diesen unwirtlichen Ort zu verlassen. Schon um 7.00 Uhr mache ich mich auf den Weg. Frühstück muß warten. Hat ja auch noch nichts auf. An einer Bäckerei, wo ich könnte, steht eine ellenlange Schlange von Touristen. Bin ich verrückt, dass ich mich für ein Brötchen anstelle, da tue ich lieber erst mal was. Direkt hinter Hohwacht beginnt ein wunderschönes Naturschutzgebiet und die Fahrt hierdurch versöhnt mich absolut mit dem Gestern. Es ist einfach bilderbuchhaft, traumhaft. Rechts und links kleine Seen, in denen sich allerlei Gefieder tummelt, noch alles in Schweigen getaucht. Ich fahre über eine kleine alte Holzbrücke, was ich sehr romantisch empfinde. Vor mir liegt die Ostsee in der Morgensonne, die ganz vorsichtig ihre Strahlen durch die Wolken schickt. Morgenstille, leichter Reif überall, der seine Perlen auf den Gräsern wie glasklare Diamanten funkeln läßt. Ein frischer Wind nicht unangenehm, berührt mich ganz sanft und streicht über mein Gesicht. Es würde mich natürlich interessieren, was da alles so an Wasservögeln schwimmt. Karde und Lambertz wüssten es wohl. Ihre Laute sind noch ganz zart und verhalten, so als wollen sie niemanden wecken.
 
Warum denke ich gerade jetzt in diesem Moment der Schönheit auch daran, dass jetzt genau in diesem Augenblick Menschen verhungern, Frauen und Kinder geschlagen werden, wieder andere gefoltert werden, Männer in den Krieg ziehen müssen, für den es sich nicht lohnt, Millionen von Menschen versklavt an das Geld, andere ausbeutend und die Schöpfung nicht achtent. Aber so ist das wohl, jeder Moment der Schönhet hat als Gegengewicht die Trauer, das Häßliche, das Schockierende.
 
Der Weg führt einige Kilometer so weiter. Mir wird bewußt, welcher Zauber ein Morgen haben kann, wenn man noch nicht weiß, was er bringen wird. Im Alltag sind wir Pragmatiker, wissen immer, was zu tun ist, sehen die lange Reihe der Aufgaben vor uns liegen, aber wir erkennen kaum das Geheimnis, das zwischen allem webt, in den Begegnungen mit den Menschen, im Schauen auf das Unerwartete. Mit jedem Morgen beginnt das Leben neu, aber wir vergessen es oft.
 
Ich fahre weiter bis Weißenhäuser Strand, leider an der Landstraße entlang, denn hinter der Ostsee beginnt ein Truppenübungsplatz der Bundeswehr, direkt in einem Waldgebiet. An einer Stelle erschrecke ich heftig, als ich plötzlich einen "Grünen" herauslaufen sehe und in der Ferne höre ich sogar Schießgeräusche. Ehrlich, das gefiel mir gar nicht, ein bißchen unheimlich und bizarr, angesichts des Zaubers am Morgen. Üben für den Ernstfall, wie auch immer, alle Gewalt die von Menschen ausgeübt wird  bringt den Tod, für was nur?
 
Fahre weiter über Oldenburg i.H., was ich eigentlich umgehen wollte, aber der Weg über Wandelwitz ist gesperrt. Einige Zeit hinter Oldenburg gesellt sich ein alleinstehender Herr, Pensionär, wie sich später herausstellt, zu mir und wir fahren gemeinsam ein Stück bis nach Heiligenhafen. Bei jeder Steigung, die wir nehmen müssen, lacht er mir hinterher:"manoman, junge Frau (ich grinse, das kenne ich doch von Kölle), sie haben aber einen Tritt"! Na, es hilft doch nichts, sag ich ihm, es langsam angehen zu lassen, dadurch verlängern wir ja nur das Leiden und grinse zurück. Recht haben sie, sagt er. In Heiligenhafen will er mich zu einem Fischbrötchen einladen. Nee, sag ich, das geht jetzt mal gar nicht auf nüchternem Magen. Ich muß erstmal was frühstücken. Es ist 10.3´0 Uhr und außer ein paar Nüssen, ist mein Magen leer. So verabschiede ich mich von ihm und mache eine Frühstückspause in einem netten Cafe auf dem Marktplatz von Heiligenhafen.
 
Ich schaue mich um und versuche zu entdecken, ob es irgendetwas gibt, was ich wieder erkenne, als ich als Kind hier einmal mit meinen Eltern Urlaub gemacht habe. Aber die Dinge und die Zeiten ändern sich nun mal und ich stelle fest, dass die Perspektive als Kind eine völlig andere ist. Ich war immer dem Irrtum erlegen, man möge mir es verzeihen, das Heiligenhafen an der Ostsee liegt, was aber so nicht richtig ist, denn Heiligenhafen lag einstmals an einer Bucht. Deren Außenkante schob sich aber immer weiter ins Meer, bis die Bucht eines Tages geschlossen war. So entstand eine Landzunge, die man Nehrung nennt, die sich immer weiter schob und heute unweit des Hafens im Meer verläuft. Hier kann man dann den wunderschönen langen Strand finden. Im Hafen kann man einige Fischerboote, wirklich noch uralte Boote, bestaunen. Auch Segelboote von Freizeitkapitänen liegen hier vor Anker. Der Marktplatz ist übrigens nett restauriert mit kleinen Läden und Lokalen, die zum verweilen einladen. Dazu hab ich natürlich keine Lust, da ich fahrsüchtig bin. Ich schwinge mich aufs Rad und weiter gehts.
 
Ein kleines Stück des Weges führt wieder an der See entlang und am Rand eines kleinen Waldes stehen Wohnmobile, wohl über Nacht dort zum Ruhen. An einem komme ich vorbei und sehe das Kennzeichen "K". "Ne Kölner", rufe ich laut und sofort guckt der Mann aus seiner Tür heraus und ruft lachend:"Biste etwa en kölsches Mädche"? Ja sicher dat, erwidere ich, winke und fahre weiter. Gegen 11.30 Uhr erreiche ich Großenbrode und sehe die Fehmarnsund-Brücke vor mir liegen. Sie verbindet seit 1963 Fehmarn und das Festland.
 
Bevor man als Radler auf die Brücke kommt, muß man durch einen Zaun mit Gittertür, nur dieser sehr schmale Weg führt über die Brücke. Ein schönes Bild, denke ich bei mir. Nicht immer ist der breite Weg es, der zum Heil führt. Dann geht es recht steil hinauf. Ich kämpfe mal wieder.Die entgegenkommenden Bergabfahrer bleiben stehen und lassen die Bergrauffahrer vorbei. Die haben Vorfahrt, meinen sie lachend.
 
Auf der anderen Seite angekommen, was keine große weitere Mühe war, denn es war kaum Wind, finde ich sofort Hinweisschilder Richtung Burg. Dort will ich hin, weil meine Nachbarin meinte, da müßte ich unbedingt übernachten, weil es so ein nettes Städtchen ist, der größte Ort auf Fehmarn übrigens. Die Radwege sind teilweise vom Unwetter vom vorherigen Wochenende gesperrt, Felder liegen überschwemmt neben mir. So muß ich die Hauptstraße nehmen, was mich ein bißchen nervt. Ich hatte mir das alles anders hier vorgestellt. Da sieht man mal wieder, was Vorstellungen mit einem machen. Auch bin ich insgesamt etwas enttäuscht von Fehmarn, aber das liegt wohl daran, dass ich bisher immer nur auf den Nordseeinseln war.
 
Die Insel Fehmarn nennt man übrigens auch "Sonneninsel". Angeblich soll sie mit Ausnahme der Insel Rügen und dem Breisgaugebiet die meisten Sonnenntage haben. Wers glaubt! Aber an diesem Tage scheint sie ja auch tatsächlich. Ich fahre noch ca. 5 km, bis ich Burg erreicht habe. Dort trifft mich im wahrsten Sinne des Wortes der Schlag. Um Gottes willen, was geht denn hier, denke ich.
 
Menschenmassen ohne Ende, durch die Geschäfte taumelnd, immer irgendetwas berührend, ohne geht es wohl nicht, mindestens Eis oder Brötchen in den Händen haltend. Touristen mit Totenkopft-shirts, Männer mit kurzen Hosen und Söckchen in den Sandalen und Frauen merkwürdig aufgebretzelt. Und das soll jetzt schön sein! Na warte, Frau Nachbarin. Aber vielleicht bin ich ganz einfach menschenscheu geworden nach den vielen Einsamkeiten in der Natur. Ich gehe erstmal wieder auf Zimmersuche. Aber auch hier, wie schon in Hohwacht sind längst nicht alle so freundlich und entgegenkommend wie im Inneren von Schleswig-Holstein. Mit Ach und Krach finde ich ein Zimmerchen, so muß man es wirklich nennen, denn ich kann vom Bett aus direkt auf die Toilette springen, und teuer ist es auch noch. Nun denn, jedenfalls liegt es nicht im Keller.
 
Am Abend fahre ich noch zum Fischereihafen, trinke mir in einer Kneipe ein Bierchen, Warsteiner, rede ein bißchen mit den Fischern und schaue trotz allem erfüllt der untergehenden Sonne, die wie am Morgen nun über der See ihre letzten Strahlen wirft. Die Bausünden der vergangenen Jahren anhand von drei weiß aufleuchtenden Hochhäusern kann man getrost bei diesem Anblick vergessen.
 
Danach fahre ich nach Burg zurück und da ich immer noch nicht müde bin, gehe ich in eine Bar, wo ich noch einen Absacker trinken will. Dabei beobachte ich das Geschehen um mich herum, alles Ehepaare, schön länger verheiratet. Merkwürdig, bei manchen kann man die Wände, die sie gegeneinander aufgebaut haben, deutlich spüren. Jeder sitzt hinter seinen Mauern, für den anderen nicht mehr wirklich erreichbar. Manche sind in Sprachlosigkeit versunken. Ich meine, es ist schön miteinander schweigend zu sitzen und zu wissen, der eine ist beim anderen, aber Schweigen aus Sprachlosigkeit ist wohl grausam. Neben mir das Päärchen spreche ich an und erfahre, dass sie aus Gummersbach kommen und ihr Urlaub morgen zu Ende ist. Ich bin ein bißchen ihre Rettung an diesem Abend. Nach dem zweiten Cocktail verabschiede ich mich, suche mein Quartier auf, dass ich wegen der Dunkelheit fast nicht mehr gefunden habe und falle ins Bett. Paul Ingendaay mit seinem Buch "Warum Du mich verlassen hast" verhilft mir den Tag hinter mich zu lassen und die Müdigkeit überfällt mich schnell. Aber morgen früh, fahre ich weiter, das geht hier gar nicht länger. Ich will nicht sagen, unbedingt ein negativer Ort, aber keiner für mich!

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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 19:16

Am Morgen werde ich schon um 05.00 Uhr wach, weil der Wind ums Haus heult. Oh je, Sturm ist angesagt. Es ist ein einzigartiges Aufheulen in der Luft und ich lausche dem eine Weile und frage mich, was er wohl erzählt, der Sturm. Autos sind auch schon unterwegs in der Frühe und halten mit ihrem Lärm dagegen. Nein, es gefällt mir hier nicht auf dieser Insel. Um 06.00 Uhr packe ich meine Sachen, spring noch mal unter die Dusche und weiter gehts. In der Bäckerei das übliche Morgenfrühstück, Brötchen und Tee. Um mich herum sitzen vereinzelt Männer, um  ihren ersten Kaffee und ihre Morgenzigarette zu rauchen. War wohl zuhause nicht gemütlich! Ich schau sie mir an und denke, ein bißchen ramponiert sehen die alle aus, verlebt und ein bißchen schaut Traurigkeit aus ihren Gesichtern. Schnell weg hier.
 
Ich radele auf der Hauptstraße zur 10 km entfernten Fehmarnsund-Brücke. Zwischendurch bekomme ich ein bißchen Panik, einmal der Sturm und dann die vorbeibrausenden LKW, in deren Sog ich jedes Mal hineingerate und aufpassen muß, dass ich nicht ins Schlingern gerate und von der Straße abkomme. Es gibt nur einen Seitenstreifen und ich überlege für einen Moment, ob ich hier überhaupt fahren darf. Nach einigen Kilometern kommt dann plötzlich ein Stück Radweg, also ist das wohl doch o.k., der endet aber merkwürdigerweise plötzlich wieder. Also das mit den Radwegen ist echt beschissen hier auf der Insel. So komme ich also an der Brücke an. Direkt an der Brücke fängt hinter einer Leitplanke der Radweg an, aber ohne Durchgang von der Straße. So muß ich erst meine Packtaschen abmontieren, um das Fahrrad drüber zu heben. Juchhu, bloß nicht einfach, aber fluchen lohnt nicht, was solls. Dann kämpfe ich mich über die Brücke, ohne Wehmut, Fehmarn hinter mich zu lassen. Der Sturm braust mir heftig entgegen, ich hab ein bißchen Angst über das Geländer hinweggeweht zu werden.
 
Da ich mir vorgenommen habe, nach Lensahn zu fahren geht mein Weg wieder zurück nach Heiligenhafen, das ich gegen 10.30 Uhr erreiche. Hier meine Espresso-Pause. Auf einer Bank sitzt eine Frau und ich kann meinen Blick nicht von ihr wenden. Schwer einzuschätzen, wie alt sie ist, aber sie sieht ziemlich grotesk aus. Dickes Wangenrouge, wie zwei rote Flecken unter ihren Augen, grell geschminkte rote Lippen, ich würde mal sagen, sie sah aus, wie eine abgehalfterte Bordsteinschwalbe. Mir tut sie sehr leid, wie sie da so sitzt und vor sich hinstarrt. Ich setze mich ins Cafe und da steht sie auf und kommt auf mich zu. Haste ne Zigarette, fragt sie mich? Ja klar, antworte ich ihr und will ihr eine geben. Als sie sieht, dass ich die Zigaretten heraushole, meint sie, oder auch zwei? Ne klar, antworte ich ihr und geb ihr drei. Dann läßt sie sich Feuer geben und kommt sehr nah an mich heran. Die Bedienung im Lokal schaut schon ein bißchen merkwürdig. Na und, sag ich in ihre Richtung, lass sie doch. Dann verschwindet sie.
 
Ich trinke den Kaffee aus und mache mich auf Richtung Oldenburg i.H., unterwegs leichter Nieselregen, der aber immer wieder aufhört. Na ja, denk ich, muß ja auch mal sein. Der Wind wird aber auch wieder heftiger und als ich Oldenburg erreiche fängt es an, aus allen Wolken zu schütten. Juchhu, was für ein Spaß. Das erste Mal, dass ich Regenhose, Cape und Regenmütze brauche. Die Mütze muß ich mit einer Haarklammer befestigen, weil sie mir der Wind immer vom Kopf weht. Jetzt sind es noch 15 km bis Lensahl und ich fahre durch ein einsames Waldgebiet. Jau, jetzt beginnt der Kampf gegen Sturm und Regen. Ehrlich gesagt, mir macht es nicht mal was aus, im Gegenteil, es spornt mich regelrecht an. Es ist still im Regen, alles hat sich zurückgezogen. Nur ich radele durch den klatschenden Regen. Ich hab das Gefühl, die ganze Schöpfung spricht in diesem Moment von längst Vergangenem, was sie erlebt und gesehen hat.
 
Ich kämpfe die Steigungen hinauf und singe dabei meinen Lieblingspsalm:
 
Das Tal des Weinens durchschreitend, macht er es zur Quelle, es wächst während des Weges seine Kraft, bis er zum Zion kommt, für mich ist ein Tag in deinen Höfen, mehr wert als tausend Tage sonstwo, lieber stehen an der Schwelle deines Hauses, als wohnen in den Palästen der Mächtigen.
 
Genau so ist es, die Kraft wächst, wenn man standhält in schweren Momenten. Beim Fahrradfahren wächst die Kraft auch gerade. Man kann dem Leiden nicht ausweichen, sondern man muß kämpfen.
 
So singend erreiche ich Lensahl, wo ich auch ohne Umstände ein Zimmer finde.
 
Jetzt kommt die Überraschung des Tages, denn mein Fahrradhändler hat sich angesagt, er hat heute seinen freien Nachmittag und er hat sich auf den Weg gemacht, um mich abzuholen und mir noch ganz viele schöne Orte im Umland zu zeigen. Ich freue mich riesig.
 
Zuerst einmal fahren wir mit seinem schönen Auto durch Kasseedorf durch einen dichten Tannenwald, was ich so hier noch nicht gesehen habe bei meiner Fahrt. Dann geht es weiter nach Eutin, denn diese kleine Stadt müßte ich unbedingt gesehen haben, sagt er. Und sie ist wirklich absolut schön, mit all den nett restaurierten Fachwerkhäusern und dem schönen Schloß, das direkt am See liegt. Am Ufer steht eine Skulptur, die mich sehr anspricht. Sie nennt sich "Die Schauende"! Es berührt mich deswegen, weil ich gerade das Gefühl habe, auf diesem Urlaub eine Schauende gewesen zu sein, auf die Natur, den Menschen, denen ich begegnet bin und auf alles, was passiert ist, ohne dass ich etwas dazu getan habe. Der Mensch an sich hat das Schauen verlernt, gerade auch das Schauen auf die Schöpfung und wie sollen wir sie bewahren, wenn sie uns fremd geworden ist. Danach gibt es "Prummekuchen" im Stadtcafe.
 
Dann fahren wir zur Bräutigamseiche. Übrigens der einzige Baum in Deutschland, wo die Post Briefe zustellt. Die Legende sagt, dass sich hier zwei Liebende, denen verboten war zu heiraten, sich hier getroffen haben unter dieser Eiche. Und erst nach langem Kampf haben sie die Einwilligung zur Hochzeit bekommen und haben sich dann unter dieser Eiche trauen lassen. So soll der Baum Glück bringen für Singles, die einen Partner suchen. Man schreibt hierher und derjenige, der den Brief findet, kann ihn an sich nehmen und ihn beantworten. Es wird gesagt, dadurch sind schon mindestens 100 Ehen geschlossen worden.
 
Ein 50 m hoher Turm wird auch besucht, von dort habe ich einen herrlichen Ausblick auf die ganze Umgebung, sogar die Schiffswerft in Kiel kann man am Horizont sehen. Ich hab sogar meine Höhenangst überwunden.
 
Danach fahren wir zum höchsten Punkt Schleswig-Holsteins, dem Bungsberg. In meinem Outdoorführer steht, dass er 168 m hoch ist, vor Ort steht ein Schild mit 166 m, weiter ein Schild mit 164 m, was ist nun wahr? Na ja auf die paar Meter kommt es ja auch nicht an. Heute steht an dieser Stelle ein Fernsehturm. In Zeiten des Krieges war dort ein wichtiger strategischer Punkt.
 
Wir fahren auch noch nach Bad Malente, der Kurstadt überhaupt. Unzähliche Kurkliniken liegen hier vor Ort, und so mancher wird hier seinen Kurschatten gefunden haben. Malente liegt übrigens ebenfalls an einem See und von dort aus kann man wunderschöne Fahrten mit dem Dampfer über die sogenannte Fünf-Seen-Platte Schleswig Holsteins machen. Uf, jetzt bin ich aber geschafft und kann nichts mehr aufnehmen.
 
Da wir Hunger haben, fährt mich mein Fahrradhändler noch zu einem ungewöhnlichen Restaurant. Dazu gibt es eine Vorgeschichte. Und zwar gab es in Lensahl einen Menschen, dessen Traum Amerika war. Da er aber selbst nie dorthin fahren konnte, dachte er sich, hole ich mir Amerika eben nach Lensahl. Und so entstand hier das "Chrome-Restaurant - Original American Dinner- ". Er baute hier also ein kurioses amerikanisches Plastik-Restaurant hin. Es sind zwei aneinandergestellte Container, total verchromt und überall blitz und blinkt es, amerikanisch eben. Wat kostet Energie schon! Innenausstattung alles Kunststoff und Plastik, rote Kunststoffledersitze und auch hier blinkt und blitzt es alles metallic. Wenn man reinkommt, wird man nach amerikanischer Art vom Kellner an seinen Tisch geführt. Das hat schon was. Essen eben auch typisch amerikanisch, Burger, Sparribbs und American-Pizza und dazu amerikanisches Bier. Ich bestelle einen Edel-Hamburger, nicht zu vergleichen mit den gummiartigen Massen von McDonalds und er hat super lecker geschmeckt. Ich glaub, ich hab vor zehn Jahren meinen letzten Hamburger gegessen. Auch das Bier schmeckt herrlich nach dem langen Tag.
 
Das anregende Gespräch läßt die Zeit wie im Fluge verstreichen und es wird mal wieder Zeit Abschied zu nehmen. Wir sagen uns Auf Wiedersehen und ich denke, ja, es ist bestimmt der Anfang einer hoffentlich noch lange währenden Freundschaft.
 
In meinem Quartier schreibe ich noch ein bißchen Tagebuch, als plötzlich ein mir bekanntes Summen und Surren meinen Kopf erreicht. Shit denke ich, ne Mücke. Aber die krieg ich schon noch vor dem Zu-Bett-gehen. Da sie mich nicht in Ruhe läßt, stehe ich genervt auf und versuche sie zu erschlagen. Ich nehme meinen Outdoorführer als Waffe und los geht es. Mücken merken, wenn man sie schlachten will. Die sind echt intelligent. Aber ich krieg sie, Ruhe ist trotz allem nicht, denn ich sehe vor Grausen, dass in meinem Zimmer ungefähr 30 Mücken an den Wänden sitzen und sich schon freuen, mich zu verspiesen. Das ist ja der reinste Horror, denke ich. Und nun fange ich an, eine nach dem anderen zu erschlagen. Mein Outdoorführer sieht ziemlich mitgenommen aus. Eine wahre Mordlust steigt in mir hoch. Peng, patsch, noch eine. Es ist der reinste Spießrutenlauf. Es wird ein arbeitsreicher Abend. Um 24. Uhr geb ich auf, weil ich vor lauter Mücken an der Wand nicht mehr sehe, welche lebt und welche schon tot ist. Ob Mücken eigentlich auferstehen, denn manchmal hab ich das Gefühl, die Toten sind auch wieder weg. Erschöpft leg ich mich ins Bett, um aber jede Stunde wieder von dem Gesurre aufzuwachen und erneut schlaftrunken auf Jagdt zu gehen. Super Nacht war das. Trotzallem ist mein Körper morgens von Quaddeln übersäht, ich glaub in diesem Zimmer war ein Mückennest. Ob ich das wohl vom Preis abziehen kann, wegen seelischer und körperlicher Grausamkeit?
 
Ehrlich das war die sogenannte "Nacht der langen Messer" und am Morgen fühle ich mich dementsprechend wie zerschlagen.
 
Na ja, man muß alles mal erlebt haben, oder?

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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 19:15

Das Frühstück am Morgen versöhnt mich mit der Mücken-Nacht. Ich sitze im Metzgerladen hinter der Theke und es ist wahrlich reichhaltig, kann ich gar nicht alles essen, zwei Eier, wer ist schon zwei Eier am Morgen. Abschied und los geht es. Meine Fahrt führt mich über Schönwalde nach Neustadt, denn ich hab kurzer Hand beschlossen, doch noch einmal an die Ostseeküste zu fahren und ich muß sagen, ich hab es nicht bereut. Schon als ich den Berg herunterfahre und an den Hafen komme bietet sich mir nach einiger Zeit ein wunderbarer Blick auf die Ostsee mit herrlich strahlender Sonne und ich kann mich nicht wehren, als ein Schrei aus meinem Munde erklingt, so schön ist das. Juchhu!
 
Der Weg führt direkt an der Küste entlang, an vielen kleinen touristischen Orten, wie Timmendorfer Strand, die natürlich alle sehr touristisch sind, aber es ist in Ordnung. Mein Blick bleibt nur an der Ostsee haften, auf denen ich manchmal kleine Segelboote dahinschippern sehe, manchmal auch einen einzelnen Surfer. Dann sehe ich eine alte Holzbrücke und denke, mensch, war das nicht die Brücke, auf der ich damals als Kind spazieren gegangen war und unter mir die Fische beobachtet hatte, was mir merkwürdigerweise immer im Kopf und im Herzen geblieben ist.
 
Da mir das Stimmengewirr von außen zu viel wird, setze ich meinen I-Pod dazu auf und untermale mir den schönen Blick mit Musik von Coldplay und Leonhardt Cohen. Ich bin wirklich verträumt an diesem Morgen. Meine Fahrt geht bis Niendorf, Travermünde und von dort dann wieder ins Inland zurück Richtung Lübeck. Die Sonne wechselt sich unterwegs mit schwarzen Wolken ab und es ist zu schön zu sehen, wie die Landschaft sich unterschiedlich in Hell und Dunkel verwandelt. Auch das letzte Stück vor Lübeck fahre ich ca. 10 km lang durch einen absolut einsamen Wald, bis ich dann die Lübecker Stadtgrenze erreiche.
 
Mein Tacho zeigt 70 km an, mal wieder ein paar kleine Irrungen und Wirrungen dazwischen gewesen. Ich muß mit dem Shuttle-Bus durch einen Tunnel, da man als Radfahrer dort nicht fahren darf. Dann noch mal 5 km und ich bin im Zentrum und auch ein wenig geschafft. Das erste Hotel hinter der Burgmauer ist meines, witzigerweise nennt es sich "Schwarzwaldhotel" und ich bekomme auch ein Zimmer zu einem annehmbaren Preis, der für Lübeck in Ordnung ist. Ich lass mich erst mal aufs Bett fallen und fühle mich sehr wohl in dem Zimmerchen. Lübeck, du hast mich jetzt eineinhalb Tage. Heute mache ich erstmal einen kleinen Stadtrundgang, trinke am Abend in einer kleinen Jazz-Bar mit netten Leuten und kleinen Smal-Talks meine zwei Pinot-Grigio und bin glücklich.
 
Am Morgen bleibe ich den ersten Tag einmal bis 08.00 Uhr im Bett. Mein Körper meldet sich ein bißchen, aber vielleicht ist es ja auch ein bißchen Wehmut, denn Lübeck ist ja mit einer meiner letzten Etappen. Es bleiben noch Mölln und Lauenburg. Ich war schneller als eingeplant, trotz zweitätgier Pause in Preetz und in Kiel. Außerdem rufen mich die Sorgen um zuhause und ich denke, es ist ganz gut, noch zwei drei Tage in Köln wieder zu mir zu finden.
 
Aber jetzt folgt erstmal Frühstück und dann mache ich mich mit Stadtplan bewaffnet auf. Zuerst natürlich das Günther-Grass-Haus. Unterwegs entdecke ich noch einmal ein kleines Kleinod, ansolut nett, nämlich wirklich noch eine "alte Drogerie" im alten Stil, sozusagen eher ein Gemischtwarenladen. Ich gehe rein und werde überfallen von Düften nach Veilchenwasser, Tosca und Speickseife. Klammerlieseln, Kämme, Haarklammern, Türvorleger, Badelatschen, alles quer durcheinander. Vor dem Laden ein großes Werbeschild" 4711 eau de cologne", ich schmunzele. Auch einen der schönen "Wandelgänge" entdecke ich nochmal, die mir Betrachter schon beim ersten Mal hingebungsvoll gezeigt hat, und ich bin wiedermal verzückt. Es sind kleine Hausdurchgänge, sehr schmal, man darf nicht groß sein, die in kleine ebenso schmale Hinterhöfe führen, die unglaublich liebevoll, gleich einer Oase in hektischer Umgebung, gestaltet sind. Einfach traumhaft! Eine schöne Wohnkultur, man spürt, dass die Menschen hier gerne leben.
 
Aber jetzt ab ins Grass-Haus, das vom Freundeskreis "Günther Grass - Forum für Literatur und Bildende Kunst - gegründet wird. Grass hat im oberen Stockwerk sein Sekretariat und ist wohl auch zu Zeiten hier anwesend. Das Forum selbst hat sich dem Thema "Vielfachbegabungen" von Künstlern gewidmet, darunter eben auch Günther Grass. Auch eine Sonderausstellung Goethes hat es schon gegeben. Ich bin wirklich beeindruckt von der Kreativität Grass, dessen Vielseitigkeit bisher an mir vorbeigegangen ist. Natürlich kannte ich seine Zeichnungen, aber nicht die ausdrucksstarken Bildhauereien in Form von Skulpturen und seine Aquarellmalereien.
 
Sehr interessant noch einmal die Diskussionen zu verfolgen, die im letzten Jahr durch das Geständnis von Grass zu seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS entstanden sind und der damit verbundene Aufschrei in der Presse und die hämischen Stellungnahmen einiger Kollegen. Ich muß sagen, ich selber hatte nie ein Problem damit, denn wer Grass-Bücher gelesen hat, wird wohl kaum verneinen können, dass sie immmer auch von den Tagen erzählten, da er noch glühender Verehrer der Nazis gewesen war.
 
Die Frage, warum sich ein Mensch so spät in die Jahre gekommen, darauf besinnt, sich zu outen, ist mir nie gekommen. Mir wird immer klarer, je älter man wird, um so mehr möchte man sein Leben in Ordnung bringen und geklärt wissen. Es ist für mich nie eine Frage des "Wanns" gewesen sondern es geht doch um das "überhaupt"! Die Häme gegenüber einem Menschen, der sich schriftstellerisch, künstlerrisch und politisch einen großen Namen gemacht hat, fand ich damals sehr entwürdigend und war für mich wieder mal ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, des Menschen an sich. Du kannst Einsichten haben, dich bekehren, ein gutes Leben führen, aber sobald man einen schwarzen Flecken findet, wird der Stein geworfen. Aber wie heißt es so schön:"Wer frei ist von Sünde, der werfe den ersten Stein..."! Meine Devise ist immer, soll jeder doch vor seiner eigenen Haustüre kehren, auf seine eigenen Leichen schauen und nicht die der anderen suchen. Einem Menschen, der mit 17 Jahren nicht durchschaut hat, was ist, der ebenso wie andere der Verblendung zum Opfer gefallen ist, der verdrängt hat, dafür dann zu verurteilen, ja was soll man dazu noch sagen. Der Mensch greift zur Verdrängung, wo der Schmerz und die Scham über das Gelebte oder Erlebte zu groß ist.
 
Wie sagte Nietzsche einst:" Das habe ich getan, sagt mein Gedächtnis. Das kann ich nicht getan haben, sagt mein Stolz"! Wobei wir zum Thema kommen könnten, warum Stolz in der kath. Kirche einer der sieben Todsünden ist. Wer sich selbst nicht kennt und seine eigenen Defizite nicht anschauen will, kann sich nicht bekehren, wird immer Verurteiler bleiben, so ist das nun einmal. Nur der, der seine eigenen Schatten sieht, kann versöhnlich und urteilsfrei mit anderen umgehen.
 
Grass hat übrigens sehr gut auf die ihm entgegengebrachte Häme reagiert, in dem er es in seinem lyrischen Band "Der dumme August" auf- und verarbeitet hat. Wer die Wahrheit über dich selbst sagt, bleibt am Ende der Dumme in den Augen der anderen.
 
So, jetzt gab es erstmal einen Espresso, bevor ich ins Buddenbrooks-Haus ging. Ich muß in diesem Moment gestehen, mit Schamesröte als Buchhändlerin, dass ich den Roman "Die Buddenbrooks" bis heute nicht gelesen habe, aber das werde ich jetzt sofort zuhause nachholen.
 
Von der Geschichte der Familie Mann bin ich mal wieder absolut beeindruckt, die ich am Anfang der Ausstellung biographisch verfolgen kann. Der Vater Hanseate, die Mutter Brasilianerin hat das Leben der beiden Brüder mit zwei verschiedenen Welten beeinflußt und sie geprägt. In der ersten Etage dann auch die Ausstellung, die sich auf den Roman "Der Untertan" bezieht.. Diejenigen, die es gelesen haben werden wahrscheinlich genau so wie ich fasziniert gewesen sein über die Entwicklung eines Menschen in den Zeiten des Deutschen Kaiserreichs. Dieser Untertanen-Geist, der in so vielen Menschen lebt und webt, und der ja dann im späteren Nationalsozialismus dazu geführt hat, dass es so weit kommen konnte. Der Mensch, der von Kindesbeinen an dazu dressiert wird, absolut gehorsam, zu glauben und zu fressen, was man ihm vorsetzt. Nach außen hin eine immer härter werdende Stärke zeigt, im tiefen Inneren aber selber verletzlich sein, einer der nach oben strebt, aber nach unten hin ausschlägt. Da erscheinen einem z.B. die Geschwister-Scholl wie Diamanten in einer solchen Welt, die unter Gefahr ihres eigenen Lebens, sich aufgelehnt und den Mund nicht gehalten habe. Noch vor kurzem habe ich den autobiographischen Film gesehen, der mich sehr beeindruckt hat.
 
Die Ausstellung zeigt im übrigen auch den hervorragenden Film von Wolfgang Staudte "Der Untertan", den er 1951 für die DEFA machte. Der Film war dann damals Anlaß für einen Widerstreit zwischen Ost und West. Im Osten wurde er gefeiert, im Westen wurde er Opfer der Filmzensur. Staudte ging es in dem Film gerade auch um den psychologischen Ursprung des Faschismus. Klasse Film! So kann man sich in der Ausstellung intensivst gerade auch mit dem zeitlosen Thema nach dem Verhältnis zwischen Individium und Institution, Bürger und Staat, auseinandersetzen. Gerade jetzt so wichtig, wo immer deutlicher wird, dass die Demoktratie bröckelt und wir nicht wissen, wohin es führen wird.
 
So, jetzt erstmal den Magen beschäftigen, denn der knurrt jetzt erheblich. Danach nehme ich noch an einer Führung des Lübecker-Rathauses teil, die sehr interessant und informativ gehalten wird. Heute noch hat der Bürgermeister und die Bürgerschaft dort noch ihren Versammlungsort. Das Gebäude an sich ist schon sehr majestätisch, wie es da so auf einem Arkadendurchgang aus Kreuzrippengewölbe ruht, unter denen in früheren Zeiten Goldschmiede ihre Bunden hatten und wo die Ratswaage stand. Man sieht Bilder im Haus, die Szenen der Stadtgründung zeigen, die Ausstattung schwankt zwischen Spätbarock und Rokoko. Ein Besuch des Rathauses lohnt sich allein schon wegen der beeindruckenden Tür, die in den Rechtssaal führt, denn sie hat zwei Ein- oder Ausgänge, wie man es nimmt. Ging man aufrechten Hauptes hinein und wurde freigesprochen, kam man auch aufrechten Hauptes wieder hinaus. War man schuldig gesprochen, mußte man sich gebückt durch den anderen, niedrigeren Teil der Türe davonschleichen.
 
Insgesamt ist Lübeck für mich ein Gesamtkunstwerk, liebevoll restauriert, vor allem auch das Holstentor, aber das hab ich glaube ich, an anderer Stelle schon geschrieben. Das Geld fließt im übrigen auch aus großen Stiftungen, sonst wäre das nicht möglich. Lübeck gehörte zu früheren Zeit zu den fünf bedeutentsten Hanse-Städten Europas. Zu recht ist es Weltkulturerbe.
 
Ach ja, natürlich war ich auch im Marzipanmuseum, hm, lecker, lecker, die Geruchs- und Geschmackssinne kamen voll auf ihre Kosten. Und, ob ihr es glauben wollt oder nicht, am Abend war ich dann noch im Kino, denn ich fand das Filmhaus einfach so schön, nette Leute, nette Athmosphäre, so dass ich mir das als Cineast nicht entgehen lassen konnte.
 
Das wars dann aber auch. In der Hotelbar gab es noch zwei Bierchen und dann fiel ich ins Bett. Am anderen Morgen hieß es, Abschied nehmen von Lübeck!

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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 19:14
Die letzten zwei Tage bin ich eigentlich nur noch geradelt. Am Donnerstagmorgen bin ich von Lübeck aus, direkt hinter dem Holstentor auf den Elbe-Lübeck-Kanal gefahren. Die vorherigen Warnungen, einen so einsamen und rustikalen Weg alleine mit dem Fahrrad zu unternehmen, habe ich wie üblich in den Wind geschlagen und das war auch gut soAber was tatsächlich stimmt, man fährt im Prinzip 65 km immer geradeaus, links der Elbe-Kanal, ab und zu fahren dort ein paar kleine Motorboote, die ich locker mit meinem Rad überholt habe, ein kleiner Winker hier und da, ein paar nette Worte zugerufen. Die Boote fahren immer bis zur nächsten Schleuse, um dann dort auf die Weiterfahrt zu warten. Rechts des Weges wechselnde Landschaftsbilder, mal dichter Wald, mal weite Felder und Wiesen, absolut, wie immer idyllisch, romantisch, einsam, still, meditativ. Der Kanal sucht sich in kleinen Verschlingungen seinen Weg durch die Natur und es ist wie immer unglaublich schön, mit diesem Blick auf den Fluß dort entlang zu fahren.
 
Das Wetter ist sonnig, ab und zu kleine schwarze Wolken am Himmel und man bekommt jedesmal ein anderes Stimmungsgefühl beim Blick auf den Fluß in diesen unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Am schönsten ist es, wenn die Sonne mit ihren Strahlen kleine Lichter auf das Wasser zaubert, manchmal dachte ich, wie tausend Sterne die blinkend vom Himmel ins Wasser gefallen sind. Das Schilfrohr am Rand verneigt sich vom Wind dazu getrieben vor der Schöpfung. Das Geräusch des Windes in den vielen Silberpappeln am Rand ist flüsternd und zärtlich. Wie gesagt, auf dem ganzen Weg sind mir vielleicht mal 5 Radfahrer an diesem Morgen entgegengekommen. Unterbrochen von einer kleinen Pause in einem Cafe abseits des Kanals in Giesau, bei der ich Eva aus Hamburg kennenlerne, weil ich mich an ihren Tisch setze und wir sofort, unglaublich mal wieder, in ein sehr persönliches Gespräch kommen und die mich beim Abschied herzlich in den Arm nimmt und noch sagt, man trifft sich immer zweimal im Leben, na dann schaun wir mal, sag ich zu ihr, fahre ich bis Lauenburg, einem kleinen Städtchen bestehend aus Unter- und Oberstadt an der Elbe.
 
Die Oberstadt, in der ich zuerst ankomme, entsetzt mich ein bißchen, völlig öde und trist, Hochhäuser, Schnellfahrstraße durch den Ort. Aber als ich dann die kopfsteingepflasterte, stark abfallende Straße hinunter in die Altstadt komme, bin ich schon verzückt. Wunderschöne alte Fachwerkäuschen säumen die Straße, mal wieder ein Bild, wie aus einer vergangenen Welt. Lauenburgr ist im zweiten Weltkrieg weitgehend von der Zerstörung verschont geblieben, daher ist alles noch so schön erhalten. In der Nähe Lauenburgs befindet sich übrigens die älteste Schleuse Deutschlands, die Palmschleuse, an der ich am anderen Tag noch vorbeikommen werde. Der einzige unten in der Stadt, direkt an der Elbe liegende Gasthof hat ein Zimmer frei und so ging alles reibungslos über die Bühne. Nach einer Erfrischung auf meinem Zimmer setze ich mich auf die Terrasse, die direkt an der Elbe liegt und einen wunderschönen Blick auf die davor und dahinterliegende Landschaft bietet. Was soll ich eigentlich immer anderes sagen, als traumhaft, zauberhaft, wunderschön. Ich genieße meinen Cafe, erzähle am Nachbartisch mit einem Mann, der mit seiner Mutter einen Tagesausflug aus Hamburg macht und der mir mitteilt, dass er in den nächsten Tagen seinen Hausstand auflöst und in ein 18 m langes Segelboot ziehen wird, um damit von Ort zu Ort zu segeln. Auch klasse, oder!
 
Am späten Nachmittag bekomme ich einen Anruf von meinem Bruder, dass es der Mama nicht so gut ginge und so wird mein Entschluß gefestigt, am nächsten Morgen aufzubrechen und nach Hause zu fahren. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass es sowieso nicht schlecht ist, weil ich mich noch um so vieles kümmern muß, Pflegeantrag, Patientenverfügung usw.usw. und es ja auch nicht schlecht ist, zuhause noch ein bißchen anzukommen, bevor der Arbeitsalltag einen wieder gefangen hält.
 
So fahre ich am Samstagmorgen o8.oo Uhr von Lauenburg los, allerdings hatte sich die am Vortag angekündigte Magen-Darm-Verstimmung manifestiert und ich fühlte mich ziemlich schlapp, der Schädel brummte und leichte Schweißausbrüche zeigten sich an meinem Körper. Nun, was solls, ich konnte es jetzt auch nicht ändern. Ändern hätte ich den Weg gekonnt, aber da ich unbedingt durch das vom Führer als wunderschöne bezeichnete 1o km lange Wäldchen fahren möchte, bevor ich wieder an der Elbe vorbeikomme, muß ich halt ein bißchen leiden. Denn Die Wege sind unglaublich rustikal mit großen Steigungen, manchmal stehe ich nur auf der Bremse und versuche das Rad zu halten, damit es mir auf dem steineübersääten Boden nicht wegrutscht.
 
Das Anfahren der Steigungen kostet mich enorme Kraft und so ungefähr mitten drin blockiert etwas meine Kette. Ach du sch... denke ich, jetzt stehste hier in der Pampa und das am letzten Tag. Nach langem Untersuchen finde ich das Übel, ein kleiner Baumzweig hat sich unter meinem Kettenschutz festgesetzt und blockierte das weitere Drehen. So war der Fehler gott sei dank schnell behoben und anscheinend hat der Gedanke, dass ich die nächsten 5 km hätte schiebend durch den Wald laufen müssen, meine Kräfte wieder mobilisiert und ich komme die letzten Kilometer gut voran. Immer wieder laufen Eichhörnchen über den Weg, Spechte klopfen an die Bäume und einmal sehe ich sogar ein Reh, ich glaube jedenfalls, dass es eins war. Also ihr könnt euch vorstellen, wie ruhig es war.
 
Zwischendurch mache ich Rast um eine Cola zu trinken, soll ja gegen Durchfall helfen. Die letzten Kilometer bis Hamburg überkommt mich doch ziemliche Wehmut, das jetzt alles hinter mich zu lassen. Die Tage sind wie im Flug vergangen, ich kann zurückschauen auf wunderbare Zeiten mit mir allein und noch schönere Tage mit lieben Menschen, die ich kennenlernen durfte und ich hoffe, dass diese Verbindungen auch über den Urlaub hinaus bestehen bleiben, jedenfalls ist das mein Wunsch. Die Reise mit dem Rad hat mich ja nicht nur ein Stück durch unser Deutschland geführt sondern es war auch eine Reise zu mir selber.
 
Unterwegs kommen Gedanken, Wünsche und Sehnsüchte endlich mal heraus, die im Alltag immer wieder unterdrückt werden, weil keine Zeit bleibt, es zu leben. Ich hab mich selber ein Stück mehr erkannt. Das Alleinsein empfand ich als absolute Bereicherung. Wer wirklich allein mit sich selber klar kommt, kann auch gut in Gemeinschaft leben, weil man lernt, mit sich selber zufrieden zu sein und keine Erwartungen an den anderen zu haben. Ich denke, mein Selbstbewußtsein ist auf diesem Weg ein großes Stück gewachsen, insofern war es auch eine gute Vorbereitung auf noch größere Touren, die ich auf jeden Fall in den nächsten Jahren unternehmen werde. Gerne würd ich auch andere Teile Deutschlands auf diesem Wege kennenlernen. Nichts lernt man so gut wie wenn man es praktisch tut. In Erwägung ziehe ich z.B. mal den ganzen Rhein rauf und runter zu fahren oder die Donau, das Weserbergland, ach es gibt ja so vieles zu entdecken in unserem schönen Lande. Ich muß sagen, ich war immer wieder erstaunt, wenn mir Menschen unterwegs den Respekt davor zollten, dass ich so allein unterwegs war.
 
Mir ist das eigentlich gar nicht so merkwürdig vorgekommen, ich hab das gar nicht als schwer oder riskant erlebt. Man setzt sich aufs Rad und fährt los, so einfach ist das. Man muß nur einen Anfang finden und der Entschluß dazu kam ja auch relativ spontan. Viele meinten auch, dass ist doch kein Urlaub, solche Mordsstrecken am Tag zurückzulegen, aber auch hier muß ich sagen, dass ich da ein Stück zu mir selber gefunden habe. Ich weiß, dass ich das im Alltag immer sehr vermisse. Ich hab mir selber gegenüber bestätigen können, ich bin ein absoluter Bewegungsfan, nur in der Bewegung kann ich meine Anspannungen, Sorgen und Nöte loslassen und mich befreien und einen klaren Kopf bekommen. Das muß nicht unbedingt das Fahrrad sein, ich könnte auch gut zu Fuß gehen. Hauptsache draußen in der Natur und Bewegung.
 
Mit all diesen Gedanken fahre ich in Hamburg gegen 13.3o Uhr ein. Großstadt! Lärm! Menschenmassen, schon allein deswegen, weil an diesem Tag ein Radturnier quer durch die Stadt geht. Ich komme mir vor, als wenn ich von einem anderen Stern in eine Welt gefallen wäre, die mir fremd geworden ist. So fahre ich mit dem Rad bis zum Hauptbahnhof und da mir unterwegs der Ständer abgebrochen ist, kann ich es nicht draußen stehen lassen, sondern muß es mit in die Reiseinformation hineinnehmen. Der Ordner schaut ein bißchen böse, aber ich erkläre ihm und er verspricht mir, auf mein Rad aufzupassen. Meine Idee war, nachzufragen, wann der nächste Zug am anderen Tag nach Köln fährt und dann noch eine Nacht in Hamburg zu bleiben. Als er aber dann sagt, der nächste Zug führe um 14.36 Uhr von Hamburg nach Köln entschließe ich mich spontan dazu, direkt zu fahren, so wie ich bin, nach der langen Tour am Morgen.
 
Da ich nicht reserviert hatte, kann man immer nur von einem auf den anderen Tag, meinte der Beamte, es könnte schwierig werden mit dem Rad, aber ich könnte es ja versuchen und wenn es nicht klappt, zurückkommen und das Ticket eintauschen für den morgigen Tag. So spurte ich auf das für mich bestimmte Gleis, warte noch eine halbe Stunde, bevor der Zug einfährt. Einige Reisende mit den Rädern stehen bei mir und es ist ein absolutes Chaos beim Einsteigen. Räder, die Reservierungen hatten, finden ihre Plätze nicht, Räder, die keine Reservierungen hatten, so wie meines, werden mit Hilfe von schon anwesenden Radfahrern über die anderen hinübergehoben und irgendwie untergebracht. Chaos perfekt, aber irgendwie cool. Als dann alles verstaut war, werfe ich meine Packtaschen zwischen die Räder und versuche mir einen Platz in dem Abteil zu sichern. Leider vergeblich, alles komplett ausgelastet. Im hinteren Teil sitzt eine Junggesellenabschiedsfeier-Truppe, die die letzten zwei Tage in Hamburg durchgemacht haben, da lass ich mich mit meinem Rucksack auf dem Boden nieder und lasse mich erstmalig an diesem Morgen fallen. Die Jungs sind echt nett, wie sich auf weiterer Fahrt herausstellt, sind alle schon verheiratet bis auf den zu verabschiedenen Junggesellen und nach einer Stunde bieten sie mir einen Platz an. So wird die Fahrt nach Hause sehr kurzweilig, denn wir lachen viel miteinander. Sie konnten es wohl auch nicht fassen, dass ich so lange allein unterwegs war. Übrigens kamen sie ganz aus meiner Eifelnähe, nämlich aus Mayen.
 
So komme ich gegen 19.oo Uhr im Kölner Hauptbahnhof an, leichter Nieselregen empfängt mich und ich fahre den gewohnten Weg nach Hause. In Nippes empfängt mich eine Menschenwanderung, denn es ist Nippes-Nacht, kulturrelles Musik- und Lesungsprogramm. Mein Mann ist nicht zuhause, ich falle unter die Dusche und beschließe mich mal in Nippes wieder einzufinden. Irgendwann finde ich Mann und Freund und wir haben erstaunlicherweise noch einen wunderschönen Abend im Rosenroter Stammlokal mit Musik aus den Siebzigern. Ich bin fit und kann noch hopsen und springen und ja, eigentlich ist es auch schön, wieder zuhause zu sein. Aber der Katzenjammer kommt ja bekanntlich erst am nächsten Morgen.
 
In diesem Sinne kann ich nur jedem empfehlen, macht es mal, setzt Euch aufs Rad oder geht zu Fuß, wie auch immer, lernt Deutschland mal aus einer ganz anderen Perspektive kennen. Ach ja, übrigens der ganze Urlaub, genau 16 Tage hat mich insgesamt 9oo,--? gekostet, wo kann man für so wenig Geld so viel erleben? Ich danke in diesem Zusammenhang all den lieben Menschen, die mich einfach und vorurteilsfrei aufgenommen haben, Sabine, Horst, Jens, Youssof, Ismael , Karim, Musa, Christiane und Joachim und mit denen ich schöne Stunden verbracht habe. Möge die Freude, die ihr mir gegeben habt auf Euch zurückfallen, ich hab Euch lieb!
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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 19:11
Endlich
Sonne
Körpererwärmung
die Herzen
fangen an
zu schlagen
ich frage mich
nicht mehr
warum
ich lebe.
Ich sitze
schaue
und genieße
und warum
sollte das
nicht immer
so sein!

E. L.
 
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10. Oktober 2008 5 10 /10 /Oktober /2008 19:10
Woodstock! Wer erinnert sich nicht an das legendäre Festival, das vom 15. bis 17. August 1969 in Amerika stattfand.
 
Vor ein paar Tagen zeigte der Fernsehsender "Arte" noch einmal eine Original-Dokumentation über dieses Ereignis. Ich entdeckte es durch Zufall. Ich muß schon sagen, Wehmut und gleichzeitig alle Träume meiner Jugendzeit, stiegen da wieder in mir hoch. Wem geht es da wohl nicht so? Ich persönlich war ja zu diesem Zeitpunkt noch sehr jung, gerade mal vierzehn Jahre, mich in der Pubertät befindend, umfangen von vielen Problemen, Sorgen und Nöten, die zusätzlich zu den pubertierenden Unwegbarkeiten hinzukamen. Für mich war der Geist, der von diesem Festival ausging, eine wahre Revolution, die von den Bildern und Berichten der Veranstaltung ausging. "Freiheit, Liebe, Frieden, Gleichheit, bloß kein Spießertum" alle diese Werte zogen mich magisch in den Bann. Die Musik war längst mein Lebensellixier geworden, Jimi-Hendrix, Crosby, Stills, Nash and Young usw.usw. Insgesamt traten damals 32 Bands der verschiedensten Musikrichtungen dort auf, manche waren selber zu Besuch da und gingen dann auf die Bühne, unvorbereitet, hatten sich gefangen nehmen lassen, von der Athmosphäre und dem Taumel der Massen.
 
Im Grunde war das Festival ja eher als eine kommerzielle Musikveranstaltung gedacht. Dass sich zu dieser Zeit aber die damalige Hippi-Bewegung kommerzialisiert hatte und Mainstream geworden war, damit hatten die Veranstalter ja nicht gerechnet. Die wollten damals eigentlich nur ein eigenes Musikstudio, dass in Woodstock lag, finanzieren. Nach ihren damaligen Veranschlagungen rechneten sie mit 60.ooo Besuchern, auf den Weg machten sich dann rd. 1 Mio. Menschen, wovon 4oo.ooo das Festival erreichten, die anderen blieben auf dem Weg stecken.
 
Die Revolution begann, Kassenhäuschen wurden niedergetrampelt, alles stürmte auf den Festivalplatz. Was war ich begeistert von diesen Bildern, dieser Geist von Woodstock wehte von da an auch für mich und den Jugendlichen, mit denen ich damals so unterwegs war. Angespornt durch diese Bilder stürmten auch wir jedes damals stattfindende Konzert, drückten und rückten auf, bis wieder ein Schwung im Innenraum oder auf dem Gelände war. Natürlich mußten wir auch einstecken, wie damals, als beim Stones-Konzert in der schönen alten Kölner Sporthalle Polizisten mit Hundestaffeln versuchten, uns aufzuhalten und wir den Weg über die Zäune nehmen wollten. Ein Freund, der dann von einem dieser Hunde im Zaun hängend von einem dieser Hunde in den Oberschenkel gebissen wurde, mußte dann leider die Zeit des Konzertes im Krankenhaus verweilen.
 
Aber zurück zu Woodstock, dass dann zunächst ein finanzieller Mißerfolg zu werden schien, sich aber dann durch die Vermarktung zu einem riesigen Erfolg entwickelte.
 
Für mich war in diesen meinen jungen Jahren faszinierend zu sehen, welche Macht Menschen haben konnten, angeheizt durch Rock-Musik, welch großer Wille zu einem friedlichen Leben, ohne Haß und Gewalt, in ihnen geboren wurde. Was waren wir verrückt damals, als wir dann immer noch ein, zwei, drei Jahre später mit Schlafsack bewaffnet ins Weißhaus-Kino zogen, wo wir dann wieder Zuschauer dieses Ereignisses wurden und natürlich auch so manches Tütchen herum ging. Natürlich wollten wir damit auch unsere eigene Wirklichkeit verdrängen, wollten die ganze Intensität der Gefühle und den Ton der Musik, die uns berauschte, in unserem Inneren spüren. Noch heute habe ich den legendären Ruf der Massen "no rain, no rain" in meinen Ohren, als das Konzert wegen starker Regengüsse unterbrochen wurde.
 
Sehr berührt war ich damals vor allen Dingen auch von dem Auftritt von Joan Baez, die damals gerade schwanger war, wie sie still ihre Gitarre weglegte und dann schlicht und einfach "Swing love, sweet Chariot" sang und am Ende dann "We shall overcome", ehrlich, da kriege ich heute noch eine Gänsehaut, so genau ist mir diese Stimmung präsent und mein damaliger Glaube, dass Liebe die Welt im Großen verändern kann, dass wir die Macht hätten, Kriege zu stoppen und zu verhindern und dass wir etwas tun können gegen Gewalt und Herrschsucht.
 
Oder z.B. Canned Heat, ebenfalls musikalisch ein Lebensgefühl vermittelnd, mit ihrem legendären Song "Going up the country", der dann ja auch später zur offiziellen Hymne des Festivals wurde.
Es war beeindruckend, dass Hundertausende von Menschen zusammengekommen sind, friedlich miteinander lebten und teilten, Spaß hatten, Kinder gemacht und geboren wurden und sich einfach von der Musik gefangennehmen ließen.
 
Ja, nicht zu vergessen unser Jimi-Hendrix, unser Held unser Gitarren-Gott damals! Wirklich, als ich jetzt die Sendung im Fernsehen sah, konnte ich nicht anders, ich drehte die Lautsprecher hoch und holte meine "Luftgitarre" hervor und dann ging es ab. Wahnsinn, sich von einem Moment auf den anderen, in eine andere Zeit hineinzuträumen.
 
Aber natürlich hervorzuheben auch das Chaos und die Vorläufigkeit der ganz profanen Dinge, z.B. die Verpfelgung, die das Gelände nicht mehr erreichte, weil sämtliche Zufahrtsstraßen durch Menschen versperrt waren. Die Anwohner, völlig überrumpelt von den Massen, mußten helfen mit Verpflegung, Schlafplätzen, Toiletten etc.. Wie ein Schwarm Termiten sind die Menschen in ihre Vorgärten und Häuser eingefallen. Die medizinische Versorgung z.B., Ärzte, die sich spontan freiwillig zur Verfügung gestellt hatten, unzähligen Verletzten, sei es durch Hitze, Sonnenbrand, Schnittwunden oder aber auch durch Drogenkonsum, zu helfen. Allein wenn man dieses Chaos sieht, staune ich immer wieder, was für ein Geist damals, der so viele Menschen zu einem solchen Aufbruch veranlaßt hat. Würde so etwas heute noch funktionieren? Ich gehe ja heute auch noch gerne zu Festivals, aber der Geist ist doch überwiegend ein anderer geworden. Vielleicht erinnert die Love-Parade, die ja gerade heute in Essen stattfand, ein bißchen an diesen Zeitgeist.
 
Aber meistens sehe und spüre ich, dass es heute den Konzertbesuchern um den reinen Musikgenuß, um ihr Bier, ihr Essen, ein bißchen Ausstieg aus dem Alltag, ein bißchen Gänsehaut-Stimmung mit Wunderkerzenambiente, geht. Die damalige Hippi-Generation war aber auf der Suche nach Freiheit, Gleichheit, Liebe und Brüderlichkeit. Die Musik war nur die Untermalung.
 
Wenn ich, wie dieser Tage, mit wehmütigem Blick dieses Szenario noch einmal verfolge, die Musik immer noch meine Sinne berauscht, spüre ich für mich immer noch diese Aufbruchstimmung in mir, etwas bewegen zu wollen, frei zu leben, ohne den Druck von Moralvorstellungen, dafür zu kämpfen, dass Menschen sich mit Respekt und Achtung begegnen. Ich wäre auch heute noch zu jeder Schandtat und jeder, wenn auch chaotischen Reise, bereit, um etwas zu bewegen.
 
Ich glaube, ich bin ein Hippi geblieben. Sagen meine Kinder übrigens auch immer.
 
Für alle, an denen Woodstock vorbeigegangen ist, schaut es Euch einmal an, wenn sich die Gelegenheit bietet. Es gibt übrigens eine prima DVD dazu. Und wie ich vor einiger Zeit in einem Gespräch mit damaligen Konzertbesuchern gelesen habe, sie würden es wieder tun, sofort.
 
Woodstock war nicht nur Lebensgefühl, Woodstock war und ist Lebensphilosophie!
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